Von Ralph Rückert, Tierarzt
Ein Posting aus einer recht mitgliederstarken Hundegruppe auf Facebook:
„Euthanasie! Letzte Woche war es so weit und meine 14-jährige Hündin trat ihre letzte Reise an. Alles lief perfekt und es hätte nicht besser sein können. Ich war erstaunt, was sich in den letzten 14 Jahren da alles so verändert hat. Die Euthanasie erfolgt fast ausschließlich nur noch zu Hause, mein Rüde und die Familie waren alle dabei. T61 und Eutha77 wird fast gar nicht mehr angewandt und auch keine Spritze mehr ins Herz, sondern i.v. Was auch wirklich Zeit war, sich von diesen Mitteln zu verabschieden. Es geht wesentlich humaner und sanfter und auch ins Herz würde ich niemals mehr euthanasieren lassen, wenn man sieht, dass es i.v. auch anders und viel schöner geht. Wir haben sie mit einem sehr guten Gefühl gehen lassen und das Glück über ihre Erlösung war größer als unsere Trauer. So soll es sein. Wie sind eure Erfahrungen mit der Euthanasie in den letzten Jahren?“
Wie man sich vorstellen kann, entstand unter dem Posting eine lebhafte Diskussion, aus der zwei weitere Zitate stammen:
„Es ist an der Tagesordnung und mehr als jeder zweite Hund wird ins Herz euthanasiert. Auch heute noch.“
„August 2019 war es so wie bei dir beschrieben, mit Würde, Juli 2022 war es ein Tierarzt Stümper… Zuhause war klar, alle wichtigen dabei auch klar, In die Vene auch klar, nur hat die doofe Nuss gleich das blaue Mittel spritzen wollen, ohne vorherige Narkose, bevor sie die Spritze ansetzen konnte, hatte ich Veto eingelegt, dann hat sie mit Zähne knirschen die Narkose gespritzt, hat dann nicht lange genug gewartet das die Narkose komplett gewirkt hatte, hat das blaue Zeug hinterer gespritzt, natürlich Hund zieht Pfote weg, spürt es ja noch, dann hat sie es am Hinterlauf versucht, natürlich zieht auch da der Hund den Fuß weg, dann hat sie den Rest in den Hinterschenkel gespritzt, und meinte noch so schlau, er hatte schlechte Venen, es hat ausgesehen wie im Schlachthaus, Hund musste eingeschläfert werden, hatte Tumore im Endstadium, also auch nix mit abbrechen…..aber so stümperhaft hab ich das noch NIE erlebt……( Die Woche zuvor hatte der Hund noch eine CT, und da hat es mit Narkose usw ohne Schwierigkeiten geklappt, keine schlechten Venen….)“
Puh! Trotz einer Fülle leicht zugänglicher Informationen zu diesem sensiblen Thema scheint es da doch noch so einige wirklich schwerwiegende Missverständnisse mit einem hohen Potenzial für (eigentlich unbegründete) Verstimmungen zwischen uns Tiermediziner:innen und den Tierhalter:innen zu geben. Ich gehe mal davon aus, dass ich zur Klärung der Sachlage beitragen kann, indem ich diese Zitate Punkt für Punkt durchgehe und die aufgeworfenen Fragen beantworte.
Im Ausgangsposting des Threads sehe ich den ersten Denkfehler darin, dass die Autorin die Vorgehensweise einer Kollegin / eines Kollegen als allgemeingültig ansieht und sich auf dieser gedanklichen Basis erstaunt zeigt, „was sich in den letzten 14 Jahren da alles so verändert hat“. Nun führen in Sachen Euthanasie zwar nicht viele, aber doch so einige Wege nach Rom. Es gibt nicht die EINE korrekte Vorgehensweise, die alle Kolleginnen und Kollegen anwenden. Es gibt Positionspapiere und Leitlinien, die darstellen, was geht und was nicht, diese lassen aber durchaus Spielraum für eine individuell unterschiedliche und situationsangepasste Euthanasie. Eigentlich hat sich die letzten 14 Jahre tatsächlich nicht viel geändert, weder an den Methoden noch an den normalerweise verwendeten Medikamenten und ihrer Verabreichung.
