Von Ralph Rückert, Tierarzt
Langjährigen Stammleser:innen meines Blogs wird die Überschrift bekannt vorkommen. Es handelt sich um den Relaunch eines Artikels, den ich vor ziemlich genau zehn Jahren veröffentlicht habe. Die erneute Beschäftigung mit diesem Thema hat eine Meldung getriggert, die ich Ende November auf den Seiten des Norddeutschen Rundfunks gefunden habe:
„Im Sinne des Naturschutzes? 2580 Katzen in SH erschossen“.
2580 gemeldete (!) Abschüsse von Katzen in einem einzigen Bundesland und innerhalb von 12 Monaten!
Es hat sich also seit 2014 nicht viel geändert, zumindest nicht in den Bundesländern, die in einem völlig falschen Verständnis der heutigen Zeiten immer noch an ihren antiquierten Jagdgesetzen festhalten. Einerseits bin ich diesbezüglich sehr froh, in Baden-Württemberg zu leben, finde aber andererseits unseren Föderalismus bei diesem Thema ziemlich unerträglich, weil der Respekt vor dem Leben eines Haustiers, eines Familienmitglieds, nach wie vor leider wohnortabhängig ist.
Damals, im Januar 2014, hat der Tierschutzbund die von den zuständigen Landesministerien und Jagdverbänden ermittelten Zahlen zu von Jägern erschossenen Katzen und Hunden veröffentlicht. Lediglich Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und das Saarland führten hierzu Statistiken. In den 6 Jahren von 2008 bis 2014 wurden in diesen Bundesländern mehr als 100.000 Katzen und über 700 Hunde von Jägern getötet.
Eine bundesweite Erfassung der Abschusszahlen von Haustieren gibt es leider nicht. Gehen wir aber davon aus, dass die genannten Bundesländer nach meiner Rechnung einen Flächenanteil von ca. 20 Prozent des Bundesgebietes repräsentieren, ergibt sich, dass im genannten Zeitraum in Deutschland mindestens eine halbe Million Katzen und 3500 Hunde abgeschossen wurden. Das sind aber nur die gemeldeten Fälle. Da sicherlich bei vielen, evtl. sogar der Mehrzahl der Abschüsse nach dem unter Jäger:innen so genannten Motto der drei S (Schießen, Spaten, Schnauze halten) verfahren wird, dürften die wirklichen Opferzahlen bei weitem höher liegen.
Ohne es belegen zu können (wie auch?), nur aus persönlicher Lebenserfahrung und Einschätzung der menschlichen Natur, würde ich davon ausgehen, dass die realen Abschusszahlen mindestens doppelt so hoch sein dürften. Was die aktuelle Meldung des NDR angeht, müsste man also nach meinem Dafürhalten von mindestens 5000 Katzenabschüssen allein in SH ausgehen. Damit wäre nach wie vor nicht etwa der Verkehr, durch den im Jahr geschätzte 70.000 Katzen und Hunde ums Leben kommen, sondern die Jägerschaft die bei weitem größte Gefahr für unsere Haustiere.
Ich bin heute wie damals der Meinung, dass das so nicht weitergehen kann. Die Jagdgesetzgebung muss an die heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Bis in die höchsten gerichtlichen Instanzen wird inzwischen anerkannt, dass ein Haustier mehr ist als nur eine Sache. Für die meisten Hunde- und Katzenhalter ist ihr Tier ein Familienmitglied, dessen emotionaler Stellenwert durch diverse gesellschaftliche Entwicklungen (Stichworte: Single-Haushalte, sinkende Geburtenzahlen, Überalterung, Vereinsamung) in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen hat. Es ist unerträglich, dass Hunderttausende von Familientieren mit fadenscheinigsten Begründungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit einfach über den Haufen geschossen werden. Ein letzten Endes aus Feudalzeiten stammendes Jagdrecht hat diesen Tatsachen endlich auch Rechnung zu tragen. Es kann nicht angehen, dass einerseits sowohl Tierhalter als auch Tierarzt jederzeit darauf vorbereitet sein müssen, den vom Tierschutzgesetz geforderten „vernünftigen Grund“ für die Einschläferung eines Tieres zur Not auch vor Gericht zu rechtfertigen, während andererseits ein Jäger nur einer Katze ansichtig werden muss, um sie einfach abknallen zu dürfen. Vor ein paar Jahren wurde eine Kollegin zu einer Geldstrafe im vierstelligen Bereich verurteilt, weil sie einen Hund, der mehrfach Familienmitglieder krankenhausreif gebissen hatte, euthanasiert hat, ohne zuvor noch die Meinung von Verhaltensspezialist:innen einzuholen. Der genau gleiche Hund hätte aber in einigen Bundesländern ganz legal abgeschossen werden dürfen, einzig und allein mit der Rechtfertigung, dass er vermeintlich allein im Wald angetroffen wurde. Ich empfinde das als absurd!
