Maligne Kunden und was sie anrichten (Teil 3): Am Wendepunkt

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Wenn Sie als normaler, sich allzeit zivilisiert verhaltender Mensch und Tierbesitzer den ersten und zweiten Teil dieser Serie gelesen haben, werden Sie sich vielleicht denken: Unglaublich, was die so aushalten müssen, die Tierärztinnen und Tierärzte! Aber inwiefern soll solches Fehlverhalten mancher Leute das ganze System Tiermedizin beeinflussen, und damit auch mir, dem sich korrekt verhaltenden Kunden schaden?

Ich bin der Überzeugung, dass wir uns in der Tiermedizin mit großer Geschwindigkeit dem titelgebenden Wendepunkt nähern, ihn teilweise vielleicht sogar schon erreicht haben, an dem der jahrzehntelang als gegeben angenommene Käufermarkt Tiermedizin in einen Verkäufermarkt umschlägt, sprich: Der Kunde, der Tierbesitzer kann nicht länger die Bedingungen diktieren, unter denen tiermedizinische Leistungen erbracht werden. Bösartiges, toxisches Verhalten von gewissen Kunden ist zwar nur einer der vielen Faktoren, die diese Entwicklung antreiben, aber ein ganz wesentlicher.

Fast mein ganzes Leben als Tierarzt war es ja so, dass sich zu viele Kolleginnen und Kollegen in zu vielen Praxen und Kliniken um zu wenige Kunden geprügelt haben. Die unter diesen Umständen durchaus wirksame Drohung „Wenn du nicht so tust, wie ich will, hast du mich zum letzten Mal gesehen!“, das sogenannte Abstimmen mit den Füßen, stand in diesen Jahrzehnten irgendwie immer im Raum. Dementsprechend mussten die Baby-Boomer-Tierärzte sehr, sehr viele Kröten schlucken, wenn sie beruflich überleben bzw. gar erfolgreich sein wollten. Man hat sich allzeit erreichbar gemacht, auch nachts und am Wochenende. Man hat tiermedizinische Leistungen nicht nach ihrem wirklichen wirtschaftlichen Wert berechnet, sondern immer mit dem Blick auf die Preise der konkurrierenden Praxen, und hat das zwangsläufig entstehende Dauer-Defizit durch definitiv ausbeuterische Niedriglöhne für Tiermedizinische Fachangestellte und angestellte TiermedizinerInnen, durch ein System besserer Sklavenarbeit, irgendwie auf Kante genäht ausgeglichen.

Und man hat bösartiges Kundenverhalten, wie es in diesen Artikeln Thema ist, viel zu häufig zähneknirschend hingenommen und sich seiner mentalen Härte und Resilienz gerühmt, um das vor sich selbst zu rechtfertigen. Kurz gesagt: Der Kunde war all diese Jahre wirklich König! Sei bloß so richtig billig, ganz nah an kostenlos, denn es muss dir ja ums Tier gehen, nicht um die Kohle! Sei allzeit perfekt, denn (eigentlich unvermeidliche und oft sogar wichtige) Fehldiagnosen sind dem Tierarzt auf gar keinen Fall erlaubt, wenn er nicht öffentlich-virtuell hingerichtet werden will. Sei allzeit cool, zuvorkommend und höflich und pudere noch dem größten, übergriffigen Kotzbrocken den Arsch, denn sonst könnte dieser Kotzbrocken doch tatsächlich sein Geld woanders hintragen.

Das Resultat: Fast jede(r) von uns kennt eine Kollegin oder einen Kollegen, die / der sich das Leben genommen hat, und wirklich jede(r) hat in seinem Umfeld Burnouts bzw. schwere klinische Depressionen mitbekommen oder gar selber durchgemacht. Über zwei besonders tragische Fälle – Sophia Yin, die wahrscheinlich in aller Stille an ihren perfektionistischen Ansprüchen an sich selbst verzweifelt ist, und Shirley Koshi, die aus nichtigstem Anlass von einem bösartigen Internet-Mob buchstäblich ruiniert und zu Tode gehetzt wurde – habe ich ja schon 2014 einen Artikel geschrieben. Sophias Tod war übrigens der Anlass für die Gründung der Not-One-More-Vet-Initiative, die sich der Prävention dieser fatalen „Berufskrankheit“ verschrieben hat. Um es ganz offen anzusprechen: Auch ich, der von außen gesehen so resiliente Baby-Boomer-Tierarzt, habe etwa in der Mitte meiner Laufbahn einen depressiven Burnout er- und überlebt.

