Von Ralph Rückert, Tierarzt
Wenn Sie mal so richtig Bock haben, Ihren Tierarzt ordentlich zu ärgern, müssen Sie auf einen guten medizinischen Ratschlag nur antworten: „Mein(e) Züchter(in) hat aber gesagt, dass…“. Ich kann Ihnen versprechen: Wirkt immer und sehr nachhaltig! Das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Tierarzt wird danach nie mehr das selbe sein.
Das mag jetzt satirisch überspitzt formuliert sein, aber da steckt schon viel Wahres drin. Aus Sicht von uns Tierärzten gehört dieser Halbsatz auf jeden Fall zu den Top-Ten der schlimmsten Äußerungen von Kunden. Warum?
Man sollte sich – eben bevor man sich zu dieser Bemerkung hinreißen lässt – vielleicht kurz zwei Punkte vor Augen halten: Erstens, dass ein Tierarzt das härteste und arbeitsintensivste Studium Deutschlands erfolgreich absolviert hat und sich währenddessen gute 12000 Stunden mit allen Teilaspekten der Tiermedizin (inkl. Tierzucht übrigens) beschäftigen musste, bevor er sich überhaupt Tierarzt nennen und zu arbeiten anfangen durfte. Züchter(in) hingegen wird man, indem man sich ein weibliches und evtl. auch noch ein männliches Exemplar der Tierart und -rasse zulegt, die man zu züchten beabsichtigt. Sobald diese Tiere ihrem Fortpflanzungstrieb pflichtschuldigst gefolgt sind und der erste Nachwuchs da ist, ist man Züchter(in). Gibt es irgendwelche staatlichen Voraussetzungen für die Bezeichnung „Züchter(in)“? Muss man sich irgendwie in so wichtigen Dingen wie Genetik auskennen? Nein, nix, nada, niente, denn es handelt sich beileibe nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung, sondern eher um eine Tätigkeitsbeschreibung wie z.B. „Rosenzüchter“ oder „Schmetterlingssammler“. Daraus folgt, dass ein Tierarzt beim besten Willen nicht versteht, warum ein Tierbesitzer auf die Idee kommen sollte, dass ein(e) Hundezüchter(in) irgendeine besondere Kompetenz in tiermedizinischen Fragen haben könnte.
Zweitens ist bei vielen von uns Tierärzten nicht mehr allzu viel Respekt gegenüber der vereinsorganisierten Hundezucht übrig. Wenn man wie wir bei gefühlt der Hälfte der gelisteten Hunderassen ständig damit beschäftigt ist, mit dem Skalpell in der Hand züchterischen Murks wenigstens so weit zu korrigieren, dass die armen Viecher halbwegs wie Hunde leben können, neigt man dazu, bei dem Wort „Züchter(in)“ nicht gerade in Ehrfurcht zu erstarren, sondern eher an amateurhafte Inkompetenz und besserwisserischen Hochmut zu denken.
An dieser Stelle ein wichtiger Einschub: Selbstverständlich gibt es Züchter(innen), die jahre- oder jahrzehntelange Erfahrung mit ihrer Tätigkeit haben und in dieser langen Zeitspanne einiges an züchterischer Sachkunde erwerben konnten, die man mithin guten Gewissens als Zucht-Experten bezeichnen kann. Oft sind es gerade diese, die erfahrensten und besten Züchter(innen), denen voll und ganz bewusst ist, dass ihr Wissen in tiermedizinischen Fragen zwar Laien-Niveau ein Stück weit übertrifft, die sich aber nach dem Motto „Schuster bleib bei deinen Leisten“ dankenswerterweise nicht über das Normalmaß hinaus in tiermedizinische Belange einmischen, sondern sich darauf konzentrieren, ihre eigenen Aufgaben mit größtmöglicher Sorgfalt und höchstem Verantwortungsgefühl zu erledigen. Mit diesen Leuten, von denen es nach meinem Gefühl nur leider zu wenige gibt, findet meist eine Zusammenarbeit statt, die diesen Namen auch verdient, und von ihnen soll hier auch absolut nicht die Rede sein.
