Die Tierärzte und Big Pharma: Kumpel, Partner oder unruhige Bettgenossen?

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Wo und wann immer man Diskussionen unter Tierbesitzern verfolgt, wird Tierärzten gern und reflexartig eine innige und zum gegenseitigen Vorteil gereichende Beziehung zur Pharmaindustrie unterstellt. Der dabei verzapfte Unsinn geht bis hin zu der geradezu wahnhaften Behauptung, dass die Konzerne den Tierärzten ihre Praxen komplett einrichten würden. Das war und ist natürlich nie der Fall gewesen, denn ich habe außer ein paar Kugelschreibern, Taschenkalendern, Pralinen und China-Schrott-LED-Lämpchen noch nie etwas von Pharmafirmen geschenkt bekommen.

Natürlich leben die für Tierarzneimittel zuständigen Hersteller und die Tierärzte in einer Art von gegenseitiger Abhängigkeit. Die Pharmaindustrie möchte ihre Produkte an den Mann bzw. das Tier bringen und wir Tierärzte sind auf viele dieser Produkte angewiesen, weil sie letztendlich unverzichtbarer Bestandteil unseres Werkzeugkastens sind.

Die Industrie bezeichnet uns mit Vorliebe und ohne groß zu fragen, ob uns das auch recht ist, als „ihre Partner“. Eine Zeit lang, als relativ junger Tierarzt, habe ich das tatsächlich auch so verstanden. In den letzten Jahren wurde aber für viele von uns mehr als deutlich, dass wir Tierärzte – und damit letztendlich auch unsere Patienten – in dieser sogenannten „Partnerschaft“ viel zu oft die Arschkarte ziehen.

In meinem Alter, das man allmählich mit Fug und Recht als fortgeschritten bezeichnen kann, neigt man ja bekanntlich dazu, vergangene Zeiten zu verklären und durch den Weichzeichner zu betrachten. Trotzdem kann ich mir nicht helfen: Am Anfang meiner Laufbahn war in Bezug auf dieses Thema tatsächlich vieles besser.

Um eines gleich an diesem Punkt klar zu stellen: Ich bin ganz sicher der Letzte, der irgendeinem Unternehmen das Recht abspricht, nach einem gesunden Profit zu streben. Mit diesem Streben nach Gewinn geht aber in meinen Augen eine gewisse Verantwortung einher, auch und gerade, wenn man sein Geld im Medizinsektor verdient. Und genau diese Verantwortung scheint den Pharmafirmen von heute so ziemlich abhanden gekommen zu sein.

Was regt mich jetzt gerade aktuell so auf, dass ich diesen Wut-Artikel schreibe? Mitte 2013 haben wir unser Katzen-Impfstoff-Sortiment auf die zum damaligen Zeitpunkt einzige durchgehend adjuvantienfreie Serie (Purevax von Merial) umgestellt. Diese Impfstoffe waren zwar etwas teurer, aber man konnte sich Hoffnungen machen, durch die Verwendung das Risiko des Auftretens der berüchtigten injektionsassoziierten Fibrosarkome so weit wie möglich zu verringern.

Als wir nun neulich RCP-Impfstoff (gegen Katzenseuche und Katzenschnupfen) nachbestellen wollten, bekamen wir die trockene Auskunft, dass dieser bestenfalls Anfang 2018 wieder lieferbar sein würde. Früher kam sowas auch mal vor, aber ganz, ganz selten, und es war für die Telefonkräfte in der Bestellannahme und vor allem für den Außendienst immer eine hochnotpeinliche Angelegenheit, für die sich tausendmal entschuldigt wurde. Man hatte damals tatsächlich noch das Gefühl, dass es einem Impfstoffhersteller durchaus bewusst war, was für eine ungute Sache Nachschubprobleme speziell bei Impfstoffen darstellen. Ganz anders die Tonlage heutzutage: Bestenfalls kühl, schlimmstenfalls genervt, so richtig schön nach dem Muster „Vorsicht! Kunde droht mit Auftrag!“. Auf jeden Fall ist keine Spur von schlechtem Gewissen bemerkbar, und fragt man nach dem Grund für die Lieferprobleme, wird man auch noch ungeniert angelogen. Die europaweite Nachfrage sei so hoch, dass man mit der Produktion nicht nachkäme. Und das bei einem Impfstoff, der seit gut 5 Jahren auf dem Markt ist. Da fühlt man sich doch so richtig schön für blöd verkauft!

Der wahre Grund wird wohl eher darin zu suchen sein, dass Merial gerade von Boehringer übernommen worden ist und man – wie fast schon üblich bei solchen Elefantenhochzeiten – die Logistik nicht rechtzeitig in den Griff bekommen hat. Das ist bei einer Übernahme oder einem Zusammenschluss ein Effekt, den wir und unsere Patienten mit schöner Regelmäßigkeit zu spüren bekommen. Die Außendienstler sind verunsichert, blicken nicht durch, fürchten um ihren Job oder haben gleich mal viel zu viel zu tun. Die Bestellannahme hat von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und neue Manager – gern frisch importiert aus den USA – kühlen ihr Mütchen, indem sie sich absurde Vertriebs- und Rabattsysteme ausdenken, bei denen am Ende keiner mehr weiß, was Sache ist.

