Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Als wir vor ein paar Tagen ein anderes Poster dieser niederländischen Kampagne gegen die Neuanschaffung plattnasiger Hunde auf Facebook online gestellt haben, tauchten (natürlich!) wieder die üblichen Kommentare der Beratungsresistenten auf: „Mein Mops läuft mit mir jeden Tag einen Marathon bei 35 Grad im Schatten und rennt jeden Windhund in Grund und Boden, ohne überhaupt ins Hecheln zu kommen!“, oder: „Immer diese Diskriminierung! Hört doch auf mit dem Mist! Ihr seid nur Mops- oder Bully-Hater, die keine Ahnung haben! Man muss halt beim seriösen Züchter kaufen! Es gibt auch gesunde Möpse und Bulldoggen!“.
Unser amerikanischer Kollege Andy Roark hat diesbezüglich in einem aktuellen Podcast-Interview einen interessanten Begriff verwendet: Normalisierung! Die schweren Leiden und die eigentlich absolut indiskutable gesundheitliche Situation der extremen Kurznasen-Rassen wie Französische und Englische Bulldogge und Mops werden durch solche Kommentare normalisiert, also in den Normbereich des Akzeptablen gerückt, genau so wie durch die Allgegenwart dieser Rassen in der Öffentlichkeit und in den Medien. Wie Andy Roark sagt: Die Leute sehen so viele von diesen Hunden rumlaufen, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass da was faul sein könnte. „Wenn so viele Leute solche Hunde halten, kann es um die doch nicht derartig schlimm bestellt sein, oder? Die Bullies oder Möpse, die schon bei 20 Grad im Schatten umkippen, die vor lauter Luftnot nicht schlafen können, sind doch sicher Einzelfälle, wahrscheinlich gekauft bei einem schlechten Vermehrer oder auf Ebay!“.
Ist man mal bei diesem Gedanken angekommen – wenn überhaupt sowas wie ein Gedankengang stattfindet vor der Anschaffung – ist der Kopf eigentlich schon aus dem Spiel und es bleibt nur der Bauch mit seinem „Ach, ist der süüüß! Will haben!“. Und schon röchelt das nächste Exemplar durch sein Leben und steigert die unglaubliche und auf intellektueller Ebene einfach nicht mehr nachvollziehbare Popularität dieser Rassen weiter. Die Französische Bulldogge hat letztes Jahr in den USA den Labrador (nach 31 Jahren in Folge) vom Thron der beliebtesten Hunderasse gestoßen, weil ihre Popularität innerhalb von gerade mal neun Jahren um sage und schreibe mehr als 400 Prozent gestiegen ist.
Andy ist der gleichen Meinung wie wir, nämlich dass es unsere Pflicht als Tiermediziner:innen ist, unablässig an der „Denormalization“, an der Denormalisierung des Zustandes der Extrem-Brachycephalen zu arbeiten. Wir müssen immer wieder darüber aufklären, dass es NICHT normal ist, dass es Hunde gibt, die nur mit offenem Maul genug Luft bekommen, die nur in Brust-Bauchlage oder mit irgendeinem die Luftwege offen haltenden Gegenstand im Maul schlafen können und bei denen man jeden Atemzug hören kann. Wir müssen der Öffentlichkeit klar machen, dass es NICHT normal ist, wenn eine Rasse wie die Französische Bulldogge fünfmal häufiger als normalnasige Rassen mit Atemwegserkrankungen zum Tierarzt muss, fünfmal häufiger mit schweren Augenproblemen zu tun hat, sich fünfmal so häufig Speiseröhrenerkrankungen (Megaösophagus, Ösophagitis, etc.) zuzieht und zehnmal so häufig schwere Bandscheibenvorfälle erleidet, die darüber hinaus auch noch meist viel schlimmer ausgehen als beim bisherigen Bandscheibenvorfall-Rekordhalter Dackel. An diesen statistischen Daten, gewonnen aus den Unterlagen der amerikanischen Versicherungsgesellschaft Nationwide über 450.000 Hundelebensjahre (!), ändert sich rein gar nichts, wenn es hier und da mal einen Frenchie oder einen Mops geben sollte, der angeblich relativ (relativ!) gesund durchs Leben kommt. Solche Einzelfälle, wie sie in den jeweiligen Diskussionen immer gern angeführt werden, sind rein statistisch gesehen entweder als Anekdote, als (wissenschaftlich nachgewiesene!) Wahrnehmungsstörung oder als schlichte Lüge einzustufen.
