Von Ralph Rückert, Tierarzt
Eigentlich dachte ich, in meinem Artikel „Der Wurmkur-Irrtum?“ mehr oder weniger alles zum Thema Entwurmung gesagt zu haben, und eigentlich habe ich auch keinen Bock mehr auf die endlosen und fruchtlosen Diskussionen, die (speziell von grenzwertig wahrnehmungsgestörten Personen) darüber immer geführt werden.
Aber leider läuft da momentan im Netz eine medizinisch nicht ganz ungefährliche Kundenverarschung bezüglich parasitologischer Kotuntersuchungen, die es wohl notwendig macht, dass ich nochmal nachlege.
Fassen wir die Lage zum Einstieg noch einmal zusammen:
Viele Tierbesitzer lehnen die sogenannte strategische Entwurmung, also die in regelmäßigen Zeitabständen erfolgende Verabreichung eines Breitband-Anthelminthikums, aus Angst vor irgendwelchen langfristigen Nebenwirkungen für das Haustier ab. Meist ist in diesem Zusammenhang – für Tiermediziner wissenschaftlich nicht nachvollziehbar – von einer „Zerstörung der Darmflora“ die Rede. Will man nicht strategisch entwurmen, hat man drei Möglichkeiten:
Man kann erstens gar nichts tun, mit der diffusen Vorstellung im Kopf, dass das Immunsystem des Hundes oder der Katze das schon irgendwie richten wird. Man kann sich zweitens irgendwelcher mehr oder weniger irrer „Hausmittelchen“ bedienen, deren Wirksamkeit nicht mal ansatzweise wissenschaftlich nachgewiesen ist. Als Beispiele dafür wären unter anderem Kokosflocken, Kokosöl, Knoblauch und gehäckselte Pferdeschweifhaare (ja, richtig gelesen! Die sollen – ein echter Brüller – die Würmer aufspießen!) zu erwähnen. Und man kann drittens den Kot seines Tieres in regelmäßigen Abständen parasitologisch untersuchen lassen, was – wie im oben verlinkten Artikel erläutert – durchaus nach wie vor als fachlich korrekt gilt.
Die ersten beiden Tierbesitzer-Gruppen interessieren mich ehrlich gesagt inzwischen einfach nicht mehr. Was so manche Leute angeht, ist jegliches Bemühen um sachliche Aufklärung einfach vergebene Liebesmüh! Wie man in vielen Diskussionen zu dem Thema nachlesen kann, gibt es doch tatsächlich Menschen, die der festen Überzeugung sind, dass wir Tierärzte über solche Zusammenhänge nur deshalb (und natürlich vorsätzlich falsch!) informieren würden, um unseren Umsatz mit Anthelminthika anzukurbeln. Ich ersticke immer fast vor Lachen, wenn ich so einen Blödsinn lese. Wurmmittel generieren weniger als ein Prozent meines Gesamtumsatzes, sprich: Wenn ich von heute auf gleich gar keine mehr verkaufen würde, bekäme ich das vom Umsatz her noch nicht mal mit.
Ich bin inzwischen fest davon überzeugt, dass es für uns definitiv schlauer und deutlich stressärmer ist, einfach die Klappe zu halten, einfach unser Helfersyndrom abzuschalten. Manche TierbesitzerInnen wollen es nicht hören, sie wollen es nicht wissen, weil es einfach nicht ins Weltbild passt! Sie kapieren nicht, dass sich unsere Aufklärungsbemühungen in erster Linie um die menschliche Gesundheit drehen. In ihrer irrationalen Überzeugung, durch Entwurmungen „die Darmflora ihres Hundes kaputt zu machen“, riskieren sie in geradezu fantastischer Ignoranz lieber die eigene und die Gesundheit ihrer Kinder. Wahrscheinlich ist es völlig sinnlos, aber es sei trotzdem an dieser Stelle kurz angemerkt, dass die Darmflora zu 99 Prozent aus Bakterien besteht und dass Bakterien durch Antibiotika kaputt gemacht werden, nicht durch Anthelminthika.
