Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ich habe ja in einem der letzten Blog-Artikel (Ein Wechsel der Perspektive) schon angemerkt, wie sehr wir das Vertrauen in uns zu schätzen wissen, das für Sie als Besitzer notwendig ist, um Ihr Tier für eine Operation oder eine diagnostische Maßnahme in unsere Hände zu geben. Nun ist mir eingefallen, dass es für Sie durchaus von Interesse sein könnte, wenn ich Ihnen mal an einem Beispiel beschreibe, was da so alles passiert, während Sie nicht da sind.
Nehmen wir als Beispiel Paula. Paula ist ein junges Golden-Retriever-Mädel, deren Besitzer sich zur Kastration entschlossen haben. Paula ist am Morgen des OP-Tages nicht so richtig glücklich mit dem Lauf der Welt. Das übliche Frühstück ist ihr zu ihrem Entsetzen verweigert worden. Außerdem wirken Frauchen und Herrchen irgendwie gestresst, was man als Hund keineswegs zu schätzen weiß. Dass man nun schon wieder beim Tierarzt ist, löst gemischte Gefühle aus. Einerseits pieksen die da immer an einem rum, andererseits haben die aber auch jede Menge Leckerchen und Streicheleinheiten auf Lager. Insgesamt mag Paula uns aber sehr, weshalb sie auch nur kurz irritiert ist, als Herrchen ohne sie das Wartezimmer verlässt. Dass wir ihr erlauben, sich in den Behandlungsräumen frei zu bewegen und alles genau zu untersuchen, lässt ihre Nervosität so gut wie verschwinden.
Dann heißt es erst mal warten: Instrumente, Medikamente und Geräte für die Operation werden vorbereitet. Es kommt auch noch eine Katze vorbei, der Blut abgenommen wird. Paula hat sich inzwischen im OP auf die dafür zur Verfügung gestellte Decke gelegt und beobachtet interessiert, was sich um sie herum abspielt. Plötzlich aber wird es ernst: Erst geht es auf die Waage für das genaue Tagesgewicht, dann auf den Behandlungstisch zur präanästhetischen Untersuchung. Das Herz-Kreislauf-System, die Atmung und die Temperatur werden ermittelt und im Narkoseprotokoll dokumentiert. Und dann pieksen sie doch wieder! Eine Beruhigungsspritze intramuskulär in den Schenkel. Aber das ist schnell vorbei, und Paula darf wieder runter vom Tisch.
Zehn Minuten später ist Paula so richtig relaxed und nicht mehr interessiert an den Vorgängen um sie herum, wenn sie auch durchaus noch alles mitbekommt. Ganz ohne Stress können wir nun einen venösen Zugang (Venenkatheter) legen. Natürlich gibt es auch Hunde, speziell ältere und erfahrene, bei denen dies auch gut ohne vorherige Sedierung möglich ist. Bei sehr jungen Tieren sind wir aber grundsätzlich sehr daran interessiert, alle negativen und eventuell bleibenden Eindrücke peinlichst zu vermeiden. Die Stelle, an der wir den Venenkatheter gesetzt haben, können Sie übrigens später daran erkennen, dass das Fell dort geschoren worden ist. Durch diesen Venenzugang können wir nun die eigentliche Narkose ganz sanft einleiten, und zwar nach Wirkung, das heißt, wir geben gerade so viel von dem Medikament, dass es ausreicht, um die Patientin intubieren zu können. Der Einleitungszeitpunkt wird natürlich im Narkoseprotokoll dokumentiert.
Die Intubation, also das Legen eines Luftröhrenschlauchs, ist der nächste wichtige Schritt. Der Intratrachealtubus hält die Atemwege offen, verhindert das Einatmen von Speichel oder Erbrochenem und ermöglicht die präzise Zuführung von Sauerstoff und Narkosegas. Dieser Vorgang ist bei keiner Tierart einfacher als beim Hund, der als Hetzjäger von vornherein Atemwege von sehr großem Durchmesser hat. Bei der Katze und beim Frettchen finden es speziell Unerfahrene schon deutlich schwieriger, und wirklich mühsam ist es meist beim Kaninchen.
