Von Ralph Rückert, Tierarzt
Eigentlich sollte es bezüglich der Qualität medizinischer Versorgung keine Rolle spielen, ob ein Patient dem Arzt sympathisch oder unsympathisch ist. Eigentlich! Aber wie schrieb schon George Orwell: „All animals are equal, but some animals are more equal than others.“
Dieser Aufsatz bezieht sich sowohl auf Tier- als auch Humanmedizin und handelt davon, dass man als Patient bzw. Patientenbesitzer durchaus davon profitieren kann, wenn man sich um ein sympathisches Auftreten bemüht. Oder andersrum ausgedrückt: Sich als strikt seine (vermeintlichen) Rechte einfordernder Kotzbrocken zu präsentieren und davon auszugehen, dass der Dienstleister (Tier-)Arzt sowieso darauf angewiesen ist, sich mit dem Kunden um jeden Preis gut zu stellen, könnte – speziell im medizinischen Bereich – hochgradig gesundheitsgefährdend sein.
Die Psychologie lehrt uns, dass das Unterbewusstsein dem Gegenüber geradezu blitzartig Etiketten verpasst, die ähnlich schwer wieder zu entfernen sind wie manche Produktaufkleber. Die Evolution hat dem sozialen Lebewesen Mensch die überlebenswichtige Fähigkeit verliehen, andere Menschen sekundenschnell einzuschätzen, und diese Ersteinschätzung ist im weiteren Verlauf eines Kontakts gar nicht so leicht zu verändern.
Für den Verkäufer und den Dienstleister ist die Berücksichtigung dieser Mechanismen natürlich von allergrößtem Interesse und ganz entscheidend für den Erfolg. Unzählige Untersuchungen und Veröffentlichungen beschäftigen sich mit genau diesem Thema. Verkäufer und Dienstleister, also im weitesten Sinne alle, die irgendwas erfolgreich an dem Mann bringen wollen, haben das entweder im Sinne eines Talents schon drauf oder müssen es sich aus Eigeninteresse im Laufe ihres Berufslebens mit viel Mühe (und unterschiedlichen Resultaten) aneignen, wenn sie nicht kläglich scheitern wollen.
Mit der umgekehrten Sichtweise, also der Fragestellung, wie man als Kunde am besten das bekommt, was man gerne haben möchte, wird sich insgesamt deutlich weniger beschäftigt, und wenn, dann heutzutage mit dem Grundtenor: Wie haue ich am besten auf die Pauke, um mein Recht durchzusetzen, zum Beispiel auf ein fehlerfreies Produkt, auf eine einwandfreie und wohlschmeckende Mahlzeit oder auf eine Urlaubsreise ohne nervende und das Vergnügen mindernde Mängel?
Dieses Auf-die-Pauke-Hauen, dieses Auf-Seine-Rechte-Bestehen, mithin jede Art von robustem und forderndem Auftreten, funktioniert natürlich nur dann wirklich gut, wenn man als Kunde die Qualität einer Ware oder Dienstleistung selbst beurteilen kann. Bei Leistungen, für deren Einordnung einem jegliche Qualifikation fehlt, könnte der Schuss aber schnell nach hinten losgehen, speziell in der (Tier-)Medizin mit sogar gefährlichen Folgen.
Medizin hat ein doppeltes Gesicht. Sie ist zugleich Wissenschaft und Kunst. Der sich ständig verändernde Stand der Wissenschaft produziert objektive Sichtweisen und Behandlungsleitlinien, die auch von Außenstehenden, die sich die Mühe der Auseinandersetzung mit der Materie machen (müssen), beurteilbar sind. In vielen, wenn nicht sogar sehr vielen Fällen, gibt es aber ein Element, das über Leitlinien – sozusagen über den „Dienst nach Vorschrift“ – weit hinausgeht. Dieses Element ist schwer greifbar, auf keinen Fall objektiv bewertbar und deswegen auch nicht einforderbar.
Berufsintern reden wir dabei gern von TLC, Tender Loving Care, also in etwa „liebevolle Zuwendung“. TLC beinhaltet aber nicht nur den zartfühlenden Umgang, sondern auch das über jede Leitlinie hinausgehende Kümmern um den Patienten, das Über-Ihn-Nachdenken selbst außerhalb der Dienstzeit und den einen und freiwilligen Schritt mehr zu machen, der am Ende eventuell über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Wenn ich auch auf meiner Praxis-Website TLC als das wichtigste Medikament in unserem Sortiment beschreibe, muss ich eingestehen, dass es unweigerlich nicht jeder Patient in gleichem Ausmaß bekommt.
