Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Die Welt der vereinsorganisierten Hundezüchter:innen ist aktuell in heller Aufregung. Der Verband für das deutsche Hundewesen (VDH) umreißt das Problem auf seiner Website folgendermaßen:
„Die letzten Wochen waren geprägt von Diskussionen mit Amtsveterinären, Behörden und Ministerien bezüglich der Umsetzung des § 10 der neuen Tierschutzhundeverordnung. Diese sieht unter anderem ein Ausstellungsverbot für Hunde mit sogenannten Qualzuchtmerkmalen vor. Die Ausstellungen in Erfurt, Lingen, Dortmund und Neumünster sind die ersten Großveranstaltungen, die von der seit dem 1.1.2022 geltenden Fassung der Tierschutzhundeverordnung betroffen und mit sehr unterschiedlichen Anordnungen konfrontiert worden sind. Auch Sportveranstaltungen und Spezialrassehunde-Ausstellungen rücken zunehmend in den Fokus und fallen ebenfalls unter den Geltungsbereich der Verordnung.“
Paragraph 10 der neuen TierSchHV lautet:
„Es ist verboten, Hunde auszustellen oder Ausstellungen mit Hunden zu veranstalten,
1. bei denen Körperteile, insbesondere Ohren oder Rute, tierschutzwidrig vollständig oder teilweise amputiert worden sind oder
2. bei denen erblich bedingt a) Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten, b) mit Leiden verbundene Verhaltensstörungen auftreten, c) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder d) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.
Satz 1 gilt entsprechend für sonstige Veranstaltungen, bei denen Hunde verglichen, geprüft oder sonst beurteilt werden.“
Die für die genannten Großveranstaltungen jeweils zuständigen Veterinärämter haben weitreichende Anordnungen getroffen, um eine Einhaltung des Paragraphen 10 durchzusetzen. Strittige und aktuell heiß diskutierte Einzelheiten dieser Anordnungen sollen im Rahmen dieses Artikels gar nicht besprochen werden. Für die Allgemeinheit interessant und damit unser Thema ist das vom VDH in Zusammenarbeit mit den Behörden entwickelte Konzept zur Vermeidung von tierärztlichen Eingangskontrollen. Nach diesem Konzept brauchen ALLE HUNDE ALLER RASSEN, die ausgestellt werden sollen, eine Bescheinigung über eine tierärztliche Untersuchung auf das Vorliegen von Qualzuchtmerkmalen. Nach unseren Informationen verlangt das zuständige Veterinäramt bei einer der in nächster Zeit geplanten Großveranstaltungen diese Bescheinigung sogar von Besucherhunden. Der VDH stellt ein Formular für diese Bescheinigung zur Verfügung.
Was soll untersucht bzw. bescheinigt werden? Wir zitieren aus dem Formular:
„Im Rahmen einer tierärztlichen klinischen Allgemeinuntersuchung soll festgestellt werden, ob bei dem untersuchten Hund Hinweise auf das Vorliegen von sog. Qualzuchtmerkmalen festzustellen sind. Auf krankhafte Veränderungen an folgenden Organsystemen ist besonders zu achten:
Augen: Liegen Reizungen oder Entzündungen der Bindehaut, der Hornhaut, übermäßiger Tränenfluss oder sonstige krankhafte Veränderungen als Folge erblich bedingter Fehlbildungen wie Entropium, Ektropium, Distichiasis, Mikrophthalmus, Exophthalmus, Hinweis auf erhöhten Augeninnendruck, Katarakt, Nickhautvorfall (Cherry Eye), Hornhautulcus, Verlegung des Tränen-Nasenkanals, Keratokonjunktivitis sicca) vor?
Schädel, Gebiss und Kiefer: Sind Zähne fehlerhaft ausgebildet oder fehlen (außer P1), liegt ein ausgeprägter Vorbiss oder Rückbiss mit ungenügender Gebissfunktion vor? Liegen Missbildungen der Schädeldecke wie eine offene Schädelknochenlücke vor?
Haut/Hautanhangsorgane: Liegen ein oder mehrere der folgenden Befunde vor: fehlende oder fehlerhafte Tasthaare (Vibrissen), teilweise oder vollständige Alopezie mit fehlenden/fehlerhaften Vibrissen oder Zahnanomalien, Hauteinstülpungen oder röhrenförmige Zysten bei Hunden mit Kammbildung der Rückenhaare (Ridge), übermäßige Hautfaltenbildung mit ausgeprägten Entzündungssymptomen, Hyper- oder Parakeratose der Nase, Hautläsionen an Pfoten und im Gesicht, die zu Entzündungen neigen, Hyperkeratose der Fußballen, Krallendeformation, überlange, schwere Schlappohren, die bei Senken der Nase den Boden berühren, Albinismus mit Albinismus Oculi?
