Osteosarkom (Knochenkrebs) bei Hund und Katze aus der Sicht des Haustierarztes

Von Ralph Rückert, Tierarzt

„Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate! – Lasset, die Ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren!“ (Dante Alighieri)

Für wenige andere Erkrankungen gilt dieses Zitat in dem Ausmaß wie für das Osteosarkom beim Hund. Ab dem Moment der Diagnose geht es in der überwältigenden Anzahl der Fälle nicht mehr um Heilung, sondern nur noch darum, wie lang der Patient mit welcher Lebensqualität noch überleben wird.

Deutlich besser dran ist die Katze, bei der Osteosarkome seltener auftreten als beim Hund und sich auch wesentlich weniger aggressiv verhalten.

Treten beim Hund die ersten Symptome auf (meist Schmerzen mit Lahmheit, Schwellung an einem langen Röhrenknochen der Beine), haben über 90 Prozent (pessimistische Zahlen reden sogar von bis zu 98 Prozent) der Osteosarkom-Patienten bereits Metastasen (Tochtergeschwülste) in anderen Körperregionen, besonders häufig in der Lunge. Diesbezüglich besonders schlimm ist die Tatsache, dass es sich dabei häufig um sogenannte Mikro-Metastasen handelt, was wiederum dazu führt, dass nur etwa 10 Prozent der tatsächlich vorhandenen Tochtergeschwülste durch Röntgenaufnahmen nachgewiesen werden können. Diese sehr schlechte Entdeckungsquote lässt sich nur durch eine Computertomographie (CT) verbessern, allerdings auch nicht in einen Bereich, der auch nur annähernd echte Sicherheit garantieren würde.

Man kann das Osteosarkom aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: Aus dem der natürlich emotional hochengagierten, deshalb aber oft auch relativ irrationalen Tierbesitzer, aus dem der emotionslos und nur auf der Basis wissenschaftlicher Daten agierenden Onkologen und aus dem des Praktikers, des Haustierarztes, der als Bindeglied irgendwo dazwischen steht.

Wie läuft das also aus meiner Sicht als Haustierarzt ab, wenn Ihr Hund an einem Osteosarkom erkranken sollte?

Rein statistisch werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit HalterIn einer großen bis sehr großen Hunderasse mittleren oder höheren Alters sein. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 7 Jahre. Daraus sollte man allerdings keine falschen Schlüsse ziehen, weil auch schon Osteosarkome bei Hunden mit gerade mal 6 Monaten diagnostiziert wurden. Große, schwere, langbeinige Hunde haben ein vielfach höheres Osteosarkom-Risiko als kleine. Hunde über 20 kg Körpergewicht bekommen ca. achtmal häufiger ein Osteosarkom als Hunde unterhalb dieser Grenze.

Zusätzlich fallen noch bestimmte Rassen als besonders anfällig auf: Bezüglich der Deutschen Dogge und dem Deerhound gibt es Schätzungen, dass deren Risiko bis zu 200mal höher sein könnte als das für Klein- und Zwergrassen. Als weitere Risiko-Rassen werden gesehen: Bernhardiner, Irish Wolfhounds, Mastiffs, Rottweiler, Greyhounds, die großen Herdenschutzhunde, Deutsche Schäferhunde, Golden Retriever, Dobermänner und Boxer. Atmen Sie jetzt aber bitte nicht gleich erleichtert auf, wenn ich Ihre Hunderasse nicht genannt habe. Erstens sind solche Listen nie wirklich vollständig und zweitens kann grundsätzlich jeder Hund ein Osteosarkom bekommen, auch ein Mops oder ein Zwergspitz. Bei den kleinen Rassen sind Knochentumore allerdings deutlich häufiger am Körperstamm als – wie bei den Großhunden – an den Gliedmaßen anzutreffen.

Ob das Geschlecht eine Rolle spielt, ist nicht letztgültig geklärt. Es liegen Untersuchungen vor, die Rüden ein höheres Risiko zuschreiben, was aber von anderen Autoren so nicht bestätigt werden konnte. Früh (unter einem Jahr) kastrierte Hunde beiderlei Geschlechts haben aber offenbar ebenfalls ein erhöhtes Osteosarkom-Risiko.