Um so atemberaubender erscheint uns Tierärzten oft die grenzenlose Anmaßung, mit der so manche Züchter(innen) mit gerade mal drei oder vier Würfen Erfahrung sich gleich auch noch als tiermedizinische Autoritäten aufspielen. Das fängt an mit Fütterungsplänen für den neu gekauften Welpen, bei denen man entweder lachen oder weinen muss. Man fragt sich oft, wie es Hundewelpen in den letzten 10000 Jahren nur geschafft haben ohne Eigelb, Magerquark, Hüttenkäse, Trockenhefe, diverseste Pülverchen und Tröpfchen und die dazugehörige Diätwaage. Nur zur Erinnerung: Leichtfuttrigkeit war – lang ist’s her – tatsächlich mal ein Zuchtkriterium für Hunde.
Und es geht weiter mit wichtig klingenden, aber geradezu absurden Ratschlägen zu drakonischen Bewegungseinschränkungen, z.B. den Welpen bis zur abgeschlossenen Skelettreife auf gar keinen Fall, niemals und nie nicht Treppen laufen zu lassen oder ihn – beispielsweise durch freies Spielen mit Artgenossen – anderweitig zu überlasten. Resultat ist natürlich ein erwachsener Hund, der Angst vor Treppen und/oder ein verkorkstes Sozialverhalten hat, sonst nichts. Wann ist die Skelettreife von Menschenkindern gleich noch mal abgeschlossen? Mit 16 Jahren? Wie lange haben Sie Ihr Kind die Treppen rauf und runter getragen oder es vom Spielplatz ferngehalten? Damit soll nicht einem ununterbrochenen Treppauf-Treppab des Welpen oder stundenlangen Gewaltmärschen Vorschub geleistet werden, aber zwei oder drei Mal am Tag ein oder zwei Stockwerke rauf und runter oder ein wenig Rumtollen darf einfach kein Problem sein. Sonst ist nämlich mit der betreffenden Rasse etwas grundsätzlich faul. Solche Ratschläge zu Ernährung und Bewegungseinschränkung dienen in meinen Augen meist nur dazu, dem Welpenkäufer schon mal vorbeugend die Schuld für zu erwartende zuchtbedingte Gesundheitsprobleme aufzuhalsen.
Ein echter Evergreen ist die eindringliche und wichtigtuerische Warnung, dass speziell Hunde dieser oder jener Rasse ganz, ganz superempfindlich bezüglich Narkosen sind und sozusagen schon beim Gedanken an eine Narkose eingehen wie die Primeln. Genau diese Warnung hat ein jeder Tierarzt mit über 10 Jahren Berufserfahrung schon für so gut wie jede Rasse aus dem FCI-Verzeichnis hören müssen. Oops, bevor ich jetzt gleich Horden von Windhund- und Bully-Fans im Nacken sitzen habe: Ja, Windhunde und Kurznasen wie der Bully sind tatsächlich was Besonderes, aber das wissen wir Tierärzte, vielen Dank. Wir wissen auch ganz genau, warum das so ist, und sichere Narkosen sind auch für Windhunde und Brachycephale sehr gut machbar. Hinter dieser Angstmacherei vor Narkosen steckt nach meiner Meinung ebenfalls Methode: Hat der Käufer das erst mal geschluckt und rät sein Tierarzt schon beim Welpen oder Junghund zu einem Eingriff unter Narkose, um einen Zuchtdefekt (Zähne, Gelenke, Atemwege, siehe weiter unten) zu beheben, besteht eine gewisse Chance, dass die Züchterin oder der Züchter sogleich ängstlich um Rat gefragt wird. Dies eröffnet dann die Möglichkeit, den Vorgang, der gut und gerne in Schadensersatzforderungen münden könnte, noch in irgendeiner Weise im eigenen Sinne zu beeinflussen.
