Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Schaut man sich die ersten beiden Bilder von Hundezähnen vor und nach der professionellen Zahnreinigung an, könnte einem – wenn man denn alt genug ist – ein locker 50 Jahre alter Gag von Otto einfallen: „Dip, dip, dip in the wiz, wiz, wiz, in the water, in the water – clean!“
Schön wäre es, wenn das so einfach wäre! Zwischen den beiden durch die Fotos dokumentierten Zuständen liegen alles in allem mehr als zwei Stunden Arbeit für a) eine Tierärztin / einen Tierarzt, b) eine Prophylaxe-Fachkraft und c) eine Tiermedizinische Fachangestellte, die die Narkose überwacht und protokolliert. Der Vorgang ist von „mal schnell Zahnstein wegmachen“ so weit entfernt wie ein warmes, knuspriges Handwerksbauernbrot vom Discounter-Schnittbrot aus dem Folienbeutel. Noch deutlicher wird das bei den so bedauerlich häufig von Resorptivläsionen (FORL) gequälten Katzen. Da kann es durchaus passieren, dass eine dreistündige Narkose gar nicht reicht, um eine schmerzfreie Mundhöhle herzustellen, und ein zweiter Termin vereinbart werden muss.
Narkosen für zahnmedizinische Rundumsanierungen sind also alles andere als ein Pappenstiel, gerade was die Narkosedauer angeht, die die für zum Beispiel die meisten Bauchoperationen bei weitem übertrifft. Da kann man als Tierbesitzer:in natürlich schon Fracksausen bekommen, auch und gerade, wenn es um einen Hund oder eine Katze in höherem Alter geht. Genau das ist aber sehr häufig der Fall, denn Zahnsteinansatz, Parodontitis und FORL betreffen ja nicht nur, aber vorwiegend ältere Tiere.
Bild 3 und 4 zeigen beispielhaft den grauenvollen und extrem schmerzhaften Zahnzustand einer über 20 Jahre alten Katze, bevor wir dann in einer fast vierstündigen Operation all diese kaputten Zähne und Zahnreste entfernt und damit dem Tier seine sicher seit Jahren bestehenden Schmerzen genommen haben. Jetzt kreischt natürlich sofort die in uns allen lebende schwäbische Hausfrau auf: „Jessesmariaundjosef, die ist 20 Jahre alt! Lohnt sich das denn noch?“, ganz besonders, wenn man einrechnet, dass die Rechnung für so eine massive Maßnahme (einschließlich Voruntersuchungen und Blutwerten) schnell 1500 Euro erreichen und oft genug auch überschreiten kann.
Tja, mal im Ernst, lohnt sich das noch? Kommt wohl auf den Blickwinkel an! Die Katze, die aus der Narkose aufwacht, die Genesungsphase – gut mit Schmerzmitteln abgedeckt – übersteht und dann zum ersten Mal seit Jahren keine Zahnschmerzen mehr hat, würde sicher sofort unterschreiben, dass sich das gelohnt hat, selbst wenn sie drei Monate später an Herzversagen oder wer weiß was stirbt, denn dieses letzte Vierteljahr ihres Lebens muss ihr nach menschlichem Ermessen im Vergleich zum Zustand vor dem Eingriff vorkommen wie der siebte Himmel.
Die Gretchenfrage ist also eher, ob IHNEN diese vielleicht kurze, aber doch vergleichsweise himmlische Lebensphase Ihres Tieres die Investition solcher Summen wert ist, und da hilft auch kein Verstecken hinter dem so häufig geäußerten „Das will ich ihr nicht mehr antun!“. Angetan wurde der Katze oder dem Hund schon zuvor etwas, nämlich unablässiges und sich ständig verschlimmerndes Leiden in Form von aus Sicht von uns Menschen unerträglichen Zahnschmerzen. Verantwortlich dafür waren entweder Sie als Besitzer:in, weil Sie halt einfach nicht in angemessenen Intervallen mit Ihrem Tier zum Gesundheitscheck angetreten sind, vielleicht auch insgesamt über die von den Zähnen ausgehenden Gesundheitsrisiken unterinformiert waren, oder aber Ihre Tierärztin / Ihr Tierarzt.
