Ein Wechsel der Perspektive

Ein Wechsel der Perspektive

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Meine Schulfreundin Susanne, die Frau eines humanchirurgischen Chefarztes, besteht immer schon darauf, dass ein Arzt erst dann ein wirklich guter Arzt sein kann, wenn er mal selbst als Patient im Krankenhaus gelandet ist. Das mag ein extremer Standpunkt sein, aber ein Wechsel der Perspektive führt durchaus auch bei hocherfahrenen Profis zu einem Lernprozess, wie wir letzte Woche erfahren durften.

Wie manche von Ihnen wissen, hat unser Terrier Nogger von klein auf große Schwierigkeiten mit seinen Hüften. Wegen einer aseptischen Femurkopfnekrose musste mit sieben Monaten sein linker Oberschenkelkopf entfernt werden. Leider hat die Erkrankung auch sein anderes Hüftgelenk beschädigt, was ihm jetzt zunehmende Probleme bereitet. Für eine präzise Diagnostik und eine Beurteilung der Situation haben wir deshalb letzte Woche Kollege Stefan Scharvogel in der Tierklinik Haar bei München aufgesucht. Dr. Scharvogel ist einer der besten orthopädischen Spezialisten in Deutschland, an den wir zum Beispiel Patienten überweisen, die Bedarf an einer Hüftgelenksprothese haben.

Für uns war es eine noch nie dagewesene Situation. Durch unser breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten waren wir seit Gründung unserer Praxis immer in der Lage, alle medizinischen Probleme selbst zu lösen, und nie darauf angewiesen, einen unserer Hunde komplett in andere Hände zu legen. Sicherlich hätte ich als überweisender Kollege darauf bestehen können, während der Narkose, dem Röntgen und dem CT bei Nogger zu bleiben, habe mich aber ganz bewusst dagegen entschieden. Aus eigener Erfahrung weiß ich ganz genau, wie sehr es den perfekt eingespielten Ablauf stören kann, wenn man sich bei jedem Handgriff beobachtet fühlt oder gar gezwungen ist, während Prozeduren, die eigentlich volle Konzentration erfordern, permanent zu erläutern, was gerade passiert, oder auf Fragen des Tierbesitzers einzugehen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass Besitzer, die darauf bestehen, bei anästhesiepflichtigen Eingriffen dabei zu sein, unwissentlich das Risiko für ihr Tier erhöhen.

Nichtsdestotrotz war es nicht schön, um nicht zu sagen nervenaufreibend, das Klinikteam einfach machen zu lassen und jegliche Kontrolle über das eigene Tier aufzugeben. Wir sind wie viele Tierbesitzer zur Ablenkung Kaffeetrinken gegangen, aber die Nervosität war dadurch nicht wirklich in den Griff zu bekommen. Nach unserer Rückkehr in die Klinik haben wir im Wartezimmer darauf gewartet, dass Nogger aus der Narkose aufwacht und uns gebracht wird. Als er zu sich kam, stellte er wohl fest, dass wir nicht bei ihm waren – auch für ihn ein absolutes Novum – und beschloss, nach uns zu heulen, und zwar so laut, dass wir ihn bis ins Wartezimmer hören konnten. Ich muss sagen, das reißt einen richtig vom Stuhl hoch. Kurz darauf wurde er uns zur allseitigen Erleichterung von einer netten jungen Dame übergeben(siehe Foto). Alles war wieder gut!

Langer Rede kurzer Sinn: Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie groß der Vertrauensvorschuss ist, den Sie uns einräumen, indem Sie Ihr Tier in unsere Hände geben. Wir hätten nicht gedacht, dass es so schwierig ist, und wissen Ihr Vertrauen nun um so mehr zu schätzen. Im Gegenzug können Sie sich natürlich wie schon immer darauf verlassen, dass wir auch in Ihrer Abwesenheit mit Ihrem Tier zu jeder Zeit so sorgsam umgehen als wäre es unser eigenes.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

(c)Ralph Rückert

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