Manche Patienten bzw. Patientenbesitzer treten von Anfang an in einer Weise auf, dass es einem sofort die Nackenhaare sträubt. Das kann vieles sein: Ruppigkeit, Unhöflichkeit, Unaufrichtigkeit, extrem forderndes oder passiv-aggressives Verhalten, hochgradig ausgeprägtes Internet-Pseudo-Expertentum, das ungehemmte Ausleben von Profilneurosen und so weiter und so fort. Natürlich ist man als Dienstleister gefordert, mit allen möglichen Kunden-Mindsets professionell umzugehen, und die meisten überdurchschnittlich erfolgreichen (Tier-)Mediziner haben das auch gut drauf. Es gibt aber Fälle, wo diese Professionalität an ihre Grenzen stößt, wo man zwangsläufig einen Teil seiner Konzentration auf die Frage richtet, wie man speziell diesen Kunden so schnell wie möglich wieder los wird, ohne dabei einen rechtlich zu beanstandenden Fehler zu machen.
Ihr daraus resultierendes Problem als Patient bzw. Kunde: Mit den von Ihnen entrichteten Behandlungsgebühren erwerben Sie nach Ansicht der Rechtssprechung einen Anspruch, der sich nicht gerade berauschend anhört, nämlich den auf „die von einem durchschnittlichen (Tier-)Arzt zu erwartende Sorgfalt“. Bei Routinemaßnahmen wie einer Impfung, einer Kastration, einem glatten Knochenbruch oder einem einfachen Brechdurchfall passt das schon, gar kein Problem. Geht es aber mal buchstäblich um Kopf und Kragen und damit auch um das letzte Quäntchen Einsatz aller Beteiligten, kann sich diese „durchschnittliche Sorgfalt“ als nicht ausreichend erweisen, und dann wird es potentiell sogar gefährlich für Sie oder Ihr Tier.
Natürlich können Sie jetzt trotzig aufstampfen, wütend werden und erbittert darauf bestehen, dass alle Patienten gleich zu behandeln sind, dass es keine Rolle spielen darf, ob uns Profis jemand sympathisch ist oder nicht. Können Sie machen, aber Sie verkennen dabei halt leider die Realitäten des Lebens und die Tatsache, dass auch wir Profis nur Menschen sind und keine emotionslosen Roboter. Speziell in der Medizin gibt es nun mal so viele und rechtlich nicht mal ansatzweise einforderbare „weiche“ Faktoren wie in keinem anderen Dienstleistungsbereich.
Nehmen wir nur ein Beispiel von vielen: Es gibt Kunden, die zum Tierarzt immer stinkfreundlich sind, aber die Tiermedizinischen Fachangestellten behandeln wie Dienstpersonal aus dem 19. Jahrhundert. Das Dumme dabei ist nur, dass genau die TFA, die man in einem anderen Zusammenhang so richtig schräg angemacht hat, irgendwann mal für die Pflege des schwer erkrankten und deshalb stationär aufgenommenen Tieres zuständig sein könnte. Wer da jetzt glaubt, dass diese TFA die vorhergehenden und als sehr negativ empfundenen Erlebnisse mit dem Besitzer einfach abschütteln könnte, um für das betreffende Tier über den Dienst nach Vorschrift hinaus nur das Allerbeste zu geben, der ist leider schief gewickelt.
Wie gehe ich als Tierarzt damit um, wenn ich bemerke, dass ein Tierbesitzer mir und/oder meinem Team so dermaßen unangenehm ist, dass es bei aller Professionalität und mit allen Mitteln, die dafür zur Verfügung stehen, nicht kontrollierbar ist, und dass dadurch eventuell die über die durchschnittliche Sorgfalt hinausgehende Versorgung des Patienten gefährdet sein könnte? Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder fange ich damit an, subtile „Vergraulungssignale“ auszusenden, mit dem Ziel, den Kunden zu veranlassen, sich alsbald weiter auf die Suche nach einer besser zu ihm passenden Praxis zu machen. Oder ich spreche direkt an, dass ich ein echtes Problem habe, und beende damit die Dienstleister-Kunden-Beziehung.
Obwohl man diese (dankenswerterweise sehr selten notwendigen!) Maßnahmen mit dem Wohl des Tieres im Kopf ergreift und unter berufsethischen Gesichtspunkten eigentlich dafür gelobt werden müsste, ist einem gleichzeitig völlig klar, dass genau die Kunden, mit denen man nichts zu tun haben möchte und die man auffordert, sich anderweitig umzusehen, darüber meist zutiefst beleidigt sind und gern mal noch in Form negativer Bewertungen nachtreten. Aber damit muss und kann man leben, wenn man nicht das Wohl des Tieres, das ja nichts für die Mentalität seines Besitzers kann, gefährden will.
Inwieweit Sie die in diesem Artikel erläuterten Tatsachen für sich umsetzen können oder wollen, weiß ich nicht. Ich persönlich gebe mir im Krankheitsfall immer die größte Mühe, bei den für mich zuständigen Profis, seien es Ärzte, Medizinische Fachangestellte oder Pflegepersonal, als sympathischer und angenehmer Patient rüberzukommen, weil mir als Insider sonnenklar ist, dass davon meine Gesundheit, im Extremfall sogar mal mein Leben abhängen könnte. Es ist nach meiner Erfahrung geradezu unglaublich, wie sehr man als Patient die Qualität von Zuwendung und Pflege zum Beispiel mit einem kleinen Lob oder Kompliment verbessern kann.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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