Seinen traurigen Höhepunkt erreicht das Theater natürlich immer genau dann, wenn ein Tierarzt es wagen sollte, ein Problem festzustellen, für das die Zuchtstätte oder die Zucht dieser speziellen Rasse im Allgemeinen verantwortlich wäre. Da wird sich gewunden wie ein Aal und es werden die abenteuerlichsten Behauptungen aufgestellt. Man schreckt auch regelmäßig nicht davor zurück, den Tierarzt oder, falls bereits Spezialisten hinzugezogen werden mussten, die Tierärzte der frischgebackenen Welpenbesitzer per „Ferndiagnose“ als Stümper zu diffamieren und das Aufsuchen des Tierarztes der Zuchtstätte zu fordern, frei nach dem Motto „Ein paar Hundert Kilometer Fahrtstrecke dürfen doch unter Freunden keine Rolle spielen“. Dass der behandelnde Tierarzt sich – ganz im Gegensatz zum Tierarzt der Zuchtstätte – in erster Linie seinen Kunden, also den neuen Besitzern des Welpen verpflichtet fühlt, wird von solchen Leuten glatt als Frechheit empfunden.
Ein guter Tipp für Welpenkäufer: Versucht ein(e) Züchter(in) ungefragt im Rahmen des Kaufvorganges, bestimmte Kolleginnen und Kollegen im regionalen Umfeld mieszumachen, dann könnte man das durchaus als Empfehlung verstehen. Da muss es in der Vergangenheit schon direkte oder indirekte Konflikte um Welpen der Zuchtstätte gegeben haben, was man dahingehend interpretieren kann, dass die betreffende Praxis die Interessen des Welpenkäufers an einem gesunden Hund für wichtiger erachtet als sich mit der Züchterin oder dem Züchter gutzustellen.
Diese Züchterinnen und Züchter neigen in solchen Situationen regelmäßig dazu, für sie selbst ganz und gar risikolose, für den neuen Welpenbesitzer aber äußerst gewagte Wetten einzugehen. Es gibt einige recht häufig auftretende und genetisch bedingte Probleme, die aus medizinischer Sicht keinen Aufschub dulden, weil jede Verzögerung des Eingreifens zu einer dauerhaften Verschlechterung der Situation führen kann. Dazu gehören (besonders bei kleinen Rassen) Zahnwechselprobleme mit persistierenden Milcheckzähnen. Dabei fallen die Eckzähne des Milchgebisses nicht von selbst aus, mit dem Resultat, dass die nachwachsenden Eckzähne des Dauergebisses nicht in ihre vorgesehene Position einrücken können. Dadurch kann die korrekte Stellung des gesamten Gebisses gefährdet werden. Es ist ganz einfach und steht in buchstäblich jedem unserer Lehrbücher: Greift der Tierarzt, der so etwas feststellt, nicht rechtzeitig ein und extrahiert die störenden Milcheckzähne, so begeht er einen Kunstfehler und haftet für die Folgen. Die hier besprochene Sorte von „Zuchtexperten“ ist da natürlich völlig anderer Meinung und rät dem Besitzer zum gelassenen Abwarten. Manchmal haben sie damit sogar recht, weil die Milcheckzähne doch noch wacklig werden und schließlich ausfallen, aber in der Mehrzahl der Fälle zahlt der Besitzer letztendlich die teure Zeche für die Beseitigung der dann durch das zu lange Abwarten entstandenen Zahnschäden und -fehlstellungen. Aus Sicht der Züchterin oder des Züchters sind solche miesen Ratschläge leicht erteilt, denn egal wie die Sache ausgeht, die Schuld kann man so oder so auf den Tierarzt schieben: Hat er die Milcheckzähne gezogen, hat er das natürlich in seiner Geldgier viel zu früh gemacht, hat er abgewartet und es ergibt sich eine permanente Fehlstellung des Dauergebisses, ist er sowieso eine Flasche, die das nicht hat kommen sehen.
Der neueste Brüller zu diesem Thema ist der züchterische Ratschlag, Hunde der von persistierenden Milcheckzähnen betroffenen Rassen erst nach dem Zahnwechsel gegen Tollwut impfen zu lassen. Damit wird angedeutet oder auch offen behauptet, dass nicht etwa züchterische Fehlleistung, sondern die Tollwut-Impfung für einem abnorm verlaufenden Zahnwechsel verantwortlich sein soll. Diejenigen Leserinnen und Leser, die mit logischem Denkvermögen ausgestattet sind, werden es schon ahnen: Es gibt natürlich nicht den geringsten wissenschaftlichen Beleg für diesen Unsinn! Nur nebenbei bemerkt: Bei einem Hund, der im ersten halben Jahr seines Lebens weder ins Ausland noch auf eine Hundeausstellung gehen soll, habe ich kein Problem mit dieser späten Tollwut-Impfung. Jedem Tierchen sein Pläsierchen!
