Impfnebenwirkungen: Die unangenehmen Aspekte von Vorsorge

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Eine gute Freundin, selbst keine Ärztin, aber Frau eines unfallchirurgischen Chefarztes, sagt immer, dass jedem Unfallchirurgen irgendwann ein Arm oder ein Bein gebrochen werden müsste, damit sie das, was sie so alltäglich machen, mal aus Sicht des Patienten erleben dürfen.

Was die Empathie mit Operationspatienten angeht, fühle ich mich nach – wenn ich richtig zähle – sechs chirurgischen Eingriffen in meinem bisherigen Leben ganz gut eingestellt. Jetzt, gerade letztes Wochenende, haben meine Frau und ich mal erleben dürfen, wie es sich anfühlt, wenn eine Impfung ziemlich unangenehme Nebenwirkungen hervorruft.

Aus der Praxis kennen wir das natürlich: Etwa 5 bis 10 Prozent der TierbesitzerInnen berichten, dass ihr Hund, ihre Katze oder ihr Kaninchen nach der Impfung ein, zwei Tage mit Schmerzen und einem deutlich reduzierten Befinden durchgemacht hat. Meist, aber nicht immer, geht es dabei um Jungtiere nach der ersten Impfung. Nach- und Auffrischimpfungen werden im Allgemeinen deutlich besser weggesteckt.

Wir beide haben seit dem Sommer einen kleinen Impfmarathon hinter uns: Erst bei mir eine Tetanus-Auffrischung wegen einer Verletzung, dann für uns beide Pneumokokken und Influenza. Das war, von leichten Schmerzen an der Injektionsstelle für drei, vier Tage mal abgesehen, gar kein Problem. Jetzt haben wir uns aber die erste Dosis Shingrix verabreichen lassen. Shingrix ist ein Herpes-zoster-subunit-Totimpfstoff gegen die bei älteren Menschen gefürchtete, extrem schmerzhafte und manchmal sehr unangenehme Dauerfolgen (postherpetische Neuralgie, PHN) nach sich ziehende Gürtelrose.

Der Einsatz des Impfstoffs wird vom Robert-Koch-Institut pauschal für alle Personen über 60 Jahren, aber auch für jüngere, chronisch kranke Menschen mit erhöhtem Herpes-zoster-Risiko empfohlen. Der Impfstoff gilt zwar als sicher, aber auch als hochgradig reaktogen. Zitat RKI: „Lokale Reaktionen (Schmerzen an der Injektionsstelle, Rötung und Schwellung) sowie systemische Reaktionen (Fieber, Müdigkeit, Myalgie und Kopfschmerzen), die die gewöhnlichen alltäglichen Aktivitäten einschränken, treten etwa bei 1 von 10 geimpften Personen auf.“ Im Beipackzettel ist zusätzlich auch noch von Erbrechen und Durchfall die Rede, und dass all diese Nebenwirkungen sogar bei mehr als einer von zehn Personen auftreten würden.

Wohlweislich und auf Rat unserer mit uns befreundeten Ärztin haben wir uns die Impfung am Freitag gegen Mittag verabreichen lassen. Es kam, wie es kommen musste: Samstagmorgen waren wir beide richtig schön krank: Fieber, Kopfweh, Gliederschmerzen, müde, abgeschlagen. Außerdem war der Schultermuskel ordentlich schmerzhaft, geschwollen und gerötet. Arbeiten wäre Samstag und Sonntag keine echte Option gewesen. Diese Nebenwirkungen klangen allerdings sehr schnell, nach ein, zwei Tagen, wieder ab.

Von der viele Jahrzehnte zurückliegenden Pockenimpfung als Kind mal abgesehen, kann ich mich an keine Impfung erinnern, die so deutliche Reaktionen hervorgerufen hätte. Aber wir waren über diese doch reichlich häufigen Nebenwirkungen von Shingrix gut informiert, so dass wir nicht überrascht wurden. Warum aber lässt man sich eine derartig reaktogene Impfung (in manchen Augen sicher ein „echtes Teufelszeug“) überhaupt verpassen? Ganz einfach: Weil wir am Beispiel meiner Mutter miterlebt haben, wie schlimm und mit welchen langfristigen Folgen eine Gürtelrose ablaufen kann. Noch heute, Jahre nach dem in ihrem Fall sehr heftigen und extrem schmerzhaften Ausbruch, leidet sie an einer großflächigen postherpetischen Neuralgie, die die ständige Einnahme schwerer Schmerzmittel notwendig macht. Nach ihrer eigenen Aussage haben ihr die Gürtelrose und die postherpetische Neuralgie mit ihren Dauerschmerzen – schon allein durch die Berührung der Kleidung (!) – die letzten Jahre ihres Lebens gründlich verdorben, und das hat uns doch sehr zu denken gegeben.

