Von Ralph Rückert, Tierarzt
In meinem Blog-Artikel über Kaninchen habe ich betont, dass Kinder nach Abklingen der ersten Begeisterung oft feststellen müssen, dass Kaninchen gar nicht die kuschligen und anschmiegsamen Streicheltiere sind, die sie eigentlich haben wollten. In einem Kommentar wurde daraufhin die Frage aufgeworfen, welche Tierart sich meiner Meinung nach am besten für Kinder eignen würde. Wirft man einem Blogger so eine Frage in den Schoß, darf man sich nicht wundern, wenn die Antwort etwas länger ausfällt.
So, wie mache ich das jetzt? Ich könnte eine Liste mit den „üblichen Verdächtigen“ durchgehen und für all diese Tiere Vor- und Nachteile aufzählen, aber dann lesen Sie wahrscheinlich nur noch ein paar Zeilen weiter, bis es Ihnen zu langweilig wird. Nachdem es hier um die Neuanschaffung eines Haustieres geht, könnten wir uns einen etwas radikaleren Denkansatz erlauben. Was wollen wir, sowohl für unsere Kinder als auch für uns selbst? Eigentlich doch ein Kumpel-Tier, ein Tier, das nicht in Gefangenschaft gehalten wird, sondern als Spezies vor langer Zeit entschieden hat, sich mit uns Menschen zusammenzutun, ein Tier, das den körperlichen Kontakt mit uns nicht nur duldet, sondern auch aus eigenem Antrieb immer wieder sucht, und nicht zuletzt ein Tier, das unsere Kinder in ihrer Entwicklung fördert, sie sozusagen zu besseren Menschen macht und ihnen den Respekt vor einem Mitlebewesen beibringt. Kinder wollen und sollen Tiere als Freunde sehen. Freunde, die man als Gefangene hinter schwedischen Gardinen halten muss – in meinen Augen eine zweifelhafte pädagogische Botschaft! Und zack, schon ist die Liste so richtig übersichtlich geworden, denn es bleiben nur noch Katze und Hund übrig, die zwei Tierarten, die seit Tausenden von Jahren mit uns gemeinsam durchs Leben ziehen.
Aber welcher der beiden ältesten Freunde der Menschen macht das Rennen? In meinen Augen keiner, am liebsten hatte ich immer schon beide zugleich. Wenn man sich aber entscheiden muss? Dann kommt es drauf an: Wenn für Sie nur ein Hund in Frage kommt, dann wissen Sie das eigentlich schon, nicht wahr? Es gibt nun mal Hundemenschen, Katzenmenschen und welche, die die Gesellschaft beider Tierarten schätzen.
Mit einem Hund holen Sie sich sehr viel Freude ins Haus, gehen aber auch eine Verpflichtung ein, deren Ausmaß die Vorstellungskraft der meisten Anfänger bei weitem übersteigt. Ein Hund muss erzogen werden, der kann erstmal gar nichts. Wenn das was Gescheites werden soll, sind Sie und Ihre Familie damit die ersten 12 Monate voll und ganz beschäftigt. Ihr gesamter Lebensstil, ach was, Ihr ganzes Leben wird sich ändern, Ihre Kleidung, Ihre Einrichtung, Ihre Freizeitgestaltung, Ihre Urlaube, Ihre Autos, eventuell sogar Ihr Freundeskreis. Ein Hund gibt Ihnen und Ihrer Familie alles, was er zu geben hat, und das ist eine ganze Menge, aber er verlangt auch von Ihnen so einiges. Vom Aufwand her ist ein Hund fast wie ein weiteres Kind. Er macht nur im Idealfall nicht so viele Sorgen.
Kinder profitieren ungemein von einer harmonischen Hundehaltung. Der Familienhund der Kindheit wird für den Rest des Lebens nie mehr vergessen. Das instinktive Verständnis zwischen Kindern und Hunden ist etwas sehr Schönes, was man meiner Meinung nach erlebt haben muss. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Hunde unter bestimmten Umständen Menschen beissen, und zwar rein statistisch am häufigsten Kinder der eigenen Familie im Alter unter 10 Jahren. Gerade Kleinkinder sind dem Angriff eines Hundes mehr oder weniger hilflos ausgeliefert und werden dabei in manchen Fällen sehr schwer verletzt oder kommen gar ums Leben. Bedenken Sie in diesem Zusammenhang unbedingt auch die Größenverhältnisse zwischen Hund und Kind(ern). Auch wenn Papa sich einen richtigen Brocken von Hund wünscht – ein oder zwei Schuhnummern kleiner machen genau so viel Freude und verringern doch das Gefahrenpotential beträchtlich.
