Von Ralph Rückert, Tierarzt
Neulich schrieb ein amerikanischer Blogger, der sich regelmäßig zum Thema Hunde äußert, im Rahmen eines längeren und gegen Tierärztinnen und Tierärzte gerichteten Textes:
„Why do human doctors and anesthesiologists typically shy away from knocking out a perfectly healthy adult with no heart, blood pressure, liver, or breathing issues? Simple: Full knock-out anesthesia is very dangerous. And yet veterinarians think nothing of doing it to a 15-pound dog for simple teeth cleaning. Why? Simple: There are „pearly white profits“ in teeth cleaning and little or no liability if things go wrong. Never mind (…) that dental scaling has not been shown to be of any use even on human patients.“
Um das ganz frei zu übersetzen: Er fragt, warum Humanmediziner davor zurückschrecken, einen perfekt gesunden Erwachsenen ohne jegliche Probleme bezüglich Herz, Blutdruck, Leber oder Lunge in Narkose zu versetzen, und gibt gleich selbst die Antwort: Einfach, weil Vollnarkosen sehr gefährlich wären! Trotzdem würden wir Tierärzt:innen uns nichts dabei denken, einen 7-kg-Hund (keine Ahnung, was das Gewicht damit zu tun hat) für eine einfache Zahnreinigung in Narkose zu legen. Er fragt warum und gibt wieder selbst die seiner Meinung nach einfache Antwort, nämlich dass die Prozedur einen guten Gewinn einbringen würde, bei wenig oder keiner Haftbarkeit im Fall eines unguten Verlaufs, und es uns außerdem völlig egal wäre, dass der medizinische Nutzen einer professionellen Zahnreinigung nicht mal für Menschen nachgewiesen sei.
Der gute Mann schafft es also, in den paar Zeilen Text nicht nur eine, sondern gleich zwei üble, böswillige und die Gesundheit von Tieren gefährdende Falschmeldungen unterzubringen, die es aus fachlicher Sicht richtig zu stellen gilt.
Erster Denkfehler: Vollnarkosen sind sehr gefährlich, weshalb sie in der Humanmedizin wann immer möglich vermieden werden! Vollnarkosen sind NICHT sehr gefährlich! In der Humanmedizin kommt es in weniger als einer von 10.000 Vollnarkosen zu einem tödlichen Zwischenfall, und zwar querbeet gerechnet, Kinder und uralte Menschen mit schweren Vorerkrankungen inklusive. Die Kleintiermedizin steht da aus verschiedenen und in anderen Artikeln schon erläuterten Gründen nach wie vor deutlich schlechter da, aber auch hier reden wir im schlimmsten Fall von einem Sterberisiko unter einem Promille, in Praxen und Kliniken, die wirklich wissen, was sie anästhesiologisch tun, im Bereich von vielleicht 0,2 Promille (zwei Todesfälle pro 10.000 Narkosen). Das entspricht etwa dem statistischen Risiko, als Mensch im eigenen Haushalt durch einen Sturz ums Leben zu kommen! Vollnarkosen sind also keineswegs „sehr gefährlich“, egal, aus welchem Winkel man sich das anschaut! Selbst bei schon sehr alten Tieren mit diversen Vorerkrankungen sind Narkosen um ganze Größenordnungen weniger gefährlich, als die meisten medizinischen Laien denken würden.
Zweiter Denkfehler: Professionelle Zahnreinigungen werden von uns Tiermediziner:innen nur aus Gründen des Profits propagiert und durchgeführt, obwohl ihr Nutzen nicht mal für die Humanmedizin bewiesen ist.
Die einfachste Antwort auf diesen Unsinn sind die beigefügten Fotos, von denen ich ohne jede Übertreibung Hunderte in meinen Speichern habe. DAS ist das Ergebnis, wenn Tierbesitzer:innen sich über Jahre einen feuchten Kehricht für die Zähne ihres Hundes interessieren und auch dem Tierarzt nach dem Motto „Dem fehlt nix, der frisst ja noch“ möglichst konsequent aus dem Weg gehen. Jahrelanges Leiden und beträchtliche Sekundärschäden (Herzklappen, Nieren) sind die Folge.
Es ist tatsächlich so, dass der Nutzen einer PZR (professionellen Zahnreinigung) in festgelegten Zeitintervallen, also ohne direkte Indikationsstellung, im Humanbereich wissenschaftlich nicht sicher belegt ist. Der entscheidende Punkt ist aber der, dass wir bei Tieren eigentlich so gut wie nie nur eine PZR durchführen. Wie in einem anderen Artikel schon ausführlich erläutert, machen wir bei Hunden und Katzen, die wir wegen ihrer Zähne in Narkose legen, eine COHAT (Comprehensive Oral Health Assessment and Treatment), also eine umfassende Beurteilung und Behandlung der Mundhöhlengesundheit.
Wir kommen einfach nicht darum herum, dass wir es nun mal mit Patienten zu tun haben, die uns Zahnschmerzen und andere krankhafte Zustände ihrer Mundhöhle nicht zuverlässig mitteilen können, dass viele Besitzer:innen nicht mal ansatzweise dazu in der Lage sind, Mundhöhlenpathologien zu erkennen, und dass viele Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates sowieso nur durch fortgeschrittene diagnostische Verfahren wie Dentalröntgen oder sogar Schichtbildverfahren nachweisbar sind.
In Tierarztpraxen, die zahnmedizinisch wissen, was sie tun, geht es also bei Narkosen wegen der Zähne kaum je nur um ein „Dental Scaling“, also eine schlichte Zahnreinigung, wie unser amerikanischer Schlaumeier unterstellt, sondern viel eher darum, diese Chance für eine umfassende diagnostische und therapeutische Sitzung zu nutzen, die das Tier von anhaltenden Problemen befreit oder diese prophylaktisch verhindert.
In der Muttersprache unseres Bloggers gibt es den schönen Spruch „If you can not dazzle them with brilliance, baffle them with bullshit!“. Diesen Ratschlag hat er perfekt umgesetzt. Fallen Sie bitte nicht auf sowas rein, denn es ist wirklich purer Unsinn! Ihr Tier wird es Ihnen danken!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Ralph Rückert
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