Gerichtsurteil gegen eine Kollegin wegen der Euthanasie eines Hundes „ohne vernünftigen Grund“

Von Ralph Rückert, Tierarzt

In meinem Blog findet man im April 2017 eine vierteilige Artikelserie über das Thema „Euthanasie“. In Teil 3 „Ohne vernünftigen Grund“ habe ich schon damals erläutert, was mit dieser auf den ersten Blick sehr gummig wirkenden Formulierung gemeint ist und dass aus rechtlicher Sicht sowohl den Tierbesitzern als auch den TierärztInnen inzwischen sehr weitreichende Bemühungen und finanzielle Belastungen zugemutet werden, bevor ein für die Einschläferung eines Tieres ausreichender vernünftiger Grund als gegeben angenommen werden kann.

Viele TierbesitzerInnen leben nach wie vor in der Vorstellung, dass wir KleintierpraktikerInnen ein Tier mehr oder weniger auf ihren Wunsch einschläfern dürften bzw. müssten. Dieses aktuelle Urteil des Amtsgerichts Halle vom 16. März 2020 macht eindrücklich klar, dass dem absolut nicht so ist und dass wir TierärztInnen dazu bereit und in der Lage sein müssen, JEDE Euthanasie eines Tieres (zur Not eben auch vor Gericht) ausreichend begründen zu können. Man beachte: Nicht der Besitzer des Hundes, auf dessen Wunsch die Euthanasie erfolgte, wurde angeklagt und verurteilt, sondern die durchführende Kollegin!

Da der eingefügte Link eventuell nicht lange aktuell bleiben wird, hier die Meldung aus dem Deutschen Tierärzteblatt vom 1. September 2020 als Zitat:

„Geldstrafe nach Euthanasie durch Tierärztin

Wegen eines Verstoßes gegen § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG) wurde ‧eine Tierärztin vor dem Amtsgericht Halle zu einer Geldstrafe in Höhe von 3 500,00 € verurteilt.

Der Tierhalter eines „Kleinen Münsterländers“ begab sich in die Praxis und schilderte, dass sein Hund in kurzer Zeit 15 Beißvorfälle verursacht hatte. Das Beißen erfolge in Alltagssituationen ohne Provokation, auch gegenüber dem Tierhalter selbst und dessen Familienangehörigen habe es Beißvorfälle gegeben. Eine Untersuchung durch die Tierärztin konnte nicht vorgenommen werden, da dem Hund kein Maulkorb angelegt werden konnte. Auch die Tierärztin wurde einmal durch den Hund gebissen. Die Tierärztin diagnostizierte als mögliche Ursachen für die Aggressivität des Hundes – ohne Untersuchung – eine Verhaltensstörung oder das Vorliegen eines Hirntumors; beides sei nicht therapierbar. Nach Abwägung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten empfahl die Tierärztin die zwingende Notwendigkeit, das Tier zu euthanisieren. Nach Aufklärung des Tierhalters gab dieser die ausdrückliche Zustimmung, woraufhin das Tier bei einem Hausbesuch eingeschläfert wurde. Das Amtsgericht sah einen Verstoß gegen § 17 TierSchG, da es für die Tötung des Hundes an dem gesetzlich geforderten „vernünftigen Grund“ gefehlt habe. Eine eindeutige Diagnosestellung oder umfangreiche Untersuchung des Tieres sei nicht durchgeführt worden. Die Indikation für die Euthanasie sei lediglich auf der Grundlage der Beschreibungen des Tierhalters gestellt worden und die Euthanasie unter Außerachtlassung veterinärmedizinischer und ethischer Grundsätze durchgeführt worden. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens ging das Gericht zudem von einer Therapierbarkeit des Hundes aus.

(Amtsgericht Halle, Urteil vom 16.03.2020)“

Es reicht eine Person aus dem Umfeld des euthanasierten Tieres, die mit der Entscheidung der Tierbesitzer und des behandelnden Tierarztes nicht einverstanden ist und Anzeige erstattet, und schon landet man vor Gericht. In diesem Fall war es nach meinen Informationen die Tochter der Besitzerfamilie, die den Stein ins Rollen brachte.

Es geht mir im Rahmen dieses kurzen Artikels gar nicht um eine Bewertung der Frage, ob die verurteilte Kollegin richtig oder falsch entschieden hat. Das ist auf der Basis der mir zugänglichen Informationen schlicht unmöglich. Eines ist aber sicher: Die Kollegin hat eben leider nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um sich ausreichend abzusichern und um eine vernünftige Datenbasis für ihre Entscheidung zu schaffen. Auch ein hochaggressiver Hund kann den dafür notwendigen Untersuchungen (Blut, Strahlendiagnostik, etc.) zugeführt werden und/oder an auf Verhaltensmedizin spezialisierte Kolleginnen und Kollegen weiterüberwiesen werden. Es gibt nun mal immer wieder Fälle, in denen sich bei gründlicher Abklärung herausstellt, dass selbst extrem problematisches Verhalten auf eine BEHANDELBARE Grunderkrankung oder chronische Schmerzzustände zurückzuführen ist.

Wir erleben relativ häufig, dass Tierbesitzer, die die Euthanasie ihres Tieres aus den verschiedensten Gründen für angemessen halten, tödlich beleidigt reagieren, wenn wir darauf nicht sofort bereitwillig eingehen und weitergehende Untersuchungen durchführen wollen. Gerne wird (heutzutage natürlich möglichst maximal öffentlich) unterstellt, dass wir an einem sowieso todgeweihten Tier noch ordentlich verdienen wollen. Darauf kann ich nur sagen: Sorry, geht mir glatt meterweit am Heck vorbei! Kein Mensch kann von mir verlangen, mich ohne ausreichende diagnostische Absicherung einem solchen Gerichtsverfahren aussetzen und am Ende vielleicht als Vorbestrafter weiterleben zu müssen. Aus anderen mir zugänglichen Informationsquellen habe ich erfahren, dass das Gericht mit seinem Urteil deutlich unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß geblieben ist, denn sonst hätte die Kollegin neben einer höheren Geldstrafe auch noch für 8 Monate im Knast landen können, was – Bewährung hin oder her – im weiteren Verlauf den Verlust ihrer Approbation und damit ein faktisches Berufsverbot hätte bedeuten können.

Fazit: Geht es um die Frage, ob Ihr Tier in unserer Praxis eingeschläfert werden soll, spielen Ihre Schilderungen und Ihre Meinung sicherlich eine sehr gewichtige Rolle. Die letztendliche Entscheidung liegt aber grundsätzlich bei uns, weil wir (und nur wir!) im Fall der Fälle dafür den Kopf hinhalten müssen. Unser Bestreben, eine Entscheidung zur Euthanasie eines Tieres durch weitergehende Untersuchungen auf eine rechtssichere Basis zu stellen, hat rein gar nichts mit unethischem Profitstreben zu tun, sondern beruht auf einem sehr gesunden Respekt vor der aktuellen rechtlichen Auslegung des vom Tierschutzgesetz eingeforderten „vernünftigen Grundes“.

Die in diesem Urteil zum Ausdruck kommende Auslegung des Gesetzes mag einem – speziell bei einem Blick auf die im Nutztierbereich alltäglich und millionenfach akzeptierten Gebräuche und Zustände – übertrieben scharf vorkommen, aber was hilfts? Im Extremfall spielen wir KleintierpraktikerInnen bei jeder Euthanasie mit unserer beruflichen Existenz. Da sind Wurstigkeit und leichtfertig aus dem Bauch heraus getroffene Entscheidungen einfach keine Option!

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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