Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Neulich wurde uns ein junger Kater (etwas über ein Jahr alt) vorgestellt, der tags zuvor vom Balkon gesprungen oder gestürzt war und seitdem nicht mehr richtig auf sein rechtes Hinterbein auftreten konnte.
Die allgemeinkörperliche Untersuchung ergab außer einem stress- bzw. schmerzbedingt recht hohen Puls und der schweren Lahmheit hinten rechts keine besonderen Befunde. Bei der Lahmheitsuntersuchung zeigte sich eine so hochgradige Schmerzhaftigkeit im Bereich des rechten Hüftgelenks, dass sich ein weiteres Vorgehen ohne stark schmerzunterdrückende Sedierung von selbst verbat.
Nach dem Einsetzen der Wirkung der Analgosedierung konnte die Untersuchung fortgesetzt und mit einem Röntgenbild ergänzt werden. Der Kater hatte sich bei dem Absturz den rechten Oberschenkelhals gebrochen. Die Therapie einer solchen Verletzung bei der Katze besteht in der Regel aus einer Femurkopfresektion, also einer chirurgischen Entfernung des abgebrochenen Oberschenkelkopfes.
Die Besitzerin wurde über unsere Diagnose, die notwendige Therapie und die sehr gute Prognose aufgeklärt. Wir erklärten ihr, dass wir diesen Eingriff zwar rein technisch durchführen könnten, aber den Kater lieber an einen Kollegen überweisen würden, der sehr häufig unfallchirurgisch operiert und deshalb mit Sicherheit routinierter und schneller arbeiten würde als wir. Diesem Plan stimmte die Besitzerin zu, so dass unser Team sich anschließend bemühte, telefonisch für den Kater einen OP-Termin zu vereinbaren, was dann noch für den gleichen Tag gelang.
Die Besitzerin bezahlte die Rechnung für unsere Bemühungen und traf zum vereinbarten Zeitpunkt in der Praxis des Kollegen ein. Dort erklärte sie nach entsprechender Aufklärung, dass sie sich diesen Eingriff nicht leisten könne. Der Kollege schlug ihr daraufhin vor, eine Übereignungserklärung an ihn zu unterschreiben, was auch so geschah, womit die Katze vorübergehend in seinen Besitz kam. Er hat dann den Kater auf eigene Kosten operiert und später ans Tierheim übergeben, damit er nach Ausheilung seiner Verletzung eine neue Chance in der für ihn beim ersten Versuch nicht so optimal gelaufenen Lotterie um ein Für-Immer-Zuhause bekommt.
Die Gesamtkosten des Unfalls hätten – unsere Diagnostik und der Eingriff durch den Kollegen zusammen – bei sehr guter Prognose für den Patienten knapp 1000 Euro betragen. Das ist ein Betrag, den man als Halter:in eines Haustieres IMMER irgendwie aufbringen können muss! Entweder hat man das auf der hohen Kante oder man hat sein Tier vorsorglich krankenversichert! Muss man in so einer Situation seine Katze abgeben, hat man sich von vornherein ein Wegwerf-Haustier geholt, dem rein gar nichts Außerplanmäßiges passieren darf.
Das ist einfach nicht in Ordnung! Ist man als Tierärztin / als Tierarzt auch nur halbwegs pessimistisch drauf, geht man fest davon aus, dass sich in der betreffenden Familie schon bald wieder eine neue Wegwerf-Katze finden wird. Die könnte dann sogar noch tiefer ins Klo greifen als ihr Vorgänger, denn zum Beispiel schleichende und dauerhaft hochgradig schmerzhafte Zahnerkrankungen wie die FORL, für deren Therapie man dann ja auch nicht die notwendigen Mittel zur Verfügung hat, lassen sich im Gegensatz zu einer Oberschenkelhalsfraktur durch die Besitzer lässig ignorieren und auf die lange Bank schieben, mit dem Ergebnis von jahrelangem, stummem Leiden für das Tier, das man unbedingt haben musste. Unter diesem Gesichtspunkt hatte der junge Bursche sogar Glück im Unglück, dass sein zweifelhafter Status als Wegwerf-Haustier gleich jetzt am Anfang rauskam und er jetzt eine neue Chance auf Besitzer:innen bekommt, die sich WIRKLICH um ihn kümmern können und wollen!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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