Schlimme Nachricht: Der US-Konzern Mars Petcare schnappt sich die AniCura-Kette!

Von Ralph Rückert

In meinen Artikeln zur Klinikkette AniCura, die inzwischen speziell hier in der Region so gut wie alle Tierkliniken übernommen hat, hatte ich das ja schon als wahrscheinliches Ziel der Investoren benannt, und jetzt ist es passiert:

Mars Petcare, eine Subdivision des US-Konzernriesen Mars, hat die AniCura-Kette für knapp 2 Milliarden Euro gekauft. Ein guter Schnitt für die Investoren, die vor ein paar Jahren mit 220 Millionen Euro eingestiegen waren!

Wer jetzt als Tierbesitzer eine AniCura-Einrichtung aufsucht oder mangels Alternativen aufsuchen muss, wird damit automatisch zu einem Kunden von Mars Incorporated. Eine zwar erwartete, aber nichtsdestotrotz in meinen Augen extrem bedauerliche Entwicklung.

Mars Petcare war schon vor diesem Zukauf der weltgrößte Besitzer von Tierarztpraxen und Tierkliniken mit Tausenden von Standorten. Was so ein Konzern mit dieser zunehmenden weltweiten Marktmacht anstellen kann, mag sich jeder selbst ausmalen.

Meine Warnung an die deutschen Tierbesitzer bleibt bestehen: Wenn Sie mangels Alternativen eine AniCura-Klinik oder -Praxis aufsuchen MÜSSEN, dann lässt sich das nicht ändern. Haben Sie aber eine Wahl, dann machen Sie einen großen Bogen um tiermedizinische Einrichtungen im Besitz von internationalen Konzernen und stärken stattdessen inhabergeführte Praxen und Kliniken mit Ihrer Kundentreue. Denn sonst wird das Erwachen in absehbarer Zeit ein grausames sein!

Als ich den obigen Text vorgestern als Nachricht auf der Facebook-Seite meiner Praxis gepostet hatte, meldeten sich zu meiner Verblüffung auch Leute, die nach einer Begründung für meine Warnung vor Kettenkliniken und -praxen fragten, die also nicht verstanden hatten oder nicht verstehen wollten, warum tiermedizinische Einrichtungen im Besitz von Großinvestoren oder Konzernriesen in meinen Augen eine ganz ungute Sache sind.

Nun stehe ich ja nicht gerade in dem Ruf, dass mir das Verfassen intellektuell barrierefreier Texte besonders leicht von der Hand ginge, aber bei diesem – in meinen Augen sehr wichtigen – Thema will ich doch versuchen, diese (in meinen Augen arg naiven) Fragen möglichst leicht verständlich zu beantworten.

Bis vor kurzer Zeit, genau genommen bis zu dem Zeitpunkt, an dem die AniCura-Kette mit einer dreisten Verklagt-uns-doch-Einstellung damit angefangen hat, die ersten deutschen Tierkliniken aufzukaufen, hatten wir hier in Deutschland (nicht überall, aber in mehreren Bundesländern) die gesetzliche Regelung, dass die letztendliche geschäftliche und medizinische Entscheidungsgewalt in einer Tierklinik oder einer Tierarztpraxis grundsätzlich in den Händen einer Tierärztin oder eines Tierarztes zu liegen hat.

Ich neige nicht zur Nostalgie, aber das war für Sie, die Tierbesitzer, eine echt gute Sache. Dass es damit jetzt endgültig vorbei ist, würde mir an Ihrer Stelle buchstäblich die Haare zu Berge stehen lassen. Wir alle, die inzwischen grauhaarigen Inhaber großer und erfolgreicher Praxen und Kliniken, sind mit einer Berufsordnung aufgewachsen, deren zentraler und eindringlichster Satz war: „Der Tierarzt ist der berufene Beschützer der Tiere“!