Fakten: Der Befall eines Hundes mit Echinococcus multilocularis, dem gefährlichen Fuchsbandwurm, kann mit keiner marktreifen und verfügbaren Methode zweifelsfrei nachgewiesen werden! Das Robert-Koch-Institut stuft die alveoläre Echinokokkose des Menschen ganz klar als „Emerging Disease“ ein, mit einer wahrscheinlich enormen Dunkelziffer und einer eventuell zu erwartenden Fall-Lawine, die aufgrund der aktuell sehr laxen Hygiene im Umgang mit Haustieren und der extrem langen Inkubationszeit von 10 bis 15 Jahren erst auf uns zurollt. Die Uniklinik Ulm hat in ihrer Echinokokkose-Ambulanz einem lokalen Pressebericht zufolge zu keinem Zeitpunkt weniger als 400 Patienten in Behandlung, für die das Leben nie mehr so richtig unbeschwert (wie auch, in dem Bewusstsein, dass man dauerhaft ein paar Tausend Parasiten in seiner Leber beherbergt?) und im schlimmsten Fall sogar verkürzt sein dürfte. DAS SIND FAKTEN! Aber sie wollen sie nicht wissen. Es will auch keiner hören, dass die Larven von Hunde- und Katzen-Spulwürmern, deren Eier man in Spielplatz-Bodenproben leider nach wie vor massenhaft nachweisen kann, Kindern das Augenlicht kosten oder irreparable Gehirnschäden anrichten können.
Im Prinzip kann es uns Tierärzten doch egal sein. Unsere Schutzbefohlenen, die Vierbeiner, kommen mit ein paar Würmern tatsächlich meist irgendwie zurecht. Von Ausnahmen natürlich abgesehen, aber die gibt es ja immer. Und ob welche von denen, die heute die Klappe so weit aufreißen und alles besser wissen, in 10 oder 15 Jahren einer Tochter (oder Enkelin) erklären müssen, dass sie nun leider dauerhaft an Echinokokkose erkrankt ist, weil man damals Angst um die Darmflora des (inzwischen schon lange begrabenen) Hundes hatte, kann uns doch auch echt schnurz sein. Meine Freundin Susanne fragt in solchen Fällen immer: „Wer genau hat das Problem?“. Wenn wir mal ganz ehrlich sind: Wir Tierärzte haben es NICHT!
Soweit zu denen, deren Prioritäten ich einfach für pathologisch verschoben halte und die wegen mir einfach machen sollen, was sie wollen. Wie gesagt, sehe ich nicht mehr als meine Baustelle! Mir geht es mit diesem Artikel in erster Linie um die Tierbesitzer, die zur Vorsorge auf regelmäßige Kotuntersuchungen setzen und sich damit mal grundsätzlich durchaus verantwortungsvoll verhalten. Aber auch damit haben wir leider ein Problem, über das man einfach mal geredet haben sollte!
Die Real-Life-Kunden meiner Praxis wissen, dass wir bezüglich der parasitologischen Kotuntersuchungen immer auf die Tatsache hinweisen, dass damit absolut keine hundertprozentige Sicherheit zu erreichen ist. Beweisend ist immer nur der positive Befund! Werden also in einer Kotprobe Wurmeier (bzw. bei molekularbiologischen Nachweismethoden genetisches Material von Würmern) nachgewiesen, hat der Hund tatsächlich Würmer. Finde ich aber nix, hat der Hund nur wahrscheinlich, aber nicht mal annähernd garantiert keine Würmer! Ich wiederhole: Nur der positive Befund ist beweisend, niemals aber der negative!
Gerade, was den Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis) angeht, gibt es – wie oben schon erwähnt – bis heute keinen wirklich sicheren Nachweis! Das ist speziell hier in einer Region, die zu den bundesweiten Fuchsbandwurm-Hotspots gehört, ein sehr unangenehmer Gedanke!
Seit einiger Zeit gibt es nun eine lautstark auftretende Start-Up-Firma, die Wurm-Testsets für Hunde, Katzen und Pferde vertreibt und sich dabei mit ihren Werbeaussagen sehr, sehr weit aus dem Fenster lehnt. Es gibt bzw. gab Facebook-Werbeanzeigen, in denen das so formuliert wurde: „Garantierte Wurmfreiheit, präzise Diagnose, stressfrei von zuhause“. Garantierte Wurmfreiheit! Nope! Nicht möglich!!! Parasitologisch versierte Tiermediziner können da echt nur mit dem Kopf schütteln. Und ich kann nur alle Tierbesitzer davor warnen, auf so einen verantwortungslosen Bullshit reinzufallen.