In der heutzutage üblichen Form, nicht mehr an der Kette oder im Zwinger, sondern als Familienhund im Haus, auf dem Sofa, im Bett, also in engstem Kontakt zu Menschen, ist Hundehaltung absolut kein Selbstläufer. Alle Beteiligten, auch die Kinder, müssen den richtigen Umgang mit dem Hund, seinem Ausdrucksverhalten, seinen Bedürfnissen richtiggehend lernen. Der von idyllischen Werbespots oder dämlichen TV-Serien genährte Glaube, dass sich das schon irgendwie von selbst regelt, endet mit trauriger Regelmäßigkeit in Blut und Tränen. Nein, da muss richtig Arbeit investiert werden, und man kann sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern muss immer aufmerksam bleiben. Zum Beispiel kann auch der bestens erzogene und friedlichste Hund plötzlich krankheitsbedingte Schmerzen bekommen, die ihn von einem Tag auf den anderen übellaunig und reizbar werden lassen.
Ein gewisses Restrisiko der Hundehaltung in Familien wird aber bei aller investierten Mühe immer bleiben. Wie die meisten einfachen Regeln stimmt auch der berühmte Spruch vom immer schuldigen oberen Ende der Leine nicht in jedem Fall. Wie bei uns Menschen gibt es auch unter Hunden einen ganzen Strauß an Geistes- bzw. Hirnkrankheiten, die zu verheerenden und vor allen Dingen völlig unberechenbaren Verhaltensstörungen führen können. Und es gibt auch unter Hunden manchmal welche mit echten charakterlichen Webfehlern. Das ist sicher selten, aber in solchen Fällen hilft die beste Erziehung nichts, allenfalls noch ein tiermedizinischer Verhaltensspezialist.
Davon abgesehen gibt es Rassen und individuelle Charakterzüge eines Hundes, die mit Kindern nicht wirklich kompatibel sind. Nachdem inzwischen fast jedes offizielle Rasseporträt die absolute Kinderfreundlichkeit und Eignung zum Familienhund in so enthusiastischen wie verlogenen Worten betont, werden Sie nicht umhin kommen, sich mit einigen Leuten zu unterhalten, die sich da auskennen. Tierärzte sehen im Laufe ihres Berufslebens viele Hunderassen und erleben auch deren Reaktionen unter dem Stress, den ein Tierarztbesuch bedeuten kann. Sprechen Sie uns vor der Anschaffung eines Hundes unbedingt an. Lassen Sie sich beraten! Das wird viel zu selten gemacht.
Und wenn Sie nach reiflicher Überlegung und viel Vorarbeit nun beim Züchter ihrer Wahl stehen und sich einen Welpen als Familienhund aussuchen wollen? Wie macht man das richtig? Sperren Sie vor allem Augen und Ohren weit auf: Wo werden die Welpen gehalten? Hoffentlich im Haus, und idealerweise sind da auch Kinder! Sieht das auch wirklich glaubwürdig aus, oder ist es hier so sauber, weil die Welpen eigentlich hinten im Gartenschuppen hocken und nur zur Besichtigung ins Haus geholt wurden? Verhält sich die Mutterhündin bei aller Aufmerksamkeit freundlich Ihnen und Ihrer Familie gegenüber? Reagieren die Welpen gleichgültig auf Haushaltsgeräusche? Zeigen die Welpen nicht die geringste Scheu vor den fremden Menschen? Gut! Und jetzt suchen Sie sich den Welpen raus, der als erster auf Sie zu kommt und der seine Geschwister voll im Griff zu haben scheint – NICHT! Nein, den nehmen Sie natürlich nicht, sondern überlassen ihn Leuten wie mir, wo die Kinder schon lange aus dem Haus sind. Das ist der Wurfkisten-Chef und damit nicht der ideale Kandidat für Familien mit Kindern. Was Sie suchen, ist eher der ruhige, sanftmütige Typ Welpe.
