Zecken und Co. – Ein Dauerthema

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Die Prophylaxe von Ektoparasiten (Zecken, Flöhe, Mücken, etc.): Bei kaum einem anderen Thema differieren die Sichtweisen von Tierarzt und Tierbesitzern so krass wie bei diesem. Als Tierarzt neigt man dazu, die Fragestellung für banal zu halten, mit den Schultern zu zucken und zu sagen „Dann nimm halt dieses oder jenes, und gut isses“, während es die Tierbesitzer so richtig umtreibt, wie man im Netz tausendfach nachlesen kann. Also ist jetzt doch mal ein Artikel dazu fällig.

Fakten:

– Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war die von Zecken übertragene Babesiose eine klassische „Mittelmeerkrankheit“. Inzwischen gibt es Naturherde im Oberrheingraben, im Saarland, in Rheinland-Pfalz, in den Isarauen südlich von München, in der Umgebung von Regensburg, in den Elbauen und in Brandenburg. Auch in der Schweiz, Österreich, Holland und Polen finden sich Enzootie-Gebiete. Von den geschätzt 1000 Neuerkrankungen pro Jahr sind 30 bis 40 Prozent ortsständig, also nicht im Ausland erworben.

– Auch die ebenfalls von Zecken übertragene Canine Anaplasmose ist in Deutschland fest etabliert.

– Der reichlich ekelhafte und von Stechmücken übertragene Unterhautfadenwurm des Hundes (und des Menschen), Dirofilaria repens, hat von Südosten kommend das Bundesgebiet definitiv erreicht.

– Der nahe und nicht weniger unerfreuliche Verwandte des Unterhautwurms, der Herzwurm Dirofilaria immitis, hat es von Frankreich und Italien her kommend inzwischen bis in die Schweiz geschafft und breitet sich weiter nach Norden aus.

– In den letzten Jahren werden in Süddeutschland immer häufiger Sandmücken, die Überträger der hochgradig gefährlichen Leishmaniose, angetroffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch diese Krankheit zu uns ausbreitet.

– Besonders mies ist der Infektionsweg der bisher auf den Mittelmeerraum beschränkten Hepatozoonose: Hier reicht das Abschlucken oder Zerbeißen einer Zecke durch den Hund für eine Ansteckung.

– Bezüglich der ebenfalls von Zecken übertragenen diversen Rickettsiosen wissen wir bisher in den meisten Fällen noch gar nicht, was diese anrichten können.

– „In einer aktuellen Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien wurden 90 Hunde über einen Zeitraum von einem Jahr begleitet und der Zeckenbefall wurde dokumentiert. Insgesamt wurden von den Haltern der Hunde 700 Zecken auf ihren Tieren gefunden. Dies sind im Schnitt knapp acht Zecken pro Hund im Jahr. Eine Zahl, die zunächst nicht groß alarmiert. Aber: Zecken können Erreger von Infektionskrankheiten wie Babesiose, Anaplasmose oder Borreliose übertragen. Und: In der Studie wurde durch Blutuntersuchungen festgestellt, dass fast jeder zweite der beobachteten Hunde in dem Jahr eine von Zecken übertragene Infektion durchmachte. Einer der Gründe dafür war, dass Hundehalter Mittel zum Zeckenschutz nicht regelmäßig aufgefrischt oder erst dann aufgetragen haben, wenn sie auf ihrem Hund bereits eine Zecke gefunden hatten. Dabei ist ein lückenloser Zeckenschutz entscheidend dafür, dass ein Hund vor einem Befall mit Zecken und der damit möglichen Übertragung von Krankheitserregern geschützt wird.“ (Zitat von esccap.de)

So, jetzt kann man sich wahrscheinlich schon denken, was aus tiermedizinischer Sicht die Zielvorgabe jeglicher Ektoparasiten-Prophylaxe sein muss: Das Haustier soll möglichst überhaupt nicht von irgendwas – seien es Mücken, Flöhe oder Zecken – gestochen werden. Im Urlaub im Süden auf gar keinen Fall und hier in Deutschland bestenfalls auch nicht. Wie aus den oben genannten Fakten klar hervorgeht, wird der Spielraum für Experimente immer kleiner, weil jeder Insektenbiss eine schwerwiegende Infektion nach sich ziehen kann.