Nach harscher Kritik rudert die betreffende Firma inzwischen offenbar ziemlich hektisch zurück und macht aktuell den folgenden Text öffentlich: „Bandwürmer scheiden keine Eier aus, sondern stoßen bildlich gesprochen einen Teil ihres Körpers ab, in welchem sich die Eier befinden. Da dies in unregelmäßigen Abständen geschieht, ist der Nachweis von Bandwürmern durch Kotuntersuchung sehr schwierig und ein Zufallsbefund. Wir empfehlen daher eine Sicherheitsentwurmung.“
Aha, soso, eine „Sicherheitsentwurmung“! Das ist dann schon fast wieder amüsant. Die Firma scheint sich das also so vorzustellen: Man kaufe für gutes Geld ihren Wurmtest, schicke ihn ein und führe dann eine „Sicherheitsentwurmung“ durch, weil dem Testergebnis allemal nicht zu trauen ist, zumindest bezüglich der Wurmfamilie mit dem gefährlichsten zoonotischen Potential.
Auf der Website der Firma habe ich auch noch gelesen, dass man regelmäßig testen und dann einmal jährlich eine „Sicherheitsentwurmung“ durchführen solle. Blöd nur, dass ein Hund, der sich (zum Beispiel, weil er ein Mäusejäger ist) mit dem Fuchsbandwurm infiziert, schon nach einem Monat mit der massenhaften Ausscheidung von infektionsfähigen Eiern beginnt. Der haut dann – wenn der Besitzer dem „Wurmkonzept“ dieser Firma folgt – monatelang so richtig schön gefährliche Echinococcus-Eier zu Tausenden raus, ohne dass es jemand auch nur ahnt. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber nach meinem Geschmack ist das eine so richtig gruslige und ekelhafte Vorstellung!
Also, Fazit bis hierher: „Garantiert wurmfrei!“ (Tusch!), allerdings leider, leider NICHT (nach eigener Aussage!), was Bandwürmer angeht! Muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!
Aber dann gilt das Versprechen doch sicher wenigstens für beispielsweise Spul- und Hakenwürmer, die ja auch um Welten häufiger vorkommen als irgendwelche gefährlichen Bandwürmer, oder? Schön wär’s! Ich habe über Kolleginnen und Kollegen Zugang zu wasserdicht dokumentierten Fällen, in denen Kotproben gesplittet und sowohl an diese Firma als auch an ein angesehenes tiermedizinisches Großlabor geschickt oder in der betreffenden Tierarztpraxis Inhouse untersucht wurden. Das Großlabor bzw. die untersuchende Praxis konnten definitiv Rundwurmeier nachweisen (wir erinnern uns: Das ist BEWEISEND für Wurmbefall!), die „Garantiert-Wurmfrei“-Firma dagegen schickte Befunde zurück, auf denen zu lesen war „0 Parasiten gefunden“. „Garantiert wurmfrei“ eben (Tusch!), und die Anführungszeichen lassen wir da wohl besser dran!
Genau das sind die Tatsachen, die in meinen Augen die Verwendung des Begriffs „Kundenverarschung“ durchaus rechtfertigen. Es werden vollmundige Versprechungen gemacht, die bei den Tierbesitzern ein völlig ungerechtfertigtes Gefühl der Sicherheit hervorrufen; ein mittel- und langfristig in meinen Augen verantwortungsloses und gefährliches Spielchen der Firma mit der Gesundheit von Menschen.
Wir müssen da einfach realistisch bleiben:
– Es sei (sorry, mir ist halt sehr wichtig, dass das auch ankommt!) noch ein letztes Mal betont, dass es bis dato kein Kotuntersuchungs-Verfahren gibt, mit dem man die Wurmfreiheit eines Hundes oder einer Katze wirklich beweisen kann. Speziell Bandwurmeier (natürlich inklusive derer des gefährlichen Fuchsbandwurms) sind in der Regel gar nicht oder nur mit sehr viel Glück als Zufallsbefund nachweisbar. Der häufig gelesene Kommentar „Wir machen immer Kotuntersuchungen, und mein Hund hatte noch nie Würmer!“ ist keine wirklich gültige Aussage. So ein Hund könnte im Prinzip seit Jahren munter Fuchsbandwurmeier in seiner Umgebung verteilen, ohne dass es jemand merken würde.
– Durch Hunde- und Katzenwürmer ausgelöste Erkrankungen des Menschen wie Echinokokkose und Toxocariasis sind sicherlich ziemlich selten, aber – wenn es doch dazu kommt – gern mal echt tragisch und lebensverändernd für die betroffenen Personen. Gerade wenn Kinder im Spiel sind, fällt es mir sehr schwer, Verständnis für die teilweise mehr als irrationalen Prioritäten so mancher Tierbesitzer aufzubringen. Wenn die Angst vor fiktiven Gesundheitsgefahren durch regelmäßige Entwurmungen für das Haustier schwerer wiegt als eine reale Gefahr für die Unversehrtheit von Kindern, hört in meinen Augen der Spaß auf!
