Ein Jahr neue GOT - Teil 1: Fazit für die Kleintierpraxis

Ein Jahr neue GOT – Teil 1: Fazit für die Kleintierpraxis

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Die neue Gebührenordnung (nGOT) für Tierärztinnen und Tierärzte trat am 22. November 2022 in Kraft. Diese Neufassung lag mehr als ein Jahrzehnt in der Luft, wurde aber von der Politik immer wieder auf die lange Bank geschoben. Wie in der Ära Merkel leider in vielen Bereichen üblich, wurden trotz aller Warnungen vor der inzwischen eingetretenen Versorgungskatastrophe statt des eigentlich notwendigen Druckverbandes nur kleine Heftpflaster auf die arteriellen Blutungen der Tierärzteschaft geklebt, in Form von zwei rein prozentualen und angesichts der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung völlig unzureichenden Anpassungen und einer Erhöhung der im Notdienst berechenbaren Gebühren.

Nun haben wir seit einem Jahr die Neufassung, die endlich in einer deutlich verbesserten logischen Struktur sehr viele inzwischen übliche diagnostische und therapeutische Verfahren abdeckt, die in der alten GOT nicht mal erwähnt waren, und die überdies den realistischen Zeitaufwand der verschiedenen Tätigkeiten berücksichtigt, auf der Basis einer zwar nicht perfekt, aber doch sehr vernünftig gemachten Studie einer vom zuständigen Bundesministerium beauftragten Beratungsfirma. Zeit für ein praxisinternes Fazit, bevor wir uns (Achtung: Teaser!) im dann hoffentlich schnell folgenden zweiten Teil der aktuellen und maximal lächerlichen Petition der Trotzkinder von der Reiterlichen Vereinigung FN widmen!

Die erklärte Absicht der neuen GOT ist es, die durch jahrzehntelange politische Verschleppung zweifellos entstandene Lücke zur allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung zu schließen und damit etwa 25 Prozent mehr Geld in das tiermedizinische System zu spülen, zuvorderst natürlich mit dem Ziel, den geradezu verheerenden und die Versorgung der Tiere akut gefährdenden Fachkräftemangel abzufedern.

Aus meiner Sicht ist das gelungen! Wir verzeichnen (sehr stabil und sich Monat für Monat wiederholend) eine Umsatzsteigerung von etwa 20 Prozent bei mehr oder weniger gleich bleibenden Konsultationszahlen, was logischerweise eine durchschnittliche Mehrbelastung unserer Kundinnen und Kunden in gleicher Höhe bedeutet. Diese Mehrbelastung ist ungleich verteilt, so dass für Tierbesitzer:innen subjektiv ein anderer Eindruck entstehen kann. Gerade der Bereich Narkosen und Chirurgie hat sich um deutlich mehr als 20 Prozent verteuert, während andere Leistungen (bekanntestes Beispiel: Röntgen) sogar billiger geworden sind. Dass eine ruckartige Preissteigerung um durchschnittlich 20 bis 25 Prozent für den Kundenkreis unangenehm ist, ist uns klar wie Kloßbrühe. In Relation zu dem, was sich in letzter Zeit auf dem Energie- und Bausektor und in noch so einigen anderen Bereichen abgespielt hat, erscheint uns das trotzdem als noch recht moderat.

Ich habe geschrieben „gleich bleibende Konsultationszahlen“. Es wurden uns also seit dem Inkrafttreten der nGOT ziemlich genau gleich viele Tiere vorgestellt wie im Jahr zuvor. Das überall zu hörende Kassandra-Geplärr von wegen „dann geht halt niemand mehr zum Tierarzt und die armen Tiere müssen es ausbaden“ hat sich also nach unseren Zahlen überhaupt nicht bewahrheitet. Dass es nach den unter rationalen Gesichtspunkten geradezu surreal anmutenden Haustier-Neuanschaffungszahlen während der Pandemie irgendwann zu einer Stagnation bzw. Korrektur kommen würde, war ja auch ohne die neue Gebührenordnung eine ausgemachte Sache und völlig vorhersehbar. Es haben sich halt leider in der Pandemie-Phase sehr viele Leute Tiere zugelegt, die das niemals hätten tun dürfen.

