Tiermedizinische Fachangestellte: Die unbesungenen Heldinnen der Tiermedizin

Tiermedizinische Fachangestellte: Die unbesungenen Heldinnen der Tiermedizin

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Tiermedizinische Fachangestellte (TFAs bzw. im allgemeinen Sprachgebrauch Tierarzthelferinnen) erleben Sie als Patientenbesitzer meist am Behandlungstisch, wo sie Ihr Tier für den Tierarzt fixieren bzw. in die richtige Position für bestimmte Maßnahmen bringen. Das hat dazu geführt, dass in bestimmten Facebook-Kreisen die Berufsbezeichnung „Festhaltefachkräfte“ kursiert. Wie respektlos, herabwürdigend und nachgerade dämlich diese Bezeichnung ist, soll das Thema dieses Artikels sein. Übrigens: Man möge mir verzeihen, wenn der Text bezüglich der durchgehenden Verwendung der weiblichen Berufsbezeichnung nicht politisch korrekt genderneutral ist. Es bleibt nun mal eine Tatsache, dass Frauen über 99 Prozent der TFAs stellen.

Nein, sie halten nicht nur einfach Tiere auf dem Behandlungstisch fest. Sie spielen auch nicht den ganzen Tag selig lächelnd mit flauschigen Welpen und süßen Kätzchen. Und sie sind keineswegs nur bessere Käfigputzerinnen und Tierpflegerinnen.

Je nach Ausbildungsstand und Praxis- bzw. Klinikstruktur haben TFAs die gesamte Praxisverwaltung inklusive des komplizierten Warenflusses im Griff, sie kümmern sich um die Terminvergabe und die Rechnungsstellung, nehmen die Vorgeschichte von Patienten auf und müssen über die Dringlichkeit von Notfällen entscheiden. Wenn der Tierarzt gerade nicht kann, nehmen sie Blutproben, bereiten diese für den Versand vor oder führen In-House-Laboruntersuchungen durch. Sie assistieren bei Operationen und den diversen diagnostischen Maßnahmen und sind regelmäßig für Narkoseüberwachung und professionelle Zahnreinigungen zuständig. Sie versorgen die stationären Patienten, füttern sie, halten sie sauber und geben ihnen nicht zuletzt die in dieser Situation dringend benötigten Streicheleinheiten. Und mehr als einmal weinen sie sich (natürlich hinter den Kulissen und erst, nachdem sie den Tierbesitzer getröstet haben!) die Augen aus, wenn ein von ihnen so hingebungsvoll gepflegter Patient am Ende doch stirbt oder eingeschläfert werden muss.

Als „Festhaltefachkräfte“ (um diesen widerwärtigen Ausdruck noch ein letztes Mal zu verwenden) beschützen sie den Tierarzt mit höchstem Einsatz vor körperlichen Schäden und werden für ihre Mühen nicht selten gekratzt, gebissen, angepinkelt und vollgeschissen, mit Analbeutelsekret bespritzt und von herumfahrenden Hundeschädeln fast ausgeknockt. Lassen Sie sich mal die Hände und Arme einer TMFA zeigen. Die meisten haben eine nette kleine Sammlung an Narben, blauen Flecken, Kratzern oder gar Bissmarken vorzuweisen. Es ist mir sogar zu Ohren gekommen, dass schon so manche TFA von besorgten Anverwandten gefragt wurde, ob sie sich ritzen würde.

Als Tierarzt wäre ich ohne meine Helferinnen komplett verloren. Im Prinzip nehmen sie mir alles ab, was nicht direkt in meinen medizinischen Aufgabenbereich fällt. Sie halten mir also den Kopf frei für das, was Sie als Kunden von mir erwarten: Untersuchung, Diagnose und Therapie. Und sehr häufig leisten sie mir auch in diesen Bereichen wertvolle Hilfe und bewahren mich vor Fehlern. Ich kann gar nicht zählen, wie oft in meiner Laufbahn ich schon von einer TFA auf irgendetwas aufmerksam gemacht wurde, was mir sonst glatt durch die Lappen gegangen wäre.

