Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ein Video der „SOKO Tierschutz“ (Vorsicht beim Anklicken! Geht jedem halbwegs normal veranlagten Menschen massiv an die Nieren! Man muss es sich nicht unbedingt antun, um den folgenden Text verstehen zu können!) sorgt gerade mit Recht für ein ziemliches Rauschen im Blätterwald. Eine Jägerin tötet eine in einer Lebendfalle gefangene, panische Hauskatze durch drei (!) Pistolenschüsse. Oder anders ausgedrückt: Sie braucht sage und schreibe drei Schüsse (mit ausgiebigen Beratungs- und Denkpausen dazwischen), bis sie das Tier aus einem Abstand von 20 Zentimetern endlich so trifft, dass es tatsächlich tot ist!
Ich zitiere mal den erklärenden Text der „SOKO Tierschutz“: „Dieses Video zeigt die extrem grausame Tötung einer Hauskatze durch eine Jägerin. Es wurde vermutlich im Dezember 2020 im Umland von Augsburg aufgenommen und zeigt Szenen, die bisher noch nie dokumentiert wurden, aber wahrscheinlich für das Schicksal vieler verschwundener Hauskatzen stehen. Die bayerische Gesetzgebung sieht keine Informationspflicht gegenüber Katzenbesitzern im Falle einer Tötung durch Jäger vor. Ab einer Entfernung von 300 m von Wohnhäusern gilt praktisch eine Feuer-frei-Zone für Katzen. In diesem Fall sieht SOKO Tierschutz einen Akt der Tierquälerei und wir werden Strafanzeige gegen die Jägerin erstatten, sowie allen anwesenden Komplizen, die in das Geschehen nicht eingegriffen haben. (…) Nach Aussagen von Insidern machten die Jäger Jagd auf die Katze, da diese teure, extra ausgesetzte Fasane fressen würde. Fasane sind beliebte, lebende Zielscheiben für Jäger.„
Szenen, die wahrscheinlich für das Schicksal vieler verschwundener Hauskatzen stehen! So formuliert es die „SOKO Tierschutz“. Die Zahl von Hauskatzen, die jedes Jahr den Jäger:innen zum Opfer fallen, kann mangels belastbarer Daten nur geschätzt werden. Der Tierschutzbund geht (recht konservativ) von etwa 100.000 Katzen aus, PETA dagegen von bis zu 300.000. Die Jagdverbände diskreditieren diese Zahlen regelmäßig als viel zu hoch, was ihnen angesichts der Tatsache, dass in den meisten Bundesländern (mit gutem Grund?) einfach keine entsprechenden Daten gesammelt werden, sehr leicht gemacht wird.
An diesem Videoclip kann einem vieles aufstoßen: Die fast schon seelenlose Brutalität der beteiligten Personen, ihre offenkundige und natürlich tierquälerische Inkompetenz in punkto schmerzlose Tötung, usw.. Stellt man sich seine eigene Katze in dieser Falle vor, gerät man als Katzenbesitzer sofort in emotionale Schwierigkeiten, sprich: Es kommen einem echt die Tränen! Was ich aber (speziell als Tierarzt) in allererster Linie sehe, ist die („handwerklich“ vermurkste und bestürzend empathielose) Tötung eines Wirbeltieres ohne den vom Tierschutzgesetz ausdrücklich geforderten vernünftigen Grund, ein klar strafbewehrtes Vergehen gegen eben dieses Gesetz!
Im Artikel 42 des Bayerischen Jagdgesetzes findet sich zwar der (meiner Meinung nach sehr unglückliche, unzeitgemäße, im Konflikt mit dem Tierschutzgesetz stehende und deshalb eigentlich dringend zu streichende!) Passus: „Diese Befugnis (Anm.: zur Tötung) erstreckt sich auch auf solche Katzen, die sich in Fallen gefangen haben, die in einer Entfernung von mehr als 300 Meter vom nächsten bewohnten Gebäude aufgestellt worden sind.“ Weiter unten steht da aber auch noch: „Sie gilt nicht (…) gegenüber in Fallen gefangenen Katzen, deren Besitzer eindeutig und für den Jagdschutzberechtigten in zumutbarer Weise festgestellt werden können.“ Eindeutig wären eine Ohrtätowierung oder ein implantierter ID-Chip, wie ihn inzwischen sehr viele, wenn nicht sogar die meisten Freiläuferkatzen tragen. Und zumutbar wäre zweifellos, die Katze in der Falle an die von den zuständigen Behörden für Fundtiere vorgesehene Stelle (meist Tierheime) zu verbringen, wo ein solcher Chip dann auch problemlos ausgelesen werden kann.
