Von Ralph Rückert, Tierarzt
Das Bild zeigt einen Mastzelltumor in der Knieregion einer Französischen Bulldogge. Zu diesem Zeitpunkt – der Hund in Narkose, das Operationsfeld rasiert – wussten wir bereits zuverlässig, dass wir diesen bösartigen „Bollen“ weiträumig zu umschneiden hatten, um auch ja keinen verhängnisvollen Fehler zu begehen.
Möglich gemacht hat diese für den Hund überlebenswichtige Vorabinformation eine zuvor durchgeführte Feinnadel-Aspirationsbiopsie mit mikroskopischer Untersuchung des gewonnenen Zellmaterials. Ein (oder sogar der wichtigste) Grundsatz der Tumorchirurgie: Man soll nicht schneiden, ohne möglichst genau zu wissen, was man da operieren will!
Dieser Grundsatz wird nach unseren Erfahrungen leider nicht selten ignoriert, was fast zwangsläufig dazu führt, dass man zu nah am Tumor reseziert und damit aktive Tumorzellen im Wundbett zurücklässt, mit eventuell fatalen Folgen für den Patienten.
Mastzelltumore gehören zu den häufigsten Neubildungen der Haut. Ganz besonders betroffen ist davon der Boxer, der ein Drittel aller Rassehunde mit Mastzelltumoren stellt. Andere prädisponierte Rassen sind der Dackel, der Berner Sennenhund und die Gruppe der Brachycephalen (Plattnasen), zu denen ja auch unser Beispielpatient zählt. Mastzelltumore können am ganzen Körper und in jeder Altersstufe vorkommen.
Wichtig ist dabei: Der Mastzelltumor ist oft ein Meister der Verkleidung, der so unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen kann, dass es sich bei grundsätzlich jeder Umfangsvermehrung der Haut (und sogar der Unterhaut) um einen Mastzelltumor handeln kann. Selbst ein ganz weicher Bollen in der Unterhaut, den man mit 99prozentiger Sicherheit als Lipom, als gutartige Fettgeschwulst, einstufen würde, kann ein Mastzelltumor sein.
Mastzelltumore zeigen ein ausgesprochen unberechenbares Verhalten und sollten deshalb möglichst ohne großen Zeitverzug angegangen werden. Wichtig: Mastzelltumore können (als einzige Tumore überhaupt) buchstäblich über Nacht deutlich größer oder kleiner werden, was für den Tierbesitzer oftmals so irritierend ist, das deswegen sogar schon OP-Termine wieder abgesagt wurden, gerne mal mit schlimmen Folgen im weiteren Verlauf.
Lipome – so man sie überhaupt entfernt – werden buchstäblich herausgeschält. Handelt es sich dabei aber um einen Mastzelltumor mit seiner typischen Pseudokapsel und seinen invasiv ins umliegende Gewebe einstrahlenden Ausläufern, ist eine solche Operationstechnik ein tragischer Fehler, der im besten Fall zum Rezidiv (Wiederauftreten), schlimmstenfalls aber zur Metastasierung (Ausstreuung) führt. Deshalb sollten auch Umfangsvermehrungen, bei denen es sich fast mit Sicherheit um ein Lipom handelt, erst nach einer vorgeschalteten Feinnadelaspiration angegangen werden. Eine FNA ist übrigens so gut wie immer ohne Sedierung oder Narkose durchführbar, weil sie auch nicht mehr weh tut als eine beliebige Injektion.
Vorwiegend unter medizinischen Laien, vereinzelt aber auch unter Medizinern, herrscht noch die Vorstellung, dass ein bösartiger Tumor durch eine Feinnadelaspiration oder andere Gewebeprobenentnahme „gereizt“ oder zum Streuen von Metastasen (Tochtergeschwülsten) gebracht werden könnte. Rein theoretisch wäre das zwar denkbar, aber zahlreiche Studien konnten diese Ängste im realen Leben nicht bestätigen, denn es wurde keine mit der Probenentnahme in Verbindung zu bringende erhöhte Metastasierungswahrscheinlichkeit oder Lebenszeitverkürzung der Patienten gefunden. Der Vorteil – also schon vor der Operation zu wissen, mit was man es zu tun hat – überwiegt bei weitem und unstrittig die rein theoretischen und wissenschaftlich unbestätigten Nachteile.
Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen macht also eine (Feinnadel-)Biopsie vor der Entfernung einer Umfangsvermehrung so richtig Sinn. Man könnte sogar noch weiter gehen und behaupten, dass speziell die Entfernung eines Haut- oder Unterhaut-Tumors ohne vorgeschaltete Gewebeuntersuchung reichlich fahrlässig ist. Solche Voruntersuchungen sind natürlich nicht umsonst und erhöhen die Gesamtkosten der Tumorchirurgie, sind aber mit Sicherheit billiger als die Folgen der unvollständigen Entfernung eines Malignoms (bösartigen Tumors).
Es liegt also durchaus auch an Ihnen als Tierbesitzer, der „blinden“ Entfernung eines „Bollens“ nicht einfach zuzustimmen, sondern nach einer Vorab-Gewebeuntersuchung zu fragen. Ebenso sollten Sie es nicht akzeptieren, wenn eine Kollegin oder ein Kollege so eine Umfangsvermehrung allein auf der Basis seines Tastsinnes als gutartig oder als nicht operationswürdig einstuft, denn das ist definitiv eine Anmaßung, weil schlicht unmöglich. Nur damit keiner meint, ich hielte mich für heiliger als der Papst: Den Fehler habe ich im Laufe meiner Karriere auch mehrfach begangen und ab und zu bitter bereut!
Eine der oben erwähnten Ausnahmen, bei denen die Feinnadelaspiration als unzuverlässig einzustufen ist, sei hier für alle Besitzer von Hündinnen erwähnt: Bei Gesäugetumoren kann man zwar ebenfalls eine Feinnadelbiopsie machen, diese ist aber nur beim Nachweis von bösartigen Zellen als beweisend einzustufen. Werden dagegen nur gutartige Zellen gefunden, bedeutet das in diesem speziellen Fall leider nicht, dass der Befund auch wirklich zutrifft. Deshalb neige ich bei Gesäugetumoren eher zur großzügigen Entfernung mit nachfolgender feingeweblicher Untersuchung des gesamten Tumors.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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