Und jetzt – viel schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte – ist Schluss damit. Wir haben in der Tiermedizin einen immer schlimmer werdenden Fachkräftemangel, sowohl was Tiermedizinische Fachangestellte (TFAs) als auch was den Nachwuchs an praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten angeht. Die jungen Leute sind sich dieser Tatsache und ihres Wertes für das System durchaus zunehmend bewusst und haben dementsprechend nicht die geringste Lust, sich einerseits unter Wert zu verkaufen und sich andererseits irgendwas von toxischen Kunden gefallen zu lassen.

Das im zweiten Teil der Serie dargestellte bösartige Verhalten mancher (und leider gefühlt mehr werdender!) Tierbesitzer trägt einen erklecklichen Anteil zur Desillusionierung der Nachfolgergeneration bei. Erinnern wir uns an diese zwei Zitate aus dem letzten Artikel, die eine Art innere Abkehr von fast allen oben dargestellten Wertigkeiten meiner Generation zum Ausdruck bringen:

„Ich war mal eine empathische junge Frau, die gerne beruflich wie privat geholfen hat … nach 15 Jahren Tierarzt habe ich eine exzellente Rechtsschutzversicherung, keinen Not- oder WE-Dienst mehr, es wird jede Kleinigkeit voll abgerechnet, alles muss unterschrieben werden etc. Bei uns gibt es zu wenig Tierärzte, die Klinik ums Eck hat den Klinikstatus abgegeben, d.h. es gibt keinen Nachtdienst mehr, sie müssen in der Nacht in die Stadt fahren. Wenn wer über Preise mault, kann er ja gehen. Wenn ich mitbekomme, dass wer im Internet schimpft, wird er verklagt.“

„Ich finde eine gewisse (gesunde) Ernüchterung und Distanziertheit beschreibt es ganz gut. Ich bin normalerweise sehr empathisch und schaue da bei Euthanasie oder Beratungen bei schwierigeren Entscheidungen nicht auf die Uhr, das hat sich definitiv verändert. Ich arbeite nicht mehr, wenn ich krank bin, ich gehe, wenn ich mir was fix vorgenommen hab. Sprich, ich würde eben nicht mehr alles für den Beruf tun oder stehen und liegen lassen. Ich spreche Geld nun immer direkt und sofort an, und dann auch eher den ausgedehnten Rahmen, sowie die Zahlungsmodalitäten, was schon manchen aufstößt. Ich spreche mehr über Komplikationen. Und ich bin wesentlich zurückhaltender geworden, was persönliche Äußerungen und Nähe zu Patienten betrifft. Viele wollen Empathie und Nettigkeit und persönliche Einfärbung, wenn aber was nicht läuft wie erwartet (v.a. finanziell), dann isses vorbei mit der Freundlichkeit. Man könnte also sagen, ich habe das Herzblut zurückgeschraubt und lasse mich nicht mehr zu sehr persönlich auf jeden Patienten ein. Nicht immer, man hat ja auch einfach tolle Kunden, aber deutlich weniger als noch vor 10 Jahren. Is schade, aber ich will mich nicht ständig angreifbar machen.“

