Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Wo auch immer dieser Tage das durch den neuen Paragraphen 10 der Tierschutzhundeverordnung verfügte Ausstellungsverbot für Hunde mit Qualzuchtmerkmalen diskutiert wird, wird auch wortreich und verbittert ein „Generalverdacht“ gegen die vereinsorganisierte Hundezucht beklagt und mehr „Differenzierung“ gefordert. Die unseres Wissens vom Club für Britische Hütehunde und seiner Wortführerin, der Zuchtrichterin Sarah Boyd, initiierte Gegenkampagne versteigt sich (wir haben berichtet) aber im Gegensatz zu dieser Forderung maximal unterkomplex zu dem geradezu hanebüchenen Slogan „Kontrollierte Hundezucht ist keine Qualzucht“. Jegliche Distanzierung von Bereichen, in denen das für jede(n) sichtbar nicht mal ansatzweise stimmen kann, wird mit viel Pathos und ohne jede Einsicht verweigert.
Nach den ersten Donnerschlägen wie der Schau in Erfurt laufen nun (auch auf höchster Ebene) die Diskussionen darüber, wie der Ausstellungsverbotsparagraph im Detail auszulegen und umzusetzen ist. Zweifellos gibt es da bestimmte Punkte, bei denen dringender Klärungsbedarf besteht. Aber wie auch immer diese Diskussionen ausgehen mögen, eines ist nach dem Wortlaut des Paragraphen 10 jedenfalls sicher: Bestimmte Rassen, insbesondere das klassische Dreigestirn der Brachycephalen, also Französische und Englische Bulldogge und der Mops, aber auch noch so einige andere, werden zukünftig in Deutschland auf gar keinen Fall mehr ausgestellt werden können, und das ist auch gut so!
Im geradezu perfektem Kontrast dazu steht ein aktuelles Facebook-Posting des amtierenden Präsidenten der FCI (Fédération Cynologique Internationale), Tamás Jakkel, mit einem von ihm kommentierten Foto einer Französischen Bulldogge, des „Junior Group Winners“ auf der FCI World Dog Show in Madrid (siehe Screenshots des öffentlichen Postings auf Facebook). Es ist ein nettes Foto. Kaum jemand, der Frenchies kennt und mag, wird es ansehen können, ohne dabei zu lächeln.
Tamás Jakkel schreibt dazu: „The FRENCH BULLDOG (Herzchen-Emoticon) When it is bred and owned with responsibility. The Junior Group winner at the World Dogshow in Madrid. Functional, happy, healthy little athlete with a heart of golden to provide great company at home ( my family has this great experience). Not a “ look- alike“ dog, but a REAL one. Not found as a cute puppy on the internet without any known background. Not „blue“, nor „fluffy“ with long coat, not „mini“ being produced only and exclusively to make money, but a result of careful plans, selection, tests and effort RESPECTING HISTORY of the country of origin, and the dog itself, as it should be! Hashtag: WeAreTheSolution“
Ich bemühe mich mal um eine möglichst sinnhaltige Übersetzung, was ein bisschen problematisch werden könnte, weil weder Herr Jakkel noch ich englische Muttersprachler sind:
„Die Französische Bulldogge Wenn sie mit Verantwortungsgefühl gezüchtet und gehalten wird. Der Junior Group Winner auf der World Dog Show in Madrid. Ein funktionaler, glücklicher, gesunder kleiner Athlet mit einem Herz aus Gold, um zu Hause großartige Gesellschaft zu bieten (meine Familie macht diese tolle Erfahrung). Kein Möchtegern-Hund, sondern ein ECHTER. Nicht als süßer Welpe im Internet gefunden, ohne irgendwelche bekannten Hintergrundinformationen. Weder „Blau“, noch „flauschig“ mit langem Fell, noch „Mini“ und einzig und allein produziert, um Kohle zu machen, sondern das Resultat sorgfältiger Planung, Auslese, Tests und Bemühungen, in RESPEKT vor der (Zucht-)GESCHICHTE des Herkunftslandes und vor dem Hund selbst, so wie es sein soll! Hashtag: Wir sind die Lösung“
Hat man beim Anblick des Fotos noch gelächelt, vergeht einem das beim Lesen des Textes sofort wieder und man denkt unwillkürlich: Shit, ausgerechnet der FCI-Präsident hat nix, aber auch gar nix verstanden! Aber das ist natürlich Unsinn hoch drei! Herr Jakkel ist mit Sicherheit ein hochintelligenter Mensch. Und er verfügt über (mindestens!) die gleichen Informationen wie wir. Deshalb weiß er sehr wohl Bescheid über einige nicht mal ansatzweise bestreitbare Tatsachen:
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser so fröhlich einherspringende und nun als Gewinner seiner Gruppe ausgezeichnete Hund durch einen Kaiserschnitt auf die Welt kam, liegt bei über 80 Prozent! Und damit geht es ja schon los: Mit Verantwortungsgefühl gezüchtet? Wie konnte man mit auch nur einem Funken Verantwortungsgefühl je zulassen, dass ganze Hunderassen (beim Rennen um die vorderen drei Plätze bezüglich der Kaiserschnitt-Rate sind auch Englische Bulldoggen und Boston Terrier dabei) nur noch aufgrund der Möglichkeit zur Schnittentbindung existieren können, also ohne die Segnungen der modernen Chirurgie blitzartig aussterben würden? Bred with responsibility? Really?