Ich zitiere mal Frau Dr. Anna Martinsohn, Online-Redakteurin und stellvertretende Pressesprecherin des Deutschen Jagdverbandes. Im September 2017 wurde sie von Spiegel Online in einem Interview gefragt, wann ein Jäger eine Katze erschießen darf. Ihre Antwort: „Das entscheidet sich mit dem jeweiligen Landesjagdgesetz. Und als Jäger muss man hundertprozentig sicher sein, dass es sich um eine verwilderte Katze handelt. Generell ist der Abschuss immer das allerletzte Mittel.“ Im weiteren Verlauf des Interviews traf Dr. Martinsohn dann noch folgende bemerkenswerte Aussage: „Fängt der Jäger eine gechipte Katze mit der Kastenfalle, ist das ihr sicheres Rückfahrticket nach Hause.„
Aha, so ist das also! Man liest das, schaut sich den Videoclip an, und wundert sich, oder? Eines ist auf jeden Fall offensichtlich: Die Jägergruppe, die da diese Katze (als Fangschuss-Übungsobjekt für eine Jungjägerin?) „wegpustet“, weil sie sich angeblich an teuer gezüchteten und allein zum Zweck des späteren Abschusses (!) ausgesetzten Fasanen vergangen haben soll, hat sich ganz sicher nicht davon überzeugt, dass es sich „hundertprozentig“ um ein verwildertes Tier handelt. Manche Betrachter des Videos wollen sogar ein Halsband an der Katze sehen, was mir aber nicht gelingt. Ein mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhandener ID-Chip wurde jedenfalls ganz sicher nicht ausgelesen. War also für diese Katze leider Essig mit ihrem „sicheren Rückfahrticket nach Hause“. Nein, sie musste sich – in panischer Angst in einem Kasten eingesperrt – von einer völlig inkompetenten Person zusammenschießen lassen.
Ist also das, was Frau Dr. Martinsohn in dem erwähnten Spiegel-Interview von sich gibt, die schön getünchte Fassade, und das, was wir in dem Video sehen, die dreckige und widerwärtige Realität? Irgendwie hofft man ja, dass man da ein in seiner Ignoranz und Rohheit halbwegs einzigartiges Ereignis mitbekommt. Angesichts der oben genannten Zahlen fragt man sich aber zwangsläufig, wie oft, in wie vielen Tausend Fällen das genau so läuft, wie oft also das Tierschutzgesetz in dieser oder ähnlicher Form mit Füßen getreten wird. Eine Fundstelle aus dem Netz, die diese Befürchtung als realistisch erscheinen lässt: „Der Fall ist aus Bayern, der Fang ist nach Bayrischem Recht grundsätzlich erlaubt. Ein vernünftiger Grund, ernsthaft? Jagdschutz ist ein vernünftiger Grund!„. Äh, nein, zumindest nicht für das Abknallen eines Haustieres in einer Falle! Das fängt schon damit an, dass ein Landesgesetz ganz sicher nicht das Tierschutzgesetz aushebelt!
Wenn ich daran denke, dass wir Tierärzt:innen uns bei jeder Euthanasie eines kranken oder mutmaßlich für Menschen gefährlichen Haustieres echte Gedanken machen müssen, ob wirklich ganz, ganz sicher ein vernünftiger Grund vorliegt, wenn wir nicht vor einem Gericht landen wollen, und ich mir dann anschaue, wie in diesem Fall ein Haustier von einer maximal sachkundebefreiten Pfeife in grünem Loden und mit Waffenschein ohne vernünftigem Grund (!) buchstäblich zu Tode geballert wird, geht mir echt der Hut hoch!
Vollends sprachlos machen einen die unglaubliche Dreistigkeit, das eklatante Fehlen jedes Unrechtsbewusstseins und die akute Verblödung, die nötig sind, um so eine Szene auch noch zu filmen und dann tatsächlich irgendwie öffentlich zu machen, ursprünglich wohl in Jägerkreisen. Eines ist mal sicher: Eine Gruppe von Jäger:innen hat sich mal wieder die allergrößte Mühe gegeben, jedes, aber auch wirklich jedes Vorurteil, das in der Öffentlichkeit über die Jägerschaft kursiert, bis ins kleinste Detail zu bestätigen.
Bevor mir jetzt welche kommen und behaupten, dass meine Meinung wahlweise extremistisch, realitätsfern oder völlig daneben wäre: Ernst Weidenbusch, der Präsident des Bayerischen Jagdverbandes (und Anwalt!), hat sich bereits öffentlich zu dem Vorgang geäußert: „Dieses Video ist weder im Bild noch im Ton akzeptabel. Ich denke, es wäre gut, wenn sie (Anm.: die Jägerin) festgestellt hätte, ob es denn möglich ist, den Inhaber, den Besitzer der Katze zu ermitteln und sie dem zurück zu bringen und den darauf hinzuweisen, dass er sie nicht nachts streifen lassen soll, weil sie jagt.“ Und (andernorts) weiter: „Die Grundlage für unsere Jagd ist die Achtung vor der Schöpfung. Das, was in den Videos über die Tötung der Hauskatze zu sehen ist, ist nicht tierschutzkonform, nicht waidgerecht und deshalb für uns nicht hinnehmbar.“ Herr Weidenbusch hat also (kein Wunder, als Anwalt) genau so wie ich den eigentlichen Knackpunkt erkannt, nämlich dass hier nicht das geringstmögliche Mittel zur Durchsetzung des Jagdschutzes gewählt wurde, sondern die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund, also ein eindeutiger Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorliegt.