Shingrix erzielt nach zweimaliger Gabe im Abstand von zwei (bis sechs) Monaten eine Schutzwirkung von ca. 90 Prozent. Ohne Impfung erwischt die Gürtelrose 33 Prozent der Bevölkerung, mit Impfung nur 3! Das ist zwar kein hundertprozentiger Schutz, aber trotzdem eine feine Sache, eine Sorge weniger und deshalb in unseren Augen die zwei Tage mit unangenehmen Nebenwirkungen durchaus wert.

Was soll jetzt dieser Artikel, diese Wilderei in humanmedizinischen Jagdgründen? Nun, neben der Info über die Gürtelrosen-Impfung, die für einige meiner LeserInnen in der gefährdeten Altersgruppe interessant sein mag, geht es mir halt um diesen grundsätzlichen Gedankengang: Zugelassene und und von den Ständigen Impfkommissionen empfohlene Impfungen können durchaus auch bei Tieren in der Regel kurzfristige, aber deutlich bemerkbare Nebenwirkungen auslösen. Diese sind aber im Vergleich zu den Krankheiten, vor denen sie schützen sollen, eher Kategorie „Ponyhof“. Dies gilt ganz besonders für die Tiermedizin, da wir im Gegensatz zur Humanmedizin gegen Krankheiten impfen, die nicht nur unangenehm sind, sondern echte Killer, die bei nicht geimpften Individuen häufig zu einem hässlichen Tod führen.

Im Gegensatz zu den von notorischen ImpfgegnerInnen fleißig verbreiteten Fake-News-Kampagnen sind wirklich schwere Impfnebenwirkungen auch bei Tieren geradezu extrem selten. Dazu ein Zitat aus einem anderen meiner Artikel:  „Das Paul-Ehrlich-Institut hat 2004 (also noch in einer Zeit, in der meist jährlich gegen alles geimpft wurde) veröffentlicht, dass für einen Fünf-Jahres-Zeitraum 450 Meldungen von Impfnebenwirkungen eingegangen wären. Der Löwenanteil waren lokale Reaktionen (Schwellung, Schmerzen, Rötung) an der Impfstelle. Dazu kamen einige spontane allergische Reaktionen, wie sie jeder Tierarzt kennt und zu behandeln weiß. Es wurde in diesem Zeitraum kein einziger Todesfall gemeldet! Das bedeutet so ungefähr eine leichte bis mittlere Nebenwirkung pro 30000 und keinen einzigen Todesfall bei ca. 15 Millionen Impfungen.“

Lassen Sie sich vor allem nicht einreden, dass Impfungen bei Hunden Epilepsie auslösen würden. Diese Behauptung ist durch keine harten Daten belegbar und dem sich zäh haltenden, aber deshalb nicht weniger blöden Geschwätz von durch Impfungen verursachtem Autismus bei Kindern gleichzusetzen.

Das Konzept des Impfens gegen gefährliche Erkrankungen ist ganz ohne Zweifel einer der ganz, ganz großen Lebensretter der modernen Medizin. Wir erleben es ja gerade aktuell: Unsere einzige realistische Hoffnung, bald wieder ein Leben führen zu können wie vor der Pandemie, ist ein gut verträglicher und wirksamer Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Allerdings war die Forderung „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ immer schon eher unrealistisch, wenn auch moderne Impfstoffe ziemlich nahe an diesen Anspruch herankommen. In manchen Fällen muss man einfach akzeptieren, dass man selbst oder sein Tier eine Impfung nicht völlig ohne Nebenwirkungen verträgt. Angesichts der Krankheiten, die man durch Impfen mit hoher Sicherheit vermeidet, sind solche Nebenwirkungen völlig vernachlässigbar. Zwei Tage deutliches Krankheitsgefühl oder auch mal eine dramatisch wirkende spontane allergische Reaktion sind halt buchstäblich gar nichts im Vergleich zu dem jahrelangen Leiden, das ich bei meiner Mutter beobachten muss, und – im Fall unserer Hunden, Katzen und Kaninchen – ein Witz im Vergleich zu einer Staupe, einer Parvovirose oder einer RHD.

Nachträgliches Edit: Ich hätte es eigentlich ahnen müssen, dass ich in der Diskussion des Artikels auf der Praxis-Facebook-Seite auch nach meiner Meinung zu den kommenden Corona-Impfstoffen gefragt werden würde. Sie werden mich, sobald die massenhafte SARS-COV-2-Impfung angelaufen ist, etwa in der Mitte der sicherlich monatelangen Warteschlange finden. Ich werde mich also auf jeden Fall impfen lassen, weil ich wieder so leben möchte, wie es mir Freude macht. Es gibt aber Menschen, die da ganz klar vor mir drankommen müssen, vor allem medizinisches und Pflege-Personal, Hochrisiko-Patienten, etc.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.

Nach oben scrollen