Die beiden zitierten Kolleginnen sind ja schon jeweils ein Jahrzehnt oder länger im Geschäft. Sie haben diese Änderung der inneren Einstellung sozusagen durchlitten. Die aktuelle Nachfolgergeneration wächst gleich von vornherein in diese Einstellung rein und ist zu Kompromissen erst gar nicht mehr bereit. Nix mehr mit ständig erreichbar, nix mehr mit billig und gleich dreimal nix mehr mit coolem, höflichen Zähnezusammenbeißen bei Übergriffigkeit oder Respekt- bzw. Distanzlosigkeit von Kunden. Und die Marktentwicklung gibt den jungen Leuten völlig Recht. Innerhalb weniger Jahre werden viele kleine, wenig gewinnträchtige und für eine Übernahme unattraktive Praxen einfach aus Altersgründen und ersatzlos zumachen müssen, weil sich keine NachfolgerInnen finden lassen. Die Tierkliniken werden eine nach der anderen ihren Klinikstatus und die damit einhergehende Verpflichtung zum 24/7-Dienst aufgeben. Die, die noch durchhalten, schnappen schon jetzt jede Nacht und jedes Wochenende nach Luft, weil sie mit Notfällen überflutet werden. Und – ganz großer Knackpunkt! – viele reine Frauenpraxen werden (mit Fug und Recht!) dagegen aufbegehren, sich im Notdienst irgendwelchen körperlichen Gefahren aussetzen zu müssen. Letztes Jahr hatten wir hier im lokalen Notdienstring schon unsere liebe Mühe, zwei Kolleginnen nach einem sehr unangenehmen Zwischenfall inklusive Polizeieinsatz in ihrer Praxis zum Weitermachen zu überreden. Ich denke, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Kolleginnen sich aufgrund der Gefährdungslage auf dem Rechtsweg gegen die Zwangsteilnahme am Notdienst wehren werden, und das in meinen Augen mit sehr guten Erfolgsaussichten. Was das für die Versorgungssituation von Notfällen bedeuten würde, können Sie sich ja sicher selber ausmalen.

Sprich: Notdienstleistungen werden unweigerlich zum extrem knappen Gut, für das man vielerorts weit fahren und sehr viel bezahlen müssen wird. Aber selbst im Normalbetrieb, zu den ganz normalen Sprechzeiten, stellen gerade die etwas größeren und fachlich gut aufgestellten Praxen und Kliniken schon jetzt fest, dass sie an manchen Tagen kaum mehr nachkommen, weil die kleinen inhabergeführten Ein-Frau-oder-Mann-Praxen zunehmend die Bereitschaft verlieren, sich physisch und psychisch zu ruinieren, indem sie jeden Termin annehmen und arbeiten wie die Ochsen. Es ist ja eine ganz einfache Rechnung: Wenn meine Generation noch 60- bis 80-Stunden-Wochen für den Normalfall gehalten hat, die jüngeren Kolleginnen und Kollegen von heute aber bei 40 Stunden eine klare Grenze setzen, die zu überschreiten sie nicht bereit sind, dann fehlen selbst bei gleichbleibender Zahl von Tieren und Erkrankungsfällen plötzlich 30 bis 50 Prozent der vorher geleisteten Arbeitsstunden.

Dazu kommt ein weiterer und echt dramatischer Effekt: Wie massiv negativ sich toxisches Kundenverhalten auswirken kann, bekommt man frühestens im Studium mit, wenn man allmählich in die tiermedizinische Gemeinschaft aufgenommen und zum Insider wird. Die im zweiten Teil der Serie geschilderten Dinge sind in keiner Berufsbildinformation und in keiner Studienberatung Thema. Je weiter man aber während des Studiums in diese Welt reinwächst, desto mehr Angst machen die Geschichten, die man dann zu hören bekommt, wie wir aus dem Zitat der Studentin im ersten Teil herauslesen können. Und wie wirkt sich das aus? Offenbar bringen zwar die meisten das Studium zu Ende – wäre ja auch schade um die Mühe, die man dafür aufgewendet hat – beantragen dann aber erst gar keine Approbation (staatliche Zulassung) als Tierärztin oder Tierarzt. Angeblich inzwischen mehr als 50 Prozent dieser für viel Geld fertig ausgebildeten jungen Leute verschwinden also unmittelbar nach dem Studium in einem schwarzen Loch und stehen dem Arbeitsmarkt zu keinem Zeitpunkt als praktizierende TiermedizinerInnen zur Verfügung.

