Von Ralph Rückert, Tierarzt
In meinem Grundlagen-Artikel über Ektoparasitenprophylaxe bin ich ganz am Ende zwar schon mal auf die Wirkstoffgruppe der Isoxazoline eingegangen, aber gerade diese Präparate sind in Tierhaltergruppen und -foren ein derartiges Dauerthema, dass ich noch einmal ganz spezifisch über sie schreiben möchte.
Die Isoxazoline, deren Substanznamen alle mit -laner enden (Fluralaner, Afoxolaner, Sarolaner, Lotilaner), sind eine tierarzneimittelhistorisch sehr junge Wirkstoffgruppe und erst seit ca. fünf Jahren auf dem Markt. Sie sind systemische Insektizide und Akarizide, wirken also gegen Zecken, Flöhe und Milben. „Systemisch“ bedeutet, dass sich der Wirkstoff nach oraler Verabreichung im Körper des Hundes in mehr oder weniger allen Geweben verteilt und die Zielparasiten, die Körperflüssigkeiten des Hundes aufnehmen, mehr oder weniger schnell um die Ecke bringt.
Wie sich in den letzten Jahren auf breiter Ebene gezeigt hat, funktioniert dieses Wirkprinzip tadellos. Besitzer, die Isoxazoline bei ihren Hunden anwenden, bestätigen das auch mehr oder weniger einstimmig. Andererseits haben sich weltweit Social-Media-Gruppen gebildet, in denen es nur um ein Thema geht, nämlich unerwünschte und gefährliche Wirkungen der Verabreichung von Bravecto und Co.
Was soll man also von den Isoxazolinen halten? Letztendlich werden Sie bezüglich dieser Frage auch von TiermedizinerInnen ganz unterschiedliche Aussagen hören. Die einen propagieren die Anwendung, andere sehen sie eher kritisch oder lehnen sie rundheraus ab. Ich kann Ihnen hier nur meine persönliche Sichtweise als Orientierungshilfe anbieten. Was sie damit dann anfangen, muss ich Ihnen überlassen.
Also, hier erst mal meine persönlichen Contras, die auch der Grund dafür sind, dass ich die auf dem Markt befindlichen Isoxazolin-Präparate nicht aktiv und pauschal empfehle:
-Isoxazoline haben nach derzeitigem Kenntnisstand (und im Gegensatz zu den pyrethroidhaltigen Spot-On-Präparaten und Halsbändern) keinen repellierenden Effekt! Das bedeutet, dass sie nicht verhindern können, dass eine Zecke, ein Floh oder eine Mücke zubeißt. Der für den Zielparasiten tödliche Effekt tritt erst eine gewisse Zeit nach dem Biss ein. Deshalb wird die Übertragung von sogenannten Vektor-Krankheiten vom Parasiten auf das Wirtstier nicht in jedem Fall zuverlässig verhindert. Speziell bei von Mücken übertragenen Krankheiten (Herzwürmer, Leishmaniose, etc.) passiert das Unglück innerhalb von Sekunden. Dass die gesättigt davonfliegende Mücke später an dem Isoxazolin im aufgenommenen Blut stirbt, hilft dem betroffenen Hund herzlich wenig. Aber auch bei den eher langsam übertragenen Krankheiten (zum Beispiel Babesiose) ist es fraglich, was schneller passiert, die Infektion oder der Tod des Parasiten. Für die Prophylaxe von vektorübertragenen Krankheiten in zum Beispiel den Mittelmeerländern sind Isoxazoline deshalb absolut ungeeignet, was vielen gewohnheitsmäßigen Anwendern leider nicht bewusst ist!
-Ganz subjektiv finde ich das Wirkprinzip der Isoxazoline insgesamt irgendwie fragwürdig. Mir gefällt der Gedanke einfach nicht, den gesamten Körper des Hundes rein prophylaktisch für Ektoparasiten so giftig zu machen, dass diese im Falle eines Bisses sterben. Sowas ist in meinen Augen völlig okay, wenn ich dafür eine echte und akute Indikation habe, zum Beispiel eine Fuchsräude, gegen die sich die Isoxazoline als ganz hervorragend wirksam herausgestellt haben. Das ist dann genau so zu sehen, wie die Gabe eines Antibiotikums zur Bekämpfung eines bakteriellen Infekts. Rein zur Prophylaxe kommt es mir aber ein bisschen so vor, als ob man dem Hund ständig Antibiotika eingeben würde, damit er auch ja keine bakterielle Infektion bekommt, falls er sich eine Verletzung zuzieht, was nach allen medizinischen Maßstäben ziemlich daneben wäre.
-Man mag das als komplett unwissenschaftlich bezeichnen (ist es auch!), aber mir ist bei dieser Daueranwesenheit eines doch noch sehr jungen Wirkstoffes im Körper eines Haustieres einfach nicht wirklich wohl, eben weil wir mit den Isoxazolinen noch keine Massenanwendungserfahrungen haben, die die gesamte durchschnittliche Lebensspanne eines Hundes umfassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Produkte einfach nicht alternativlos sind.
Kommen wir zu den Pro-Argumenten:
-Wie schon erwähnt gibt es durchaus Tiere und Situationen, für die auch ich die Anwendung von Isoxazolinen befürworte. Für die Bekämpfung einer Milbenräude sind sie in meinen Augen allen anderen Möglichkeiten weit überlegen. Weiterhin gibt es Tiere, die auf Spot-Ons und Halsbänder mit starken entzündlichen und juckenden Hauterscheinungen reagieren. Da bleiben dann nur noch Isoxazoline als effektive Ektoparasitenprophylaxe übrig.