Ach ja, warum beim Züchter und nicht im Tierheim? Weil Sie in einen Kinderhaushalt nur einen Welpen bringen sollten, wenn möglich einen Welpen einer nach allgemeiner Auffassung kinderfreundlichen Rasse (oder natürlich einen Mischling aus zwei kinderfreundlichen Rassen). So sehr ich sonst dafür bin, sich im Tierheim umzusehen, bevor man anfängt, nach Züchtern zu suchen, bei einem Hund für die Familie mit Kindern bin ich eindeutig für den Rassewelpen, bei dem man mit gewissen Eigenschaften rechnen kann. Ein Tierheim-Hund mit unbekannter oder sogar absichtlich verschleierter Vorgeschichte ist im Umgang mit Kindern einfach ein zu großes Risiko.
Jetzt schauen Sie mal, wieviel ich über den Hund als Haustier für Kinder geschrieben habe, und vergleichen es mit dem, was ich jetzt über die Katze schreiben werde. Die Katze ist definitiv ein einfaches Haustier. Sie folgt uns nicht durch die Welt und das Leben, sie begleitet uns – falls es ihr so gefällt. Sie ist im Gegensatz zum Hund jederzeit dazu bereit, uns zu verlassen, wenn ihr die Umstände nicht mehr behagen. Sie bittet uns im Gegensatz zum Hund nicht um feste Regeln – sie stellt die Regeln lieber gleich selbst auf! Dass Katzen bei einem bleiben, obwohl sie jederzeit die Möglichkeit hätten, woanders hinzugehen (und das auch tun, wenn ihnen was nicht passt), kann man ruhig als Kompliment auffassen.
Eine Katze kann zwar in gewissen Grenzen erzogen werden, es ist aber nicht wie beim Hund dringend notwendig und eine halbe Lebensaufgabe. Eine Katze pflegt und (Freigang vorausgesetzt) ernährt sich sogar teilweise selbst. Sie geht normalerweise von selber aufs Katzenklo oder nach draußen. Katzen, die ins Freie dürfen, brauchen auch keine vom Menschen ausgehende Beschäftigung, müssen nicht stundenlang ausgeführt werden. Sie wollen von uns nur Sicherheit, ein Dach über dem Kopf, was zu futtern und ein paar Streicheleinheiten, deren Umfang und Dauer sie selbst festlegen. Das war’s! Nein, nicht wirklich, zum Tierarzt müssen sie auch noch von Zeit zu Zeit, sie brauchen natürlich Impfungen, Entwurmungen und Zahnreinigungen, sie werden auch gelegentlich krank, aber das ist beim Hund nicht anders. Die Haltung an sich ist aber im Vergleich zum Hund ein echtes Kinderspiel, womit wir wieder beim Thema wären.
Für Kinder sind Katzen wirklich ganz hervorragend geeignete Haustiere. Geht es einem schlecht, hat man Sorgen, liegt man krank im Bett, schon ist die Katze da, legt sich dazu und leistet allein durch ihre Anwesenheit Beistand. Katzen lieben Körperkontakt, lassen sich in der Regel gerne anfassen, schnurren dabei sogar, haben also einen extrem hohen Kuschelfaktor. Auf der anderen Seite wehren sie sich sofort und sehr unmissverständlich gegen die für kleine Kinder typischen Übergriffe, ohne dass daraus gleich ein schweres Verletzungsrisiko entsteht. Katzen sind sehr gute Lehrer für „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Kinder können sich im Umgang mit Hunden gern mal kontrollsüchtig, tyrannisch oder sogar ansatzweise tierquälerisch benehmen. Mit einer Katze versuchen sie das nur einmal. Katzen bringen ein Element der Wildheit, der Unkontrollierbarkeit in die Familie, und es ist für Kinder nicht die schlechteste Lektion, dass nicht jedes Haustier uns Menschen völlig untertan sein muss.