Der über Jahrzehnte stagnierende Markt schrumpft sich sozusagen von der Anbieterseite her (wirtschaftlich) gesund, zum klaren Vorteil der überlebenden Praxen und Kliniken, die nicht mehr wie zuvor um jeden Kunden kämpfen müssen, dementsprechend auch deutlich höhere Behandlungsgebühren durchsetzen können und unausstehliches Fehlverhalten von Kunden nicht mehr stillschweigend tolerieren werden.

Es ist mir völlig klar und auch durchaus verständlich, dass dieser doch recht schnell verlaufende Prozess aus Ihrer Sicht als TierbesitzerInnen schon jetzt deutlich ins Ungesunde umschlägt. Noch vor ein paar wenigen Jahren konnte man sich buchstäblich aussuchen, wen man mitten in der Nacht mit seinem Notfall beglückt, und jetzt muss man fast drum betteln, dass man irgendwo angenommen wird, und sei es mehr als eine Stunde Fahrzeit entfernt. Und wenn man dort angekommen ist, wird man auch noch so richtig schmerzhaft zur Kasse gebeten, nach dem Motto: „Friss, Vogel, oder geh aus dem Weg, denn hinter dir warten noch zwanzig andere, die meine Hilfe brauchen!“. Es tut mir leid, aber ich schildere hier eine Umwälzung, die von Faktoren angetrieben wird, die weder ich noch Sie ändern können. Please, dont kill the messenger!

Leben ist Veränderung und Anpassung, oft genug in einem herausfordernden Ausmaß. Sie als TierbesitzerInnen werden genau so drastisch umdenken müssen wie wir TiermedizinerInnen. Ich kann und will niemandem Verhaltensanweisungen erteilen, ich kann Ihnen nur Ratschläge geben, die ich für gut und richtig halte. Was Sie damit machen, ist natürlich Ihre Sache. Auch bin ich mir sicher, dass ich bei der überwiegenden Mehrheit meiner LeserInnen mit diesen Ratschlägen allemal offene Türen einrenne, weil sie sich allzeit korrekt und ohne Böswilligkeit durchs Leben bewegen.

Bitte bilden Sie im Sinne eines Aufstandes der Anständigen eine Art Gegengift zu den ganzen üblen Ereignissen, wie ich sie in Teil 2 anhand von Zitaten aus dem Kollegenkreis geschildert habe. Seien Sie sicher: Wir hören es sehr wohl und es tut uns sehr gut, wenn sich jemand einfach nur bei uns bedankt. Wenn Ihnen gefallen hat, was eine Praxis oder Klinik für Sie und Ihr Tier geleistet hat, dann verteilen Sie doch bitte auch mal 5 Sterne auf Google oder wo auch immer. Auch das tut uns sehr gut, denn wir wissen leider, dass ein unzufriedener oder böswilliger Kunde ein etwa fünfmal höheres Mitteilungsbedürfnis entwickelt als ein zufriedener. Schöner Effekt für Sie: Mit so eigentlich ganz einfachen Sachen machen Sie sich automatisch zum 5-Sterne-Kunden, für den man sich halt im Fall der Fälle eher ein Bein ausreißt als für einen, der nur rummuffelt oder sich ständig unkooperativ oder gar giftig verhält.

Wenn Ihnen was nicht gefallen hat, dann reden Sie mit Ihrem Gegenüber wie ein erwachsener Mensch, statt wie ein Trotzkind öffentlich um sich zu schlagen. Oder, wenn es einfach nicht passt, was vorkommen kann und darf, suchen Sie sich einfach ohne großes Getöse eine andere Praxis, die Ihre Anforderungen besser erfüllt. Damit hat niemand auch nur das geringste Problem. Viele TierbesitzerInnen haben den Schuss in dem Sinne noch nicht gehört, als dass eben die früher so gut funktionierende Drohung „…sonst muss ich mir eine neue Praxis suchen!“ speziell bei den guten und viel frequentierten Praxen und Kliniken aus den oben erläuterten Gründen schon lange keinen eisigen Schrecken mehr verursacht. Ganz im Gegenteil wird es immer mehr Usus, dass selbstbewusste InhaberInnen moderner Prägung eine Kundenbeziehung von sich aus und ganz schnell beenden, wenn sie das Gefühl haben, dass man einfach nicht kompatibel ist oder man es dem Kunden so oder so nicht recht machen kann.