Natürlich, viele Kunden stöhnen beim Bezahlen der Rechnung oder beim ersten Überfliegen der Kostenschätzung für einen geplanten Eingriff, aber mal ehrlich: Das geht mir und uns allen in vielen anderen Bereichen ganz genau so. Was Preisstabilität angeht, ist das gerade ganz sicher keine gute Zeit. Das liegt aber weitgehend an Entwicklungen, die niemand von uns irgendwie ändern könnte. Nichtsdestotrotz können wir – zumindest in unserer Praxis – absolut nicht feststellen, dass die Masse der Tierbesitzer:innen wegen der neuen GOT irgendwie an ihrem Tier sparen würde. Die Qualität der für das vierbeinige Familienmitglied erbrachten Leistungen hat ganz offenbar nach wie vor einen deutlich höheren Stellenwert als der dafür fällig werdende Betrag. Diese unsere Erfahrungen decken sich weitgehend mit dem, was wir aus anderen Praxen und Kliniken mit hohem Qualitätsanspruch zu hören bekommen.

Ich habe den Gedanken ja schon mehrfach formuliert: Es ist völlig unbestreitbar, dass jegliche Verteuerung einer Leistung oder eines Produkts eine Art Exklusionseffekt auslöst, dass also im Fall der Tiermedizin Menschen, die sich das Hobby Tierhaltung vorher gerade so auf Kante genäht leisten konnten, nun in Schwierigkeiten kommen und von der Tierhaltung ausgeschlossen werden. Isso! Das allerdings einzig und allein auf die neue GOT zu schieben, ist angesichts der Verteuerungen, die wir alle aktuell in anderen Lebensbereichen erfahren müssen und die wesentlich mehr zu Buche schlagen, geradezu aberwitzig bzw. vorsätzlich böswillig.

Ebenso aberwitzig und unseriös ist der Gedanke, dass sich eine ganze Branche „aus Liebe zu den Tieren“ selber ruinieren soll, um diese Effekte in ihrer Gesamtheit abzufangen. Wir praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte sind NICHT dafür da, ALLEN Leuten, völlig unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten, die Haltung von Haustieren durch Querfinanzierung zu ermöglichen! Wollten wir das tun, müssten wir nämlich buchstäblich für Lau arbeiten. Wenn das, also die Möglichkeit für jeden, Haustiere zu halten, gesamtgesellschaftlich gewollt wird, dann ist das auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und definitiv nicht unser brancheninternes Problem!

Wir sind auch nicht bereit, Außenstehenden, die nicht den blassesten Schimmer von Betriebswirtschaft haben und dementsprechend ständig in himmelschreiender Naivität einen tiermedizinischen Rechnungsbetrag mit einem „Stundenlohn“ gleichsetzen, die Möglichkeit einzuräumen, darüber zu beschließen, welche Gewinne für uns nach ihrer unmaßgeblichen Meinung angemessen wären.

Eine bei Diskussionen der nGOT mit am häufigsten zu lesenden Formulierungen ist „Ich habe noch keine Tierärztin / keinen Tierarzt verhungern gesehen!“. Das glaube ich unbesehen, denn ich wüsste auch von keinem derartigen Fall. Nur ist das halt in einer Gesellschaftsform, in der eh niemand aus finanziellen Gründen verhungert, maximal irrelevant und letztendlich ein Ausdruck von egozentrischem Sozialneid, weil es nämlich nur bedeutet: „Das sind doch sowieso alles Bonzen mit dicken Autos und großen Häusern, die (Unverschämtheit!) viel mehr verdienen als ich, also sollen die mal den Gürtel enger schnallen und ihre Rechnungen so billig machen, dass es MIR in den Kram passt!“. So läuft das aber nun mal nicht, sorry!

Ja, es gibt natürlich weit überdurchschnittlich erfolgreiche Kolleginnen und Kollegen, die sehr schöne Einkommen erzielen. Will man aber die wirtschaftliche Situation einer Branche korrekt einschätzen, hilft einem völlig unbestreitbar nur die Betrachtung der Durchschnittszahlen weiter, und da sah es eben vor der Einführung der neuen GOT reichlich düster aus. Dafür liegen handfeste Zahlen vor, und nach diesen Zahlen erzielten 60 Prozent (!) der deutschen Tierarztpraxen einen Umsatz von weniger als 250.000 Euro pro Jahr, was bedeutet, dass die Inhaber:innen pro Monat über ein Nettoeinkommen von gerade mal 2000 Euro (oder gar weniger) verfügen konnten, und das ist nun mal inakzeptabel und musste sich ändern.