Bewegungsapparat: Wurden krankhafte Befunde wie Lahmheiten oder andere Störungen, auch neurologischer Art, im Bewegungsablauf festgestellt? (Hinweise auf mögliche Qualzuchtmerkmale wie Hemivertebrae, Hüftgelenksdysplasie, Ellbogendysplasie, Patellaluxation, Bandscheibenerkrankungen/Diskopathie, neurologische Veränderungen)
Atmungsapparat: Waren übermäßige Atemgeräusche wie Schnorcheln oder Schnarchen, Schluckbeschwerden oder starkes Hecheln bei geringer Belastung oder Ruhe festzustellen? Herz/Kreislaufapparat: Ergaben sich bei der Auskultation des Herzens Hinweise auf das Vorliegen von erblichen Herzerkrankungen wie Veränderungen an den Herzklappen, Persistierender Ductus arteriosus, Dilatative Kardiomyopathie?
Ergaben sich Hinweise auf Taubheit oder eingeschränkte Sehfähigkeit/Blindheit?
Bei männlichen Hunden: Liegt ein Kryptorchismus vor?
Bei stummelschwänzigen Hunden: Ist die Rute beweglich und kann aufgrund ihrer Länge und Beweglichkeit die Afterregion bzw. bei Hündinnen auch das Genitale bedecken?“
Unsere aufmerksamen Leser:innen werden wahrscheinlich schon erkannt haben, dass bestimmte Hunderassen nicht mal den Hauch einer Chance haben, so eine Untersuchung ohne Feststellung von Qualzuchtmerkmalen zu überstehen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Möpse, Französische oder Englische Bulldoggen und andere brachycephale Rassen werden fast ausnahmslos gleich über mehrere Punkte gleichzeitig stolpern, aber auch bei Riesenrassen wie den Mastiffs, den Doggen und den Bernhardinern wird in den allermeisten Fällen gleich vorne am Kopf, nach der Untersuchung der Augen, schon wieder Schluss sein. Langer Rede kurzer Sinn: Wenn Sie ausstellen wollen, dann lesen Sie bitte die angeführten Punkte der Untersuchung genau durch. Sie werden wohl selber am besten wissen, wo es bei Ihrer Rasse hakt, und sich ziemlich gut ausrechnen können, ob Sie überhaupt eine Chance haben. Haben Sie unter realistischer Einschätzung keine, dann versuchen Sie es im Idealfall erst gar nicht. Nach unserer Einschätzung haben die meisten deutschen Tierarztpraxen aktuell sowieso mehr als genug mit kranken Patienten zu tun, als dass ein gesteigertes Interesse daran bestehen würde, reihenweise Negativ-Bescheinigungen (mit den damit zwangsläufig verbundenen Irritationen für alle Beteiligten) auszustellen.
Sollte sich dieses Konzept langfristig etablieren, mag es anfangs noch zu der einen oder anderen Gefälligkeitsbescheinigung für gute Kunden kommen, aber das wird sich schnell und mit unangenehmen Folgen für die betreffenden Kolleginnen und Kollegen erledigt haben, wenn die Überwachungsbehörden bei stichprobenartigen Kontrollen fast zwangsläufig dahinter kommen werden. Alle von uns, die diese Untersuchungen durchführen und bescheinigen, müssen im Zweifels- bzw. Streitfall für ihre Befunde und Ergebnisse gerade stehen können. Für irgendwelche Mauscheleien ist da nicht viel Spielraum, auch und gerade bei Qualzuchtmerkmalen, die man schon aus drei Meter Entfernung feststellen kann, ohne den betreffenden Hund überhaupt zu berühren.
Dieser Punkt, nämlich dass es sich bei dieser Untersuchung keineswegs um einen schnellen Wischiwaschi-Vorgang handeln kann, sondern um eine Tätigkeit, die mit aller gebotenen Sorgfalt und unter genauester Befunddokumentation durchzuführen ist, bringt uns zum Thema der Gebührenhöhe. Aus Sicht der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) handelt es sich dabei nicht nur um eine Allgemeine Untersuchung, wie der VDH durch die Wortwahl „Allgemeine tierärztliche Untersuchung für alle Hunde“ zu suggerieren versucht. Der Umfang einer tiermedizinischen Allgemeinen Untersuchung wurde in der Vergangenheit schon in mehreren Arbeiten bzw. Veröffentlichungen definiert, wobei nicht in allen, aber doch in den meisten Punkten Übereinstimmung erzielt werden konnte.