Diese Stellungnahme eines hohen Jagdfunktionärs macht deutlich, dass ich mit meiner Sicht der Dinge auf jeden Fall nicht völlig daneben liege. Ebenfalls ermutigend finde ich Netz-Funde wie diesen hier: „Als wir damals das Revier übernommen haben, war die erste Regel, die mein Mann für uns und die Begeher erlassen hat: Bei uns werden keine Hunde und Katzen erschossen. Auf jedes Tier wartet zuhause ein Kind darauf, dass es heimkommt.“ Sowas wärmt mir das Herz und zeigt, dass es durchaus auch anders geht. Auch die oben zitierte Frau Dr. Martinsohn schließt für sich persönlich den Abschuss von Katzen einfach aus. Den Gegenpol, wo es einem gleich wieder ganz anders wird, bilden Aussagen wie diese: „Verstehe das überhaupt nicht, dass es gefilmt wurde, aber ich würde behaupten, dass wenn jeder Jäger 24/7 jede Tat filmt, hätte niemand mehr einen Jagdschein.“ Ach ja? Interessant zu hören!
An einigen Stellen im Netz, wo der Vorfall diskutiert wird, kann man inzwischen gewagte Einlassungen lesen, in denen der Verdacht aufgebracht wird, dass die Filmaufnahme von radikalen Tierschützern mit dem Ziel des „Jäger-Bashings“ inszeniert worden wäre. Das halte ich für ausgemachten Unsinn, weil sich auch die betroffene Jägerin inzwischen öffentlich (in der „Bild“ und in einem Sat1-Telefoninterview) geäußert hat: „Das Video, mir fehlen die Worte, wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukommt, würde ich das rückgängig machen.“ Und weiter über den ihr damals wohl nahestehenden Produzenten der Videoaufnahme: „Das ist ein Verrat sondergleichen.“ Wieder ein Aha-Erlebnis für uns Katzenbesitzer: Ein Verrat also! Was kann man „verraten“? Eine rechtlich und moralisch über jeden Zweifel erhabene Vorgehensweise? Eher nicht, oder? „Verraten“ kann man nur eine Handlung, die von vornherein hochgradig fragwürdig war. Letztendlich bedauert die Dame ihren Einlassungen zufolge keineswegs das, was sie getan hat, sondern nur, dass es nun öffentlich geworden ist.
Ich halte mich nicht für einen böswilligen Menschen und bemühe mich redlich – wenn auch zugegebenermaßen nicht immer ganz erfolgreich – keine Vorurteile gegen Jäger:innen zu pflegen, aber hier hoffe ich, sowohl als Tierarzt als auch als Katzenbesitzer und wahrscheinlich zusammen mit der Mehrzahl von Ihnen, dass diese widerliche Schweinerei für die beteiligten Personen empfindliche straf- und jagdrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen wird. Wenn der Vorfall dann vielleicht auch noch einen Anstoß zur Änderung des oben angesprochenen und einfach nicht mehr zeitgemäßen Artikels 42 des Bayerischen Jagdgesetzes geben würde, wäre das sogar eine echt positive Entwicklung.
Der letzte Punkt ist die eigentliche Motivation hinter diesem Artikel: Es darf sich in meinen Augen gern weiträumig und bis ganz nach oben rumsprechen und deutlich gehört werden, dass unsere, die Geduld der Katzen- und Hundebesitzer:innen definitiv endlich bzw. schon länger am Ende ist, was solche dem Zeitgeist völlig entgegenlaufende Barbareien gegenüber unseren Haustieren angeht. Dass es durchaus auch anders geht, beweisen ja einige Bundesländer mit ihren jeweiligen Jagdgesetzen. Beispielhaft sei hier nur Baden-Württemberg angeführt, wo es in Paragraph 49 des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes ganz schlicht und eindeutig heißt: „Lebend gefangene Hunde und Katzen sind als Fundsachen zu behandeln.“ Vielleicht könnte Bayern ja auch in Bezug auf sein Jagdrecht so langsam realisieren, dass wir schon seit geraumer Zeit das 21. Jahrhundert schreiben! Den bayerischen Jäger:innen kann ich derweil nur ans Herz legen, dass man keineswegs alles machen muss, was man (vermeintlich!) machen darf. Das haben durchaus schon einige verstanden, und an denen sollte man sich besser ein Beispiel nehmen!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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