Es ist und bleibt eine Tatsache: Die von der tiermedizinischen Forschungsabteilung von Nationwide als Extrem-Brachycephale benannten Rassen sind in ihrem Durchschnitt schon zuchtbedingt sterbenskrank! Das beginnt bereits beim Deckakt, den die wenigsten Englischen Bulldoggen aus eigener Kraft durchführen können, und beim Geburtsvorgang, der bei Französischen Bulldoggen in über 80 Prozent der Fälle nicht mehr auf natürlichem Wege, sondern per Kaiserschnitt stattfindet bzw. stattfinden muss. Man lasse sich das bitte mal auf der Zunge zergehen: Frenchies (und ein paar andere Rassen) wären schon längst komplett ausgestorben, wenn es die moderne Tiermedizin mit ihren Möglichkeiten nicht gäbe. Dieser schlichten Erkenntnis ist die Tatsache geschuldet, dass sich immer mehr Reproduktions-Tiermediziner:innen im In- und Ausland der Hilfestellung zur Fortpflanzung dieser Rassen – zum Beispiel in Form von künstlicher Insemination und geplanten Kaiserschnitten – verweigern. Um so problematischer (und in unseren Augen schandbarer!) ist es, wenn Tiermediziner:innen sich an der angesprochenen Normalisierung beteiligen, indem sie (natürlich zur Sicherung ihres eigenen Geschäftsmodells) buchstäblich jeden Extrem-Brachy als „süße Knutschkugel“ bezeichnen oder indem sie, wie in der reproduktionsmedizinischen Abteilung einer traditionsreichen tiermedizinischen Hochschule, sogar die Vermehrung dieser Tiere weiterhin aktiv unterstützen. Solche Kolleginnen und Kollegen haben ihren Beruf in unseren Augen vollkommen verfehlt! Wer als Tiermediziner:in sehenden Auges weiter die Qual dieser Tiere fördert, hat unseren Berufsethos längst über Bord geworfen. Selbst die tiermedizinische Beteiligung am Entwurf von (lachhaften!) „Fitness-Tests“, die nichts anderes darstellen als einen nur oberflächlich kaschierten Versuch, ein Weitermachen wie bisher zu rechtfertigen, ist in unseren Augen berufsethisch verwerflich.
Die klassische „Karriere“ einer heutzutage angeschafften Französischen Bulldogge, wie wir sie wieder und wieder in unseren Praxen beobachten können, sieht inzwischen so aus: Geboren per Kaiserschnitt, unter 2 Jahren die ersten operativen Eingriffe an den Atemwegen, so gut wie immer geplagt von wahlweise Störungen des Gastrointestinaltraktes (Regurgitation, Speiseröhrenentzündung, Megaösophagus, Hiatushernie, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Pankreatitis, etc.), allergischen und quälenden Hauterkrankungen, häufigen Augenproblemen (Cherry Eye, Hornhautentzündungen und -verletzungen, etc.), dazwischen mal die eine oder andere Pneumonie (Lungenentzündung). Dann irgendwann (meist noch unter 6 Jahren) einer oder mehrere Bandscheibenvorfälle, meist operationspflichtig und mit sehr ungewisser Prognose, und als Kirsche auf der Torte noch ein- oder beidseitige Kreuzbandrisse. Nach unseren Beobachtungen bewegen sich die tierärztlichen Lebenszeit-Mehrkosten (im Vergleich zum Durchschnitt der Nicht-Brachycephalen) locker im fünfstelligen Bereich.
Andy Roark vertritt die Meinung, dass wir Tiermediziner:Innen nicht als „Fun Police“, als „Spaßbremse“ auftreten, sondern nur ganz nüchtern und distanziert aufklären sollten, um nicht auf den Gefühlen frisch gebackener Extrem-Brachy-Besitzer rumzutrampeln. Wir sehen das inzwischen anders: Die rein statistische Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Ihrem jetzt so anbetungswürdig reizenden Frenchie-Welpen eine glückliche und gesunde Zeit haben werden, wie man sich das bei der Anschaffung eines Hundes nun mal so vorstellt, geht buchstäblich gegen Null! Und Sie beteiligen sich mit ihrer Neuanschaffung an der oben erläuterten Normalisierung dieser bemitleidenswerten Hunde-Karikaturen, mit der fatalen Folge, dass das alles immer noch schlimmer wird. Und das sagen wir Ihnen auch mehr oder weniger deutlich, selbst auf die Gefahr hin, dass Sie damit nicht umgehen können.
Aufklärung hat aber auch ihre Grenzen und prallt natürlich ab, wenn der Empfänger von vornherein dicht macht, weil er das Problem einfach nicht anerkennen will. Unbelehrbaren, ignoranten und in ihrer Egozentrik geradezu brutalen Personen, die lauthals im Netz rumtönen, dass sie sich immer wieder einen Mops oder Frenchie holen würden, ist mit Aufklärung einfach nicht beizukommen. Wir brauchen neben Ausstellungs-, Zucht- und Importverboten über kurz oder lang wohl auch das Haltungs- bzw. Neuanschaffungsverbot! Diese Entwicklung zeichnet sich inzwischen in mehreren Ländern ab, und das ist gut so! Unsere seit vielen Jahren laufenden Bemühungen und unsere inständigen Bitten, sich einfach mal zu besinnen, bevor man sich so eine gequälte Kreatur zulegt, haben den vorliegenden Daten zufolge rein gar nichts bewirkt.
Bis es dazu kommt, können wir Sie nur eindringlich warnen: Die emotionale und finanzielle Belastung, die Sie sich mit einem Extrem-Brachycephalen (und so manch anderer Qualzuchtrasse) ins Haus holen, kann sich niemand vorstellen, der das noch nicht erlebt hat. Machen Sie sich weiterhin unbedingt klar, was es bedeutet, wenn Versicherungsriesen wie Nationwide durch Data Mining statistische Tatsachen zu Tage fördern bzw. eindeutig beweisen, wie wir sie weiter oben beiläufig erwähnt haben: Über kurz oder lang (eher kurz!) wird es sehr teuer oder gar unmöglich werden, die zuchtbedingten gesundheitlichen Einschränkungen von Bulldoggen und Möpsen durch eine Krankenversicherung abzudecken, und dann werden Sie sehr gut aufgestellt sein müssen, um das Leben und Leiden eines solchen Hundes finanzieren zu können.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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