Zahnextraktionen bei Hund und Katze: Mehr als nur „Zähne ziehen“!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Bei Diskussionen über zahnmedizinische Themen lese ich in Kommentaren immer wieder, dass einem Hund oder einer Katze Zähne „gezogen“ oder „gerissen“ wurden. Viele Tierbesitzer sind auch ziemlich schockiert über die Gebühren, die für schwierige Zahnextraktionen fällig werden.

Deshalb ist es mir wichtig, mal in aller Kürze darzustellen, dass Zahnextraktionen bei Hund und Katze oft rein gar nichts zu tun haben mit dem Bild vom „Zähneziehen“, das die meisten von Ihnen im Kopf haben dürften.

Da läuft nichts von wegen einen Zahn mit der Zange packen und einfach rausreißen. Das hat man in früheren Zeiten so gemacht, meist mit Zähnen, die schon stark gelockert waren, und trotzdem oft genug mit verheerenden Folgen. Dem Sonnenkönig Ludwig XIV. wurde seinerzeit ein schmerzender Zahn so gewalttägig gezogen, dass ein gutes Stück des harten Gaumens gleich mit rauskam. Von diesem Tag an hatte der König eine offene Verbindung zwischen Mund- und Nasenhöhle, eine sogenannte oronasale Fistel, die dafür sorgte, dass immer wieder Suppe oder Wein aus seiner Nase sprudelte und er insgesamt ein unerfreulich zu beobachtender Esser wurde.

Die Extraktion von noch fest sitzenden Zähnen bei Hund und Katze ist keine Sache von sekundenschneller und brachialer Krafteinwirkung mit einer Zange, sondern eine präzise chirurgische Maßnahme, die so einiges an Fachwissen, Geschick, Sorgfalt und vor allem Zeit voraussetzt. Speziell die enorm tief in den Kiefer reichenden und sehr fest sitzenden Fang (4er)- und Reiß (8er und 9er)-Zähne des Hundes und die so gut wie alle mit sehr zerbrechlichen Wurzeln ausgestatteten Katzenzähne werden am sinnvollsten mit der sogenannten Aufklapp (Flap)-Technik entfernt. Dabei wird das Zahnfleisch in Form eines Lappens (eines Flaps) vom Kieferknochen abgehoben. Dadurch kann der Knochen über den Wurzeln der zu entfernenden Zähne weggefräst und der Zahn nach Trennung in seine Wurzelanteile ohne großen Kraftaufwand und ohne die Gefahr von verbleibenden Wurzelresten entfernt werden. Danach wird die Wunde durch Übernähen mit dem Zahnfleischlappen (dem Flap) sauber verschlossen.

Man kann solche Extraktionen auch ohne die Flap-Technik versuchen. Aber wie Kollege John Lewis schreibt: „Flaps are our friends!“. Er führt weiter aus, dass Zahnextraktionen ohne Flap-Technik vergleichbar wären mit dem einarmigen Fangen eines Balls, also zwar machbar, aber schwierig und mit einem hohen Risiko des Scheiterns verbunden. Da muss ich ihm recht geben, denn in den frühen Jahren meiner tierzahnmedizinischen Tätigkeit habe ich so einige abgebrochene Zahnwurzeln letztendlich im Kiefer belassen und darauf hoffen müssen, dass daraus kein Problem wird.

Um diese für Laien sicher sehr schwer vorstellbaren Prozeduren bildlich zu veranschaulichen, hier zwei Links zu entsprechenden Videos auf YouTube. Aber bitte Vorsicht: Da werden Operationen an lebenden Tieren gezeigt. Es fließt also ordentlich Blut. Wer das nicht verträgt, klickt die Links besser nicht an!

Hier führt mein Kollege Brett Beckmann die Extraktion aller Zähne eines Unterkiefer-Quadranten bei einer Katze durch, eine Operation, die wegen einer therapieresistenten Felinen Stomatitis notwendig wurde:

Mandibular Quadrant Extraction in a Cat with Feline Stomatitis

Beckmann geht sehr sorgfältig und sauber vor, wenn er auch in Bezug auf das Wegfräsen des Kieferknochens manchen Kolleginnen und Kollegen etwas radikal vorkommen mag. Das Zunähen der Wunde mit dem Flap wird im Video nicht gezeigt, weil es zwar eine Fummelei, aber fachlich banal ist.

Und hier führt Kollege Craig Adams die Extraktion eines Hunde-Reißzahnes (8ers) durch:

Surgical Tooth Extraction at Poulsbo Animal Clinic

Übrigens: Was mir in dem Video negativ auffällt, ist die am Piepsen des Pulsoxymeters deutlich wahrnehmbare Erhöhung der Pulsfrequenz beim Aufklappen des Zahnfleisch-Flaps. Die intraoperative Schmerzunterdrückung war bei diesem Hund also ungenügend, was sofort hätte korrigiert werden müssen. Die Zahnextraktion wird aber korrekt durchgeführt. Kollege Adams zeigt am Ende auch das Vernähen der Wunde.

Ich hoffe, dass ich Ihnen anhand dieser beiden Beispiele deutlich machen konnte, dass die nach den Regeln der Kunst durchgeführte Extraktion von Hunde- und Katzenzähnen nichts mit „Reißen“ oder „Ziehen“ zu tun hat, sondern ganz im Gegenteil eine recht anspruchsvolle, zeitraubende (und deshalb natürlich nicht billige!) kieferchirurgische Maßnahme ist.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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