In diesem Zusammenhang sei auch noch ein ganz und gar verblüffendes Phänomen erwähnt, die intermittierende Zahnfehlstellung. Schaut ein Tierarzt die Zähne an, ist da ein gravierender Unter- oder Überbiss, schaut die Züchterin oder der Züchter, ist die Fehlstellung verschwunden und alles perfekt so wie es sein soll. Geht der Besitzer wutentbrannt (denn sein(e) Züchter(in) hat ja gesagt…) zurück zum Tierarzt, ist die Fehlstellung plötzlich wieder da. Erstaunlich, nicht wahr?
Nein, mal ganz im Ernst: Vor einiger Zeit habe ich bei einem Welpen einer Schoßhundrasse, der von sehr hundeunerfahrenen Leuten gekauft worden war, eine solche Fehlstellung festgestellt. Nach meiner Darlegung der Situation und des Risikos, dass in naher Zukunft massive kieferorthopädische Maßnahmen notwendig werden könnten, sind die Besitzer vom Kauf zurück getreten, was ihr gutes Recht war, denn der Zuchtstandard der betreffenden Rasse sieht solche Fehlstellungen keineswegs vor. Monate später bekam ich von der Züchterin des Hundes vorgeworfen, dass ich da völlig falsch gelegen hätte, weil sich die Fehlstellung letztendlich – und wie von ihr natürlich glasklar vorausgesehen – verwachsen hätte. Davon abgesehen, dass ich das gern erst mal mit eigenen Augen beurteilt hätte, fragt man sich, was sich die Dame so denkt. Ich bin nicht der Zuchtstätte, sondern meinem Kunden, dem Tierbesitzer, verpflichtet, und wenn sein neu gekaufter Hund eine von mir festgestellte und dokumentierte Zahnfehlstellung aufweist, die in dieser Form einfach nicht sein darf und die gute Chancen hat, sich zu einem echten und teuren kieferorthopädischen Problem zu entwickeln, soll ich dann etwa meine Kristallkugel auspacken und per Wahrsagerei ermitteln, ob sich das Ganze durch irgendeinen Glücksfall doch noch irgendwie positiv entwickeln wird? Wohl kaum, denn im Gegensatz zur Züchterin hafte ich dafür, wenn ich am Ende falsch liegen sollte. Sie wäre nämlich im Fall der Fälle die erste, die jeden Schadensersatzanspruch mit dem Hinweis ablehnen würde, dass schließlich der Tierarzt das Problem bei der Erstuntersuchung hätte feststellen müssen.
Das gleiche Spielchen erlebt man immer wieder auf dem Gebiet der Orthopädie, z.B. bei der Ellbogen-Dysplasie mit fragmentiertem Kronfortsatz (Processus coronoideus). Mit fünf bis sieben Monaten fängt der Welpe – meist ein Angehöriger der größeren Rassen – an zu hinken. Ist die Diagnose „ED mit isoliertem Processus coronoideus“ erst einmal gestellt, ist wieder jedes Hinauszögern der nötigen Intervention ein Kunstfehler, weil sich die resultierende Arthrose mit großer Geschwindigkeit verschlechtert, der davon betroffene Patient durchaus leidet und nicht zuletzt die weitere Prognose davon abhängt, wie sehr das Gelenk zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits arthrotisch verändert ist. Und wieder gibt es Züchterinnen und Züchter, die entweder bar jeder Sachkenntnis oder aber ohne die geringsten Gewissensbisse dem Welpenbesitzer tatsächlich zum Abwarten raten wollen und darüber hinaus gleich mal fleißig anfangen, die Verantwortung für diese Erkrankung von sich weg zu verlagern. Da müssen dann wahlweise falsche Bodenbeläge, fehlerhafte Ernährung oder zu viel körperliche Aktivität als Begründung für dieses in erster Linie genetisch bedingte Problem herhalten.
