Von Ralph Rückert, Tierarzt
Am Mittwoch, den 8. Mai 2024, trafen die Firma Animagus GmbH aus Leipzig (Marke „Tierliebhaber“), vertreten von der Geschäftsführerin Frau Katharina Smakman, und meine Wenigkeit als Tierarzt und Blogger zu einer von mir mit Spannung erwarteten Verhandlung vor dem Handelsgericht in Ulm aufeinander. Was war passiert?
Im Februar hatte ich einen Blogartikel verfasst, mit harter und unmissverständlich formulierter Kritik an einem Werbevideo für das „Dentalspray“ der Firma. Die in dem Video gemachten Aussagen und Versprechungen waren in meinen Augen dazu geeignet, durch Zahnerkrankungen verursachtes Leid bei Katzen und Hunden zu verlängern und zu verschlimmern. Die Kernaussage des (inzwischen nicht mehr im Netz zu findenden) Videoclips war die, dass man durch die Anwendung des Dentalsprays einen vom Tierarzt empfohlenen Eingriff unter Narkose vermeiden könnte.
Gegen diesen Artikel versuchte die Firma Animagus mit einer kostenpflichtigen Unterlassungserklärung vorzugehen, die ich nicht akzeptiert habe, woraufhin es zur Gerichtsverhandlung kam.
Der Punkt, um den es mir ging: Wenn eine Kollegin / ein Kollege einen Zahneingriff in Narkose empfiehlt, hat sie / er dafür meist einen guten Grund, zum Beispiel das sichere Wissen, dass nur ein sogenanntes dentales Full-Mouth-Röntgen und eine gründliche Befunderhebung (wie sie nun mal nur in Narkose möglich ist) die Entdeckung oder den Ausschluss der extrem häufigen und schmerzhaften Resorptivläsionen (FORL) oder anderer parodontaler Erkrankungen und damit eine sachgemäße Behandlung gewährleisten können. Jegliche Zahnbehandlung ohne dentales Röntgen wird bei der Katze und (mit kleinen Einschränkungen) beim Hund heutzutage als irgendwas zwischen fahrlässig und kunstfehlerhaft gesehen. Oder anders ausgedrückt: Die Katze, die „nur“ Zahnstein hat und sonst nichts, gibt es bis zum (seltenen) Beweis des Gegenteil einfach nicht! Das haben mein Anwalt und ich vor Gericht durch mehrere Literaturquellen und Leitlinien nachgewiesen.
Fallen nun Tierbesitzer:innen in gutem Glauben auf die nicht belegbaren und damit völlig aus der Luft gegriffenen Heilsversprechen in dem Video herein, wird das Leiden von Tieren, die ernsthafte Zahnerkrankungen haben, zweifellos verlängert und natürlich mit jedem verstreichenden Tag ohne korrekte Diagnostik und Therapie auch verschlimmert. Ein schlagendes Beispiel für diesen Gedankengang war im Video selbst zu sehen: Im geöffneten Maul einer Katze konnten sachkundige Personen mit Leichtigkeit schwerste und hochgradig schmerzhafte Zahnpathologien (abgebrochene Zähne mit vergammelten Wurzelresten im Kiefer) erkennen. Wird so eine Katze mit einem „Dentalspray“ ohne nachweisbare Wirkung „behandelt“, um dem eigentlich angezeigten Eingriff in Narkose aus dem Weg zu gehen, ist das eine echte und tierschutzrechtlich relevante Sauerei!
Dankenswerterweise hat sich das Gericht sehr intensiv mit der Angelegenheit auseinandergesetzt und der Geschäftsführerin von Animagus, Frau Smakman, und ihrer Anwältin genau die richtigen Fragen gestellt, nämlich die nach einem Wirksamkeitsnachweis für das „Dentalspray“. Die Antworten auf diese Fragen musste Frau Smakman schuldig bleiben; sie konnte (aus meiner Sicht bin ich geneigt hinzuzufügen: Natürlich!) nicht einen entsprechenden Nachweis vorlegen, worauf ihr die Richterin vorhielt, dass meine Bezichtigungen der „Kundenverarschung“ und „Lüge“ ja dann durchaus ihre Berechtigung hätten.
Nach eineinhalbstündiger Verhandlung erklärte die Richterin, dass das Gericht den Antrag von Animagus auf einstweilige Verfügung gegen meinen Artikel ablehnen würde, und legte Frau Smakman und ihrer Anwältin nahe, den Antrag zurückzuziehen. Die Gegenseite entschloss sich nach kurzer Beratung, dieser Anregung zu folgen. Damit war das Verfahren beendet, die Antragstellerin, also Animagus, hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Letzteres klingt gut, ist es aber nicht so uneingeschränkt, wie viele, die noch nie in einen solchen Rechtsstreit verwickelt waren, glauben würden. Es bleiben trotzdem nicht unbeträchtliche Kosten an einem hängen, auch wenn man letztendlich zu Unrecht vor Gericht gezerrt wurde. Meiner Meinung nach hat das auch Methode, ganz im Sinne einer sogenannten SLAPP-Klage. Wikipedia definiert die Abkürzung SLAPP folgendermaßen:
„SLAPP (engl. strategic lawsuit against public participation = Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung; engl. slap = Ohrfeige, Schlag ins Gesicht) ist ein Akronym für eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, die den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden. Sie wird in den meisten Fällen von Unternehmen, seltener von Privatpersonen oder Behörden, gegen NGOs oder Individuen angestrengt, welche die Geschäftspraktiken des Unternehmens, die Aktivitäten des Individuums oder der Behörde öffentlich kritisieren.“
Die Gegenseite mag diese Anschuldigung von sich weisen, aber ich persönlich habe den ganzen Vorgang durchaus in diesem Sinne empfunden. Animagus hat in meinen Augen versucht, mir buchstäblich das Maul zu stopfen, obwohl der Firma klar sein musste, dass sie bezüglich Wirksamkeitsnachweisen für ihr Produkt vor Gericht völlig blank dastehen würde. Ich glaube, man hat halt gehofft oder darauf vertraut, dass mich das durch einen Prozess entstehende und beträchtliche Kostenrisiko dazu bringen würde, die anfängliche Unterlassungserklärung einfach hinzunehmen und zu unterschreiben.
In diesem Fall hat man aber sowohl meinen eigenen Kontostand als auch die Solidarität der deutschen Tierärzteschaft unterschätzt, denn mir wurde von einer ganzen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen spontan nicht unbeträchtliche Kostenhilfe zugesagt. Ich kann also alle meine Kolleginnen und Kollegen nur dazu ermutigen, nicht aus Angst vor den eventuellen finanziellen Konsequenzen den Mund zu halten, wenn sie aus unserer Sicht als Tiermediziner:innen unethische Produktwerbung sehen, die dazu geeignet ist, das Leid unserer Schutzbefohlenen zu verlängern bzw. zu verstärken.
Und den Tierbesitzer:innen kann ich nur raten: Fallen Sie um Himmels Willen und im Interesse Ihres Tieres nicht rein auf derartig marktschreierische Werbung! Es gilt nach wie vor der Grundsatz: Wenn sich etwas zu gut anhört, um wahr zu sein, dann ist es in der Regel auch nicht wahr!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
Sie können jederzeit und ohne ausdrückliche Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook teilen. Jegliche (auch teilweise) Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, ist untersagt und kann allenfalls ausnahmsweise mit schriftlich eingeholtem Einverständnis erfolgen. Zuwiderhandlungen werden juristisch verfolgt. Genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.