Ein Leben in Atemnot - Das Brachycephalen-Syndrom

Ein Leben in Atemnot – Das Brachycephalen-Syndrom

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Nach unseren Beobachtungen sind die Französische Bulldogge und der Mops in den letzten Jahren sehr populäre Hunderassen geworden. Auch wir mögen Bullies und Möpse aufgrund ihrer bezaubernden Charaktereigenschaften sehr gern. Vom tiermedizinischen Standpunkt her bereitet uns diese Entwicklung aber zunehmend Bauchschmerzen, denn beide Rassen gehören zu den sogenannten Brachycephalen, den Kurzköpfigen, und diese kommen mit einer schweren Atembehinderung auf die Welt und quälen sich damit ein Leben lang, wenn nichts dagegen unternommen wird.

Seit mindestens 15000 Jahren züchtet der Mensch Hunde, und man kann mit Staunen vermerken, welch enormen Erfolg er damit hatte. Ohne die durch gezielte Selektion entstandenen Spezialisten der Hundewelt wäre der Mensch heute nicht da, wo er ist. Der Hund hat mit dem Menschen zusammen jeden Lebensraum und jede Klimazone der Erde erobert. Es gibt Spezialisten für alle denkbaren Formen der Jagd (Sicht- und Nasenjäger, Erdhunde, Schädlingsvertilger), es gibt Hüte- und Herdenschutzhunde, es gibt Lasttiere (Schlittenhunde) und bellfreudige Wachhunde, es gibt Schutz- und Polizeihunde, es gibt Blinden- und Therapiehunde und es gibt nicht zuletzt auch Familien- und Begleithunde. 15000 Jahre lang war Hundezucht gleichzusetzen mit Leistungszucht: Die optische Erscheinung eines Hundes war immer zweitrangig, wichtig waren seine Gesundheit und seine Fähigkeiten bezüglich der ihm zugedachten Aufgaben. Aus diesem Gesichtspunkt ergab sich eine ganz natürliche Qualitätskontrolle in der Hundezucht.

In den letzten 150 Jahren – gerade mal einem Hundertstel der gesamten Geschichte der Hundezucht – hat sich die von Rassezuchtvereinen dominierte Schönheitszucht etabliert, also die Zucht auf äußere Merkmale, die einem von den Vereinen formulierten Idealbild der jeweiligen Rasse, dem Zuchtstandard, entsprechen sollen. Und man kann mit ungläubigem Entsetzen vermerken, welch enormer Schaden in dieser kurzen Zeit angerichtet worden ist. Man sehe sich an, wie eine der populärsten Hunderassen der Welt, der Deutsche Schäferhund, innerhalb eines knappen Jahrhunderts so kaputt gezüchtet wurde, dass er heute kaum mehr als Polizeihund Verwendung finden kann. Man vergleiche historische Bilder von Bassets, sogenannten Niederlaufhunden (ja, das waren mal Meute-Laufhunde!) mit den kläglichen, faltenwerfenden, triefäugigen, gehbehinderten und weitgehend paarungsunfähigen Hundekarikaturen auf heutigen Zuchtschauen, und es kann einem die Tränen des Mitleids in die Augen treiben. Man überlege, welcher Wahnsinn Menschen dazu treiben mag, einen prachtvollen Hund wie die Deutsche Dogge innerhalb weniger Jahrzehnte derartig auf immer noch mehr Größe und Gewicht zu trimmen, dass Exemplare dieser Rasse inzwischen nur noch eine statistische Lebenszeit von sechs oder sieben Jahren haben.

Prof. Dr. Oechtering, der Direktor der Klinik für Kleintiere an der Universität Leipzig, hat es in einem gerade erschienenen Fachartikel knapp und treffend so formuliert: „In der Zucht von Schau-Hunden gibt es also keine funktionierende Qualitätskontrolle.“ Nirgends wird das so offensichtlich wie bei den brachyzephalen Hunderassen (aber auch bei Perserkatzen und Zwergkaninchen). Diese Tiere kommen mit einer schweren und auch für den Laien durchaus wahrnehmbaren Atmungsbehinderung auf die Welt und haben ihr Leben lang darunter zu leiden, sind also nach tiermedizinischem Denken sogenannte Qualzuchten. Prof. Oechtering hat zusammen mit anderen Autoren erst vor kurzem eine Befragung von Besitzern extrem kurznasiger Hunde durchgeführt und kam dabei zu schockierenden Ergebnissen: 56 Prozent der Tiere haben Atemprobleme beim Schlafen. 24 Prozent versuchen gar im Sitzen zu schlafen, da sie beim Liegen keine Luft bekommen. 11 Prozent haben Erstickungsanfälle im Schlaf. 77 Prozent haben Probleme beim Fressen. 46 Prozent erbrechen oder regurgitieren mehr als einmal am Tag. 36 Prozent sind schon einmal aufgrund von Atemnot umgefallen, über die Hälfte von ihnen hat dabei das Bewusstsein verloren. Soweit die Ergebnisse dieser Umfrage, und ich finde das auch als Tierarzt erschreckend.

