Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ein Bericht aus der täglichen Praxis: Das ist Wuschel, ein noch relativ junger, kastrierter Kater, der im Haus gehalten wird. Wuschel haben wir erst am Sonntag kennengelernt, als er als Notfall zu uns in die Praxis kam, da er keinen Harn mehr absetzen konnte und sich arg quälte. Die Diagnose war schnell klar: Die Blase war zum Bersten gefüllt und darin fand sich im Ultraschall-Bild jede Menge Harngrieß (unzählige winzige Harnsteine). Offenbar hatte sich ein sogenannter „Plug“ (englisch für „Stopfen“) aus Grieß und anderem Material gebildet und die Harnröhre komplett verschlossen. Dies kann speziell beim Kater sehr leicht passieren, weil sich bei diesem die Harnröhre zur Penisspitze hin drastisch verengt. Diese Situation stellt aufgrund der Qualen für den Kater und die zunehmende Harnvergiftung einen klaren Notfall dar.
Die Details der weiteren Vorgehensweise hängen davon ab, wie lang die Verlegung der Harnröhre schon besteht und wie sehr das Allgemeinbefinden des Katers dadurch bereits eingeschränkt ist. Ein solcher Patient kann sehr wohl gefährliche Veränderungen der Körperchemie aufweisen, die eine unbedachte und hektische Narkoseeinleitung gefährlich machen. Wenn wir in dieser Richtung nach der Untersuchung Bedenken haben, muss durch eine Blutuntersuchung erst Klarheit geschaffen werden. Um dem Kater die Wartezeit zu erleichtern, kann die Blase durch die Bauchdecke mit einer Spritze entlastet werden. Das ist nicht so furchtbar wie es sich anhört und wird in der Regel gut geduldet. Je nach Ergebnis der Blutuntersuchung kann es nötig sein, vor einer Narkose die entgleiste Blutchemie durch eine Infusionsbehandlung zu korrigieren. Bei Wuschel war die Ausgangslage insofern besser, dass die Verlegung offenbar erst seit kurzem bestand und er insgesamt noch bei sehr gutem Befinden war. So leiteten wir mit aller gebotenen Vorsicht ohne weitere Zeitverzögerung eine leichte Narkose ein und versuchten dann (nach Stichentleerung der Blase), in die verlegte Harnröhre mit einem Katheter einzudringen und das Hindernis durch Spülen mit physiologischer Kochsalzlösung zu beseitigen. Dieses Vorgehen ist in über 90 Prozent der Fälle von Erfolg gekrönt. Bei Wuschel hat es aber trotz wiederholter Versuche mit allen Tricks und Kniffen nicht funktioniert. Der Katheter traf kurz nach der Penisspitze auf den Plug, der absolut festsaß und sich nicht beseitigen ließ. Ein Problem war, dass Wuschel einen ungewöhnlich klein entwickelten Penis mit einer winzigen Harnröhrenöffnung hatte, so dass wir mit unserer Ultraschall-Sonde nicht an den Plug heran kamen. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass der Einsatz einer solchen Schallsonde fachlich kritisch zu sehen ist, da die Anwendung die Harnröhre verletzen kann. Wie gesagt, in diesem Fall kamen wir erst gar nicht an das Hindernis heran.
Kann man eine Harnröhrenverlegung nicht beseitigen, bleibt leider nur noch eine Option: Der Penis des Katers muss amputiert werden, um dann einen künstlichen Harnröhrenausgang zu schaffen, in etwa an der Stelle, wo bei einer Kätzin Scheide und Harnröhrenausgang wären. Wuschel hat diese Operation sehr gut überstanden und wird im Moment von uns noch stationär betreut. Leider und zu seinem größten Unmut muss er einen Halskragen tragen, da jede Manipulation an dem neuen Harnröhrenausgang verhängnisvolle Folgen haben könnte. Die häufigste Komplikation der Penisamputation besteht darin, dass sich der künstliche Ausgang durch übermäßige Narbenbildung so stark verengt, dass es wieder zu Harnabsatzbeschwerden kommt. Ließe man einen solchen Patienten die Wunde belecken, wäre das fast sicher die Folge. Aber auch bei sorgfältigster Nachsorge besteht das Risiko einer so starken narbigen Verengung, dass eine erneute Operation nötig werden kann. Eine weitere Folge dieses Eingriffs kann eine erhöhte Neigung zu Blaseninfektionen sein, weil durch die Entfernung der engen Penisspitze eine natürliche Barriere für Bakterien nicht mehr vorhanden ist. Alles in allem also eine eher unerfreuliche Operation, die als Noteingriff bei Versagen aller anderen Möglichkeiten gesehen werden muss, dann aber auch absolut unumgänglich ist.
Besser ist es natürlich, durch Vorsorge dieser Notsituation aus dem Weg zu gehen. Die Ursachen der Harngrießbildung beim Kater sind vielfältig und keineswegs endgültig geklärt, aber es lassen sich bestimmte Gemeinsamkeiten feststellen. Die betroffenen Kater werden fast ausschließlich im Haus gehalten und sind eigentlich immer mehr oder weniger übergewichtig. Meist nehmen sie den größten Teil der täglichen Kalorienmenge in Form von Trockenfutter zu sich. Stubenkatzen haben im Vergleich zu Freiläufern statistisch von vornherein einen etwa um 30 Prozent niedrigeren Wasserumsatz. Diese Tendenz wird durch den überwiegenden Verzehr von Trockenfutter noch verstärkt. Dadurch haben solche Kater einen sehr konzentrierten Harn, was wiederum die Bildung von Harngrieß und Steinen fördert. Insgesamt muss aber wohl, ganz analog zu den Steinleiden beim Menschen, eine individuelle Neigung zur Steinbildung vorhanden sein, denn beileibe nicht jeder übergewichtige Stubenkater bekommt es mit diesem Problem zu tun. Ob auch psychische Faktoren beteiligt sind, wird immer noch diskutiert. Für uns Praktiker ist auffällig, dass die betroffenen Patienten von ihren Besitzern oft als sanft und sensibel beschrieben werden.
Was können Sie als Besitzer eines kastrierten Katers in Stubenhaltung zur Vorsorge tun? Sorgen Sie als erstes dafür, dass 90 Prozent der täglichen Kalorienmenge in Form von Nassfutter aufgenommen werden. Dies verbessert den Wasserhaushalt und beugt gleichzeitig der Entstehung von Übergewicht vor. Stubenkatzen trinken insgesamt mehr, wenn sich im Haus oder in der Wohnung mehrere Wasserstellen befinden. Regelmäßige Bewegung durch Spielen scheint ebenfalls einen vorbeugenden Effekt zu haben. Dies alles wird natürlich besonders bedeutsam, wenn bei Ihrem Kater schon einmal Blasengrieß oder gar Steine diagnostiziert wurden. Bei Katern, die bereits Probleme hatten, wird die Kontrolle des Säuregrades (pH-Wert) im Harn besonders wichtig. Dies kann durch spezielle Diätfuttermittel und/oder den Einsatz von Medikamenten (z.B. Guardacid-Tabletten) geschehen. Auch operierte Kater wie Wuschel müssen auf diese Art versorgt werden. Zwar ist der neue Harnröhrenausgang idealerweise von größerem Durchmesser als die Penisspitze, man kann sich aber keineswegs darauf verlassen, dass sich erneut bildende Blasensteine da auf jeden Fall durchpassen.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
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