In dieser knappen Formulierung kam sehr deutlich zum Ausdruck, dass wir Tiermediziner nicht nur (leider oft reichlich schlechte!) Geschäftsleute, sondern auch einem Berufsethos unterworfen sind. Die Grundsätze tiermedizinischer Ethik besagen zwar keinesfalls, dass wir nicht gutes Geld mit unserer Tätigkeit verdienen dürften. Aber sie fordern auch, dass Entscheidungen über tiermedizinische Vorgehensweisen immer und an erster Stelle im Sinne des Patienten und nicht unter dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung festzulegen sind.

Eine kurze Abschweifung: Für einen alten Social-Media-Hasen wie mich ist jetzt schon klar wie Kloßbrühe, dass nun wieder Dutzende von Kommentaren gepostet werden, in denen vermeintliche oder tatsächliche Verstöße gegen diese ethischen Grundsätze bitterlich beklagt werden. Als jemand, der seit 30 Jahren Tiermedizin lebt und atmet, bin ich aber der Auffassung, dass eine überwältigende Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen nach bestem Wissen und Gewissen ethisch korrekt handelt. Dass es zweifellos Ausnahmen von dieser Regel gibt, bestreite ich keineswegs. Ich gebe nur zu bedenken, dass auch immer wieder Autofahrer rote Ampeln missachten, was aber nicht dazu führt, dass irgend jemand bei klarem Verstand die Sinnhaltigkeit von Lichtzeichenanlagen zur Verkehrsregulierung in Frage stellen könnte.

Zurück zum eigentlichen Thema: Tiermediziner als Entscheidungsträger in einer Praxis oder Klinik sind also ihrem Berufsethos unterworfen. Diese Tatsache scheint durchaus vielen Menschen bewusst zu sein und auch entsprechend viel Vertrauen hervorzurufen, denn unser Beruf nimmt bei Umfragen bezüglich des sozialen Ansehens regelmäßig einen der ersten drei Plätze ein.

Nun haben wir plötzlich 30 Kliniken / Praxen (zum jetzigen Stand, es werden in absehbarer Zeit sicher immer mehr werden!) in Deutschland, die dem Konzerngiganten Mars Incorporated gehören. In diesen Einrichtungen liegt – und das ist der Knackpunkt – die letztendliche Entscheidungsgewalt nicht mehr in der Hand von Kolleginnen und Kollegen, die sich in erster Linie Ihrem Haustier als Patient verpflichtet fühlen, sondern in der Hand von berufsfremden Leuten, von Managern, Betriebswirtschaftlern, Marktstrategen und Controllern, die ausschließlich dem Firmenethos von Mars Inc. unterworfen sind.

Mars, eines der größten familiengeführten Unternehmen der Welt mit etwa 35 Milliarden Dollar Jahresumsatz, agiert laut eigener Aussage strikt nach seinen berühmten „Fünf Prinzipien“. Das fünfte, das sozusagen krönende Prinzip lautet:

„We need freedom to shape our future, we need profit to remain free.“ („Wir brauchen Freiheit, um unsere Zukunft gestalten zu können, wir brauchen Profit, um frei zu bleiben.“)

Ich habe daran eigentlich nichts zu kritisieren. Zumindest nicht in Bezug auf eine beliebige Konsumgüter-Firma. Wird aber Medizin oder Tiermedizin einem solchen rein profitorientierten Denken unterworfen – und das findet hier und heute in beiden Bereichen statt – dann tut sich der Boden unter unseren Füßen auf, denn dann können Sie als Tierhalter oder Patient sich letztendlich auf gar nichts mehr verlassen.

