Häufige Kundenforderung: Das Tier soll an erster Stelle stehen, nicht der Profit!

Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin

Aus den Sozialen Medien:

„Hallo! Suche in Musterstadt und Umgebung einen Tierarzt, der gemäß dem Motto „das Tier steht an erster Stelle und nicht der Profit“ handelt“

Und weiter unten, im Rahmen der entstandenen Diskussion, eine weitere Präzisierung der Threadstarterin:

„Gemeint ist damit, dass bei anständiger Arbeit auch ein angemessener Preis bezahlt wird. Leider nicht immer der Fall. (…) Von umsonst ist nicht die Rede!! Ich rede hier von Verhältnismäßigkeit und sonst gar nichts. Preis/Leistung heißt: Gute Leistung zum angemessenen Preis.“

Okay, für „anständige“ Arbeit, für eine „gute Leistung“ soll eine der Tierbesitzerin genehme Praxis also einen „angemessenen“, einen „verhältnismäßigen“ Preis aufrufen. Nun stellt sich für den logisch denkenden Menschen natürlich sofort die Frage nach dem Maßstab, an dem sich „anständig“, „angemessen“ und „verhältnismäßig“ orientieren sollen. In diesem Fall ist die Antwort ja klar wie Kloßbrühe: Der Maßstab ist das persönliche Preis-Leistungs-Empfinden der Tierhalterin. Zumindest denkt sie sich das so.

Falscher könnte sie aber fast nicht liegen. Es mag ja Lebensbereiche geben, in denen das mit dem Preis-Leistungs-Gefühl halbwegs funktioniert: Bei einer Tasse oder auch einem Pfund Kaffee, beim Kauf einer Breze, eines Liters Milch oder eines Stücks Butter. Ganz sicher aber nicht bei auch nur halbwegs komplexen medizinischen Leistungen, die sich der Beurteilung durch Laien vollständig entziehen. Es wurde schon wiederholt durch wissenschaftliche Arbeiten bewiesen, dass Patient:innen (in der Humanmedizin) und Tierhalter:innen (in der Tiermedizin) nicht in der Lage sind, die Qualität medizinischer Leistungen auch nur ansatzweise korrekt zu beurteilen. Als wie gut oder schlecht eine (tier-)medizinische Einrichtung bzw. die Ärztin / der Arzt wahrgenommen wird, hängt fast ausschließlich von den sogenannten „weichen Faktoren“ ab, also Freundlichkeit, Zuwendung, Praxiseinrichtung, Umgang mit dem Patienten, Sauberkeit, und so weiter und so fort.

Das gilt ebenso für die Gebühren von Tierarztpraxen und Kliniken. Sie sind ohne Hintergrundwissen und durch Außenstehende schlicht nicht beurteilbar. Sitzt man erst in einem Wartezimmer und wird dann in einen Behandlungsraum gerufen, weiß man letztendlich nicht, was die Einrichtung an teurer Medizintechnik vorhält, was sie für eine Personaldecke hat, wie fair die Angestellten entlohnt werden und mit wie viel Sorgfalt (und entsprechendem Aufwand) sie hinter den Kulissen bestimmte Leistungen wie Narkosen und diagnostische oder operative Eingriffe durchführt. Das alles sind Faktoren, die einen deutlichen Einfluss auf das wirtschaftlich zwingend erforderliche Gebührenniveau der jeweiligen Praxis oder Klinik haben.

Davon abgesehen: Selbst wenn jemand in Jahrzehnten privater Tierhaltung und durch viele Tierarztbesuche ein gewisses Gefühl für ein vermeintlich „angemessenes“ Gebührenniveau entwickelt haben sollte, ist das angesichts der aktuellen Entwicklung mit extremem Fachkräftemangel und der längst überfälligen Korrektur der Gebühren steil nach oben sowieso nur noch Makulatur.

Langer Rede kurzer Sinn: Was für eine bestimmte Praxis oder Klinik aus betriebswirtschaftlicher Sicht angemessene Gebühren sind, können Außenstehende nicht mal im Ansatz beurteilen. Seien wir doch mal ein bisschen ehrlich, bitte! Letztendlich geht es doch einfach um die Frage, ob das Gebührenniveau einer Praxis zu meiner persönlichen Einkommenssituation passt, denn was ich als „angemessen“ empfinde, hängt nun mal in erster Linie davon ab, über wie viel Geld ich verfügen kann.

So, dann müssen wir uns noch diesen von bestimmten Leuten gern und vorsätzlich künstlich hergestellten Gegensatz zwischen „Profit“ und „Wohl des Tieres steht an erster Stelle“ ansehen. Mal ganz grundsätzlich: Bei der absoluten Mehrzahl meiner Kolleginnen und Kollegen gehe ich als Insider mit über 30 Jahren Erfahrung fest davon aus, dass ihnen das Wohl ihrer Patienten der allerwichtigste Maßstab des Berufslebens ist und sie dafür im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten ihr Bestes geben. Schließt das aber das Streben nach möglichst viel und ethisch sauber erzieltem Gewinn irgendwie aus? Nö, tut es natürlich nicht! Praxisinhaber:innen führen kleine bis mittelgroße Unternehmen. Unternehmen müssen nun mal Gewinn machen, für die Begleichung der Kosten, für die faire Bezahlung der Angestellten, für Investitionen und Innovationen und natürlich auch für ein vernünftiges Einkommen der Inhaberin / des Inhabers. Prophylaktisch sei gleich angemerkt, dass Letzteres, also das, was ich als Praxisinhaber:in als vernünftiges Einkommen bezeichne, ganz sicher nicht von meinen Kund:innen beurteilt oder gar festgelegt wird!

Wie Sie wahrscheinlich bemerkt haben, verwenden wir den Begriff „Gewinn“ für die Differenz zwischen Ertrag und Aufwand. „Profit“ ist im deutschen Sprachraum ein negativ konnotiertes, marxistisches Schlagwort, mit dem das völlig natürliche Gewinnstreben eines Unternehmens gleich mal von vornherein als etwas Negatives verunglimpft wird. Bitte stellen Sie sich der Tatsache, dass auch Tierarztpraxen und Kliniken nun mal keine karitativen Einrichtungen sind.

Es ist also unter Anwendung der medizinischen Ethik, die uns allen im Rahmen unserer Ausbildung eingebläut wurde, durchaus möglich (und auch völlig natürlich!), die beiden Zielvorstellungen Patientenwohl und Gewinnstreben unter einen Hut zu bringen. Macht man sich also schonungslos ehrlich, müsste die eingangs zitierte Frage eigentlich kurz und knapp lauten: „Kennt jemand ne billige Tierarztpraxis?“. Oder ausführlicher: „Gibt es hier am Ort eine Tierarztpraxis, deren Gebühren zu meinem Einkommen / Gehalt passen?“.

Wir halten so eine Fragestellung übrigens für völlig legitim. Als Tierhalter:in habe ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, eine zu meinem Geldbeutel (oder zu meiner Tierkrankenversicherung) passende Tierarztpraxis zu finden. Was uns aber richtig Puls macht, ist die dreiste Unterstellung, dass alle Anbieter, die für den eigenen Geldbeutel eine oder zwei Nummern zu groß sind, automatisch profitgeile und unethisch handelnde Halbkriminelle wären, denen das Wohl ihrer Patienten völlig am Heck vorbei geht. Diese Unterstellung ist nämlich nicht nur blöd, sondern auch noch pauschal beleidigend und bösartig!

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,

Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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