Die Verfasserin des Postings schreibt: „Die Euthanasie erfolgt fast ausschließlich nur noch zu Hause.“
Im Gegensatz dazu würde ich behaupten, dass nach wie vor die allermeisten Einschläferungen in den Praxen und Kliniken stattfinden. Es gibt zwar Kolleginnen und Kollegen, die Haus-Euthanasien ganz okay finden und diese Leistung auch aktiv anbieten, aber eine gefühlt große Mehrheit, zu der auch wir uns zählen würden, sieht sie eher kritisch und führt sie – wenn überhaupt – nur unter ganz bestimmten Umständen durch. Es ist für uns durchaus verständlich, dass sich viele Tierbesitzer:innen das Einschläfern zu Hause als wünschenswerten Vorgang vorstellen, so im Sinne von „Sterben in vertrauter Umgebung und im Kreis der Lieben“. Wenn alles ideal verläuft, mag das auch durchaus zutreffen. Geht aber etwas schief, dann meist so katastrophal, dass man das nicht erleben und als letzte Erinnerung an sein Tier im Kopf behalten möchte, und fast alle erfahrenen Kolleginnen und Kollegen können sich lebhaft an Fälle erinnern, in denen Haus-Euthanasien völlig aus dem Ruder gelaufen sind und zu nachhaltigen Traumatisierungen aller Beteiligten geführt haben. Das eine Zitat oben ist ja ein perfektes Beispiel für so einen für alle Seiten enorm stressigen Verlauf, den keiner, weder die Besitzerin, noch die Tierärztin und der Hund schon gar nicht so haben wollte. Man beachte besonders den letzten Satz der Verfasserin: „Eine Woche vor der Euthanasie musste der Hund ins CT, und da hat alles perfekt geklappt mit der Narkose.“ Ja, klar, das war ja auch in einer Praxis / Klinik und nicht zu Hause.
Wir Tiermediziner:innen sind uns der Tatsache sehr bewusst, dass bei einer Euthanasie möglichst nichts schief gehen darf. Nicht umsonst gilt diese Leistung berufsintern als eine der anspruchsvollsten überhaupt. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Durchführung eines schwierigen und hochsensiblen Vorgangs am besten in einem maximal kontrollierten Umfeld stattfindet. In meiner Praxis habe ich diese Kontrolle: Jede Bewegung sitzt, alles ist da, wo es hingehört, die Lichtverhältnisse sind gut, Ablenkungen können von vornherein unterbunden werden und das betreffende Tier verhält sich (wenn es nicht zum ersten Mal da ist) so, wie wir es kennen. So gut wie alle Tiere, die eingeschläfert werden sollen, haben in ihrem Leben schon mehrere Narkoseeinleitungen hinter sich gebracht, und nichts anderes als die Einleitung einer absichtlich überdosierten Narkose ist ja die Euthanasie.
Ganz anders in einer für uns fremden Wohnung, einem fremden Haus! Hier mal eine lockere und keineswegs abschließende Aufzählung von Komplikationen, die wir entweder schon selbst erlebt oder von Kolleginnen und Kollegen berichtet bekommen haben:
-Tiere, die es keineswegs als beruhigend und schön empfinden, dass die Angstfigur „Tierarzt“ plötzlich in ihrem Zuhause, ihrem absoluten Schutzbereich auftaucht und sich an ihnen zu schaffen macht, die sich dementsprechend panisch in unzugängliche Ecken zurückziehen oder sogar aggressiv werden.
-Völlig unzureichende Beleuchtung und insgesamt inakzeptable Arbeitsbedingungen, was Ergonomie und Sicherheit angeht. Bevor sich jemand lustig macht: Es ist halt nun mal für einen 64jährigen mit Hüftgelenkarthrosen inzwischen nicht mehr so einfach, einen Venenkatheter im Hocken auf dem Boden und im Halbdunkel unter dem Esstisch (wohin sich der Hund zurückgezogen hat) erfolgreich einzulegen und dabei möglichst nicht noch schnell ins Gesicht gebissen zu werden!
-Keine Vorbereitung auf die Tatsache, dass bei sterbenden Tieren häufig die Schließmuskeln versagen, also Harn und Kot austreten, keine Vorkehrungen für den Abtransport des Tierkörpers.
-Sich völlig unkontrolliert benehmende Tierbesitzer:innen, bis hin zu hemmungslosem Streit inklusive körperlicher Gewalt über die Notwendigkeit der gerade stattfindenden Euthanasie.
-Wohnungssituationen, die man lieber nie gesehen hätte, wie völlige Messi-Buden oder das mit unzähligen Detailaufnahmen männlicher Genitalien geschmückte Appartement mit einem Besitzer im Bademantel ohne was drunter als Draufgabe , oder eine verratzte Bleibe, bei der man sich angesichts der Deko aus Peitschen, Ruten, Fesseln und Nipple-Clamps wie im Sado-Maso-Studio einer Domina vorkommt.
