Frage einer Leserin zu Arzneimittelabgabe bzw. -verschreibung

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Folgende Fragestellung hat mich erreicht:

„Thema Tierarzt und Medikamente bzw. Tierarzt und Rezept.

Gibt es Regeln oder Empfehlungen, wann ein Tierarzt ein Rezept ausstellt?

Der konkrete Fall ist folgender. In Stichworten:

Frau mit 4 großen Hunden möchte bravecto kaufen. 6 Packungen, da sie Vorrat möchte. Nach Recherche bei mehreren online-Apotheken stellt sich heraus, dass die Tabletten online erheblich(!) preiswerter sind als beim TA. Zwei TÄ verweigern ihren Wunsch nach einem Rezept. Das wird nun verbreitet als „Geldmacherei“ des Tierarztes. Der Meinung bin ich sicher nicht. Daher aber meine Frage: Wieviel in etwa verdient der Tierarzt an den Medikamenten, die er selbst in der Praxis bevorratet? Und wird grundsätzlich kein Rezept ausgegeben, wenn das Medikament in der Praxis vorrätig ist oder liegt es im Ermessen des Tierarztes?“

Da die Beantwortung dieser Fragen sicher auch einige andere Leserinnen und Leser interessiert, mache ich das gleich hier in dieser Form:

Wie viel verdient eine Tierärztin / ein Tierarzt an Medikamenten, die aus der Tierärztlichen Hausapotheke abgegeben werden?

Das wird geregelt in der (natürlich öffentlich zugänglichen) Arzneimittelpreisverordnung, die – nach Einkaufspreis des Präparats gestaffelt – Höchstzuschläge auflistet, je niedriger der EK, desto höher der Zuschlag. Wichtig ist der Begriff HÖCHSTzuschlag! Billiger darf man ein Präparat durchaus verkaufen, wenn man das aus unternehmerischen Gründen machen möchte. In den meisten Kleintierpraxen werden im Gegensatz zu Online-Apotheken aber fast immer die Höchstzuschläge berechnet, weil die Nebenkosten des Unterhalts einer Tierärztlichen Hausapotheke mit geringem Handelsvolumen vergleichsweise hoch sind. Ich habe meine Medikamentenlisten gerade nicht zur Hand, schätze aber, dass der Höchstzuschlag bei einem Präparat wie Bravecto irgendwo zwischen 30 und 40 Prozent liegen dürfte.

Warum sind solche Präparate in Online-Apotheken in der Regel billiger bis viel billiger zu bekommen?

In erster Linie deshalb, weil Online-Apotheken aufgrund ihres riesigen Handelsvolumens einen viel niedrigeren Einkaufspreis als eine Tierarztpraxis haben, so dass sich daraus natürlich ein niedrigerer Abgabepreis ergibt. Es gibt Präparate, bei denen der Endverbraucher-Verkaufspreis einer Online-Apotheke unter dem Einkaufspreis liegt, den eine Tierarztpraxis bezahlen muss. Außerdem gibt es Online-Apotheken, die im europäischen Ausland sitzen, wo die Preise sowieso und pauschal auf einem niedrigeren Niveau sind. Meines Wissens kassiert die Pharmaindustrie in keinem EU-Land so energisch ab wie in Deutschland.

Kann man als Tierärztin / als Tierarzt auch ein Rezept für ein Medikament ausstellen, das man eigentlich vorrätig hält?

Ja, kann man! Es macht nur aus preislicher Sicht für die Tierbesitzer:innen keineswegs immer Sinn, weil die Gebührenordnung für das Ausstellen des Rezepts eine Rezeptgebühr vorschreibt, die man dann natürlich auf den Preis des Präparats in der Online-Apotheke draufrechnen muss.

Warum hat die Frau aus der Frage das gewünschte Rezept für ihre vier Hunde in zwei Praxen nicht ausgestellt bekommen?