Besonders sauer kann einen dabei machen, dass diese und viele andere Probleme gar nicht auftreten müssten, wenn in der Vergangenheit entsprechende züchterische Sachkunde zum Tragen gekommen wäre. Aber genau die eben erläuterte Verweigerungshaltung gegenüber jeglicher Verantwortung für den angerichteten züchterischen Murks führt dazu, dass munter weiter gemacht wird wie gehabt und damit die Defektgene von einer Generation zur nächsten durchgereicht werden. Oder glauben Sie, dass die vom Problem der persistierenden Milcheckzähne betroffenen Rassezuchtvereine irgendeine Regelung getroffen hätten, um solche Tiere erstens zu identifizieren und zweitens von der Zucht auszuschließen? Mitnichten! Wenn wir Tierärzte die hartnäckigen Milchzähne rechtzeitig und kunstgerecht extrahieren, sieht man dem Dauergebiss später oft nicht mehr an, dass da etwas nicht in Ordnung war. Der betreffende Hund kann also bei Zuchtschauen und als Elterntier zu höchsten Ehren kommen. Nur: Die Käufer der Welpen, die so produziert werden, müssen eben fast alle brav für die Milchzahn-Extraktionen löhnen. Das ist dann aber nicht mehr das Problem der Zuchtstätte, denn daran ist ja, wie wir schon erfahren haben, auf jeden Fall die Tollwut-Impfung schuld.
Tausende von Jahren wurden Hunde nach ihrer Leistung und ihrer Gesundheit zur Zucht ausgewählt, und Tausende von Jahren war alles gut. Das Aussehen war nicht nur sekundär, sondern völlig unwichtig. Dann, Ende des 19. Jahrhunderts, der große Auftritt der in Clubs organisierten Zucht auf äußere Merkmale, auf „Schönheit“, und heute, keine 150 Jahr später, stehen wir vor einem einzigen Scherbenhaufen. Es gilt, was der Journalist Gerhard Staguhn mal geschrieben hat: „Jede Zucht ist nichts anderes als eine genetische Fixierung von Missbildungen und Defekten“. Bully und Mops, auf Bildern aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts noch Hunde mit echter Nase und vor allem mit zum Atmen brauchbaren Nasenlöchern, sind – bei gleichbleibend goldenem Charakter – verzweifelt nach Luft ringende Zerrbilder ihrer selbst geworden. Bis zu 80 Prozent der Bully-Welpen kommen inzwischen nicht mehr auf natürlichem Wege, sondern durch Kaiserschnitt auf die Welt, weil sie mit ihren großen Köpfen auf keinen Fall durch das enge Becken der Mutter passen würden! Preisgekrönte (!) Bassets stehen auf Hundeausstellungen herum, und zwar deshalb, weil sie in ihrer in Falten runterhängenden Haut und auf ihren absurd verkrümmten Beinen außer Stehen und Liegen nicht mehr viel tun können, nicht mal einen normalen Deckakt ausführen. Damit es mit dem Nachwuchs klappt, muss man schon auf künstliche Besamung spezialisierte Praxen aufsuchen. Die sogenannten Riesenrassen haben ihren Namen inzwischen redlich verdient, sind sie doch gerne mal doppelt so schwer wie noch vor 50 Jahren. Der Preis, den sie für diesen Irrsinn zahlen müssen, nämlich eine durchschnittliche Lebenserwartung von etwa sieben Jahren und vielfältige, teilweise mit aller tiermedizinischen Kunst nicht mehr korrigierbare orthopädische Probleme, wird allenfalls hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Nun, diese Aufzählung ließe sich noch seitenweise fortsetzen, was aber im Rahmen dieses Artikels keinen Sinn machen würde.