In einem – für den Interessierten insgesamt sehr lesenswerten – Artikel des Informationsdienstes Bloomberg („The High-Cost, High-Risk World of Modern Pet Care“) wird die Entwicklung in den USA beleuchtet, wo sich Mars Petcare ja schon seit längerem als größter Besitzer von Tierkliniken und Tierarztpraxen etabliert hat. Ein Absatz dieses Textes bringt meine Befürchtungen besser zum Ausdruck, als ich es je tun könnte. Hier das Zitat, zuerst im Original, dann (etwas frei) von mir übersetzt:

„Leticia German, chief of staff at a Banfield hospital in Colorado from 2010 through April 2013, remembers the most disagreeable part of her job was making sure doctors hit sales targets. She answered to two field managers who’d come from Starbucks and treated medical care, she says, as if it were any other retail business. Under Campbell, Banfield had been obsessed with standardizing care; now there was an obsession with the numbers, especially the average patient charge, or APC. Doctors who fell short were made to attend workshops „to school them into how to better meet their numbers,“ German says. „It was definitely intimidating.““

„Leticia German, Personalchefin einer Banfield-Tierklinik (Anmerkung: Banfield ist eine amerikanische Klinik-Kette, die von Mars aufgekauft wurde) in Colorado von 2010 bis April 2013, erinnert sich, dass es der unangenehmste Teil ihres Jobs war, sicher zu stellen, dass die Tierärzte ihre Umsatzvorgaben erreichten. Sie war zwei Außendienstmanagern verantwortlich, die von Starbucks kamen und tiermedizinische Betreuung wie jedes andere Einzelhandelsgeschäft ansahen. Unter Campbell (Anmerkung: dem Gründer der Kette) war Banfield von der Standardisierung tiermedizinischer Versorgung besessen; nun (Anmerkung: nach dem Verkauf der Kette an Mars) bezog sich die Besessenheit auf Geschäftszahlen, speziell die durchschnittliche Konsultationsgebühr pro Patient. Tierärzte, die diesbezüglich ihre Vorgaben nicht erreichten, wurden zum Besuch von Workshops genötigt, „um sie darin zu schulen, bessere Zahlen zu erzielen“, sagt German. „Es war definitiv einschüchternd.““

Sie als Tierbesitzer, und gerade die unter Ihnen, die das alles gar nicht so schlimm finden oder gar nicht verstanden haben, was ich als Tierarzt an der Entwicklung so schlimm finde, müssen sich fragen: Wollen Sie wirklich eine Tierarztpraxis oder Tierklinik aufsuchen, wo Tierärzte arbeiten, die unter einem derartig massiven Druck stehen, bestimmte Umsatzvorgaben zu erreichen? Können Sie da tatsächlich noch das Vertrauen entwickeln, das zwischen Tierarzt und Patientenbesitzer eigentlich unabdingbar ist? Ich für meinen Teil könnte das beim besten Willen nicht!

US-amerikanische Tierbesitzer haben oft gar keine Wahl mehr. Sie landen so oder so in einer Praxis oder Klinik, die von Mars kontrolliert wird. Selbst hier in Deutschland, genau hier, in der Gegend um Ulm und Neu-Ulm, gibt es – wie in der Einleitung erwähnt – keine Spezialistenklinik mehr, die nicht in Händen von AniCura und damit Mars Petcare wäre. Auf Deutschland im Ganzen bezogen haben Sie als Tierbesitzer aber immer noch die realistische Möglichkeit, das weitere Vordringen von ausschließlich an Gewinnzahlen orientierten Großkonzernen in der Tiermedizin durch Ihr Kundenverhalten, durch das Abstimmen mit Ihren Füßen zu verhindern. Wenn sich das Geschäft nicht rentiert, ziehen sich solche Firmen so schnell zurück, wie sie aufgetaucht sind.

Es liegt also an Ihnen, dem amerikanischen Multi zu zeigen, dass der deutsche Tierbesitzer doch irgendwie anders tickt als erwartet. Wichtig ist, dass Sie die bewusste Entscheidung treffen, durch Ihre Tierarztwahl und Ihre Kundentreue das „Deutsche Modell“ inhabergeführter Praxen und Kliniken, in denen Tiermediziner und nicht amerikanische Buchhalter und Kaufleute das Sagen haben, als Bollwerk gegen diese langfristig wirklich mehr als üble Entwicklung zu bewahren.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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