Was Hunde können sollten: Wunschzettel eines Tierarztes

Was Hunde können sollten: Wunschzettel eines Tierarztes

Von Ralph Rückert, Tierarzt

In einem anderen Artikel bin ich ja schon mal recht wortreich darauf eingegangen, dass bei der Erziehung von Hunden das Thema „Tierarztbesuch“ leider meistens völlig außen vor bleibt.

Heute möchte ich mal in Form eines knapp formulierten Wunschzettels zusammen fassen, was man einem jungen Hund aus tiermedizinischer Sicht so alles Sinnvolles beibringen könnte, und zwar zum offensichtlichen Nutzen von Hund, Besitzer und Tierarzt. Der Wunschzettel ist natürlich dem Umstand geschuldet, dass ein sehr großer Prozentsatz der Hunde diese Dinge leider NICHT drauf hat.

Im Prinzip könnte man sich lange Worte sparen und nur drei Begriffe auf den Wunschzettel schreiben:

Grundvertrauen, Impulskontrolle, Frustrationstoleranz!

Das mag vielen als zu abstrakt erscheinen, weshalb ich mein Anliegen durch einige beispielhafte Punkte weiter ausführen möchte, die aber eigentlich alle unter den drei genannten Begriffen eingeordnet werden könnten.

– Der Hund sollte von Welpe an daran gewöhnt werden, die körperlichen Manipulationen eines tiermedizinischen Untersuchungsganges ohne Angst bzw. Aggression zu erdulden. In die Augen, die Ohren und die Mundhöhle schauen und die Pfoten untersuchen zu können, sollte für jeden Besitzer, aber auch für tiermedizinisches Personal, jederzeit möglich sein. Das kann ein Hund nicht von selber, das muss (und kann) man ihm aber sehr gut beibringen.

– Bindung ist wichtig! Eine gute Bindung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ein Hund seinen Besitzern überall hin nachfolgt, auch in unangenehme oder unbekannte Situationen, mithin auch ins Behandlungszimmer der Tierarztpraxis. Das ruhige Sitzen oder Stehen auf der Waage oder dem Behandlungstisch kann und sollte ebenfalls frühzeitig geübt werden.

– Loslassen zu können ist aber ebenso wichtig und erlernbar! Denn irgendwann kommt es dazu, dass es der Hund tolerieren muss, wenn er von einer fremden Person (Tiermedizinische Fachangestellte) gehalten und von einer anderen fremden Person (Tierarzt) untersucht oder behandelt wird, während die Besitzer mit ein paar Metern Abstand daneben stehen. Und wenn es dumm läuft, kann es auch passieren, dass ein Hund wegen einer schweren Erkrankung stationär behandelt werden und damit klarkommen muss, dass er für Stunden oder gar Tage von seinen Besitzern getrennt wird. Nebenbei bemerkt: Dieses Loslassenkönnen wird in solchen Situationen natürlich auch von den Besitzern gefordert.

– Beißhemmung, Beißhemmung, Beißhemmung! Ein Hund hat kein wie auch immer geartetes „Recht“, nach Menschen (inklusive des tiermedizinischen Personals) zu schnappen oder zu beißen. Sicher, wir kommen auch damit irgendwie klar, aber es dürfte offensichtlich sein, dass zum Beispiel eine gründliche Untersuchung der Mundhöhle oder des Rachens bei einem maulkorbtragenden Hund nur in Narkose möglich ist. Das ist nicht wirklich optimal.

– Der gute Hundepatient lässt sich ohne großes Theater sowohl in Seiten- als auch in Rückenlage bringen und dort auch über einen gewissen Zeitraum entspannt halten. Das ist sehr wichtig für bestimmte therapeutische und diagnostische Verfahren. Beispielhaft seien nur Verbandswechsel am Bein, Ultraschalluntersuchungen oder physiotherapeutische Maßnahmen genannt.