Ich will nicht verhehlen, dass es durchaus Kolleginnen und Kollegen gibt, die unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Problem damit haben, den oben angesprochenen Scherbenhaufen so gut es geht aufzuräumen, sprich: Die schlimmsten Auswirkungen züchterischer Hybris so weg- und umzuoperieren, dass für die betroffenen Tiere eine halbwegs lebenswerte Existenz ermöglicht wird. Viele, wenn nicht sogar die meisten, tun das aber mit der geballten Faust in der Tasche. Auch ich operiere zum Beispiel Kurznasen, damit sie endlich mal wirklich Luft bekommen, aber im Prinzip kotzt es mich an, wenn ich das mal so deutlich sagen darf. Das müsste alles nicht sein, denn das sind die Ergebnisse eines konzertierten Versagens der vereinsorganisierten Zucht, die durchgehend und eindrücklich bewiesen hat, dass sie zu irgendeiner Form der selbst organisierten Qualitätskontrolle absolut außerstande ist.
Die Tierhalter, und hier besonders die unerfahrenen Anfänger, werden systematisch im Dunkeln gehalten, um nicht zu sagen verarscht nach Strich und Faden! In keinem Zuchtstandard dieser medizinischen Problemrassen findet man auch nur einen zarten Hinweis darauf, was da alles im Argen liegt, dass massiver medizinischer Ärger oder gar echte Dramen mehr oder weniger vorprogrammiert sind. Stattdessen wird seitenweise bis ins kleinste Detail die äußere Erscheinung festgelegt. Das ist nämlich leider die größte Sorge der Züchter(innen): Der produzierte Hund muss möglichst präzise so aussehen, wie im Standard festgelegt, denn sonst hat er auf Ausstellungen keine Chance, und nur dort gibt es die schönen goldenen Pokale, die dann in der Vitrine stehend dem Welpenkäufer suggerieren sollen, dass er seinen Welpen von einer Top-Zucht kauft und deshalb gar nichts schiefgehen kann.
Wie es der Zufall will, habe ich vor einigen Tagen mit der Besitzerin von zwei jungen Mastiffs telefoniert, die mir von den Befunden berichtet hat, die beim CT in der Fachklinik ermittelt wurden, wohin wir sie überwiesen hatten. Nach dem Telefonat hatte ich vor Mitleid mit den Hunden und mit den Besitzern buchstäblich Tränen in den Augen und eine solche Wut, dass ich meiner Frau erst eine halbe Stunde später davon erzählen konnte. Mastiffs haben die (tiermedizinisch leider zweifelhafte) Ehre, die schwersten Hunde der Welt zu sein. Der Rekord liegt bei über 150 kg! Zusammen mit der Englischen Bulldogge, einem anderen Repräsentanten des züchterischen Totalversagens, ist der Mastiff ein englisches Nationalheiligtum.
„What the Lion is to the Cat the Mastiff is to the Dog, the noblest of the family; he stands alone, and all others sink before him.“ (Sydenham Edwards, Cynographia Britannica, 1800)
Schön wär’s! Hinsinken tut hier nur noch einer – der Mastiff selbst, weil die Gigantomanie der für seine Zucht Verantwortlichen dafür gesorgt hat, dass sein Bewegungsapparat das alles mehr als oft nicht mehr packt. Der Mastiff war mal ein Bären- und Wildschwein-Jäger, sogar ein gefürchteter Kriegshund, aus heutiger Sicht unvorstellbar. Jedes durchschnittliche Wildschwein rennt kreischend vor Lachen Kreise um einen „modernen“ Mastiff, der sich das Schauspiel allenfalls gelassen anschauen kann, aber auf keinen Fall eine Chance hat, die Sau auch nur annähernd ins Schwitzen zu bringen.
Viele Hundezwinger mit einer gewissen Tradition haben auf ihren Websites eine In-Memoriam-Seite für verstorbene Hunde. Bei Mastiff-Zwingern fehlt diese aus nachvollziehbaren Gründen oft, denn wo sie doch vorhanden ist, kann der Interessent schnell erkennen, dass die Hunde im Schnitt mit sechs bis neun Jahren gestorben sind bzw. eingeschläfert wurden. Und dabei handelt es sich um die Überlebenden der Dramen, die sich in der Aufwuchsphase regelmäßig abspielen und die mehr als einmal in einer Euthanasie vor dem ersten Geburtstag enden.