Dankenswerterweise zeigt uns der Junior sein Profil. Was sehen wir, wenn wir nach einer Nase sehen? Richtig, wir sehen nichts! Irgendwo zwischen Stirn und Oberlippe müsste sie nach allgemeiner Erfahrung ja zu finden sein, die Nase des Nasentieres Hund. In diesem Fall finden wir zwischen der Stirn und der Oberlippe eine nicht nur kerzengerade, sondern sogar leicht konkave Linie. DA IST KEINE NASE, HERR JAKKEL! Wo soll denn das ganze von der Natur über ein paar Jahrhunderttausende entwickelte, der Atmung, der Thermoregulation und dem Geruchssinn dienende Zeug, das sich in einer normalen Hundenase so findet, eigentlich in diesem Fall sein? Einfach ersatzlos gestrichen, weil das so und so viele auf dem völlig falschen Gleis befindliche Leute so toll finden, inklusive Herrn Jakkel? Und überhaupt: Welcher Mensch mit einem IQ über Raumtemperatur und einem Restchen an Empathie könnte glauben, dass das, was in eine Hundenase gehört, in eine solch nachgerade absurde Schädelform passen könnte, siehe Röntgenbildvergleich oben? Bred with responsibility? Really?
Das Gleiche passiert uns, wenn wir einen Schwanz suchen. Ist da einer? Nicht wirklich! Irgend so ein verkrüppeltes Stummelchen, wie üblich halt, aber nichts, was die Bezeichnung Schwanz verdienen würde und – wie von Mutter Natur vorgesehen – als wichtiges Kommunikationsmittel und Balanceinstrument dienen könnte. Warum fehlt der Schwanz? Weil das wieder bestimmten seltsamen Menschen, unter anderem wohl Herrn Jakkel, so gefällt. Deswegen hat man auf durch Wirbelmissbildungen verkrüppelte, in vielen Fällen bei Berührung schmerzhafte Stummel selektiert, und das bringt gleich noch ein weiteres Problem mit sich: Diese Wirbelmissbildungen müssen keineswegs auf den „Schwanz“ beschränkt bleiben, sondern können auch im Rest der Wirbelsäule auftreten, dann oft mit dramatischen und schrecklich schmerzhaften Folgen für den Hund. Hat eine Französische Bulldogge keine Keil- oder Schmetterlingswirbel, wie hoffentlich (!) das Kerlchen auf dem Foto, dann hat sie schlicht Glück gehabt. Wir als Tierärzt:innen jedenfalls sind immer angenehm überrascht, wenn wir mal tatsächlich keine finden. Bred with responsibility? Really?
Dieser junge, lustige Hund wird mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit die gleiche „Karriere“ hinlegen wie die Mehrzahl seiner Rassegenossen. Man sieht sie auf dem Foto nicht, aber wahrscheinlich sind seine Nasenlöcher im Moment noch so halbwegs offen, wobei wir bei „halbwegs offen“ bereits über Strömungsverschlechterungen von bis zu 70 Prozent im Vergleich zu einem normalen Hund reden. Spätestens mit zwei Jahren aber ist die Nase dann fast komplett dicht. Dann fängt der richtige Ärger an: Durch den bei jedem Atemzug auftretenden Unterdruck werden die Nasenmuscheln, das Gaumensegel und die Mandeln immer größer und fleischiger und die Kehlkopf- und Luftröhrenstrukturen immer mürber, bis wir am Ende das übliche Bild einer Französischen Bulldogge sehen, die schon bei mäßiger körperlicher Belastung auf (unphysiologische!) Maulatmung umstellen muss, die bei der geringsten Aufregung schwer röchelt, die im Liegen nicht wirklich gut schlafen und die selbst bei vergleichsweise milden Temperaturen unter 25 Grad sehr leicht einen Hitzschlag erleiden kann. Dann bleibt nur noch der Ausweg, auf chirurgischem Weg zu retten, was zu retten ist, was ja inzwischen viele Welpenkäufer:innen von vornherein einzurechnen scheinen. Bred with responsibility? Really?