Ja, natürlich ist das nicht der Normalfall! Trotzdem: Irgendwas ist fast immer nicht so, wie es sein sollte und wie es sich die Besitzer:innen so schön und romantisch ausgemalt haben. Geschätzt jede zehnte Hausbesuchs-Euthanasie verläuft so, wie man es absolut nicht erleben mag. Je länger man in diesem Beruf tätig ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man derartige Erfahrungen gemacht hat und dementsprechend Haus-Euthanasien eher ablehnend gegenübersteht. Dazu kommt noch ein ganz wichtiges Problem, das viele Tierbesitzer:innen aber gar nicht auf dem Schirm haben: Hinterher, wenn sich das halt leider nicht mehr ändern lässt, berichten uns nicht wenige Kund:innen, die Einschläferungen zu Hause haben durchführen lassen, davon, dass sie in der Folge ein Problem hatten mit der gedanklichen Verknüpfung des eigenen Heims mit der Euthanasie und dass sie die Erinnerung an den Vorgang im Nachhinein viel lieber in unserer Praxis gelassen hätten.
Für uns (und einige bzw. viele andere Kolleginnen und Kollegen) ist die Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen, dass wir diese Leistung allenfalls für langjährige Kund:innen durchführen, bei denen wir wirklich sicher sein können, dass das Ganze unter vernünftigen Rahmenbedingungen ablaufen wird. Sind diese Voraussetzungen in unseren Augen nicht erfüllt, haben wir nicht das geringste Problem damit, wenn eine andere Praxis mit diesem Auftrag betraut wird.
So, weiter im Text! Die Posterstellerin schreibt: „T61 und Eutha77 wird fast gar nicht mehr angewandt…“ Hm! Gehen wir mal weg von Produktnamen und konzentrieren uns auf die Inhaltsstoffe. Eutha 77 ist meines Wissens nicht mehr auf dem Markt, enthielt aber den Wirkstoff Pentobarbital, und Pentobarbital wird (unter anderen Produktnamen wie Narcoren, Release u.a.) natürlich weiterhin als Mittel der ersten Wahl zur schmerzlosen Tötung eingesetzt. T61 enthält die Wirkstoffe Embutramid (ein Narkotikum), Mebenzonium (ein Muskelrelaxans) und Tetracaid (ein Lokalanästhetikum), ist als Produkt weiterhin auf dem Markt und wird auch nach wie vor zur Euthanasie verwendet, allerdings entsprechend der Zulassung nur am schon narkotisierten Tier, weil es bei T61 unter ungünstigen Umständen zum Atemstillstand kommen kann, bevor das Bewusstsein ausgeschaltet ist. Ich persönlich habe (für unsere Praxis) die Notwendigkeit eines Produkts wie T61 nie wirklich verstanden, denn mit Pentobarbital steht nun mal schon seit ewigen Zeiten ein für diesen Zweck geradezu idealer Wirkstoff zur Verfügung, der ja auch in der Humansterbehilfe Anwendung findet. Allerdings unterliegt Pentobarbital dem Betäubungsmittelgesetz, was bestimmte gesetzliche Nachweispflichten mit sich bringt, denen man durch Verwendung von T61 aus dem Weg gehen kann. Wie auch immer: Die Verwendung von T61 ist und bleibt völlig korrekt und ist nicht zu kritisieren, WENN das betreffende Tier bei der Injektion des Produkts in tiefer Narkose ist.
Die Threadstarterin schreibt weiter: „und auch keine Spritze mehr ins Herz, sondern i.v.“. Darauf müsste man antworten: Kommt drauf an! Ist das betreffende Tier schon in Narkose (oder in einem Koma ohne Schmerzwahrnehmung), kann man das eigentliche Euthanasie-Präparat auch intracardial, also direkt ins Herz verabreichen. In einem Zustand, in dem ich den Bauch aufschneiden oder einen Knochenbruch zusammenschrauben kann, kann ich logischerweise auch eine Spritze direkt ins Herz geben. Ohne vorhergehende Narkose wäre das natürlich nicht in Ordnung. Es gibt durchaus Fallkonstellationen, in denen so eine Vorgehensweise als die beste erscheinen kann, zum Beispiel bei einem alten, übergewichtigen Hunderiesen mit schlecht punktierbaren Venen. Bevor man da dem Hund und sich selber wer weiß was zumutet, indem man ewig nach einer Vene stochert, gibt man lieber eine intramuskuläre Vornarkose und spritzt dann das Pentobarbital am tief schlafenden Tier eben direkt ins Herz. Ebenso würde man das bei jeder auch nur halbwegs unkooperativen Katze machen. Die Behauptung aus dem oben zitierten Kommentar, dass „mehr als jeder zweite Hund ins Herz euthanasiert wird“, möchte ich aber doch sehr in Zweifel ziehen. Man fragt sich immer, wo manche Leute solche angeblichen Fakten hernehmen, wenn sie noch nicht mal uns Insidern bekannt sind.