Wollen Sie eine Katze für sich und Ihre Kinder, müssen Sie nur eines ganz, ganz dringend beachten: Wo auch immer sie das kleine Kätzchen oder auch die schon erwachsene Katze aussuchen – nehmen Sie nie, unter keinen Umständen, auf gar keinen Fall eine Katze, die nicht ohne jedes Zögern auf Sie zukommt, wenn Sie in die Hocke gehen. Katzen können auf Menschen, auf Katzen, auf Hunde, auf weitere Tierarten und auf jede Kombination daraus geprägt sein; ist die Katze aber nicht auf Menschen geprägt, ist sie auf gar keinen Fall für eine Familie mit Kindern geeignet, weil sie die Erwartungen mindestens der Kinder, aber auch der meisten Erwachsenen bitter enttäuschen wird. Ein Kätzchen, das zurückweicht oder sogar faucht, wenn sich eine Hand nähert, kann das fehlende Grundvertrauen in Menschen nicht noch im Lauf der Zeit gewinnen. Es wird zwar besser, aber nie wirklich gut. Ich habe das schon erlebt. Es ist überhaupt nicht lustig und endet meistens traurig, sprich die Katze wird wieder abgegeben. Also, das Kätzchen muss erstens auf Sie zukommen, es muss sich zweitens idealerweise freudig berühren und sogar auf den Arm nehmen lassen. Ist das alles der Fall, kann eigentlich nichts schiefgehen, an dieser Eigenschaft ändert sich (außer durch schwere Misshandlung) nichts mehr.
Und jetzt noch was Grundsätzliches: Mir schwillt immer etwas der Kamm, wenn ich in der Praxis miterleben muss, dass anlässlich einer wichtigen Therapieentscheidung, bei der es sowohl um Leben und Tod als auch um ordentliche Geldbeträge geht, Kinder aus einer in meinen Augen verqueren pädagogischen Logik heraus von Eltern unter immensen emotionalen Druck gesetzt werden. Da werden 9jährige nach ihrer Meinung gefragt, ob das gebrochene Bein des Haustieres operiert werden soll oder nicht, und ich war auch schon Zeuge, wie Kindern gesagt wurde, dass sie sich so etwas mit ihrem Taschengeld wohl nicht leisten könnten und das Tier deshalb jetzt eingeschläfert werden müsse. Das geht natürlich gar nicht! Ein Kind, eigentlich egal welchen Alters, wird im Normalfall nie die komplette, also auch finanzielle Verantwortung für ein Haustier übernehmen können. Die tierschutzgerechte Haltung eines Lebewesens mit einem Taschengeld-Etat ist nicht möglich!
Es ist ja vollkommen in Ordnung, dass das Kind – immer seinem Alter entsprechend – ein Stück Verantwortung für das Tier übernimmt und diesbezüglich auch dann beim Wort genommen wird, wenn diese Verpflichtung gerade mal ein wenig unbequem geworden ist. Der respektvolle Umgang mit einem Lebewesen, die Beschäftigung mit seinen Bedürfnissen, die Ernährung, die Pflege, die Sauberhaltung, das sind ja genau die Punkte, weshalb Haustiere auch einen pädagogischen Effekt haben. Aber die letztendliche Verantwortung, sowohl was die korrekte Haltung als auch die Gesundheitspflege mit ihren manchmal hohen Kosten und die Haftung für eventuelle vom Tier verursachte Schäden angeht, liegt definitiv bei den Eltern. Ich kann es zum Beispiel überhaupt nicht haben, wenn vor meinen Augen die gesamte Schuld für ein von Maden zerfressenes Kaninchen auf die Köpfe von Kindern gehäuft wird, die noch nicht mal Teenager sind. Für so eine Schweinerei müssen sich die Eltern schon selber an die Nase fassen.
Fazit: Ein Haustier nur für Kinder anzuschaffen, wenn die Eltern damit rein gar nichts am Hut haben, ist glatter Unsinn.
Und bitteschön: Allergien werden beim geringsten Verdacht, dass welche bestehen könnten, selbstverständlich vor Anschaffung eines Haustieres ausgeschlossen. Es stimmt, eine Allergie kann gerade bei Kindern auch während der Lebensspanne eines Tieres auftreten; wenn ich aber lese, dass noch ganz junge Tiere wegen einer Allergie abgegeben werden sollen, dann frage ich mich schon, warum man das nicht vorher abklären konnte. Übrigens: Es gibt Hunderassen, die von ihrer Fellstruktur her wenig oder gar nicht allergieauslösend sind.
Nun, wie auch immer Sie sich entscheiden werden: Wir wünschen Ihnen und Ihren Kindern viele Jahre voll Freude und Spaß mit Ihrem neuen Familienmitglied!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen
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