Postoperative Nachsorge: Gras wächst nicht schneller

Postoperative Nachsorge: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

In vielerlei Hinsicht ist das, was wir in der modernen Kleintiermedizin machen, keinen Deut anders als in der Humanmedizin. Zum Beispiel habe ich für meine Hüft-TEP pfeilgrad die gleiche Narkose bekommen, die ich einem Hund für einen größeren Eingriff auch verpasst hätte. Ein krasser Unterschied ist und bleibt aber die Vorgehensweise bezüglich der postoperativen Nachsorge. In der Tiermedizin werden sehr viele Eingriffe, die in der Humanmedizin einige Tage stationären Aufenthalt nach sich ziehen, ambulant durchgeführt, sprich der Patient wird selbst nach ziemlich schweren Operationen gleich am OP-Tag, häufig sogar innerhalb von Stunden, in die häusliche Pflege entlassen.

Nehmen wir als Beispiel eine Splenektomie (Entfernung der Milz): Ein splenektomierter Hund wird bei uns ein bis zwei Stunden nach dem Aufwachen entlassen. Er verlässt die Praxis auf den eigenen vier Füßen also zu einem Zeitpunkt, wo man als Mensch nach dem gleichen Eingriff – noch voll auf Droge – gerade vom Aufwachraum zurück auf Station gerollt wird. Die Dauer des stationären Aufenthalts nach einer Splenektomie beläuft sich meines Wissens in der Humanmedizin auf mindestens drei bis fünf Tage. Daran wird sich auch trotz aller Bemühungen, Krankenhausaufenthalte zu verkürzen, nicht viel ändern lassen. Diese Tage werden genützt, um durch engmaschige Kontrollen bestimmter Parameter das Wohlbefinden des Patienten sicher zu stellen und etwaige Komplikationen frühzeitig zu entdecken.

Ich sehe auf diesen Vergleich mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite halte ich möglichst schnelle Entlassungen für eine sehr gute Sache. Stationäre Aufenthalte sind stressig, für Tiere noch mehr als für Menschen, und Stress tut nach einer Operation überhaupt nicht gut. Darüber hinaus sind medizinische Einrichtungen ein Stück weit gefährlich für die Patienten, weil sich da trotz aller Hygienebemühungen immer überproportional viele gefährliche Krankheitserreger wie multiresistente Bakterien rumtreiben. Andererseits wecken wir in der Tiermedizin mit unserer relativ lässigen Haltung zur postoperativen Erholungsphase wohl auch ziemlich häufig eine Art Wunderheilungserwartungshaltung auf Seiten der Tierbesitzer:innen, die so einfach nicht richtig ist, und wir haben eben nicht die angesprochene engmaschige Kontrolle des Patientenbefindens.

Ich stelle gerade an mir selber fest, dass so ein nicht gerade kleiner Eingriff ganz schön lang im System hängt und Probleme macht. Auch acht oder neun Tage postoperativ fühlt man sich keineswegs wirklich wohl bzw. vollständig genesen. Um so mehr wundert man sich natürlich, wenn man bedenkt, dass wir in unserer Praxis nach dem Entfernen der Fäden, also nach etwa 10 bis 14 Tagen, in der Regel die Wiederaufnahme jeglicher Aktivitäten mit dem Tier frei geben und das nach unserer Erfahrung auch so hinhaut und keine negativen Folgen zeitigt. Wenn wir aber postoperative Komplikationen sehen, dann sind diese extrem häufig darauf zurückzuführen, dass unsere Hinweise für die Erholungsphase im häuslichen Umfeld zu locker genommen oder gar nicht beachtet worden sind.

Tiere sind nach chirurgischen Eingriffen im Vergleich zu uns Menschen echte Stehaufmännchen, schon allein deshalb, weil sie nicht lange darüber nachdenken, was ihnen da gerade passiert ist, sondern einfach möglichst schnell wieder alles machen wollen, was ihnen vor der OP möglich war. Das bringt aber die Gefahr mit sich, dass ihnen sowohl durch ihre Besitzer:innen als auch ein Stück weit von uns Tiermediziner:innen zu früh zu viel zugemutet bzw. gestattet wird. Ich halte es für wirklich wichtig, dass wir uns immer wieder klar machen, dass Heilungsvorgänge im Körper bei Mensch und Tier gleich viel Zeit benötigen und dass Gras nun mal nicht schneller wächst, wenn man daran zieht.