Bei aller medizinischen Interpretationsfreiheit und Flexibilität, was Inhalt einer AU sein sollte, ist eines ganz gewiss: Eine genaue Untersuchung der Augen, zum Beispiel auf Distichiasis, Hornhautulcus oder Keratokonjunktivitis sicca , der Zähne auf Vollzahnigkeit und Zahnschluss, des Bewegungsapparates auf Anzeichen neurologischer Störungen oder Patellaluxation, der Haut und Unterhaut zum Beispiel auf das Vorliegen eines Dermoidsinus bei einem Ridgeback – das alles ist ohne jeden Zweifel NICHT Bestandteil einer Allgemeinen Untersuchung im Sinne der Gebührenordnung. Wir haben es also bei dem vom VDH bzw. den zuständigen Behörden geforderten Untersuchungsgang mit einer Allgemeinen und gleich mehreren „Eingehenden Untersuchungen einzelner Organsysteme“ zu tun, die jeweils extra abzurechnen sind. Von wie vielen Eingehenden Untersuchungen wir da genau reden, wird berufsintern noch zu diskutieren sein.
Weiterhin legt das VDH-Formular in einigen von uns Tiermediziner:innen zu bescheinigenden Punkten die Latte ganz schön hoch, ob nun absichtlich oder aufgrund fehlender medizinischer Sachkunde sei mal dahingestellt. Beispielsweise wird in den FAQ zu dem Konzept darauf abgehoben, dass Hunde mit Patellaluxationsgrad 1 ausgestellt werden dürfen. Das bringt zwangsläufig mit sich, dass man als Untersucher den Luxationsgrad erst mal durch eine fachgerechte Patellaluxationsvorsorgeuntersuchung bestimmen muss, ein Vorgang, der bei einem für diese Untersuchung zugelassenen Tierarzt wie mir schon ganz allein für sich ca. 65 Euro kostet. Als weitere Beispiele seien genannt die Keratokonjunktivitis sicca („Trockenauge“), deren Diagnose eigentlich verpflichtend die Durchführung eines sogenannten Schirmer-Tests erforderlich macht, und das Hornhautulkus, das in vielen Fällen nur durch eine Anfärbung der Cornea mit Fluoreszin zu entdecken ist.
Zum bei genauerer Betrachtung doch überraschend hohen Untersuchungsaufwand kommt die aus Gründen der Rechtssicherheit erforderliche präzise Befunddokumentation. Man denke an einen Mastiff-Züchter, dessen Hund man ein Karo-Auge bescheinigt, oder einen Mops-Züchter, bei dessen Hund man eine Atembehinderung feststellt. Wenn dann jemand in seiner Enttäuschung glaubt, sich juristisch oder durch öffentliche üble Nachrede wehren zu müssen, ist man gut beraten, wenn man seine Befunde lückenlos, zur Not auch mit Fotos oder Videos, belegen kann. Gefahr im rechtlichen Sinne droht aber auch von der anderen Seite, also den Veterinärämtern, wenn man – wie oben schon kurz angesprochen – relevante Befunde absichtlich oder fahrlässig unter den Tisch fallen lässt und der entsprechende Hund dann auf der Ausstellung von den Kolleginnen und Kollegen vom Amt als Stichprobe herausgepickt wird.
Fazit: Diese vom VDH angestrebte Untersuchung kann nach (nicht nur!) unserer Meinung nur dann unterhalb des dreistelligen Bereichs angeboten werden, wenn man das als Praxisinhaber:in betriebswirtschaftlich oder forensisch nicht wirklich zu Ende gedacht hat. Wir gehen davon aus, dass sich die entsprechenden Gebühren in sorgfältig arbeitenden Praxen / Kliniken über kurz oder lang bei 120 bis über 200 Euro einpendeln werden. Im Gegensatz dazu kursieren in den einschlägigen Social-Media-Gruppen jetzt schon Discount-Angebote im Bereich von 20 oder 30 Euro pro Hund. Den Besitzern von Hunden, an deren Ausstellungsfähigkeit gewisse Zweifel bestehen müssen, können wir nur raten, solche Billigangebote unbedingt wahrzunehmen, weil sie bei diesen Preisen sicher davon ausgehen können, dass da weder genau hingeschaut noch sauber dokumentiert wird. Sorgfältig untersuchende und ihre Befunde präzise dokumentierende Praxen und Kliniken werden sich wohl eher nach einem heute gelesenen Zitat eines geschätzten Kollegen richten: „Ich dachte mir schon im Vorfeld, dass diese Untersuchungen mit Bescheinigung geschätzt mind. 150-200€ kosten müssen. Das lasse ich dann mal gerne andere für weniger machen.“ Dem schließen wir uns ausdrücklich an! Wir folgen der Bitte des VDH, uns an diesem Konzept zu beteiligen, grundsätzlich gern, weil wir es zur Entlastung der Veterinärämter für sinnvoll und vernünftig halten, sind aber angesichts unseres sonstigen Arbeitsaufkommens überhaupt nicht böse, wenn aufgrund unserer dafür angedachten Gebühren keine Nachfrage entstehen sollte.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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