Von Johanne Bernick, Tierärztin, und Ralph Rückert, Tierarzt
Sieht man auf einem Röntgenbild an einer bestimmten Stelle gleichzeitig Osteolyse, also die Auflösung bzw. Zerstörung der physiologischen Knochenstruktur, und Osteoproliferation, also die ungeregelte, chaotische Neubildung von Knochengewebe, dann weiß man, dass man es in der Regel mit einem bösartigen Vorgang zu tun hat und dass es dem Patienten ans Leben geht.
Meist bringt man diese beiden Erscheinungen mit dem gefürchteten und prognostisch hochgradig ungünstigen Osteosarkom (Knochenkrebs) in Verbindung, von dem meist größere und schwerere Hunderassen betroffen sind. Hier aber zwei Fälle aus der Praxis mit hoffnungslos weit fortgeschrittenen Tumoren bei der Katze:
Die Bilder 1, 2 und 3 zeigen in erster Linie osteolytische, aber auch diskret osteoproliferative Erscheinungen am rechten Unterkieferast einer Katze in mittleren Jahren. Der Besitzerin war beim Streicheln eine etwa haselnussgroße Schwellung am Unterkiefer ihres Tieres aufgefallen. Bei unserer Untersuchung zeigte sich das Tier im betreffenden Bereich schmerzhaft. In Narkose konnte man feststellen, dass speziell der Eckzahn sich bewegen ließ, als ob er in Weichgummi sitzen würde. Die Röntgenbilder zeigen, dass sich die Knochenstruktur der gesamten vorderen Hälfte des Unterkieferastes komplett aufgelöst hat. Gewebeproben ergaben, dass wir es hier mit einem Plattenepithelkarzinom zu tun hatten, dem häufigsten Mundhöhlentumor bei Katzen. Plattenepithelkarzinome gehen von der Schleimhautoberfläche, häufig gut versteckt im Bereich des Zungenbändchens, aus und können (wie man hier sieht) extrem invasiv in benachbarte Gewebe und in die Tiefe wachsen. Sie metastasieren selten und spät in andere Organe, richten aber lokal derartig schnell schlimme Zerstörungen an, dass sie bei ihrer Entdeckung in der Regel nicht mehr erfolgreich behandelt werden können.
Bei einem Hund käme man bei so einem Bild sofort auf den Gedanken, den rechten Unterkieferast operativ zu entfernen (Hemimandibulektomie). Diese radikale und tatsächlich oft lebensrettende Maßnahme wird von Hunden erstaunlich gut toleriert. Im Gegensatz dazu kommen Katzen damit leider gar nicht zurecht und haben in der Folge so große und anhaltende Probleme mit der Futter- bzw. Wasseraufnahme und mit der Körperpflege, dass man bei dieser Tierart ein solches Vorgehen nicht guten Gewissens empfehlen kann. Eine Chemotherapie zeigt so gut wie keinen Effekt auf Plattenepithelkarzinome, und eine (sehr aufwändige) Bestrahlung hätte allenfalls einen minimal lebensverlängernden Effekt. Wir mussten also in diesem Fall zur baldigen Einschläferung der Katze raten.
Bild 4 zeigt den Brustkorb einer alten Katze, die ihren Besitzern durch Schmerzhaftigkeit beim Hochheben und Kurzatmigkeit aufgefallen war. Wir sehen eine weitreichende Zerstörung des Brustbeins und einen blumenkohlartig in den Brustraum wachsenden Tumor mit chaotischen Verknöcherungen, der darüber hinaus zu einem das Lungenvolumen noch weiter einschränkenden Thoraxerguss geführt hat. Allzu viel Lunge, mit der die Katze noch atmen hätte können, war nicht mehr übrig. Auch in diesem Fall konnten wir mangels sinnvoller Therapieoptionen nur die Einschläferung empfehlen. Gewebeproben haben wir bei dieser Katze nicht entnommen, so dass wir nicht sicher sagen können, ob es sich um ein Osteosarkom (Knochenkrebs) oder eventuell ein Chondrosarkom (Knorpelkrebs) gehandelt hat.
Besonders frustrierend an diesen beiden Fällen ist die Tatsache, dass die sich bei solch düsteren Aussichten natürlich sofort stellende Frage nach effektiver Vorsorge ebenfalls pessimistisch beantwortet werden muss. Das sind Tumorerkrankungen, die sehr diskret und (realistisch gesehen) unbemerkbar durch die Tierbesitzer:innen entstehen. Sobald dann Symptome auftreten, die einen Tierarztbesuch ratsam erscheinen lassen, ist es in der Regel zu spät, um da therapeutisch wirklich noch was stemmen zu können. Es kann also in solchen Fällen nur darum gehen, das Problem so früh wie möglich zu erkennen, damit man das zweifellos vorhandene, schwere Leiden des Tieres lindern bzw. durch Euthanasie verkürzen kann.
Was die möglichst frühe Erkennung angeht, sind beide Fälle Paradebeispiele für die Sinnhaltigkeit des möglichst schnellen Einsatzes radiologischer Diagnostikmethoden (Röntgen, Ultraschall, bei Bedarf auch CT und MRT) bei unklaren Krankheitssymptomen. Dies sei nur mal wieder erwähnt, weil a) von uneinsichtigen Tierbesitzer:innen gern mal öffentlich rumgemeckert wird, wenn eine Praxis routinemäßig und schnell röntgt oder schallt, und weil b) in beiden Fällen in vorbehandelnden Praxen unter Verzicht auf eine radiologische Untersuchung nur rumgeraten und entsprechend sinnlos anbehandelt wurde. Wer früh auf weitergehende Diagnostik zugreift, wird damit natürlich nicht in jedem Fall etwas Entscheidendes entdecken. Wer aber in Sorge um den Geldbeutel der Tierbesitzer darauf verzichtet, wird letztendlich nie dahinter kommen, was da genau faul ist, und – natürlich zum Schaden des kranken Tieres – unsinnige Therapiewege einschlagen. Deshalb ist die in Praxis-Bewertungen gern mal zu lesende Formulierung „Macht keine unnötigen Untersuchungen“ für den Profi ein vergiftetes Lob, bei dem eigentlich alle Alarmlichter angehen sollten, weil sich dahinter in der Regel nichts anderes verbirgt als fachliche Schlamperei.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihre Johanne Bernick, Ihr Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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