Oft genug dürfen Tierarzthelferinnen auch noch Blitzableiter spielen für ungehobelte Kunden und endgestresste Tierärzte. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass auch ich schon mehr als einmal in meinem Frust über wer weiß was nach derjenigen meiner Angestellten geschnappt habe, die zu diesem Zeitpunkt das Pech hatte, sich in meiner Nähe aufzuhalten.

Das alles und noch einiges mehr machen Tiermedizinische Fachangestellte in vielen Praxen und Kliniken für ein in meinen Augen unangemessen niedriges Gehalt, das nur knapp über dem Mindestlohn-Niveau liegt. Sie haben diesen Beruf ganz sicher nicht wegen des hohen Einkommens gewählt, sondern weil sie Tiere lieben und ihnen helfen wollen. Dafür werden sie von Tierbesitzern gern als schmückendes Beiwerk übersehen oder – was regelmäßig meine cholerische Ader zum Anschwellen bringt – gar wie Dienstpersonal im 19. Jahrhundert behandelt.

Und sie werden – was mich beschämt und ärgert – von (zu) vielen meiner eigenen Kolleginnen und Kollegen gnadenlos ausgenützt. Unzählige Praxen da draußen sind so verzweifelt bemüht, den Tierbesitzern unter allen Umständen das billigste Angebot zu machen, dass sie sich überhaupt keine fertig ausgebildeten Fachangestellten leisten können, nicht mal zu dem lachhaften Tarifgehalt. Also werden Auszubildende eine nach der anderen als billige Handlangerinnen eingestellt, aber nach Abschluss der Lehre sofort auf die Straße gesetzt, ohne viel gelernt zu haben und ohne für die Arbeit in einer echten Praxis oder Klinik auch nur annähernd ausgebildet zu sein.

Dieser reichlich schäbig anmutende Stand der Dinge hat zwei Ursachen: Zum einen drängen nach wie vor jede Menge junger Mädchen in diese Berufsausbildung, so dass viele Kolleginnen und Kollegen gar keinen Anlass sehen, auch nur einen Cent mehr zu zahlen als vorgeschrieben. Zum anderen sind aber auch Sie als Kunden teilweise mit verantwortlich. Der an – im internationalen Vergleich – billige tiermedizinische Leistungen gewöhnte deutsche Haustierbesitzer übt auf die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen einen erbarmungslosen und anhaltenden Preisdruck aus, der dazu führt, dass viele Praxen am Rande des Existenzminimums entlang schlingern. Da ist dann natürlich nichts übrig für eine anständige Entlohnung gut ausgebildeter Fachkräfte.

Nicht mit mir! Von der unbestrittenen Tatsache abgesehen, dass ich selbst ein meinem unternehmerischen Risiko und meinem Einsatz entsprechendes Inhabergehalt verdienen möchte, sehe ich absolut nicht ein, Kundengeiz durch miserable TFA-Gehälter zu „subventionieren“. Meine Praxis wird von vielen Kunden als relativ hochpreisig wahrgenommen. Ich kann als einer, der über lange Zeiten seines Lebens ebenfalls auf jeden Cent achten musste, durchaus verstehen, wenn jemand zu dem Schluss kommt, dass wir ihm zu teuer sind. Diejenigen aber, die unsere Praxis (dankenswerterweise zahlreich) aufsuchen, können sicher sein, dass wir nicht ausbilden, um billige Arbeitskräfte zu haben, sondern um perfekt für unsere Praxis trainierte Mitarbeiterinnen heranzuziehen, und dass meine Helferinnen von mir nicht schamlos ausgenützt, sondern deutlich übertariflich bezahlt werden. Und das nicht, damit ich hier einen auf „dicke Hose“ machen kann, sondern weil ich sehr zu schätzen weiß, was diese unbesungenen Heldinnen der Tiermedizin täglich sowohl für mich als auch für Sie als Kunden und für Ihre Tiere leisten.

Sollte mir leid tun, wenn Ihnen das jetzt zu emotional war. Bleiben Sie uns trotzdem gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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