Wir müssen also unseren Vierbeinern die nötige Zeit für eine echte Genesung einräumen und sind dabei in der Pflicht, für sie mitzudenken, weil sie das nun mal nicht selber können. Wir Tierärztinnen und Tierärzte müssen da wahrscheinlich immer mal wieder an uns arbeiten, damit wir Ihnen als Besitzer:innen die richtigen, restriktiven Hinweise geben, und Sie müssen uns da unbedingt zuhören, denn sonst besteht halt einfach die Gefahr, dass man dem Tier mit dann negativen oder gar gefährlichen Konsequenzen zu früh zu viel zumutet bzw. erlaubt.

Ganz grundsätzlich sollte bis zum Fädenziehen bzw. bei intrakutanen Nähten, die nicht entfernt werden müssen, für 10 bis 14 Tage jegliche körperliche Aktivität wirklich streng limitiert werden. Bei Knochen- und Gelenkeingriffen ist wochenlange Schonung angesagt. Wie wir immer sagen: Für Katzen gilt langweiliger Hausarrest, für Hunde nur so viel Rausgehen (mit Leinenpflicht!), wie für die Ausscheidungsvorgänge notwendig ist, und dann wieder rein und Ruhe! Sie müssen gerade bei Hunden in dieser Phase unbedingt die absolute Kontrolle ausüben. Freilauf im Garten ist NICHT Bestandteil eines Hausarrests! Ich denke da an einen Fall vor ein paar Jahren, wo die Besitzerin das so interpretiert hat, und der Hund am Ende zweimal (!) an seiner TPLO nachoperiert werden musste, weil er ohne Rücksicht auf Verluste den Briefträger den Zaun entlang verfolgt hatte. Es verwundert nicht, dass das betroffene Kniegelenk nie mehr so gut wurde, wie es hätte werden können.

Aber auch im Haus gilt es, je nach individueller Risikoeinschätzung, sehr vorsichtig zu sein. Ein Hund, der gewohnheitsmäßig über Möbel turnt, muss natürlich postoperativ unbedingt daran gehindert werden. Auch das haben wir schon erlebt: Eine Hündin war der Meinung, bereits einen Tag nach ihrer Pyometra-Operation wieder mit Anlauf aufs Sofa springen zu können, hat ihre Möglichkeiten dabei weit überschätzt, ist mit dem operierten Bauch auf der Lehne aufgeschlagen und musste nochmal komplett neu vernäht werden. Es ist nach einer Operation völlig okay, die nötige Ruhe auch mal durch Anbinden oder durch Aufenthalt in einer Box zu erzwingen.

Die häufigsten postoperativen Komplikationen, die wir in der Tiermedizin sehen, entstehen aber durch Nachlässigkeiten in Sachen Leckschutz. Nehmen Sie den Leckschutz, ob nun durch Halskragen, Body oder Verband, bitte unbedingt sehr ernst! Eine postoperative Wundinfektion durch Belecken ist kein Pappenstiel und kann im schlimmsten Fall böse Konsequenzen haben, von der unnötigen Quälerei, die so eine Infektion für den Patienten bedeutet, mal ganz zu schweigen.

Abschließend wäre noch die möglichst frühe Entdeckung einer postoperativen Infektion zu besprechen. Nach den aktuellen Leitlinien werden Antibiotika operationsbegleitend lange nicht mehr so freigiebig und automatisch verwendet wie früher. Um so wichtiger ist es, frühzeitig zu bemerken, wenn sie wegen einer Wundinfektion doch notwendig werden sollten. Das lässt sich am besten durch mehrmals tägliches Messen der Körpertemperatur erreichen. Wenn möglich, sollten Sie also in der postoperativen Phase mehrmals täglich (mindestens morgens und abends) bei Ihrem Tier das Fieber messen, um bei einer Temperaturerhöhung sofort tiermedizinische Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Hat Ihr Tier diese Maßnahme nicht schon im Rahmen von Medical Training gelernt, wäre es eine gute Idee, das vor einer eventuell anstehenden OP noch schnell ein bisschen zu üben. Die Tierarztpraxis Ihres Vertrauens wird Ihnen diesbezüglich sicher gern Tipps geben.

Also, passende Sprüche gibt es ja grad genug für die postoperative Erholungszeit. Suchen Sie sich einen raus: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht! Gut Ding will Weile haben! In der Ruhe liegt die Kraft! Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Alles kommt zu dem von selbst, der warten kann!

Behalten Sie bitte auch nach der unmittelbaren Heilphase Ihres Tieres, deren Ende durch das Fädenziehen markiert wird, im Kopf, dass man für eine komplette postoperative Erholung selbst bei relativ banalen Weichteileingriffen heutzutage gut und gerne vier bis sechs Wochen ansetzt. Bei Knochen-, Gelenk- und Sehnenoperationen muss man sogar von bis zu einem halben Jahr ausgehen.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Ralph Rückert

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