Erstens ist es möglich, dass die Besitzerin und/oder einer oder mehrere ihrer Hunde der Praxis nicht als Patienten bekannt oder schon länger nicht mehr dort waren. In so einem Fall darf aufgrund der gesetzlichen Regelungen ohne vorherige Untersuchung gar kein Rezept ausgestellt oder ein Medikament abgegeben werden. Zitat aus EU VO 6/2019 Artikel 105: „Eine tierärztliche Verschreibung wird erst nach einer klinischen Untersuchung oder einer anderen angemessenen Prüfung des Gesundheitszustands des Tieres oder der Gruppe von Tieren durch einen Tierarzt ausgestellt.“ Oder – die Abgabe des Arzneimittels betreffend – ein Zitat aus der Tierärztlichen Hausapothekenverordnung (TÄHAV): „Apothekenpflichtige Tierarzneimittel, Humanarzneimittel und veterinärmedizintechnische Produkte dürfen von Tierärztinnen und Tierärzten an Tierhalterinnen und Tierhalter nur im Rahmen einer ordnungsgemäßen Behandlung von Tieren oder Tierbeständen abgegeben werden. Eine Behandlung im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 schließt insbesondere ein, dass nach den Regeln der veterinärmedizinischen Wissenschaft eine Untersuchung oder eine andere gleichwertige Prüfung des Gesundheitszustandes der Tiere oder des Tierbestandes in angemessenem Umfang von der Tierärztin oder von dem Tierarzt durchgeführt worden ist“.

Will man nun als Tierärztin oder Tierarzt – diesen Regelungen folgend – vor der Verschreibung oder Abgabe eines Präparats wie Bravecto erst mal eine entsprechende Untersuchung durchführen, wird das von sehr vielen Tierbesitzer:innen als eine Zumutung und als Abzocke gesehen, nicht zuletzt, weil die Gebühren für so eine Untersuchung gern mal den Preisvorteil der Online-Apotheke endgültig zunichte machen. Das ist ein Punkt, der sehr häufig zu Streit und Verärgerung führt. Eine Frage, die auch fachintern immer wieder diskutiert wird, ist die, wie lange es her sein darf, dass man ein Tier, für das man etwas abgeben oder verschreiben soll, gesehen und untersucht hat. Diese Zeitspanne darf aber sicher nicht mehr als ein Jahr betragen. Sprich: Ist ein Tier einer Praxis überhaupt nicht bekannt oder war seit über einem Jahr (nach anderen Meinungen seit über sechs Monaten) nicht mehr vorstellig, ist das ein sehr guter Grund, eine Verschreibung oder Abgabe zu verweigern.

Zweitens ist es natürlich möglich, dass eine Tierärztin oder ein Tierarzt kein Rezept für ein Präparat ausstellt, das sie oder er in der Praxisapotheke vorhält. Das darf sie oder er natürlich, wenn ich persönlich es auch nie so gehalten habe, weil ich die aus Medikamentenverkäufen resultierenden Gewinne in der Kleintierpraxis nie als wirklich kriegsentscheidend gesehen habe und durchaus verstehen konnte, wenn Leute die Preisvorteile von Online-Apotheken wahrnehmen wollten. Es ist also nicht grundsätzlich so, dass Rezepte für Medikamente, die vorrätig sind, verweigert werden. Vielmehr ist das eine Frage des persönlichen Ermessens.

Fazit: Sie müssen sich bitte klar machen, dass sie aufgrund gesetzlicher Regelungen nicht einfach in einer beliebigen Tierarztpraxis aufschlagen und ein Medikament oder ein Rezept bestellen können, wenn Sie bzw. Ihr Tier dort gar nicht bekannt sind oder seit längerer Zeit nicht mehr vorstellig waren. In solchen Fällen müssen Sie damit rechnen, dass vielleicht nicht alle, aber doch die allermeisten Kolleginnen und Kollegen sich an Recht und Gesetz halten und die Gefahr eines Bußgeldes im vierstelligen Bereich als wichtiger einstufen als die paar Kröten Gewinn, die so eine Packung Tabletten einbringt. Und machen Sie bitte keinen Stress, wenn genau das passiert, denn Sie können nicht erwarten, dass jemand gegen das Gesetz handelt, um es Ihnen einfach und bequem zu machen, genau so wenig, wie Sie von einem Taxifahrer verlangen können, dass er mit hundert Sachen durch die Stadt und über rote Ampeln brettert, damit Sie noch Ihren Zug erreichen. Sehr häufig kommt es übrigens zu dieser Konfliktsituation zwischen der Gesetzeslage und dem Kundeninteresse, wenn jemand nicht an die benötigten Dauermedikamente kommt, weil die Stammtierarztpraxis zum Beispiel wegen Urlaub geschlossen hat. Denken Sie deshalb unbedingt daran, eine eiserne Reserve vorzuhalten und sich frühzeitig um Nachschub zu kümmern.

Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Ralph Rückert

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