Paula schläft nun fest, hat einen venösen Zugang und ist intubiert. An den Tubus wird nun sofort Sauerstoff angeschlossen. Danach suchen wir eine geeignete Stelle an Paulas Körper für das Anklippen des Pulsoximeter-Sensors. Dieses Gerät gibt uns Auskunft über Paulas Herzfrequenz und über die Sauerstoff-Sättigung ihres Blutes. Die dabei ermittelten Werte werden in gewissen Zeitabständen ebenfalls ins Protokoll eingetragen. Sobald uns das Gerät anzeigt, dass sowohl Herzfrequenz als auch Sauerstoff-Sättigung im Normbereich liegen, machen wir uns an die Vorbereitung des Operationsgebietes. Paulas Bauch wird also rasiert und die Haut anschließend desinfiziert. Die abrasierten Haare werden möglichst vollständig durch Absaugen entfernt. In dieser Phase werden auch noch zusätzliche Medikamente wie länger wirksame Schmerzmittel und/oder Antibiotika gespritzt.
Nun wird Paula in den OP verfrachtet, auf dem OP-Tisch weich und warm gelagert und an das Narkosegerät angeschlossen. Dabei kommt dann auch das zweite von uns routinemäßig genutzte Überwachungsverfahren zum Einsatz, die Kapnometrie. Zwischen Paulas Tubus und dem Schlauchansatz des Narkosegerätes befindet sich eine Messeinrichtung, die uns über einen Monitor Auskunft über Paulas Atemfrequenz und den Kohlendioxid-Gehalt ihrer Ausatemluft gibt. Veränderungen der abgeatmeten Kohlendioxid-Konzentration geben uns Frühwarn-Signale bezüglich einer zu flachen oder zu tiefen Narkose.
Paula liegt nun auf dem OP-Tisch, alle Überwachungswerte sind im grünen Bereich. Wir fahren mit der weiteren Vorbereitung fort: Die Haut wird erneut desinfiziert, wir waschen unsere Hände, ziehen die sterile OP-Kleidung an und dann wird Paula bis auf das direkte Operationsfeld steril abgedeckt. Sie kennen das ja sicher: Am Ende sieht man nur noch grüne Tücher mit einem kleinen Schlitz drin. Unmittelbar vor dem Hautschnitt, also dem Beginn der eigentlichen Operation, bekommt Paula über ihren venösen Zugang ein sehr starkes Schmerzmittel (Fentanyl, ein Morphin) verabreicht, das für die Dauer des Eingriffs jedwede (auch unbewusste) Schmerzwahrnehmung komplett unterdrückt.
Während der Operation werden Paulas Überwachungswerte natürlich permanent kontrolliert und in regelmäßigen Abständen auch protokolliert. Nach dem Verschluss der OP-Wunde, in diesem Fall durch eine intracutane, also in der Haut liegende Naht (kein Fädenziehen notwendig), wird die Abdeckung wieder entfernt und die Naht mit einem Membranpflaster geschützt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Narkosegaszufuhr bereits beendet und Paula atmet wieder reinen Sauerstoff. Kurz darauf wird ein Gegenmittel für die ganz zu Anfang verabreichte und noch immer wirksame Beruhigungsspritze gegeben. Fünf Minuten später ist Paula bereits ansprechbar, wenn auch noch nicht gehfähig. In der Aufwachphase sind wir sehr eng am Patienten, um ihm in der ersten Verunsicherung und Verwirrtheit Halt zu geben. Weitere fünf Minuten später steht Paula bereits auf und macht mit unserer Hilfe die ersten wackligen Schritte. Dabei beobachten wir sie aufmerksam und unter Zuhilfenahme standardisierter Schmerzbeurteilungsmethoden, um entscheiden zu können, ob noch eine zusätzliche Schmerzmedikation notwendig wird. Paula wirkt unbeeindruckt und fit, kann also nach einer weiteren halben Stunde Beobachtung entlassen werden.
Wie viele von Ihnen schon erlebt haben, kommen unsere operierten Hunde bei der Abholung in der Regel Ihren Besitzern freudig und schwanzwedelnd entgegen gelaufen. So auch in diesem Fall: Paula mag uns zwar, wirkt aber trotzdem sehr erleichtert darüber, dass sie mit ihren Menschen wiedervereint ist und jetzt nach Hause gehen kann. Letztendlich war alles halb so schlimm. Noch ein paar Tage körperliche Schonung, dann ist alles wieder in Butter.
Ich hoffe, mit diesem Artikel ein wenig dazu beigetragen zu haben, dass Sie sich besser vorstellen können, was mit Ihrem Tier passiert, wenn Sie es uns vertrauensvoll zur Operation oder Zahnsanierung übergeben. Die Besitzer von Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen oder anderen Tierarten mögen mir bitte verzeihen, dass ich die OP eines Hundes als Beispiel gewählt habe. Grundsätzlich läuft es bei diesen Tieren nicht anders, nur dass sie Ihnen bei der Abholung nicht entgegen gelaufen kommen, sondern in ihren Transportbehältern zurückgegeben werden.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen