Massentierhaltung

Massentierhaltung, Antibiotika und Volksverdummung

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Der enorme Erfolg der Unterschriften-Kampagne des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte (BPT) gegen ein weitreichendes, völlig überzogenes und wissenschaftlich nicht begründbares Verbot wichtiger Antibiotika-Klassen in der Tiermedizin hat inzwischen eine intensive Diskussion auf allen Ebenen und auch ein deutliches Medienecho ausgelöst. Damit ist ein wichtiges Ziel der Kampagne erreicht, weil nun die Öffentlichkeit und die sehr große Wählergruppe der Tierbesitzer:innen den weiteren Verlauf der Angelegenheit und das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament genau im Auge behalten werden.

Zur Verteidigung des Vorstoßes von Martin Häusling (Grüne) und natürlich zur Diskreditierung der Diskussionsgegner:innen wird gern und häufig das „Argument“ angeführt, dass man, wenn man das Veto ablehnt, automatisch die Massentierhaltung und die Anwendung von Antibiotika bei lebensmittelliefernden Tieren befürworten würde. Ein besonders übles Beispiel für diese Argumentations- bzw. Diffamierungstechnik stellt das Facebook-Posting der Fernsehköchin und österreichischen Europaabgeordneten Sarah Wiener (Grüne) dar:

„Die Desinformationskampagne von dt. Tierärzten dient anscheinend mehr dem eigenen finanziellen Wohlergehen und nicht den Tieren in der Massentierhaltung. „Einfach“ bessere Haltungsbedingungen ermöglichen, dann brauchts weniger Medikamente. Eure Sarah“

Eine Parteigenossin von Häusling und Wiener hat in einer berufsinternen Diskussion dieses Postings fest darauf bestanden, dass kein Wort daran irgendwie spontan oder unüberlegt wäre, diese zwei Sätze also wohl formuliert und genau so gemeint wären. Sehen wir uns das doch unter diesem Aspekt mal genauer an:

Bereits mit dem zweiten Wort wird die Unterschriften-Aktion des Bundesverbandes, in der die (angesichts des Last-Minute-Vorstoßes von Häusling durchaus berechtigten) Sorgen und Ängste der deutschen und europäischen Tierärzteschaft zum Ausdruck kommen, als Desinformationskampagne disqualifiziert und kurzerhand vom Tisch gewischt. Kein Fünkchen Einsicht, kein Gedanke, dass vielleicht die geradezu katastrophal insuffiziente Kommunikationspolitik von Häusling ganz entscheidend dazu beigetragen hat, dass sein Vorhaben von so vielen Menschen und Organisationen (angeblich!) völlig missverstanden wird, wie er ja jetzt behauptet. Als Schuldige für diese Desinformationskampagne werden „dt. Tierärzte“ ausgemacht, denen das „eigene finanzielle Wohlergehen“ wichtiger wäre als das der Tiere in Massentierhaltung. Als einer der Unterstützer der Aktion und als deutscher Tierarzt muss ich mich von diesem Vorwurf wohl angesprochen fühlen, offenbar im Gegensatz zu den vielen deutschen Tierärztinnen, die ebenfalls hinter der Kampagne stehen, aber von Frau Wiener seltsamerweise nicht erwähnt werden. Lassen Sie mich also antworten:

Frau Wiener, ich bin Kleintierpraktiker! Ich kämpfe nicht für „Antibiotika in der Massentierhaltung“, sondern in erster Linie dafür, dass mir nicht immens wichtige Handwerkszeuge meiner ärztlichen Kunst ersatzlos gestrichen werden, also dafür, dass ich nicht machtlos vor komplizierten bakteriellen Infektionen der mir anvertrauten Patienten stehen muss. Angesichts von Häuslings Vetopapier komme ich mir vor wie ein Zimmermann, der erfährt, dass Hammer und Axt in Zukunft für ALLE verboten werden sollen, weil diese Werkzeuge nicht selten auch für Mord und Totschlag missbraucht werden. Der mit allen möglichen zuständigen Organisationen inklusive der WHO (!) und der EMA (!) abgestimmte Entwurf, der von Häusling im Ausschuss zu Fall gebracht wurde, war wissenschaftlich sehr gut begründet, hätte die weltweit strengste Regulation der Antibiotika-Anwendung in der Tiermedizin bedeutet, aber gleichzeitig die Belange der Tiermedizin ausreichend berücksichtigt. Es ist also keineswegs so, dass wir Tiermediziner:innen nicht für restriktive Ansätze zu haben wären. Dies zeigt sich ja schon allein daran, dass wir den Antibiotika-Verbrauch im Nutztierbereich in den letzten Jahren um 60 Prozent reduziert haben, während in der ständig mit dem Finger auf uns zeigenden Humanmedizin, wo durch verantwortungslosen Umgang mit Antibiotika ca. 95 Prozent der medizinisch relevanten und gefährlichen Resistenzen „gezüchtet“ werden, so ziemlich gar nix passiert ist. Weiterhin ist es beileibe nicht so, dass mir als Kleintierpraktiker die Tiere in Massenhaltung irgendwie völlig egal wären. Ich verstehe von Nutztiermedizin nach über 30 Jahren Kleintierpraxis nicht mehr allzu viel, glaube aber den Aussagen vieler Kolleginnen und Kollegen aus diesem Bereich, dass der Häusling-Vorstoß auch und speziell dort zu schlimmstem Leiden führen würde, weil bestimmte und recht häufige Krankheitsbilder nicht mehr adäquat behandelbar wären. Wem genau liegt da also nichts am Wohlergehen der Tiere in Massenhaltung?

So, und dann belehrt uns Frau Wiener mit ihrer Expertise als – äh, als was eigentlich? – dass wir (also die Tierärzt:innen) einfach bessere Haltungsbedingungen ermöglichen sollten, weil es dann weniger Medikamente brauchen würde. Das Wörtchen „einfach“ hat sie in Anführungszeichen gesetzt. Was will sie damit wohl ausdrücken? Dass ihr bewusst ist, dass es so einfach nicht ist? Das wäre ja schon was! Nun, wie auch immer: Die Aussage kommt geradewegs so rüber, als ob wir Tierärzt:innen es in der Hand hätten, wie die Haltungsbedingungen in der Massentierhaltung sich gestalten, als ob es an uns läge, dass diese Bedingungen so sind wie sie sind. Dieser Schuss geht so weit am Ziel vorbei, dass man nicht mal mehr sehen kann, wo er am Ende aufschlägt!

Mal ein paar Worte zum Thema „Massentierhaltung“ und ihren wirklichen Ursachen: „Das Volk“ will seinen Aufschnitt aus der Zellophanverpackung, sein tägliches Billigschnitzel und seinen Fabrik-Fleischsalat aus dem Container. Wie wir wissen, wird ein Massenbedürfnis immer und unter allen Umständen befriedigt, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Dieses Bedürfnis kann aber nun mal nur über industrialisierte Tierhaltung befriedigt werden. Das ist die traurige, aber einfache Wahrheit. Massentierhaltung mit ihren unappetitlichen Aspekten wird immer auch mit erhöhtem Medikamentenverbrauch einhergehen. Will ich dagegen was unternehmen, muss ich erstens „das Volk“ irgendwie davon überzeugen, dass es auf diese alltägliche Fleischfresserei gefälligst verzichten soll, und muss zweitens durch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen bezüglich Bestandsgröße und Haltungsformen die Massentierhaltung direkt regulieren. Hier den vermeintlich schlauen, in Wirklichkeit aber barbarisch tierquälerischen Umweg über ein radikales Antibiotika-Verbot zu wählen, ist tierschutzethisch nicht nur gegenüber den eventuell mitbetroffenen Hobbytieren, sondern auch gegenüber der eigentlichen Zielgruppe, den Nutztieren, absolut indiskutabel. Die werden nun mal – wie alle Lebewesen – gelegentlich krank und müssen dann korrekt behandelt werden können. Ein Tier kann rein gar nichts dafür, in welcher Haltungsform es lebt.

Ich kann das ständige scheinheilige Gedöns von Politiker:innen und einer Verbrauchermasse, die sich immer erst NACH dem großen Fressen Gedanken über Tierschutz und Massentierhaltung machen, echt nicht mehr hören! Auf der einen Seite pro Kopf (inklusive Säuglingen und zahnlosen Senior:innen) über 70 kg Fleisch und damit fast das eigene Körpergewicht pro Jahr verbrauchen und gleichzeitig natürlich „voll engagiert“ gegen die Massentierhaltung und den aus ihr zwangsläufig resultierenden Medikamentenverbrauch zu protestieren, ist sowas von schizophren, dass einem echt schlecht werden kann! Speziell Sie (ja, Sie, die Sie gerade einen nicht zielführenden Kommentar schreiben wollen!) werden mir jetzt natürlich gleich erzählen, dass Sie wahlweise Veganerin sind oder aber Ihre 100 Gramm Fleisch pro Jahr nur beim Biobauern um die Ecke kaufen. Den Wahrheitsgehalt solcher wohlfeiler Behauptungen kann und will ich gar nicht überprüfen. Fakt ist: „Das Volk“ stopft Fleisch in einer Menge in sich rein, die fast nicht mehr vorstellbar ist, möchte aber, dass dieses Fleisch gleichzeitig spottbillig ist UND von ausschließlich auf lauschigen Hochalmen gehaltenen Rindern und frei in Eichenwäldern herumlaufenden Schweinen stammt, die idealerweise nicht industriell geschlachtet, sondern irgendwie zum natürlichen Ableben ohne menschliches Zutun überredet werden. Völlig behämmert!

Fakt ist auch, dass wir im Leben nicht so viel Fleisch in Biobetrieben oder sonstigen in den Himmel gehobenen Haltungsformen produzieren können, um auch nur ein Viertel des aktuellen Fleischkonsums der Deutschen zu decken. Diese Fakten müsste man – auch und gerade als Grüne – erst mal wirklich anerkennen, bevor man auf weitgehend Unschuldige wie uns Tierärzt:innen einprügelt und den ganz sicher völlig Unschuldigen, nämlich den Tieren, in heiligem Eifer ihre benötigten Medikamente verweigert. Wenn wir das mal alles einordnen wollen, dann steht an erster Stelle das Bedürfnis der Bevölkerung nach viel billigem Fleisch und anderen Produkten tierischer Herkunft, dann kommt die Bedürfnisbefriedigung durch (nach wie vor politisch/gesetzlich zu wenig regulierte) Haltungsformen entsprechender Leistungsfähigkeit, dann kommen durch diese industrialisierten Haltungsformen bedingte bzw. verstärkte Krankheitsbilder und erst dann kommen wir Tierärzt:innen ins Spiel, die wir diese den Gewinn schmälernden Krankheiten unter Kontrolle halten sollen. Dass sich dabei manche von uns geschickt, halblegal oder illegal bereichert haben bzw. das immer noch tun, sei ja unbestritten. Schwarze Schafe wird es immer und in jedem Berufsstand geben. Ich weigere mich aber, mich dafür von Leuten mit viel Meinung und wenig Ahnung in die Pfanne hauen zu lassen.

Erkennt man aber diese Fakten als Politiker:in an, müsste man sich bezüglich Veränderungen in der Massentierhaltung als erstes mit zwei Kräften anlegen, vor denen einem natürlich der Arsch so richtig auf Grundeis geht, wenn man denn je gewählt oder wiedergewählt werden will: Der mächtigen Agrarlobby und dem Wahlvolk an sich, das nun mal nach wie vor zu weit über 90 Prozent aus Fleischkonsument:innen besteht. Selbst unter Grünen-Wähler:innen muss es rein statistisch so viele Fleischesser:innen geben, dass auch deren Bedarf ganz sicher nicht nur von Biobetrieben zu bedienen ist. Ein sehr guter Weg, möglichst viele Wähler:innen gleichzeitig zu verärgern, wäre eine – bei Verzicht auf industrialisierte Massentierhaltung unvermeidbare – drastische Verteuerung oder Verknappung von Fleisch und Fleischprodukten. Deshalb traut man sich halt politisch nicht so richtig ran an die eigentliche Wurzel des Übels. Lieber drischt man auf uns Tierärzt:innen ein, will uns unverzichtbare Instrumente zur Vermeidung unnötigen Tierleids aus der Hand schlagen und meint, uns ins Stammbuch schreiben zu können, dass wir uns gefälligst um „bessere Haltungsbedingungen“ zu bemühen hätten, weil es dann „weniger Medikamente braucht“. Gehts eigentlich noch? Macht doch erst mal Eure Hausaufgaben und geht das Problem gefälligst da an, wo es entsteht und von wo es ständig weiter erhalten wird. WIR haben das gelernt: Ohne zutreffende Diagnose gibt es keine ursächliche Therapie, sondern nur Pfusch!

„Das Volk“ davon überzeugen, dass der Verzehr derartiger Mengen von Fleisch echt Scheiße ist? Euer verdammter Job! „Dem Volk“ mal ehrlich vor Augen halten, dass ein derartig hoher Bedarf an Fleisch nur durch Massentierhaltung zu bedienen ist und Forderungen nach einem „Verbot der Massentierhaltung“ unter diesen Umständen einfach nicht mehr sind als dummes Geschwätz? Euer verdammter Job! „Massentierhaltung“ erst mal genau definieren und dann durch Regelungen zu Bestandsgrößen, Flächen und Haltungsbedingungen eingrenzen? Euer verdammter Job! Mit den politischen Folgen fertig werden, wenn Klara und Otto Normalverbraucher sich den täglichen Aufschnitt und das tägliche Schnitzel nicht mehr leisten können? Auch Euer verdammter Job! Das alles – gesellschaftliche Akzeptanz eines deutlich verringerten Fleischkonsums und viel höherer Preise für Produkte tierischer Herkunft, kleinere und damit im Krankheitsfall besser behandelbare Tierhaltungseinheiten, eine völlig veränderte Subventionspolitik – muss erst mal erreicht worden sein, BEVOR man hergeht und uns Tierärzt:innen unverzichtbare Medikamente unter blindwütiger Inkaufnahme von Tierleid wegnimmt! Sind diese auch in meinen Augen wünschenswerten Ziele erst mal erreicht, sinkt (psst, Insider-Info!) nämlich der Antibiotikaeinsatz von ganz allein.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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