Setzen Sie sich nicht selbst ohne Not auf die Blacklist einer Praxis oder Klinik! Sie könnten es irgendwann bitter bereuen. Ja, natürlich gibt es praxis- oder klinikinterne schwarze Listen, auf denen man als TierbesitzerIn unweigerlich landet, wenn man sich unausstehlich verhält. Solche Leute bekommen in der jeweiligen Einrichtung halt einfach nie wieder einen Termin, egal wegen was. Es gibt durchaus Leute, die inzwischen ziemlich weit fahren müssen, weil sie an ihrem Wohnort alle Praxen „verbrannt“ haben und keiner mehr was mit ihnen zu tun haben will. Die Tierbesitzer, um deren Verhalten es im Teil 1 ging, können natürlich nie wieder in der Praxis auftauchen, gegen die sie einen Shitstorm angezettelt haben. Und wie weiter oben erläutert: Die Auswahl wird in den nächsten Jahren deutlich weniger werden, besonders in Notfällen oder irgendwo auf dem platten Land. Mit einer gewissen und regional unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit kann der Tag kommen, an dem man dringend auf die Einsatzbereitschaft und den Goodwill einer Praxis oder Klinik angewiesen ist, der man Jahre zuvor so richtig vors Schienbein getreten hat. Ich gestehe wirklich jedem das Recht zu, mal mit einer erbrachten Leistung unzufrieden zu sein. Passiert uns allen ja recht häufig und in den verschiedensten Lebensbereichen. Das ist aber – im Gegensatz zu dem, wie sich heutzutage so einige verhalten – kein triftiger Grund, gleich blindwütig alle Brücken hinter sich abzubrennen.

Bitte machen Sie sich vor dem Griff zum Telefonhörer Gedanken, was ein tiermedizinischer Notfall ist und was ganz sicher nicht! Wie oft lese ich in Tierhaltergruppen nachts oder am Wochenende: „Wer weiß, welche Praxis oder Klinik jetzt gerade auf hat? Ich brauche ganz dringend ein Flohmittel / eine Entwurmung / eine versäumte Nachimpfung!“. Ich garantiere: Wer auch immer wegen sowas auch nur im Notdienst anruft (und das kommt viel öfter vor, als Sie denken würden), stempelt sich selbst sofort und für immer als Problem-Kunde ab. Wenn man als Notdiensthabender nach zwei Stunden Erschöpfungsschlaf wegen eines solchen geradezu lächerlichen Anliegens geweckt wird, empfindet man das ebenfalls als extrem toxisch!

Anderes Zitat aus lokalen Gruppen, ebenfalls oft genug aus nichtigem Anlass: „Ruf bei Dr. XY (Anmerkung: Meine Generation, also alles andere als taufrisch) an! Der ist immer erreichbar!“. Diese Aussage stimmt: Der bewusste Kollege ist tatsächlich so gut wie immer erreichbar und kann und will einfach nicht nein sagen, ganz Old School. Die Frage ist nur: Wie lange noch, bis es ihn einfach umhaut, wenn man das wegen jedem quer sitzenden Furz gnadenlos ausnützt? Die NachfolgerInnen – wenn es denn überhaupt welche gibt – werden ganz sicher nicht immer erreichbar sein!

Bleiben Sie mit Ihren Erwartungshaltungen bitte realistisch. Damit beziehe ich mich in erster Linie auf DIE zwei Evergreen-Aufreger unter Tierbesitzern, die mit schöner Regelmäßigkeit für böswillige Bewertungen verwendet werden: Die Kosten und die Diagnosesicherheit.