Es soll nicht verschwiegen werden, dass es dankenswerterweise Jäger:innen (und sogar einen von ihnen gegründeten Jagdverband) gibt, die den Abschuss von Haustieren für unsinnig und verwerflich halten. Es wäre schön, wenn sich möglichst alle Jäger:innen daran ein Beispiel nehmen würden. Andernfalls machen die ständigen larmoyanten Klagen über das schlechte Image der Jägerschaft nicht viel Sinn. Gehe ich ganz nüchtern nur von den geradezu haarsträubenden Zahlen der Statistik aus, bleibt mir als Tierhalter und Normalbürger nur der Schluss, dass es sich bei Jäger:innen entgegen aller anders lautenden Versicherungen in der überwiegenden Mehrzahl um einen schießwütigen Haufen mit einer pathologischen Freude am Töten handeln muss. Ich kann unter Mobilisierung aller meiner Reserven an Toleranz gerade noch damit umgehen, dass es Menschen gibt, die das Töten von anderen Lebewesen nicht als Beruf, sondern als Hobby oder gar als Leidenschaft betreiben. Erstreckt sich aber diese „Passion“ auch auf Mitglieder meiner Familie, ist es mit jeglichem Verständnis vorbei.
Wir Tierhalter sollten uns gefordert sehen, jeden neuen Anlauf zur Änderung der Jagdgesetzgebung aktiv zu unterstützen, der die längst fällige Abschaffung der Abschusserlaubnis für Haustiere zum Ziel hat. Bis dieses Ziel erreicht ist, können wir nur gut auf unsere Hausgenossen aufpassen und zugleich an die Jägerschaft appellieren, nicht auf unsere Katzen und Hunde zu schießen. Der Verlust eines Haustieres verursacht immer großes Leid bei der betroffenen Familie. Es unter solchen Umständen zu verlieren, ist annähernd unerträglich!
Bei den Diskussionen um dieses Thema stößt man natürlich immer wieder auf die Argumentation, dass speziell freilaufende Katzen die Artenvielfalt gefährden würden. Manche Leute versteigen sich gar gewohnheitsmäßig zu der Aussage, dass die Hauskatze in Deutschland oder Europa eine „invasive Art“ wäre. Letzteres halte ich pauschal für ausgemachten Unsinn. Eine Tierart, die sich hier vor ca. 6000 Jahren angesiedelt hat, kann nicht als Neozoe bezeichnet werden. Das allgemein akzeptierte Stichjahr für diese Bezeichnung ist 1492, und da waren Katzen schon über 5000 Jahre in Europa.
Davon abgesehen räumen selbst Organisationen wie der Bund Naturschutz ein, dass Katzen die Artenvielfalt allenfalls im direkten Umfeld menschlicher Siedlungen nennenswert beeinflussen können. Mir wäre keine Tierart bekannt, deren Weiterbestand tatsächlich exklusiv durch freilaufende Katzen bedroht wäre. Da sind wir Menschen mit unseren Monokulturen und unserer fleißigen Zubetoniererei der Landschaft die viel größeren Sünder.
Ich halte also bis zum Beweis des Gegenteils das Argument der Katzen- und Hundekiller, dass diese Abknallerei dringend nötig wäre im Sinne des Artenschutzes, für nicht stichhaltig und für den fortgesetzten Versuch, der eigenen pathologischen Gesinnung auch noch einen Heiligenschein zu verpassen. Dadurch, dass wir inzwischen Bundesländer wie Baden-Württemberg haben, in denen der Abschuss von Haustieren seit Jahren verboten ist, wäre ja – wäre man denn willens – in Sachen Artenvielfalt eine ideale Vergleichsmöglichkeit mit Bundesländern gegeben, die ihr Jagdrecht immer noch nicht angepasst haben. Ich würde einen relativ hohen Betrag darauf wetten, dass sich bezüglich Artenschutz keine Vorteile für die Bundesländer ergeben würden, in denen Haustiere routinemäßig weggepustet werden.
Bleiben Sie mir gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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