Katzen erkranken etwa um die Hälfte weniger häufig an Osteosarkomen als Hunde, im Durchschnitt mit 10 Jahren. Kater sind deutlich mehr betroffen als Kätzinnen. Meist tritt der Tumor an den Gliedmaßen auf.

Über 80 Prozent der beim Hund diagnostizierten Osteosarkome finden sich ebenfalls an den Gliedmaßen. Je größer bzw. schwerer der Hund, desto eher ist eines der Vorderbeine betroffen. Außerdem richten sich Osteosarkome verblüffend häufig nach der Faustregel „Ellbogengelenkfern und kniegelenknah“, sprich: sie sitzen vorne meist am oberen Ende des Oberarmknochens oder am unteren Ende der Unterarmknochen und hinten am unteren Ende des Oberschenkels oder am oberen Ende des Unterschenkels.

Also, höchstwahrscheinlich suchen Sie mich mit Ihrer Dogge, Ihrem Rotti oder … auf, weil entweder Ihr Hund plötzlich lahm geht oder weil sie irgendwo an den Beinen eine Umfangsvermehrung (schwäbisch: einen „Bollen“) festgestellt haben. Bei einer Lahmheit, die von Ihnen als BesitzerIn häufig sogar auf ein spezifisches Ereignis (Sprung, Spiel, Überlastung) zurückgeführt wird, kann es natürlich sein, dass man es mit ein paar Tagen Schmerzmittelgabe und Schonung versucht. Bei einer sicht- oder tastbaren Umfangsvermehrung oder einer therapieresistenten Lahmheit werde ich aber zwangsläufig über kurz oder lang Röntgenaufnahmen anfertigen wollen. Und dann kommt halt leider der Schock. Osteosarkome bieten auf Röntgenbildern in vielen Fällen ein sehr typisches Bild, so dass man als Tierarzt schon allein auf dieser Basis eine ziemlich belastbare Diagnose stellen kann. In anderen Fällen hat man zwar einen starken Verdacht, der aber unbedingt noch weiter abgeklärt werden muss, bevor man eventuell grundfalsche Entscheidungen trifft.

Dann muss eine Gewebeprobe des verdächtigen Bereiches gewonnen werden, was – außer bei einer Feinnadelaspirations-Biopsie – eine echte, kleine Operation unter Narkose bedeutet. So eine Biopsie ergibt dann meist eine zweifelsfreie Diagnose. Lautet diese „Osteosarkom“, sind Sie spätestens jetzt an dem Punkt angekommen, auf den sich das Zitat aus der Einleitung bezieht.

Will man rational handeln, muss man sich eingestehen, dass diese Erkrankung den Hund mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent das Leben kosten wird. Die einzige noch offene Frage ist eigentlich nur: Wann?

Unternimmt man gar nichts, ist man sehr schnell (manchmal auch gleich) gezwungen, über eine Euthanasie nachzudenken. Wir reden da von Überlebenszeiten von allenfalls wenigen Monaten, meist nur von ein paar Wochen, und das bei rapide abnehmender Lebensqualität durch zunehmende Schmerzen. Weil die von dem Tumor ausgehende Zerstörung (Osteolyse) die strukturelle Stabilität des betroffenen Knochens immer mehr schwächt, droht ständig eine spontan auftretende Fraktur. Ich habe das mal in der Praxis mit eigenen Augen gesehen. Ein wegen Lahmheit vorgestellter Hund wurde von uns nach der entsprechenden Untersuchung wieder auf den Boden zurückgestellt. Genau dabei brach der völlig zerfressene Knochen. Der Hund hat minutenlang vor Schmerzen geschrien, dass es einem vor Mitleid die Tränen in die Augen getrieben hat. Dazu sollte man es möglichst nicht kommen lassen!

Rein palliativ sind nur eine möglichst effektive Schmerzbekämpfung und eventuell eine ebenfalls deutlich schmerzlindernde Bestrahlung machbar.

Will man gegen das Schicksal seines Osteosarkom-Patienten ankämpfen, sollte man schnell und aggressiv vorgehen. Zuvor müssen aber grundsätzliche Überlegungen zu Rasse, Alter, Gewicht und Fitness des Hundes angestellt werden. Nur als Beispiel: Bei einer siebenjährigen, übergewichtigen Dogge mit Osteosarkom im schultergelenknahen Oberarmknochen muss man über eine Amputation gar nicht erst nachdenken. Das verbietet sich gleich mal von selbst.