Nun kann man – so ärgerlich das auch sein mag – bei Impfstoffen meist auf die Produkte anderer Hersteller ausweichen. Ganz anders sieht es bei Medikamenten aus, die für Patienten mit bestimmten Erkrankungen (lebens-)wichtig sind und für die es keinen Ersatz gibt. Auch in diesem Bereich sehen wir in den letzten zehn Jahren zunehmende und sehr ernste Probleme, die natürlich nicht nur den tier-, sondern auch den humanmedizinischen Sektor betreffen. Die Produktion pharmakologischer Schlüsselsubstanzen ist im Sinne der Globalisierung inzwischen oft an einem einzigen Standort konzentriert, meines Wissens meist in Indien. Kommt es dort zu irgendeinem technischen Problem, kann es passieren, dass bestimmte Medikamente weltweit (!) von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu bekommen sind.

Dass dadurch Patienten, ob nun Tiere oder Menschen, in ernste bis hin zu lebensbedrohlichen Schwierigkeiten kommen können, scheint für die auf maximalen Gewinn und Shareholder-Value getrimmten Pharmamanager im Gegensatz zu früher keine große Rolle mehr zu spielen. Redundanz, sprich das verantwortungsbewusste und unter ethischen Gesichtspunkten auch ganz klar gebotene Bereithalten von Reservekapazitäten, die immer dann zum Einsatz kommen könnten, wenn was nicht so klappt wie erwartet, ist unter modernen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten offenbar nicht mehr erforderlich.

Aber nicht nur bei technischen und logistischen Problemen fallen Medikamente aus dem Angebot, nein, es reicht schon, dass ein bestimmtes Produkt nicht den erwarteten Gewinn bringt. Ob dieses unrentable Medikament für eine gewisse Anzahl von Patienten wichtig oder gar lebensrettend ist, spielt offensichtlich keine Rolle. Also weg damit! Dass ein Pharma-Riese wie Ciba-Geigy in den 80ern des vergangenen Jahrhunderts ein nicht mehr profitables Medikament (Percorten) aus Gründen des Mitgefühls für Patienten (auch und speziell Hunde) nach Protesten von Betroffenen auf dem Markt beließ, ist heutzutage annähernd unvorstellbar. Und das finde ich – mit Verlaub – zum Kotzen!

Ich könnte noch viel erzählen, zum Beispiel vom Missbrauch der Tierärzte bei der Markteinführung von Medikamenten, die man dann so schnell wie möglich aus der Rezeptpflicht herausnimmt und online so billig verklopft, dass diejenigen, die das Produkt mit ihrer Beratung erst bekannt gemacht haben, schön außen vor bleiben oder gar als Abzocker dastehen. Oder von der systematischen Ausplünderung der Deutschen, die für Medikamente derartig viel bezahlen müssen, dass man bestimmte Produkte über Online-Apotheken in England inklusive Luftfracht billiger bekommt als der Einkaufspreis, den der Apotheker oder Tierarzt hierzulande zahlt. Oder von der ganz beliebten Masche, mit der Pharmafirmen die sogenannte EU-Kaskadenregelung ausnützen, um so richtig einfach an dicke Kohle zu kommen: Man beobachtet den Markt, um Medikamente aus dem Humanbereich zu identifizieren, die Tierärzte schon seit ewigen Zeiten erfolgreich bei ihren Patienten einsetzen. Beispiele für solche Substanzen wären die ACE-Hemmer (Herz-Kreislaufmedikamente), Propofol (Narkosemittel) und Levothyroxin (Schilddrüsenhormon). Dann nimmt man so ein Medikament, schiebt es mit relativ wenig Aufwand durch das Zulassungsverfahren für tiermedizinische Anwendung, klebt ein Preisetikett drauf, dass dreimal so hoch ist wie das in der Humanmedizin und – voilà – wir Tierärzte sind rein rechtlich gezwungen, zukünftig zähneknirschend dieses Produkt zu verwenden und natürlich auch dem Tierbesitzer zu erklären, warum er plötzlich das Dreifache löhnen muss.

Wie gesagt, da könnte ich noch viel erzählen, aber letztendlich geht es dabei „nur“ um eine für Pharmafirmen inzwischen wohl völlig normale Art moderner Straßenräuberei. Wirklich schlimm, übelkeitserregend und maximal abstoßend aber finde ich die oben erläuterte und ethisch völlig verkommene Wurstigkeitseinstellung gegenüber dem Wohlergehen sowohl menschlicher als auch tierischer Patienten.

Um also die Frage aus der Überschrift zu beantworten: Ich persönlich fühle mich weder als Kumpel, Bettgenosse oder Partner der Pharmafirmen! Sie sind für mich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren schlussendlich zu einem unvermeidbaren Übel verkommen. Geschäftlichen Umgang mit ihnen pflege ich allenfalls gezwungenermaßen und vertrauen kann ich ihnen, zumindest was die Sorge um meine Patienten angeht, nur so weit, wie ich ein Klavier schmeißen kann.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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