– Die im Sinne menschlicher Gesundheit nach wie vor sicherste Methode, weitgehende Endoparasitenfreiheit des Haustieres zu erreichen, ist und bleibt die strategische Entwurmung, also die Verabreichung eines Breitband-Anthelminthikums in regelmäßigen und von den Lebensgewohnheiten des Tieres abhängigen Zeitabständen. Viele von uns Tierhaltern leben inzwischen ohne wirkliche hygienische Schranke sehr (zu?) eng mit unseren Tieren zusammen. Um so wichtiger ist es natürlich, dass man nicht am Ende in einem Bett schläft, das im schlimmsten Fall mit Hunderten oder Tausenden von Wurmeiern verseucht ist, denn das kann sich selbst für das beste Immunsystem als eine zu große Belastung erweisen.
– Geschätzt über 80 Prozent aller strategischen Entwurmungen sind unnötig, werden also einem Tier verabreicht, das zu diesem Zeitpunkt keine Würmer hat. Das ist natürlich irgendwie unbefriedigend, aber aufgrund der erläuterten Zusammenhänge bis dato nun mal nicht zu ändern. Vielleicht bekommen wir irgendwann, vielleicht sogar bald, von Seiten der Molekularbiologie ein Testverfahren geliefert, das eine hohe Nachweissicherheit für alle Wurmarten bietet, aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.
– In allen Diskussionen zu diesem Thema taucht das Argument auf, dass strategische Entwurmungen nicht prophylaktisch wären. In Bezug auf das Tier ist das natürlich korrekt, denn ein Hund kann sich bereits einen Tag nach Verabreichung einer Entwurmung erneut anstecken. Da sich an eine Ansteckung aber die sogenannte Präpatenzzeit anschließt, in der sich die Wurmeier oder -larven im Hund zu erwachsenen Würmern entwickeln und in der noch keine Ausscheidung von für Menschen gefährlichen Wurmeiern erfolgt, ist die strategische Entwurmung eben doch prophylaktisch, und zwar für uns Menschen! Und genau darum geht es letztendlich bei der ganzen Entwurmerei. Wie schon erwähnt: Ein erwachsener Hund mit intaktem Immunsystem bekommt entweder keine Würmer oder kann mit ein paar von den Biestern im Darm ganz sorgenfrei leben. Die Frage ist nur, wie wir Menschen, wie unser inzwischen halt arg weichgespültes Immunsystem damit klar kommt, wenn uns unsere auf Sofas und in Betten schlafenden und leichtsinnigerweise ständig von hinten und von vorne abgeknutschten Haustiere mit Wurmeiern dauerbombardieren.
Take home:
Unsere klare Empfehlung (im Sinne menschlicher Gesundheit!) ist die strategische Entwurmung in den Zeitabständen, die sich individuell für Ihr Tier aus dem bekannten ESCCAP-Schema (googeln!) ergeben.
Wenn Sie das trotz unseres Ratschlages nicht so machen wollen und Sie (für mich nicht wirklich verständlich) mit einer ziemlich hohen und unvermeidbaren Nachweisunsicherheit leben können, müssen Sie ersatzweise Kotuntersuchungen (ebenfalls in den sich aus dem ESCCAP-Schema ergebenden Zeitabständen) durchführen lassen, aber dann bitte nicht von irgendwelchen schwindligen Start-Up-Firmen, die sich dafür marktschreierisch im Netz anpreisen, sondern entweder in der Tierarztpraxis Ihres Vertrauens, in den parasitologischen Instituten der tiermedizinischen Hochschulen oder in den etablierten Großlaboren.
Wenn Sie nach dem Motto „Mein Hund hat keine Würmer!!!“ weder das eine noch das andere tun oder zur Verhinderung von Wurmbefall mit der öffentlichen Gesundheit Roulette spielen wollen, indem Sie Ihrem Tier so Zeugs wie gehäckselte Pferdeschweifhaare, Kokosflocken oder Knoblauch verabreichen, dann sind Sie hier völlig falsch und ziehen sich bitte einfach von meiner Internet- und Facebook-Präsenz in die passenden Netz-Reservate für Gleichgesinnte zurück. Vielen Dank!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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