Von Ralph Rückert, Tierarzt
„In der Praxis X / in der Klinik Y haben sie gesagt, da müsste man noch nix machen!“. Ein – gern in leicht empörtem oder genervtem Tonfall vorgebrachter – Einwand, den wir öfter hören, wenn wir eine Tierbesitzerin / einen Tierbesitzer auf die Notwendigkeit einer professionellen Zahnreinigung (PZR) aufmerksam machen. Bei uns „Prophylaxe-Taliban“ löst das regelmäßig irgendwas zwischen Stirnrunzeln und Kopfschütteln aus.
Die vier Fotos zeigen Zahnsteinansatz unterschiedlichen Schweregrades beim Hund, von ziemlich wenig bis schrecklich viel. Alle diese Stadien sind nach unserer Ansicht definitiv behandlungsbedürftig. Eine Prophylaxe im Sinne einer vorbeugenden Maßnahme, die verhindern soll, dass Krankheiten der Zähne oder des Zahnhalteapparates überhaupt erst entstehen, ist aber nur in Fällen von leichtem Zahnsteinansatz möglich (Foto 1, allenfalls noch Foto 2). Bei fortgeschrittenem Zahnsteinansatz (Bild 3 und 4) findet sich meist schon eine mehr oder weniger starke Parodontitis, sprich: Es ist bereits ein nicht mehr rückgängig zu machender Schaden am Zahnhalteapparat entstanden, der bestenfalls aufgehalten werden kann, oder gar (Bild 4) schon ein so verheerender Zustand erreicht, dass Zahnverluste nicht mehr zu vermeiden sind.
Ja, zugegeben: Wir haben beim Thema Zähne entschieden strengere Maßstäbe als viele Kolleginnen und Kollegen, und zwar, weil sich das nach (nicht nur) unseren Erfahrungen für die Tiere langfristig ganz gewaltig auszahlt. TierbesitzerInnen, die unsere Ratschläge zur Prophylaxe von Erkrankungen des Zahnhalteapparats annehmen, verschaffen ihrem Tier damit zweifellos große Vorteile. Die Schäden, die unbehandelter Zahnsteinansatz anrichtet, beschränken sich nämlich keineswegs nur auf die Mundhöhle.
In der Humanzahnmedizin gibt es die Aussage, dass der regelmäßige Gebrauch von Zahnseide bis zu fünf zusätzliche Lebensjahre einbringen kann. Bei aller Überspitzung kommt das natürlich nicht von ungefähr. Aufmerksame TierbesitzerInnen bemerken ja häufig, dass selbst rein optisch noch wenig auffälliger Zahnstein zu ziemlich üblem Maulgeruch führen kann. Das liegt daran, dass in Plaque und Zahnstein dauerhaft Milliarden von Bakterien leben, deren Stoffwechselprodukte nicht nur schlecht riechen, sondern die permanent über den Zahnfleischrand in den Körper eindringen, das Immunsystem unter massiven Druck setzen und diverse Organe (Herz, Nieren, Gefäßsystem) schädigen können. Wie enorm weit dieser negative Einfluss gehen kann, zeigen beispielhaft brandaktuelle Studien aus der Humanmedizin, die nahelegen, dass es wohl einen Zusammenhang zwischen Parodontitis und der Entstehung von Morbus Alzheimer gibt.
Wir Menschen und unsere Haustiere Hund und Katze werden inzwischen dank verschiedener Umstände (Ernährung, Hygiene, medizinische Versorgung) etwa doppelt so alt wie von Mutter Natur eigentlich vorgesehen. Auch die Zähne und der Zahnhalteapparat haben eine deutlich geringere „Mindesthaltbarkeit“ als unsere aktuelle Lebenserwartung. Dementsprechend mehr Aufwand müssen wir in Prophylaxe-Maßnahmen investieren, wenn wir unsere Kauwerkzeuge möglichst lang gesund und funktionsfähig erhalten wollen.
Ganz oben auf der Liste dieser Maßnahmen steht das regelmäßige Putzen der Zähne. Wir Menschen machen das (hoffentlich!) sehr fleißig. Bei Hunden ist das aber ebenfalls sehr ratsam und in den allermeisten Fällen gut machbar. Bei Katzen ist es deutlich schwieriger, aber bei entsprechendem Einsatz öfter möglich, als man denken würde.
Der durchschnittliche Zustand des Zahnhalteapparates über die Jahre ist bei Zähnen, die geputzt werden, zu jedem Zeitpunkt besser als bei Zähnen, die einer angeblichen und meist halt doch nicht so gut funktionierenden „Selbstreinigung“ überlassen werden. Selbst bei sich natürlicherweise barfenden Wölfen sieht man auf Nahaufnahmen von über 5jährigen Exemplaren meist keinen wirklich befriedigenden Zahnzustand. Allerdings werden diese Wölfe im Gegensatz zu unseren Haushunden durchschnittlich nur sieben Jahre alt. Dafür reicht es meist auch ohne Zähneputzen.
In mehr oder weniger regelmäßigen und nicht zuletzt von individuellen Voraussetzungen abhängigen Intervallen werden auf jeden Fall professionelle Zahnreinigungen durch den Tierarzt – natürlich unter Anästhesie – notwendig. Sorgfältiges Zähneputzen verlängert diese Intervalle natürlich ganz beträchtlich. Sehen wir den Hund oder die Katze regelmäßig für Check-Ups, sagen wir Ihnen selbstverständlich, wenn wir eine PZR für erforderlich halten. Da wir – wie weiter oben schon angesprochen – dabei sehr strenge Maßstäbe anlegen und lieber einen Tick zu früh als zu spät rangehen, kommt es immer wieder vor, dass TierbesitzerInnen unseren Rat ablehnen, auch und gerade, wenn ihnen eine Kollegin oder ein Kollege (leider oft mit eher wenig Ahnung von Zähnen) erzählt hat, dass „man da noch nix machen müsse“.
Wir geben unsere diesbezüglichen Ratschläge nach bestem Wissen und Gewissen, auf der Basis unserer nicht unbeträchtlichen Erfahrungen mit Zahngesundheit und Prophylaxe bei Hund und Katze. Die Kundin / der Kunde muss dann halt in so einem Fall selber entscheiden, welcher der sich widersprechenden Aussagen sie / er mehr Vertrauen schenkt. Wie gesagt: Echte Prophylaxe bedeutet ein Einschreiten, BEVOR nicht wieder gut zu machende Schäden entstehen, und bei Parodontitis beginnen diese Schäden sehr diskret und für die Besitzer meist völlig unbemerkt!
Wie sagt Olaf Schubert immer, perfekt zu diesem Thema passend: „Jetzt wisst ihr Bescheid. Macht was draus, was ist eure Sache, ich kann mich ja nicht um alles kümmern.“
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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