Letzteres, also Kolleginnen und Kollegen, die den Zahnzustand eines Patienten einfach ignorieren oder nicht genau genug hinschauen oder das Problem zwar erkennen, sich aber dann mit dem feigen und herzlosen „Argument“, dass man da in diesem Alter nichts mehr machen würde oder könnte, wegducken, sind bezüglich der Zahngesundheit der Haustier-Gesamtpopulation und des dadurch verursachten Leidens ein echtes und so richtig ärgerliches Problem. Ganz sicher darf man nicht von jeder Kollegin / jedem Kollegen erwarten, dass sie / er sich a) mit Vorliebe um Zähne kümmert, b) mit Hochrisikonarkosen umgehen kann und c) für beide Aufgabenstellungen entsprechend ausgerüstet ist. Was man aber sehr wohl erwarten kann, ist a) das sichere Erkennen einer behandlungsbedürftigen Mundhöhlensituation, b) genug Arsch in der Hose, um offen zu sagen, dass man das nicht kann oder sich nicht zutraut und c) eine Überweisung an eine Praxis, die sowas kann und macht. Wenn – wie schon erlebt – hoch angesehene Zahnspezialist:innen, denen es sicher nicht an fachlichem Selbstbewusstsein mangelt, auch mal offen zugeben können, dass sie bei einem schwer vorerkrankten Risikopatienten zwar bezüglich der zahnmedizinischen Problemstellung voll und ganz qualifiziert wären, aber zu großen Respekt vor der Anästhesie hätten, dann kann das allen anderen durchaus als löbliches Vorbild dienen.
Wie auch immer: Ob Sie nun die Sache mit den Zähnen Ihres Tieres selber versiebt haben oder von einer Kollegin / einem Kollegen in falscher Sicherheit gewiegt wurden, jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen und es muss etwas geschehen. Den Kopf aus Angst vor einer Narkose oder vor Entsetzen über die zu erwartenden Kosten in den Sand zu stecken, ist KEINE Option, weil definitiv herzlos und tierschutzwidrig. Es kann und darf absolut nicht sein, dass ein Tier, das mit dem Altwerden und eventuellen Vorerkrankungen schon genug am Hals hat, auch noch unter der ständigen, jede Minute vorhandenen Quälerei einer vergammelten Mundhöhle leiden muss.
Zu den Kosten lässt sich (mehr oder weniger schulterzuckend) nur sagen, dass es halt so ist, wie es ist. Eine qualifizierte Mundhöhlensanierung inklusive Dentalröntgen und dem oben angesprochenen Personal- und Zeitaufwand UND das ebenso qualifizierte und aufwändige Handling der stundenlangen Narkose eines Patienten in ASA-Klasse 3 oder 4 gibt es nun mal nicht im Sonderangebot. Scheinbar „günstige“ Angebote gehen immer und grundsätzlich mit irgendwelchen und in der Regel gravierenden Abstrichen in Sachen Technik oder Qualifikation einher, die sich gerade beim alten und vorerkrankten Patienten fatal auswirken können.
Zum Narkoserisiko kann man die Aussage treffen, dass es von Laien meist dramatisch überschätzt wird. Bittet man Tierbesitzer:innen, das Sterberisiko einer Hochrisikonarkose mal über den Daumen einzuschätzen, kommen gern so Aussagen wie Fifty-Fifty, und das ist meilenweit daneben. Selbst bei Tieren mit ziemlich schweren Vorerkrankungen oder im weit fortgeschrittenen Alter reden wir in der Realität nur über ein Risiko im tiefen einstelligen Prozentbereich, und das ist angesichts der dramatischen Problemstellung mit schweren Einschränkungen der Lebensqualität allemal akzeptabel.
Deshalb unsere Bitte: Argumentieren Sie bei einem völlig vergammelten Gebiss Ihres Tieres nicht am Thema vorbei oder machen sich was vor! Das muss gerichtet werden, mit dem Ziel einer schmerzfreien Mundhöhle! Alles andere ist für Ihr Tier einfach nicht akzeptabel, denn es darf nicht mit seinem andauernden Leiden geradestehen müssen für wahlweise Ihre (egoistische!) Narkoseangst, Ihre Vorsorgefaulheit oder für die ärgerlichen Falschaussagen zahnblinder Kolleginnen und Kollegen!
Was die unvermeidlichen und natürlich nicht unbeträchtlichen Kosten angeht, haben wir nur einen Gedanken anzubieten: Hätte man den gleichen Betrag, hübsch über die Jahre verteilt, in korrekte Zahnvorsorge investiert, wäre es nie zu dieser Zwickmühle auf der Zielgerade des Lebens gekommen. Klingt hart, ist aber so, sorry!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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