Last but not least der in unseren Augen schlimmste Punkt: Tamás Jakkel schreibt was von Respekt für die Zuchtgeschichte des Ursprungslandes der Rasse, das nach den Regularien der FCI den Rassestandard festlegen darf, also das Dokument, das die Zuchtziele formuliert und sozusagen einen idealen Vertreter der Rasse beschreibt. Als Laie würde man fest davon ausgehen, dass dieser Standard sozusagen die Bibel der Zuchtrichter:innen auf Hundeausstellungen darstellen müsste, und ein Hund, je näher er diesem Standard kommt, umso eher ausgezeichnet werden sollte. Weit gefehlt! Dieser naheliegende Gedanke scheint im Fall unseres Junior Group Winners absolut nicht zuzutreffen.
Werfen wir doch mal einen Blick in die deutsche Version des FCI – Standards Nr. 101 BOULEDOGUE FRANÇAIS (Französische Bulldogge) vom 27.01.2017: Was finden wir zum Thema Nase? Unter anderem werden „gut geöffnete“ und eine normale Nasenatmung erlaubende Nasenlöcher gefordert. Als Tierärztin / als Tierarzt kann man da nur sagen: Selten so gelacht! Aber gut, auf dem Foto unseres Junior-Champions können wir die Nasenlöcher nicht beurteilen. Was wir sehr gut beurteilen können, ist die Nasenlänge (siehe oben). Und dazu steht im Zuchtstandard, gleich unter dem Punkt „Wichtige Proportionen“ (wichtige Proportionen!), wörtlich: „Die Länge des Nasenrückens beträgt ungefähr 1/6 der Gesamtlänge des Kopfes.“
Wie bitte? Ein Sechstel der Gesamtlänge des Kopfes? Tja, und jetzt? Unser Junior hat nämlich überhaupt keine Nase, null, nada, niente. Mit ein bisschen schlechtem Willen könnte man sogar behaupten, dass er eine Negativ-Nase hat, die versucht, sich in den Kopf zu verkriechen.
Ganz unten im Standard steht dann Folgendes: „Jede Abweichung von den vorgenannten Punkten muss als Fehler angesehen werden, dessen Bewertung in genauem Verhältnis zum Grad der Abweichung stehen sollte und dessen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Hundes zu beachten ist.“
Unbestreitbar liegt hier bezüglich der vom Standard geforderten Länge des Nasenrückens eine ganz gewaltige Abweichung vor, deren negativer Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Hundes gar nicht zu überschätzen ist. Wie kann es unter diesem Umständen sein, dass genau dieser Hund ein „Winner“, ein Sieger ist? Wie kann eine Zuchtrichterin / ein Zuchtrichter den eigenen Rassestandard derartig krass ignorieren? Und wie kann es sein, dass Herr Jakkel, der Präsident der größten Hundezucht-Vereinigung der Welt, das so toll findet, dass er dieses Posting raushaut, wohl wissend, dass die öffentliche Kritik am züchterisch verursachten Leid der Französischen Bulldoggen immer mehr zunimmt und Ausstellungs-, Zucht- und Importverbote in mehreren Ländern im Raum stehen?
Und was ist damit? Das ist ein Zitat aus der Präambel des Zuchtreglements der FCI: „Erbgesund ist ein Rassehund dann, wenn er Standardmerkmale, Rassetyp und rassetypisches Wesen vererbt, jedoch keine erheblichen erblichen Defekte, welche die funktionale Gesundheit seiner Nachkommen beeinträchtigen könnten. Hierbei sind die Mitglieder und Vertragspartner der FCI gehalten, Übertreibungen der Rassemerkmale zu verhindern, die in der Folge geeignet sind, die funktionale Gesundheit der Hunde zu beeinträchtigen.“ Auch das scheinen halt leider nur salbungsvolle Worte zu sein, und die sind bekanntermaßen billig.