Zurück zu den Mastiff-Geschwistern unserer Kunden: Bruder und Schwester haben beide (!!!) beidseitig (!!!) Ellbogen-Dysplasie mit fragmentiertem Kronfortsatz. Das muss zügig operiert werden, was die Schmerzsituation erst mal entscheidend verbessert, das mittelfristige Auftreten von Ellbogen-Arthrosen aber nicht verhindert. Die Schwester hat zusätzlich auch noch operationspflichtige Hüftgelenke, beim Bruder könnte es mit etwas Pech diesbezüglich auch noch Probleme geben. Die beiden Junghunde, für die jetzt die Zeit zum Spielen, Rumrennen, Kräftemessen wäre, werden sich also in den nächsten Wochen und Monaten einem Operations-Marathon unterziehen müssen, mit jeweils wochenlangen Schonzeiten hinterher. Wenn alles optimal gelingt, bleibt trotzdem die bange Frage, wie lang die mit solchen Mühen und Tausenden von Euro erkaufte Schmerz- und Bewegungsfreiheit anhalten wird. Ein weiterer Wurfbruder hat auch schon dicke Ellbogen, ein anderer kann wegen einer Wirbelsäulenmissbildung und einer sogenannten Subarachnoidal-Zyste im Rückenmark so gut wie gar nicht laufen und hat sehr schlechte Chancen, seinen ersten Geburtstag zu erleben.
Das ist kein Witz, das ist die traurige Realität! Und dann wird den Besitzern von verschiedenen Seiten inklusive der Züchterin vorgehalten, dass man diese Hunde in ihrer Wachstumsphase „wie ein rohes Ei“ behandeln müsse und dass sie schon allein dadurch überlastet worden wären, weil sie mal mit anderen Hunden spazieren gegangen sind und ein wenig rumgetollt haben. Für mich stellt sich da die Sinnfrage schlechthin: Kann man noch von einem artgerechtem Leben reden, wenn man Junghunde der Riesenrassen mindestens zwei Jahre lang gewaltsam von ihrem natürlichen Bewegungsdrang abhalten muss, um dann für gerade mal zwei, drei Jahre einen halbwegs belastbaren Hund zu haben, der danach zügig alt wird und alsbald stirbt? Wenn man Welpen für ihr erstes Lebensjahr oder noch länger an die Heizung binden muss, damit auch ja nichts kaputt geht, muss man da als Züchter(in) nicht irgendwann selber drauf kommen, dass das ganze Zuchtkonzept einer solchen Rasse die Grenze zur tierschutzrelevanten Absurdität schon lange überschritten hat?
Aber auch die Fans und Käufer so macher Hunderasse müssen mal so langsam anfangen, sich über ihre eigene Verantwortung Gedanken zu machen. Solche Hunde würden nicht gezüchtet, wenn sie keiner haben wollte, Punkt! Jürgen-Peter Stössel hat es in einem Spiegel-Artikel vor vielen Jahren schön formuliert: „…die menschengefällige Zuchtwahl ist für das Tier häufig eine Qual. Seine Liebhaber werden damit zu Komplizen. Denn sie wollen etwas haben, das nach ihrem Bilde geformt worden ist und nicht sein darf, wie es in die arteigene Nische natürlicher Lebensräume paßt.“
Abschließend will ich noch einmal betonen, dass ich mit meinem zugegebenermaßen polemischen Artikel keineswegs die Absicht habe, alle Züchter(innen) über einen Kamm zu scheren. Die, die mit grundsätzlich gesunden Hunderassen ihrer Arbeit bzw. ihrem Hobby sorgfältig nachgehen, in dem klaren Bewusstsein, dass es dabei um Lebewesen geht, die ihrer Art entsprechend leidensfrei leben wollen, und nicht um reine Verkaufsartikel, sollten sich durch diesen Beitrag nicht angesprochen fühlen. Wer sich aber angegriffen fühlt, wird schon wissen warum.
So, jetzt lass ich es gut sein. Ist sowieso sehr lang geworden, aber irgendwie habe ich meine Gedanken nicht kürzer fassen können. Sie werden mir hoffentlich nachsehen, dass das ein Thema ist, bei dem ich richtig emotional werde. In unserem Selbstverständnis sehen wir Tierärzte uns als berufene Beschützer der Tiere, und als solcher habe ich den Artikel geschrieben.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen
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