– Aus medizinischer Sicht wäre es gut, wenn jeder Hund (auch und gerade ein großer) sich ohne Gezappel hochnehmen und tragen ließe, sowohl auf den Armen als auch über die Schultern gelegt. Sonst ist die Rettung eines verletzten Hundes aus schwierigem Gelände fast nicht machbar. Selbst der kurze Transport eines nicht mehr gehfähigen, großen Hundes aus der Wohnung zum Auto kann zum echten Problem werden, wenn dieser nie gelernt hat, sich tragen zu lassen.

– Wie man jeden Hund an einen Maulkorb gewöhnen kann, so kann man ihm auch das Tragen eines Leckschutz-Halskragens beibringen. Wenn er das direkt nach einer OP, eventuell gar unter Schmerzen lernen soll, ist das ein bisschen viel verlangt. Ich garantiere, dass die wenigsten Hunde alt werden, ohne wenigstens einmal so ein Ding verpasst zu bekommen.

– Jeder Besitzer sollte bei seinem Hund die rektale Körpertemperatur messen können. Das ist in vielen Fällen enorm hilfreich bei der korrekten Einordnung einer Befindensstörung.

– Das Eingeben von Medikamenten in flüssiger oder in Tablettenform sollte idealerweise auch ohne Leberwurst oder andere Tricks funktionieren. Es gibt durchaus das eine oder andere Medikament, das sich nicht gut mit Nahrungsmitteln versteht.

Das wäre schon alles! Aber noch ein paar Anmerkungen zum besseren Verständnis:

Das ist kein Forderungskatalog, sondern ein Wunschzettel, sozusagen eine Idealvorstellung. Wenn alle Hunde das alles drauf hätten, würde ich mich wie im Paradies fühlen. Es geht dabei aber nicht nur darum, uns Tiermedizinern das Leben zu erleichtern. Es dürfte einleuchtend sein, um wie viel besser sich ein Hund in der Tierarztpraxis fühlt, der systematisch gelernt hat, sich vertrauensvoll und entspannt untersuchen und behandeln zu lassen.

Um einen Einwand gleich vorwegzunehmen: Natürlich ist uns voll und ganz bewusst, dass ein Hund, den man mit sechs Jahren aus einem rumänischen Tierheim übernommen hat, bestimmte Dinge nie mehr lernen wird.

Der Wunschzettel ist an meine aktuellen und zukünftigen Patienten gerichtet, nicht an die Gesamtheit meiner Leser. Meine Kunden wissen aus eigener Erfahrung, wie große Mühe wir uns geben, individuell auf jeden Hund und seine Problem einzugehen, und wie viel Zeit wir uns dafür nehmen. Irgendwelche im Rahmen der Diskussion auf Facebook sicher wieder vorgebrachten Hinweise auf unsensibles und rabiates Vorgehen irgendwelcher Kolleginnen und Kollegen irgendwo auf der Welt sind in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll. Berücksichtigen Sie bitte, dass ich nicht für das verantwortlich bin, was andere tun.

Wie gesagt: Wir geben uns die größte Mühe! Trotzdem wäre für uns und unsere Hundepatienten so vieles um so viel einfacher, wenn mehr Hundebesitzer (und – nicht zu vergessen – auch Hundetrainer!) von Anfang an etwas mehr Mühe in die angeführten Punkte investieren würden:

Grundvertrauen, Impulskontrolle, Frustrationstoleranz!

Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus der Facebook-Gruppe „Tierärzte“, die mir freundlicherweise Input für diesen Artikel gegeben haben.

Ach ja, was ist denn in diesem Zusammenhang mit den Katzen? Man kann Katzen natürlich nicht in dem Umfang erziehen wie Hunde, aber man kann doch mehr tun, als man denken würde. Wer sich dafür interessiert, dem sei dieses Buch meiner Kollegin Sabine Schroll ans Herz gelegt.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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