Wie geht das zusammen mit diesem Zitat aus der Feder von Sarah Boyd, selber Zuchtrichterin im Club für Britische Hütehunde: „Wir verstehen uns tatsächlich als das, was Züchter und Zuchtrichter im wahrsten und ursprünglichsten Sinne sein sollten und sind, nämlich Kynologen der ersten Stunde; die Beschützer und Bewahrer der uns anvertrauten Hunderassen. Die wir so sehr lieben, dass wir ihnen unser ganzes Leben widmen! Wir bilden uns weiter und werden ausgebildet. Wir schulen und werden geschult. Nicht einmal oder zweimal. Sondern regelmäßig. Das macht uns aus und ist zusammen mit unserem Verantwortungsbewusstsein eine tragende Säule in der Rassehundezucht.“
Klingt in diesem Kontext wie purer Hohn, nicht wahr? Also, was läuft da? Die Antwort ist, wie eigentlich bei allem, was je schief gelaufen ist in der vereinsorganisierten Hundezucht: Übertypisierung, also die Übertreibungen der Rassemerkmale aus dem oben zitierten Satz des FCI-Reglements! Seit Jahrzehnten scheinen sich Zuchtrichter:innen in unglaublicher Ignoranz und Arroganz darauf eingeschossen zu haben, immer „typvollere“ Hunde auszuzeichnen, und das, wie wir an unserem Beispiel sehen, durchaus auch unter vorsätzlicher Verletzung der jeweiligen Rassestandards. So wurden aus kurzen Nasen und kurzen Schwänzen nicht mehr wirklich vorhandene Nasen und Schwänze. So wurden aus kompakten und schweren Hunden, die früher mit einem Gewicht von 60 bis 70 kg noch die ihnen zugedachten Aufgaben erfüllen konnten, triefäugige, sabbernde Monster (Foto!) mit weit über 100 kg, die oft schon vor Erreichen des zweiten oder dritten Geburtstags mit nicht mehr behandelbarer End-Stage-Osteoarthritis in allen wesentlichen Gelenken diagnostiziert werden und die sich dann mühsam unter Dauerschmerzmedikation durch den kläglichen Rest ihres Lebens schleppen dürfen. So wurden aus Hunden mit üppigem Haarkleid fast nicht mehr als Hund erkennbare Wischmops, die sogar in klimatisierten Ausstellungshallen bei der Siegerehrung auf Kühlmatten liegen müssen, damit sie vor Überhitzung nicht kollabieren. So wurden und werden aus nicht wenigen Rassen buchstäblich Karikaturen ihrer selbst produziert, ohne jede Rücksicht auf gesundheitliche Nachteile und lebenslanges Dauerleid, und das einzig und allein, um menschliche Eitelkeiten zu befriedigen. Sie können sich ja leicht selber ein Bild machen, indem Sie historische Fotos verschiedener Rassen mit den heute rumlaufenden und auf Hundeshows ausgezeichneten Zerrbildern vergleichen.
Wie gesagt: Tamás Jakkel ist ein intelligenter Mann. Er weiß über diese Zusammenhänge sehr wohl Bescheid! Trotzdem schreibt er gegen besseres Wissen so einen Kommentar, den man guten Gewissens als vorsätzliche Desinformation bezeichnen kann. Es bleibt in unseren Augen nur eine Schlussfolgerung: Dieses ignorante und völlig unbelehrbare Beharren auf eine Fortsetzung des züchterischen Totalversagens der letzten Jahrzehnte rechtfertigt wohl doch den oben angesprochenen Generalverdacht gegen die vereinsorganisierte Hundezucht. Die von vielen Tierschützern, der Allgemeinheit und der Politik unterstellte tierschutzethische Verrottung reicht bis in die höchsten Verbandsspitzen. Man braucht da nicht mehr lang drum herum reden: Es werden nur wirklich drastische Maßnahmen wie Zucht-, Import- und vielleicht sogar Haltungsverbote helfen. Wir können die Öffentlichkeit und die Politik nur dazu ermutigen, diesen Weg konsequent weiter zu gehen. Im Guten hat man es wirklich lang genug versucht!
Ach ja, und den Hashtag „WeAreTheSolution“ ändern wir besser gleich in „WeAreTheFuckingProblem“!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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