Die erhöhten Umsätze und Gewinne werden von uns (und vielen anderen) mit einem ziemlich fixen Prozentsatz als höhere und deutlich übertarifliche Gehälter an unsere Mitarbeiterinnen durchgereicht, und genau so soll es sein! Die (durchaus schönen!) Berufe der Tiermedizinischen Fachangestellten und der angestellten Tierärztinnen und Tierärzte müssen sich für die jungen Leute auch vom Verdienst her wieder lohnen, denn sonst haben wir bezüglich des aktuellen Fachkräftemangels nicht die geringste Chance! Und das wäre dann nicht wirklich unser, sondern vielmehr Ihr Problem als Tierbesitzer:innen!

Viele von Ihnen stellen ja schon jetzt fest, wie problematisch es geworden ist, im Fall der Fälle einen schnellen Termin am gleichen Tag zu bekommen oder gar eine Einrichtung zu finden, die in der Nacht und/oder am Wochenende dienstbereit ist. Sollten wir diesen Fachkräftemangel nicht in den Griff bekommen – und die neue GOT ist da ein in seiner Wichtigkeit gar nicht zu überschätzendes Instrument – werden die deutschen Tierhalter:innen extrem düstere Zeiten erleben. Durch die nGOT werden keine Tiere sterben, zumindest nicht, wenn sie sich in den Händen von auch nur halbwegs verantwortungsvollen Tierbesitzer:innen befinden, durch den Mangel an Fachkräften und das dadurch verursachte Praxis- und Kliniksterben aber sehr wohl! Das zumindest in den Sozialen Medien weit verbreitete Genöle über die (nun endlich realistischen) Gebühren wird individuell halt genau so lange weiter gehen, bis man mal erlebt hat, wie man mit einem ernsthaft erkrankten Tier im Haus zehn Praxen durchruft und immer noch keinen Termin bekommt.

Das passiert nicht, weil wir faul sind und uns einen schlanken Fuß machen wollen! Das passiert, weil wir in der Breite inzwischen einfach nicht mehr genug Leute haben, um die pro Tag eigentlich nötigen tiermedizinischen Arbeitsstunden erbringen zu können. Das ist auch der Grund, warum diese vielfach zu lesenden subtilen Drohungen, sich in Zukunft (natürlich nur wegen der gestiegenen Gebühren, haha!) kein neues Haustier anschaffen zu wollen, uns überhaupt nicht treffen, sondern meilenweit an uns vorbei fliegen. Wir werden noch jahrelang mit diesem immer schlimmer werdenden Fachkräftemangel zu tun haben, so dass etwas sinkende Tierzahlen aus unserer Sicht durchaus begrüßenswert wären. Wir leiden nämlich tatsächlich darunter, wenn wir kranken Tieren nicht helfen können!

Neulich, beim jährlichen Treffen des Notdienstringes Ulm / Neu-Ulm, saß eine Kollegin neben mir und sagte plötzlich ganz bedrückt: „Ralph, schau dich mal um! Wir sind ja fast alle schon richtig alt. Und nur du und Kollegin X haben Nachfolgerinnen für ihre Praxen. Die anderen werden über kurz oder lang einfach zumachen müssen. Was soll das alles noch werden? Wie soll das denn weiter gehen?“. Und genau das ist der Punkt, den so schrecklich viele, die sich mit Schaum vor dem Mund über höhere Tierarztgebühren ereifern, einfach nicht kapieren (wollen). Die höheren Tierarztkosten jetzt sind für Sie als Tierhalter:innen nicht zuletzt auch eine Investition in die (nahe!) Zukunft, weil diese Zukunft sonst gut so aussehen könnte, dass Sie einfach keine Praxis oder Klinik für ihr krankes Tier mehr finden! Wir sind uns hoffentlich alle einig, dass wir es nicht so weit kommen lassen dürfen, denn das wäre dann im Gegensatz zu den nun höheren Gebühren ein echtes Tierschutzproblem!

Fazit (für die Kleintierpraxis!): Die Neufassung der GOT tut genau das, was sie soll! Sie bringt der Branche im Gesamten irgendwas zwischen 20 und 25 Prozent mehr Umsatz und entsprechend höhere Gewinne, die zu einem guten Teil als höhere Gehälter an die Angestellten (seien es Tiermedizinische Angestellte oder Tierärzt:innen) weiter gegeben werden, und zwar zwangsläufig, weil man auf dem leergefegten Personalmarkt sonst sowieso niemand mehr findet. Frühestens in fünf bis zehn Jahren werden wir wissen, ob sich das dann positiv auf die Versorgungskrise ausgewirkt hat.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif und und bleiben Sie uns gewogen, auch wenn wir Ihnen häufig mal sehr bittere Wahrheiten erzählen, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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