Ergeben diese Vorüberlegungen „grünes Licht“, folgt das sogenannte Staging, um die Prognose des jeweiligen Hundes besser einschätzen zu können. Zum Staging gehören weitere Röntgenaufnahmen (in erster Linie des Brustkorbes), eventuell eine Computertomographie, eine Tastuntersuchung der regionalen Lymphknoten, eine vollständige Blutuntersuchung und bei Bedarf eine Tumorbiopsie.

Fällt das Staging nicht so negativ aus, dass man als Tierarzt von allen Therapieversuchen abraten müsste, steht dann die vollständige Entfernung des Primärtumors an. In den allermeisten Fällen handelt man dabei nach dem Motto „Bein oder Leben“! Man führt also eine hohe Amputation der betroffenen Gliedmaße durch. Nur bei den distalen (in der Nähe des Carpalgelenkes) liegenden Tumoren des Unterarms ist eine (allerdings technisch sehr anspruchsvolle) gliedmaßenerhaltende Operationstechnik (Limb Sparing) denkbar. In diesen Fällen gilt übrigens der Grundsatz, dass eine eventuelle Tumorbiopsie idealerweise von dem Chirurgen entnommen werden sollte, der dann auch die Limb-Sparing-OP durchführt. Es geht darum, dass der Zugang zur Biopsientnahme so gewählt wird, dass er bei der späteren Operation vollständig mit entfernt wird. Ist dagegen eine Amputation geplant, spielt diese Überlegung keine Rolle.

Und nun kommen wir an den Punkt, an dem die Sichtweisen von Besitzern, Haustierärzten und Onkologen auseinanderdriften. Es ist halt leider eine vielfach bestätigte Tatsache, dass allein die vollständige Entfernung des Primärtumors durch Amputation oder Limb-Sparing eigentlich keine entscheidend längere Überlebenszeit bringt als wenn man gleich gar nichts unternimmt, allerdings (weil ja nach Abklingen der postoperativen Beschwerden erst mal Schmerzfreiheit erzielt wird) bei deutlich besserer Lebensqualität und ohne das ständige Risiko einer spontanen Fraktur. Längere Überlebenszeiten können aber definitiv nur durch eine zusätzliche Chemotherapie erreicht werden. Mit der Kombination Amputation bzw. Limb Sparing plus Chemotherapie überleben 55 Prozent der Patienten länger als ein Jahr, 35 Prozent sogar länger als zwei Jahre. Für uns Menschen sind solche Zeiträume nicht wirklich beeindruckend, für einen Hund stellen sie aber in Relation zu seiner normalen Lebenserwartung schon einen sehr ordentlichen Gewinn dar.

Nun ist aber eine Chemotherapie für viele Menschen durch ihre Erfahrungen aus der Humanmedizin ausgesprochen negativ besetzt. Sie wird als in die Länge gezogene und oft genug ziemlich nutzlose Quälerei gesehen, die fast alle Hundehalter ihrem Tier auf gar keinen Fall zumuten wollen. Außerdem bringt eine Chemo einen oft sehr hohen organisatorischen und finanziellen Aufwand mit sich. Und so kommt es, dass sich nach meinen Erfahrungen allenfalls jeder zehnte Hundebesitzer zu einer Chemotherapie seines Osteosarkom-Patienten durchringen kann.

Ich verstehe das völlig, weil ich damit auch meine Probleme hätte. Aber Fakten bleiben halt Fakten: Im Gegensatz zu Katzen, bei denen wegen der viel geringeren Metastasierungsneigung oft eine Amputation ausreicht, um dauerhaft das Leben des Tieres zu retten, bringt die Operation beim Hund ohne zusätzliche Chemotherapie leider so gut wie keinen Lebenszeitgewinn. Außer der Hund hat so richtig Schwein und gehört zu den wenigen, bei denen das Osteosarkom vor der Amputation doch noch nicht gestreut hat. So ein glücklicher Verlauf ist nicht nur pure Theorie. Ich habe in den vielen Jahren meiner Tätigkeit nicht nur einen Patienten erlebt, der auf diese Weise dem Tod von der Schippe gesprungen ist.