Den wenigsten Lesern (und vielleicht auch nicht allen Kolleginnen und Kollegen) wird bewusst sein, dass es zu dem Thema bereits eine Leitlinie gibt, die „Leitlinie Verhinderung der Erregerübertragung durch Blut saugende Vektoren bei Hunden“ (PDF-Download). Hier sollten Sie jetzt mit meinem Artikel Pause machen und sich die Leitlinie durchlesen, am besten von vorne bis hinten. Das mag etwas trocken und langweilig sein, aber danach sind Sie auf jeden Fall im Bilde. Wem das zu viel der Mühe ist, der muss sich eben auf unseren Ratschlag in diesen Dingen verlassen.

Das Problem mit Leitlinien habe ich in anderen Artikeln zwar schon mal angesprochen, aber sicherheitshalber sei es auch an dieser Stelle noch einmal erläutert: Medizinische Leitlinien, die in der Regel von einer Gruppe echter Kapazitäten des jeweiligen Fachgebietes verfasst werden, geben einerseits Anleitung und Sicherheit für den behandelnden Arzt, und zwar sowohl im fachlichen als auch im juristischen Sinn. Wer als Arzt sein Handeln an einer anerkannten Leitlinie ausrichtet, kann eigentlich nicht viel falsch machen. Andererseits und im Umkehrschluss schränken Leitlinien die Handlungsfreiheit natürlich auch massiv ein. Handle ich als Arzt gegen die Empfehlungen einer Leitlinie und es geht etwas schief, wird es für mich extrem schwierig, meine Vorgehensweise fachlich oder juristisch zu rechtfertigen. Zur Verdeutlichung ein Beispiel: Ich mag ja eventuell bei meinem eigenen Hund festgestellt haben, dass der neueste Hype auf diesem Gebiet, nämlich Schwarzkümmelöl, tatsächlich zu reduziertem Zeckenbefall führt; empfehle ich aber die Anwendung des Öls auch meinen Patienten, und einer der Hunde wird von mir aus in Freiburg von einer Zecke erwischt und erkrankt kurz darauf lebensbedrohlich an einer Babesiose, so könnte mich der Besitzer wegen einer fehlerhaften Beratung verklagen und würde mit hoher Sicherheit auch Recht bekommen.

Dementsprechend gehen wir Tierärzte, wenn wir um Rat gefragt werden, auf Nummer Sicher und empfehlen die von der Pharmaindustrie angebotenen Präparate mit gleichzeitig insektizider/akarizider (abtötender) und repellierender (abstoßender) Wirkung. Der zweite Punkt ist uns besonders wichtig, denn nur ein Insekt, sei es Zecke, Floh oder Mücke, das erst gar nicht versucht, das Haustier anzubohren, ist in unseren Augen ein gutes Insekt. Eine zuverlässig repellierende Wirkung haben aber leider nur die Pyrethroide Permethrin, Deltamethrin und Flumethrin, deren Anwendung eigentlich auf den Hund beschränkt ist, da Katzen auf Pyrethroide mit lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen reagieren. Nur in Form eines Halsbandes (Seresto) ist ein niedrig dosierter Wirkstoff aus der Gruppe der Pyrethroide (Flumethrin) in Deutschland für Katzen zugelassen.

Hunde vertragen in der Mehrzahl Pyrethroide problemlos, so dass diese Wirkstoffe sowohl in Form von Spot-Ons als auch von Halsbändern mit meist gutem Erfolg zum Einsatz gebracht werden können. Jetzt könnte man sagen: Prima, Problem gelöst, Artikel zu Ende, wenn es nicht – wie in der Einleitung schon angedeutet – auf Seiten der Tierbesitzer teilweise heftige Vorbehalte gegen diese „Chemiekeulen“ gäbe. Das Thema ist einer der ganz großen Dauerbrenner im Internet. Es werden mit Feuereifer Tipps und Empfehlungen für „chemiefreie“ Zeckenprophylaxe ausgetauscht, und häufig gehen diese Diskussionen nach kurzer Zeit in ein erbittertes Hauen und Stechen über, bei dem keine Gefangenen gemacht werden. Und über allem schwebt natürlich wie immer der reflexartige Generalvorwurf an die Tierärzteschaft, dass sie nur darauf aus wäre, ihre Patienten aus Geldgier oder purem Sadismus mit diesen „Giftbomben“ langsam zu Tode zu quälen.

Aus meinen Formulierungen kann die sensible Leserschaft sicher schon ableiten, dass mir das nicht nur ein wenig, sondern buchstäblich meterweit zum Hals raushängt. Nein, wir wollen unseren Patienten auf keinen Fall schaden! Wir halten nur die von den besprochenen Parasiten ausgehenden Infektionsrisiken für viel, viel gefährlicher als jede potentielle oder fiktive unerwünschte Nebenwirkung der nachweislich gut wirksamen Präparate. Gehen Sie bitte davon aus, dass wir unsere eigenen Tiere natürlich ebenfalls mit den Mitteln behandeln, die wir Ihnen empfehlen, obwohl wir uns der Tatsache wohl bewusst sind, dass es sich dabei nicht unbedingt um gesundheitsfördernde Substanzen handelt. Und glauben Sie uns bitte außerdem, dass auch wir ständig die Ohren offen halten bezüglich eventuell weniger aggressiver Methoden zur zuverlässigen (!) Verhinderung von Ektoparasitenbefall. In einer idealen Welt gäbe es diese Plagegeister und die von ihnen übertragenen und sehr gefährlichen Krankheiten erst gar nicht, aber das sind halt nur Wunschträume. Darüber hinaus findet man als Tierarzt in der Anwendungswirklichkeit einfach keine Bestätigung für die auf Seiten der Tierhalter gehegten Befürchtungen bezüglich der Schädlichkeit der Antiparasitika. Kurz- und mittelfristig treten nur sehr selten irgendwelche Nebenwirkungen auf und langfristig ist da ebenfalls kein wie auch immer gearteter Trend erkennbar. Immerhin wenden wir solche Spot-Ons und Halsbänder jetzt schon seit einigen Hundegenerationen an, und die Lebenserwartung der Tiere ist in dieser Zeit mehr als deutlich gestiegen.

Das Problem ist, dass bisher absolut keine der üblicherweise propagierten Alternativmethoden weder einer wissenschaftlichen noch einer der diversen praktischen Überprüfungen standhalten konnte. Daran ändern enthusiastische Meinungsäußerungen auf Facebook oder in Diskussions-Foren nicht die Bohne. Einlassungen wie „ich reibe meine Hunde immer mit Kokosfett ein und hatte dieses Jahr bisher nur 12 Zecken“ oder „mit der Bernsteinkette / dem Tic Clip / dem Keramik-Halsband habe ich beste Erfahrungen gemacht“ helfen da einfach nicht weiter.

Es steht ja jedem frei, bei seinem Hund im Sinne eines netten, kleinen Tierversuchs alles mögliche zu testen, aber erstens wird das – wie weiter oben erläutert – von Jahr zu Jahr riskanter, und zweitens haben solche Einzelfallberichte – und ich werde nicht müde, das zu erwähnen – keinen wissenschaftlichen, sondern nur anekdotischen Wert. Es gibt nun mal Hunde (Menschen, Katzen), die für Zecken, Mücken und Flöhe aus verschiedenen Gründen weniger attraktiv sind, so dass diese Individuen auch ohne wirksamen Schutz eher selten gestochen werden. Davon abgesehen können nicht leicht feststellbare Änderungen der Rahmenbedingungen dazu führen, dass die Befallsintensität unabhängig von der betriebenen Prophylaxe plötzlich eine ganz andere ist. Dazu können gehören: Änderungen der Spazierwege, Populationsverschiebungen beim Rehwild oder anderen Zeckenverbreitern und nicht zuletzt klimatische Einflüsse. Trifft nun im Einzelfall beispielsweise ein schwaches Zeckenjahr mit der Anwendung eines eigentlich völlig unwirksamen Prophylaxe-Verfahrens zusammen, kann der (natürlich völlig falsche) Eindruck entstehen, dass das bestens funktioniert.

So kommt man bei der Beurteilung also nicht weiter. Da müssen schon korrekte Untersuchungen durchgeführt werden, bei denen gezielt und unter kontrollierten Bedingungen versucht wird, die Parasiten zum Anbeißen zu bringen. Zeigen die Biester nicht den sogenannten „Fuß-Rückzieh-Effekt“, dann ist eben keine repellierende Wirkung des untersuchten Verfahrens vorhanden. Und wenn sie nicht spätestens nach dem Anbeißen sterben, kann man jegliche Wirksamkeit vergessen. Genau bei solchen Versuchsanordnungen versagen die „alternativen“ Prophylaxe-Methoden mit schöner Regelmäßigkeit völlig.

In unserer Praxis bekommen Sie nichts aufgedrängt. Wenn Sie unseren Rat wollen, empfehlen wir Ihnen die nach unserem Kenntnisstand und der genannten Leitlinie wirksamsten Produkte, um eine Krankheitsübertragung auf Ihr Tier so effektiv wie möglich zu verhindern. Hat Ihr Tier mit einem dieser Produkte ein Problem (Allergie, Juckreiz, mangelnde Wirksamkeit, etc.), empfehlen wir Ihnen ebenfalls anerkannt wirksame Alternativprodukte. Ansonsten sind Sie natürlich völlig frei in Ihren Entscheidungen. Sie müssen sich nur der Risiken bewusst sein, die Sie stellvertretend für Ihren Hund mit jedem an sich vermeidbaren Zecken- oder Mückenstich eingehen.

Auf die einzelnen von der Industrie angebotenen Produkte möchte ich hier nicht eingehen, weil speziell dieses Marktsegment ständig in Bewegung ist und der Artikel ja für längere Zeiträume in meinem Blog bleiben wird. Die jeweils aktuellen Produkte haben wir normalerweise vorrätig. Nur auf ein Prophylaxe-Konzept, das in letzter Zeit zunehmende Marktanteile gewinnen konnte, müssen wir gesondert eingehen. Dabei handelt es sich um die Isoxazoline Fluralaner (Bravecto), Afoxolaner (NexGard) und Sarolaner (Simparica). Die drei insektiziden und akariziden Wirkstoffe werden als Tabletten verabreicht und töten über einen längeren Zeitraum alles ab, was den Hund anbeißt. Das funktioniert nach bisherigem Kenntnisstand ganz prima und verhindert auch die Übertragung von Krankheiten, bei denen die Infektion erst eine gewisse Zeit nach dem Ansaugen erfolgt, wie beispielsweise Borreliose, Babesiose und Anaplasmose. Das Konzept ist speziell für Tierhalter mit kleinen Kindern attraktiv, da die Wirkstoffe im Körper des Hundes bleiben und keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf Kinder einzuhalten sind, wie wir sie von Spot-Ons und Halsbändern kennen.

Der Haken dabei ist aber ein eventuell falsches Gefühl der Sicherheit: Die drei Wirkstoffe bewirken keinen Repellens-Effekt. Krankheiten, die unmittelbar beim Stich des Parasiten übertragen werden, also beispielsweise Leishmaniose, Dirofilariose und FSME, werden durch dieses Konzept absolut nicht verhindert, womit es zumindest für die Prophylaxe beim Urlaub im Süden (aber auch schon teilweise hier in Deutschland) schlicht untauglich ist. Von diesem schweren Nachteil mal abgesehen handelt es sich bei den Isoxazolinen um eine sehr junge Wirkstoffgruppe, über deren langfristige Nebenwirkungen (im Gegensatz zu den altbewährten Pyrethroid-SpotOns und -Halsbändern) wir tatsächlich noch nicht wirklich Bescheid wissen.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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