Von Ralph Rückert, Tierarzt
Aus der Mail einer Leserin: „Es würde mich mal interessieren, wie man sich denn im Winter richtig verhalten sollte. Mittlerweile trägt fast jeder Hund ein Wintermäntelchen und ich komme mir schon wie ein „Rabenfrauchen“ vor, weil mein Schäferhund keines trägt. Ist das denn wirklich notwendig? Für alle Hunde? Ab welcher Temperatur? Hängt das davon ab, wo sich der Hund i.R. aufhält? Oder ist das eher eine weitere lukrative Einnahmequelle der Hersteller von Haustierbedarf? … Vielleicht haben Sie mal Lust über dieses Thema zu schreiben.“
Ja, habe ich, vielen Dank für den Vorschlag! Das Thema scheint mehr Leute intensiver zu beschäftigen, als es eigentlich verdient. Die Diskussionen um Hundeklamotten verlaufen gern mal überraschend emotional. Gut, ich bin auch kein echter Fan von affigen Verkleidungen bei Hunden, die ihnen – zumindest in meinen Augen – häufig ihre Würde als Tier nehmen, aber davon soll hier gar nicht die Rede sein, sondern von Kälte- und Nässeschutzkleidung, also von Winterklamotten. Braucht es die nun oder nicht?
Vielleicht können wir die Diskussion etwas versachlichen, indem wir uns erstens klar machen, dass Hunde die diverseste Spezies der Welt sind, es also DEN HUND einfach nicht gibt, und uns dann zweitens ein paar einfache Fragen stellen:
Ist mein Hund groß oder klein? Je kleiner der Hund, desto größer ist seine Körperoberfläche im Vergleich zu seinem Körpervolumen und desto schneller verliert er bei kalten Temperaturen Wärme.
Ist mein Hund dick oder dünn? Oder genauer: Ist sein Körperfettanteil relativ hoch oder niedrig? Je mehr subkutanes Fett ein Hund hat, desto besser ist er gegen Kälte isoliert. Im Winter sind die Dickerchen also mal ausnahmsweise im Vorteil.
Hat mein Hund langes oder dichtes Fell mit Unterwolle oder ist er eher kurzhaarig ohne Wolle?
Ist mein Hund jung, hochaktiv und immer in Bewegung? Oder ist er schon älter, hat das ein oder andere Problem mit den Knochen und Gelenken und ist entsprechend eingeschränkt?
Woher – also aus welcher Klimazone – stammt mein Hund genetisch? Was hatten seine Vorfahren für Aufgaben?
So weit ganz logisch, oder? Ein aus Mexiko stammender, kurzhaariger und oft recht dünner Zwerg wie der Chihuahua wird natürlich im deutschen Dezember-Sauwetter viel eher anfangen zu bibbern als ein Malamut, der selbst bei klirrendem Frost im Freien schlafen und bei dem das Fell Nässe stundenlang von der Haut fernhalten kann. Ein aus Afrika stammender und ebenfalls idealerweise sehr schlanker Rhodesian Ridgeback kann Kälte und Nässe um Welten weniger ab als ein rassetypisch leicht speckiger Labrador. Und so weiter und so fort.
Eine ganz wichtige Frage: Wenn ich jetzt mit dem Hund rausgehe, was habe ich dann eigentlich vor? Fahre ich bei 4 Grad, Nieselregen und Wind in die Stadt, um zu shoppen oder Erledigungen zu machen? Habe ich einen Winterspaziergang geplant, bin aber selber nicht der beste Geher, muss mich gelegentlich auf einer Bank ausruhen und kann meinen Hund nicht von der Leine lassen, weil er das mit dem Rückruf nicht wirklich gut gelernt hat? Oder wird das eine stramme Runde, mit einem Hund, der vorwiegend frei läuft und damit über sein Aktivitätslevel selber entscheiden kann? Oder gehe ich gar zehn Kilometer joggen oder Frisbee spielen? Je nachdem wird der Hund wahrscheinlich frieren oder aber selbst mit recht tiefen Temperaturen überhaupt kein Problem haben.
Ganz am Ende aber die wichtigste Frage: Was meint der Hund dazu? Findet er so ein Kleidungsstück einfach grauenhaft? Oder duldet er es so halbwegs? Oder weiß er es gar zu schätzen und lässt es sich liebend gern anziehen?
Die beiden Fotos zeigen unsere Patterdale-Terrier Nogger und Pacman. Nogger war 9,7 kg schwer, Pacman wiegt 13,4 kg. Das Fell glatthaariger Patterdales ist kein wesentlicher Kälteschutz und eine subkutane Fettschicht kaum vorhanden. Trotzdem: Sie stammen genetisch aus Nordengland, halten 10 Grad und Nieselregen für ideale Bedingungen und sind meist derartig aktiv, dass sie nicht erkennbar frieren. Trotzdem gab es ab und zu Wettersituationen (z.B. Hiddensee im Februar, minus 10 Grad, Windstärke 6), wo auch ich auf den Gedanken kam, dass man dem kleinen Hund jetzt doch was anziehen sollte. Dabei habe ich aber leider die Rechnung ohne den Hund gemacht, denn speziell Nogger hat jede Art von Kleidung zwar geduldet, aber im Prinzip als ganz grausige Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit und Lebensfreude gesehen. Am Ende haben wir es aufgegeben, so dass er selbst unter Bedingungen, die wir nur mit langen Unterhosen und dicken Daunenjacken aushalten konnten, splitternackt durch die Gegend tobte. Pacman hat diese Einstellung von seinem Onkel geerbt, so dass Hundepullover und Hunde-Pufferjacke halt nun in der Schublade vereinsamen.
Im Gegensatz dazu hat mir meine Freundin und Kollegin Sophie Strodtbeck von ihrer Chi-Hündin Sprotte erzählt, die höchst erfreut angewieselt kommt, sobald Sophie ihr Mäntelchen zur Hand nimmt.
Fazit: Stellen wir uns all diese Fragen und beantworten sie für jeden Hund so objektiv wie möglich, stellen wir fest, dass die Entscheidung für oder gegen Kälte- bzw. Nässeschutzkleidung hochgradig individuell und situationsabhängig getroffen werden sollte. Einen Schäferhund von Mitte Oktober bis Ende März durchgehend in einen Schneeanzug zu packen, ist letztendlich genau so schräg, wie einen nackten Zwergpinscher den ganzen Winter über angeleint und schlotternd durch die Gegend zu führen. Grundsätzlich aber gilt, dass wir unser eigenes Kältegefühl nicht einfach auf Hunde übertragen dürfen. Nur weil wir das Bedürfnis nach einer Daunenjacke empfinden, bedeutet das nicht automatisch, dass man dem Hund auch gleich was anziehen müsste.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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