Kommen wir abschließend zum zweiten zitierten Kommentar, also den, in dem eine Kollegin mal schnell im Vorbeigehen als „dumme Nuss“ beleidigt wird, und zwar dafür, dass sie „gleich das blaue Mittel“ in die Vene spritzen wollte. Da fragt man sich als Fachmann, was daran jetzt falsch gewesen sein soll. T61 ist farblos! Blau sind meines Wissens einzig und allein Präparate gefärbt, die Pentobarbital enthalten. Nicht umsonst gibt es den berufsinternen Spitznamen „der blaue Traum“! Die direkte intravenöse Verabreichung ist aber bei Pentobarbital entsprechend der Zulassungsbedingungen völlig korrekt. Pentobarbital ist ein Narkosemittel! Wenn ich es also so mache, wie es im Beipackzettel steht, also die erste Hälfte der benötigten Menge langsam injiziere, bis das Tier das Bewusstsein verliert, ist das genau der gleiche Vorgang wie bei jeder intravenösen Narkoseeinleitung. Nach dem Ablegen des Tieres wird dann die zweite Hälfte der Injektion sehr zügig verabreicht, was zum Herzstillstand bei völlig ausgeschaltetem Bewusstsein führt.
Natürlich war ich bei dem von der Kommentarverfasserin geschilderten Vorgang nicht dabei, habe aber trotzdem ein wahrscheinlich ziemlich zutreffendes Bild vor Augen: Eine eventuell noch nicht sehr erfahrene Kollegin hat sich von einer resolut besserwisserischen Kundin, die eigentlich keinen blassen Schimmer von der Materie hat, ins Bockshorn jagen, also verunsichern lassen, hat ihr gewohntes (und völlig korrektes!) Procedere „zähneknirschend“ abgeändert, um der Kundin zu Willen zu sein, und damit ist der Rest des Vorgangs dann genau zu der Art von Haus-Euthanasie-Murks geworden, den ich weiter oben als Schreckgespenst an die Wand gemalt habe. Der Kollegin war sicher auch die ganze Zeit mehr als bewusst, dass sie für ihre Bemühungen im Nachhinein hintenrum oder offen diffamiert und beleidigt werden würde. Aller Wahrscheinlichkeit nach also eine Tierärztin mehr, die sich seitdem sehr genau überlegt, zu wem sie für eine Euthanasie nach Hause kommt. Das macht sie – wenn überhaupt – sicher nur noch für Leute, bei denen sie sich sicher sein kann, dass sie unter gar keinen Umständen als „dumme Nuss“ tituliert wird.
Letztendlich ist nach unseren Erfahrungen eine möglichst klare und offene Kommunikation das einzige Mittel, solche für alle Beteiligten extrem unangenehmen und lange nachwirkenden Eindrücke bzw. Unstimmigkeiten zu vermeiden. Wir versuchen immer, VOR dem Beginn der eigentlichen Euthanasie darzulegen, was wir jetzt gleich tun werden und wie sich das für die anwesenden Bezugspersonen des Tieres darstellen wird. Wir gehen dabei auf jeden einzelnen Schritt und die zur Anwendung kommenden Medikamente ein und verschweigen auch eventuelle, ungut anzusehende Nebeneffekte nicht. Wenn ein Tier zum Beispiel zu den wenigen gehört, die nach Eintritt des Todes eine sogenannte terminale Schnappatmung zeigen, ist das für medizinische Laien viel weniger schockierend, wenn man vorher darüber gesprochen hat.
Ich halte das Thema Euthanasie für so wichtig, dass ich ihm schon vor einigen Jahren eine vierteilige Artikelserie gewidmet habe, die ich Ihnen bei weitergehendem Interesse ans Herz legen möchte. Und ich hoffe, dass auch dieser zusätzliche Artikel dazu beitragen konnte, ein paar Missverständnisse auszuräumen oder zu vermeiden.
Die vier bisherigen Artikel: Euthanasie – Der gute Tod, Euthanasie – Recht und Gesetz, Euthanasie – Ohne vernünftigen Grund, Euthanasie – Die Emotionen
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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