Von Ralph Rückert, Tierarzt
In den Internetforen liest man die Beschwerde allenthalben und in den Augen der eigenen Kunden sieht man sie auch manchmal: So viele Untersuchungen, Tests, Röntgenbilder, und dieser Blindfisch von Tierarzt weiß immer noch nicht, was meinem Arco oder meiner Minka fehlt!
Im Vergleich zu humanmedizinischen Allgemeinärzten brauchen Tierärzte wesentlich länger für das Erfragen des Vorberichts und/oder für die Untersuchung des Patienten. Die Fünf-Minuten-Termine, die man als menschlicher Kassenpatient bei von Fallpauschalen geplagten Ärzten eingeräumt bekommt, sind für Tierärzte nahezu undenkbar. Und unsere Laboruntersuchungen umfassen wesentlich mehr Parameter als die der Humanmediziner, sind also eher Suchprofile. Warum?
Ganz einfach: Unsere Patienten sprechen nicht mit uns! Deshalb wären wir Tierärzte alle so gerne Dr. Dolittle, der ja bekanntlich mit den Tieren reden konnte. Wie oft stehen wir vor einem Hund, der beim Spaziergang nicht mehr so richtig mitkommt oder vor einer Katze, die keinen Appetit mehr hat und stetig abnimmt. Könnte der Patient sagen, was ihn belastet, wäre das näher zu untersuchende Organsystem schnell festgemacht: Der Hund, der keine Lust auf Laufen und Spielen hat, würde uns vielleicht erzählen, dass er so schwer Luft bekommt und sich immer müde fühlt; na klar, Herz und Lunge müssen dringend und gründlich durchgecheckt werden. Oder er beschwert sich über bohrende Schmerzen in der linken Hüfte; dann ist eben ein Röntgenbild der Hüftgelenke angesagt. Er könnte aber auch berichten, dass ihm nichts weh tut, er auch gut Luft bekommt, sich aber seit Monaten lustlos fühlt und keine Freude mehr an irgendwas hat: Das wäre typisch für eine Schilddrüsenunterfunktion, die man durch eine Blutuntersuchung rausfinden müsste. Die appetitlose Katze klagt über Zahnschmerzen? Alles klar, da können wir schnell helfen. Oder hat sie eher mit ständiger Übelkeit und Magenschmerzen zu kämpfen? Machen wir mal eine Magenspiegelung, dann wissen wir mehr.
Nun, alles nur Wunschträume! Arco und Minka erzählen uns leider gar nichts. Deshalb müssen wir Sie, die Besitzer, manchmal so bohrend genau ausfragen, obwohl wir Ihre Ungeduld durchaus bemerken. Und deshalb fangen wir bei einer Katze, die Probleme mit den Hinterbeinen hat, oben am Kopf an mit der Untersuchung, obwohl wir oft genug darauf hingewiesen werden, dass das Problem ja wohl am anderen Ende liegen würde. Und dann wollen wir auch noch eine Blutuntersuchung, obwohl Sie als Besitzer aus eigener Erfahrung eher ein Röntgenbild erwarten würden. Abzocke, wie man manchmal liest? Nein, die hinten lahmende Katze könnte sehr wohl zuckerkrank im fortgeschrittenen Stadium sein. Von ihrem nächtlichen Durst, den sie nachts immer am Gartenteich stillt, hat sie nämlich keinem erzählt. Und ein Symptom eines längerfristig bestehenden Diabetes ist die Schädigung der Nerven an den Hinterbeinen. Nun, wenn jetzt aber bei der Blutuntersuchung nichts besonderes rauskommt? Dann wollen wir vielleicht doch noch röntgen oder gar zum MRT überweisen, und das alles auf Ihre Kosten! Aber anders werden wir leider den Bandscheibenvorfall nicht finden, der auch für diese Probleme verantwortlich sein kann.
Ich denke, ich muss nicht weiter ausholen, damit Sie verstehen, um was es mir geht. Haben Sie Geduld und Vertrauen und seien Sie froh, wenn Sie einen Tierarzt haben, der sich nicht in Ratespielchen verliert, die am Ende mehr kosten als wenn man gleich Nägel mit Köpfen machen würde. Haben Sie bitte auch Verständnis dafür, dass tiermedizinische Diagnostik nicht immer, aber häufig deutlich teurer sein kann als in gleich gelagerten Fällen in der Humanmedizin. Wir müssen eben das erkrankte Organsystem, das für den Humankollegen nach ein, zwei Sätzen klar ist, erst mal rausfinden. Das führt auch dazu, dass wir Tierärzte oft entschlossener und aggressiver vorgehen müssen als es die eher abwartenden Humankollegen tun. Die sogenannte Probelaparotomie (Bauch aufschneiden und reinschauen, um rauszufinden, was da nicht passt) ist in der Tiermedizin nach wie vor ein häufiger und notwendiger Eingriff.
Richtig frustrierend (für Sie, aber natürlich auf für uns!) wird es, wenn man alles Denkbare unternommen hat und trotzdem noch nicht weiß, was da eigentlich schief läuft. Aber auch das kommt leider oft genug vor. Dann bleibt am Ende doch nur noch Raten. Ich selbst habe eine chronische Entzündung eines Sehnenansatzes (Ansatz-Tendinitis) in der Hüfte. Damit kann ich gut leben, aber bestimmte Bewegungen tun moderat weh und es kann sein, dass ich morgens leicht hinke. Wenn ein Hund das gleiche Problem zeigt, dann werden wir uns daran mit Sicherheit die Zähne ausbeißen. Egal, was wir anstellen, wir werden nicht genau festnageln können, warum der Hund morgens lahmt. Diese Sache ist bei mir schon mit Röntgen, Ultraschall und MRT untersucht worden: Hat alles keine weiteren Erkenntnisse gebracht, die Diagnose beruht fast ausschließlich auf meiner verbalen Kommunikation mit dem Orthopäden. Sie als Hundebesitzer hätten bis zu diesem Punkt schon um die 1500 Euro nur für Diagnostik ausgegeben, und es hätte uns nicht weiter gebracht.
Obwohl, stop! Stimmt das denn? Nein, absolut nicht, denn mit diesen diagnostischen Maßnahmen haben wir zwar nicht gefunden, warum der Hund morgens lahmt, aber (ganz großes aber!) wir haben auch keinen Knochentumor, keine Arthrose, keinen Ermüdungsbruch gefunden. Das ist doch auch schon was (vor allem beruhigend), wird aber gerne im ersten Frust übersehen. Aber das war es dann in manchen Fällen auch, weiter kommt man mit seiner Ermittlung nach dem Übeltäter nicht. Immerhin weiß man wenigstens, dass es keine der wirklich schlimmen Diagnosen sein sollte. Nun kann man noch versuchsweise therapieren, im Beispielfall mit Schmerzmitteln oder Kortikosteroiden, eventuell auch mit Physiotherapie. Wenn dann irgendwann die Symptome wieder verschwinden, ob nun mit, ohne oder trotz Therapie, wird man sich damit einfach zufrieden geben müssen. Manchmal nervt das ganz schön, und dann wäre ich so gern Dr. Dolittle!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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