Die für die kurznasigen Hunderassen typischen, schnarchenden Atemgeräusche werden von Menschen nicht selten als drollig empfunden. Sind sie aber nicht! Sie entstehen durch Turbulenzen der Luft in den chronisch verengten und entzündeten Atemwegen dieser Hunde und sind definitiv ein Krankheitssymptom! Bei brachycephalen Hunden können wir die folgenden primären Problemstellen identifizieren:

  • Zu enge Nasenlöcher
  • Zu enge bzw. deformierte Nasengänge und -muscheln
  • Zu langes Gaumensegel
  • Verkürzter / deformierter Rachenraum mit dadurch relativ zu langer / zu dicker Zunge

Der durch diese angeborenen Engstellen verursachte Unterdruck beim Einatmen führt dann im Lauf der Zeit zu weiteren, also sekundären Veränderungen:

  • Weitere Verlängerung bzw. Verdickung des Gaumensegels
  • Vorfall der Kehlkopftaschen, dadurch zusätzliche Behinderung des Luftstroms
  • in extremen Fällen Deformation des gesamten Kehlkopfes und der Luftröhre

Die deformierten und dadurch eines Großteiles ihrer Funktionalität beraubten Nasenmuscheln können von den betroffenen Hunden auch kaum mehr zum Temperaturausgleich genutzt werden, was zu einer extremen Wärmeempfindlichkeit führt. Brachycephale Hunde kollabieren im Sommer gar nicht selten und kommen als Notfall in die Tierarztpraxis.

Dieser Teufelskreis kann sich nicht von selbst bessern, hier muss chirurgisch eingegriffen werden, um dem Hund ein Leben ohne ständige Atemnot zu ermöglichen. Erfolgt diese Intervention frühzeitig (durchaus schon mit 6 Monaten), kann sie sich zuerst auf eine Erweiterung der Nasenlöcher beschränken. Dies muss nicht immer, kann aber oft ausreichen, die Atmung so weit zu erleichtern, dass der Hund damit gut zurecht kommt und das Auftreten von komplizierter zu beseitigenden Sekundärschäden vermieden wird. In einigen Fällen muss im weiteren Verlauf trotzdem noch das verlängerte bzw. verdickte Gaumensegel chirurgisch verkleinert werden. Beide Eingriffe stellen für geübte Chirurgen keine große Herausforderung dar und sind auch für die Patienten bei angemessener Schmerzunterdrückung sehr gut verkraftbar, zumal man ihnen meist schon unmittelbar nach der Operation die Erleichterung über die freiere Atmung ansehen kann.

Was also können wir zusammenfassend raten? Erstens: Wenn Sie noch nicht Besitzer eines kurznasigen Hundes sind, aber eine Anschaffung in Erwägung ziehen, so sehen Sie bitte davon ab, auch wenn es schwer fällt. Hauptsächlich betroffen sind: Mops, Französische Bulldogge, Englische Bulldogge, Shi-Tzu, Pekingese, Shar-Pei, Boston Terrier. Diese Aufzählung ist natürlich nicht abschließend. Vom Kauf eines solchen Hundes raten wir deshalb ab, weil es der einzige Weg zu sein scheint, den Züchtern klar zu machen, dass es so nicht weitergehen kann. Auf Vernunft und Einsicht kann man nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte jedenfalls nicht vertrauen. Zweitens: Wenn Ihr Hund ein Brachycephaler ist, dann lassen Sie ihn untersuchen und – falls nötig – operieren, und das so früh wie möglich. Warten Sie nicht, es wird nicht besser, es wird schlimmer. Ihr Hund kennt es nicht anders, er hält permanente Atemnot für den Normalzustand. Geben Sie ihm bitte die Chance, ein Leben mit genug Luft zum Atmen kennen zu lernen.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

©Ralph Rückert

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