Von Ralph Rückert, Tierarzt
Im vorigen Artikel habe ich ausgeführt, dass trotz aller Bemühungen, sowas zu vermeiden, das Kundenverhalten durchaus einen gewissen Einfluss auf die Behandlungsbemühungen haben kann. Wer einfach „muy simpático“ rüberkommt, hat sowohl für sich selbst (in der Humanmedizin) als auch für sein Tier bessere Karten für ein über das normale Maß (!) hinausgehendes Engagement des Personals. Das ist aber noch nicht alles. Wie Sie sich als Kundin oder Kunde geben, wirkt sich definitiv auch noch auf andere Bereiche aus.
Eine in Zeiten zunehmender Überlastung medizinischer Einrichtungen sehr wesentliche Frage ist ja, wie schnell man im Bedarfsfall in der Praxis oder Klinik seiner Wahl einen Behandlungstermin bekommt. Auch hier haben wir es wieder mit dem Unterschied zwischen einem (natürlich völlig korrekten) Dienst nach Vorschrift und dem völlig freiwilligen und absolut nicht einforderbaren Krummlegen für gute Kundinnen und Kunden zu tun.
Die Anzahl regulärer Termine ist eine feststehende Größe. Wenn heute, morgen oder übermorgen alles ausgebucht ist, dann ist das so und lässt sich nicht ändern, zumindest nicht, ohne das Personal ständig zu überlasten, was heutzutage keine langfristige Option mehr darstellt. Trotzdem: Ruft da jemand an, der in der Praxis oder Klinik immer einen sehr positiven Eindruck hinterlassen hat, sind die Chancen gut, dass das mit dem nicht einforderbaren Krummlegen passiert und irgendwie doch noch ein Termin freigeschaufelt wird.
Es gab für mich immer – ziemlich viele – Kundinnen und Kunden, für die ich, wenn es irgendwie machbar war, jederzeit in die Praxis gefahren bin, auch mitten in der Nacht und am Wochenende. Es gab aber auch immer einige wenige, für die ich mir das nicht zugemutet habe und die dann halt zum offiziellen Notdienst mussten. Viele derartige Entscheidungen werden aus dem Bauch heraus getroffen, und dabei spielt Ihre Reputation als Kundin oder Kunde durchaus eine Rolle. Ein einfaches Beispiel aus dem realen Leben: Eine halbe Stunde vor Feierabend klingelt das Telefon, eine Kundin will noch schnell kommen, weil der Hund seit letzter Nacht ständig spuckt. Die Fachangestellte am Empfang läuft zur Chefin und fragt, ob das noch geht. Diese schaut auf die Uhr, erinnert sich, dass speziell diese Kundin IMMER zu spät kommt und schickt den Fall prompt zum Notdienst.
Kommen wir zu dem Punkt, bei dem wohl viele die Ohren spitzen werden: Hat das Verhalten von Kundinnen und Kunden auch einen Einfluss auf die Höhe der Tierarztrechnung? Die schlichte Antwort: Ja, das ist durchaus möglich! Nicht in dem Sinne, dass besonders gut angesehene Tierhalter:innen routinemäßig und systematisch niedrigere Rechnungen bekommen würden, sondern eher so, dass unangenehm auftretende Leute gern mal mehr bezahlen. Die Gebührenordnung räumt uns Tierärztinnen und Tierärzten bei der Rechnungslegung einen sehr hohen Gestaltungsspielraum ein. Man kann also eine Rechnung höher als sonst in der jeweiligen Einrichtung üblich ausfallen zu lassen, ohne dabei den gesetzlichen Rahmen zu verlassen, und genau das kann tatsächlich passieren, wenn sich jemand sperrig, unkooperativ, zeitraubend oder gar respektlos aufführt. Eine Kollegin nannte das mal halb scherzhaft „unmittelbare finanzielle Lynchjustiz“.
Im Paragrafen 2 der Gebührenordnung wird vorgeschrieben, dass die Höhe der einzelnen Gebühren nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung von unter anderem der Schwierigkeit der Leistung und des Zeitaufwandes festzulegen ist. Sie müssen sich bitte klar machen, dass ein Fall auch und gerade von den beteiligten Tierbesitzer:innen schwieriger und zeitaufwändiger gemacht werden kann als normal.