Eine grundsätzliche Anmerkung zur Chemotherapie in der Tiermedizin, die Ihnen vielleicht helfen könnte, im Fall der Fälle die richtige Entscheidung für Ihr Tier zu treffen: In der Humanmedizin ist das Ziel einer Chemotherapie nicht in allen, aber in vielen Fällen eine Heilung, also das Überleben der Krebserkrankung. Deshalb wird bei Menschen mit geradezu brutalen Dosierungen gearbeitet. Tiermedizinische Chemotherapien verstehen sich nur als lebensverlängernde, in der Regel aber nicht als heilende Maßnahmen. Deshalb kommen dabei deutlich niedrigere Dosierungen zur Anwendung, weshalb die gefürchteten Chemo-Nebenwirkungen allenfalls stark abgemildert oder erst gar nicht auftreten. Es ist deshalb grundfalsch, die Vorstellungen, die man von der Chemotherapie eines Menschen im Kopf hat, auf die Tiermedizin zu übertragen. Ich plädiere also bei allem Verständnis für Ihre Ängste und Befürchtungen durchaus dafür, bei einem Osteosarkom der Amputation oder der Limb-Sparing-OP eine Chemo folgen zu lassen.

Ich bin aber auch ganz bei Ihnen, wenn Sie sich dazu entschließen, durch eine Amputation ohne nachfolgende Chemo erstens die zunehmenden Schmerzen des Sarkoms und die Gefahr einer Spontanfraktur zu eliminieren und zweitens für Ihren Hund die (bestenfalls) zehnprozentige Chance zu wahren, dass es vielleicht doch noch nicht zu einer Ausstreuung gekommen ist.

NICHT bei Ihnen bin ich dagegen, wenn Sie nach der definitive Diagnose eines Osteosarkoms bei einem Hund noch unangemessen lange rumeiern, ohne eine Entscheidung zu treffen. Diese Tumorart ist potentiell so schmerzhaft, dass man das selbst mit schwersten Schmerzmitteln nicht sehr gut in den Griff bekommt. Außerdem kann es – wie mehrfach erwähnt – jederzeit zur Spontanfraktur kommen, was dann ein wirklich entsetzlich schmerzhaftes Ereignis darstellt, das man seinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.

Sie müssen sich also zügig zwischen drei Möglichkeiten entscheiden:

– Keine bzw. nur palliative Therapie und baldige Euthanasie

– Nur operieren (in der Regel Amputation der betroffenen Gliedmaße) und dabei akzeptieren, dass sich die wahrscheinliche Überlebenszeit des Tieres nach Wochen bis Monaten bemessen lässt.

– Operation plus anschließende Chemotherapie, womit sich – wie weiter oben erläutert – mit etwas Glück noch ein bis über zwei Jahre herausschlagen lassen.

Katzenbesitzer sind im Vergleich dazu bei allem Unglück fein raus: Hier gilt tatsächlich „Bein oder Leben!“. Nach einer zügigen Amputation haben Osteosarkom-Katzen wirklich gute Chancen auf eine normale Lebensspanne. Zudem kommen natürlich gerade Katzen mit Gliedmaßenamputationen glänzend zurecht.

Nochmal eine ganz andere Situation haben wir bei den eher seltenen Osteosarkomen der kleinen Hunderassen. Diese finden sich nämlich gern am Körperstamm, also an der Wirbelsäule, den Rippen, dem Becken oder dem Schädel. Mit einer speziellen Ausnahme haben Osteosarkome am Stamm eine ganz schlechte Prognose, weil in den meisten Fällen von vornherein keine komplette Entfernung des Primärtumors möglich ist. Diese Ausnahme stellen Osteosarkome des Unterkiefers dar. Diese lassen sich sehr gut komplett entfernen und sind wohl auch nicht ganz so metastasierungsfreudig. Sowohl Hunde als auch Katzen scheinen mit der Entfernung einer Unterkieferhälfte gut zurecht zu kommen.

Kann man einem Osteosarkom irgendwie vorbeugen? Nein! Man kann allenfalls vermeiden, diese Erfahrung durchmachen zu müssen, indem man um die besonders gefährdeten Rassen einen großen Bogen macht. Ich mag zum Beispiel Deutsche Doggen und hätte vielleicht irgendwann im Leben mal eine gehabt. Aber ein Osteosarkom-Risiko von bis zu 25 Prozent (zusätzlich zu den anderen gravierenden Problemen der Rasse) finde ich einfach nicht akzeptabel.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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