Was die Kosten angeht, habe ich ja schon weiter oben und in einigen anderen Artikeln verdeutlicht, dass und warum es da in den nächsten Jahren nur eine Richtung geben kann, nämlich steil nach oben. Gucken Sie sich als Maßstab für tiermedizinische Gebühren doch einfach andere Bereiche des täglichen Lebens an: Warum sollte eine Maßnahme bei Ihrem Tier, mit der ein Tierarzt und zwei Tiermedizinische Fachangestellte befasst sind, pro Viertelstunde weniger kosten als eine Reparatur Ihres Autos, mit der sich ein KFZ-Meister, ein Geselle und ein Auszubildender beschäftigen? Warum sollte eine Beratung durch die Tierärztin / den Tierarzt Ihres Vertrauens pro Stunde weniger kosten als eine durch Ihren Anwalt? Und warum sollte eine Leistung in einer 300-Quadratmeter-Praxis, in der man schon auf den ersten Blick jede Menge Angestellte rumrennen sieht und die diverseste Medizintechnik neueren Datums vorhält, genau so billig sein wie in einer Minipraxis mit einem Tierarzt, einer TFA-Auszubildenden und einem Second-Hand-Röntgengerät? Wie gesagt: Bitte bleiben Sie realistisch! Und lassen Sie sich halt für Leistungen, für die das machbar ist, einen Kostenvoranschlag geben, statt einfach reinzustolpern, Diagnostik und Therapie vom Feinsten zu erwarten und hinterher öffentlich in Schnappatmung zu verfallen darüber, was das jetzt wieder gekostet hat.

Die Fehldiagnose! Wo und wann auch immer sich über TiermedizinerInnen beschwert wird, scheint die Fehldiagnose in den Augen der TierbesitzerInnen der gewichtigste aller Vorwürfe zu sein. Das ist absurd, wie ich schon mal in einem anderen Artikel ausführlich erläutert habe. Verabschieden Sie sich bitte, bitte endlich mal von der verwegenen Vorstellung, dass Sie irgendein wie auch immer geartetes Recht darauf hätten, dass ausgerechnet der Tierarzt bei Patienten, die noch nicht mal mit ihm reden können, immer gleich beim ersten Mal diagnostisch voll ins Schwarze treffen müsste. Auf was Sie aus juristischer Sicht ein Recht haben, ist gerade mal die von einem durchschnittlichen Tierarzt zu erwartende Sorgfalt. Ich und so einige Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, gehen sicher weit über diese Forderung hinaus, und meistens finden wir ja auch am Ende raus, was mit Ihrem Tier faul ist, aber halt keineswegs immer, zumindest nicht aufs erste Mal oder erst nach größerem diagnostischen Aufwand.

Dieser dritte Teil der Serie ist mir so richtig schwer gefallen! Erstens ist mir sonnenklar, dass für Sie als TierbesitzerInnen der Artikel eigentlich nur aus negativen Ausblicken und Botschaften besteht. Und dann konfrontiere ich Sie zweitens auch noch mit Forderungen bezüglich Ihres Verhaltens uns gegenüber! Ein sich wegen der tief eingeschliffenen Reflexe eines Boomer-Tierarztes ziemlich seltsam anfühlendes Unterfangen. Aber wie gesagt: Die Zeiten ändern sich halt und ich kann das nicht ändern. Genauer gesagt: Ich will es auch nicht ändern. Nach anfänglicher Irritation über die auf ihre Rechte und auf Selbstschutz pochende Nachfolgergeneration neige ich inzwischen eher zu der Auffassung, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen weitgehend recht damit haben, wenn sie sich weigern, sich für den Beruf körperlich und geistig zu demolieren. Daran ändern die im Netz gern vorgetragenen Belehrungen – in der Regel durch Leute mit einer gewerkschaftsgarantierten 35-Stunden-Woche – dass der Beruf des Tierarztes „eine Berufung“ zu sein hätte, rein gar nichts. Auch für eine „Berufung“ muss sich niemand zugrunde richten, sich ausbeuten, psychisch misshandeln oder bedrohen lassen. Jede Generation muss ihren Weg finden, und ja, ich finde es inzwischen gut, dass sich jetzt was ändert, auch wenn es das Ende einer für Sie als Kunden sehr angenehmen und bequemen Ära bedeutet. Des einen Freud, des anderen Leid!

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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