Als Beispiel: Bei einem Hund wird eine bakterielle Infektion diagnostiziert. Er bekommt ein Antibiotikum verschrieben, das eine Woche lang zweimal täglich eingegeben werden soll. Die eine Besitzerin nimmt das vertrauensvoll zur Kenntnis, bedankt sich herzlich und macht sich auf den Heimweg. Die andere macht sofort mit ihrem unter unsäglichen Mühen erworbenen Social-Media-Fachtierarztexamen einen auf dicke Hose und zwingt der behandelnden Tierärztin ein end- und fruchtloses Streitgespräch auf, so von wegen Antibiotika vs. Arnika D xy vs. colloidales Silber, bevor sie schnaubend von dannen zieht. Sonnenklar, dass der zweite Fall definitiv deutlich teurer abgerechnet wird als der erste, obwohl der Hund eigentlich die haargenau gleiche Behandlung bekommt! Da wird – bei gleichen Leistungsziffern – einfach ganz bewusst ein höherer Steigerungssatz angesetzt, und dagegen ist auch nicht das Geringste einzuwenden.
Das kann aber auch mehr oder weniger unbewusst bzw. emotionsgesteuert ablaufen. Da kommt man als Troublemaker halt einfach nicht in den Genuss der kleinen Vorteile, die den netten Leuten schon mal zugestanden werden. Wenn man für die eine Rechnung schreibt, neigt man durchaus dazu, einfach mal im Rahmen der Gebührenordnung fünfe gerade sein zu lassen. Zum Beispiel entscheidet man sich bezüglich der Wundnaht eines Tieres im Zweifelsfall für GOT-Ziffer 420 (Wundverschluss, 20,54 Euro im 1,0fachen Satz) statt für Ziffer 421 (Wundverschluss, kompliziert, 81,32 Euro), oder beim nachfolgend nötigen Verband für Ziffer 251 (Verband anlegen oder abnehmen, 17,25 Euro) statt für Ziffer 252 (Verband, kompliziert, 34,50 Euro). Schreibt man die Rechnung aber mit Wut im Bauch über nicht so nette Leute, fallen solche Entscheidungen eben genau andersrum aus, und das kann dann, wie man an den genannten Beträgen sieht, einen ganz schönen Unterschied ausmachen.
Zuletzt wäre noch zu erwähnen, dass die Höhe von Rechnungen gelegentlich verklausulierte Botschaften sein können, in dem Sinne: Zieh bitte weiter, du bist hier bei uns einfach nicht richtig! Ich kann mich an einen solchen Fall erinnern: Eine Katzenbesitzerin war wegen eines chronischen, seit langer Zeit bestehenden und mehrfach vorbehandelten Problems ihres Tieres zu uns gekommen. Wir konnten damals sogar helfen, aber die Frau war bei der umfangreichen Schilderung der Vorgeschichte ununterbrochen am Schimpfen und Lästern über die vorbehandelnden Kolleginnen und Kollegen, und zwar in einer durchgehend abstoßenden Wortwahl. Für mich war glasklar, dass sie später andernorts über uns genau so reden würde, weshalb ich die Anweisung gab, maximal konsequent abzurechnen. Hat funktioniert, ihrem Tier wurde geholfen, aber die Botschaft kam an und sie nie wieder!
Tja, das war jetzt ganz schön tief aus dem Nähkästchen geplaudert! Ich verstehe, wenn Sie das ein Stück weit verunsichert. Ich habe es aber deshalb aufgeschrieben, weil ich glaube, dass es vielen Tierbesitzer:innen da draußen helfen kann, ganz zu schweigen von meinen Kolleginnen und Kollegen, die sich in ihren Praxen und Kliniken oft genug wie Punching-Bälle vorkommen müssen. Und deshalb packe ich auch noch einen dritten Teil in diese Serie, in dem ich für die, die nicht schon selbst ihre Schlüsse gezogen haben, ganz kurz erkläre, wie man in der Tierarztpraxis seiner Wahl ganz einfach zur VIP-Patientin bzw. zum VIP-Patienten werden und damit in den Genuss der erläuterten Vorteile kommen kann.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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