-Sind kleine Kinder in der oralen Phase im Haus, die alles ablecken oder in den Mund stecken, kann einem bezüglich der Anwendung von repellierenden Spot-On-Präparaten und Halsbändern durchaus ein bisschen Angst werden, so dass unter diesen Umständen und zeitlich begrenzt ein Isoxazolin-Präparat eine gute Alternative darstellt.
-Manche Tiere, vor allem Katzen, bei denen man die von mir präferierten Pyrethroide gar nicht oder nur extrem niedrig dosiert anwenden kann, aber durchaus auch einige Hunde bringen trotz Spot-On-Präparaten oder Halsbändern immer noch derartig viele Zecken ins Haus, dass das wiederum eine Gefahr für Menschen (insbesondere für Kinder) darstellen kann. In diesen Fällen kann die Gabe eines Isoxazolins ebenfalls Sinn machen.
-Für Aufenthalte in absoluten Babesiose-Hochrisikogebieten (zum Beispiel manche Ecken in Ungarn oder Frankreich) hat es sich inzwischen nach meinen Erfahrungen bewährt, ein repellierendes Spot-On oder Halsband und zusätzlich (!) ein Isoxazolin zu verwenden.
Kommen wir nun zum vieldiskutierten Thema der Nebenwirkungen: Geht man in eine der weiter oben schon erwähnten Social-Media-Gruppen, kann man ganz zackig den Eindruck gewinnen, dass die Isoxazoline eine hochgradig gefährliche Wirkstoffgruppe wären. Es wird von durch Bravecto und Co. hervorgerufene und dauerhaft anhaltende Epilepsie und sogar über zahlreiche Todesfälle berichtet, begreiflicherweise meist in hochemotionalen Beiträgen. Ich kann da nur zur Vorsicht raten! Social-Media-Gruppen, die sich ein bestimmtes Thema auf die Fahnen geschrieben haben, stellen immer sozusagen ein realitätsverzerrendes Destillat dar, verhalten sich also zur Wirklichkeit wie eine Flasche Slivovic zu einem Kilo Pflaumen. Die absolute Mehrheit der unzähligen Tierhalter, die bei ihren Vierbeinern Isoxazoline über Jahre ohne jedes wahrnehmbare Problem anwenden, sehen natürlich keinen Grund, einer sich mit Nebenwirkungen beschäftigenden Gruppe beizutreten und dort unter jedem Posting und immer wieder zu kommentieren, dass sie selbst bei ihrem Tier keine Nebenwirkungen feststellen können.
Tatsache ist, dass sich inzwischen in den Beipackzetteln aller Isoxazoline unter dem Punkt „Unerwünschte Wirkungen“ der Hinweis findet, dass es a) mehr oder weniger häufig zu vorübergehenden gastrointestinalen Effekten wie zum Beispiel Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit und Speicheln und b) SEHR SELTEN und ebenfalls vorübergehend zu neurologischen Erscheinungen wie zum Beispiel Zittern, Ataxie und Krämpfen kommen kann. An diesem Punkt müssen wir kurz auf den etablierten Pharma-Jargon eingehen: Was bedeutet dieses „sehr selten“? Klipp und klar: In weniger als einem von 10000 Fällen!
Hm, das ist tatsächlich sehr selten, sagt sich der Laie. Gleichzeitig fragt er sich natürlich, wie es dann sein kann, dass diese Gruppen so viele Mitglieder haben, die alle der Überzeugung sind, derartige Nebenwirkungen bei ihrem Tier festgestellt zu haben.
Das lässt sich recht einfach mit zwei Argumenten begründen. Zum einen gibt es die sogenannte „Wucht der großen Zahl“, die wir ja gerade von der Corona-Pandemie eingetrichtert bekommen haben. Werden (mal nur als recht realistisches Rechenbeispiel) in Deutschland pro Jahr 10 Millionen Isoxazolin-Gaben an Tiere verabreicht, haben wir rein rechnerisch immerhin bis zu 1000 Fälle, in denen die erwähnten neurologischen Effekte auftreten. Rennen diese Besitzer alle in die erwähnten Gruppen, sieht das natürlich von den Mitgliederzahlen her ganz schnell ziemlich beeindruckend aus.
Zum anderen muss jede Erkrankung, auch eine echte idiopathische (also sicher nicht von Isoxazolinen verursachte) Epilepsie sich irgendwann zum ersten Mal manifestieren. Tritt dieser erste Anfall in irgendeinem zeitlichen (aber letztendlich zufälligen) Zusammenhang mit einer Isoxazolingabe auf, wird das natürlich gern dem Medikament in die Schuhe geschoben, obwohl das aus wissenschaftlicher Sicht nicht wirklich stichhaltig ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass Epilepsie eine häufige, wenn nicht sogar die häufigste neurologische Erkrankung bei Hunden ist. Mindestens ein Prozent aller Hunde erkrankt im Laufe des Lebens an Epilepsie. Bei manchen Rassen ist das Risiko einer idiopathischen Epilepsie sogar extrem hoch, zum Beispiel 18 Prozent beim Irish Wolfhound. Zwangsläufig bekommt ein gewisser und sicher nicht unbeträchtlicher Prozentsatz der Hunde, die so oder so irgendwann an Epilepsie erkranken werden, regelmäßig Isoxazoline als Parasiten-Prophylaxe. Geht es dann irgendwann mit dem ersten Anfall los, hat das natürlich nichts mit dem Medikament zu tun, sondern mit der genetischen Disposition des Hundes.
Fazit: Ja, treten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe eines Isoxazolin-Produktes ein oder mehrere Krampfanfälle auf, ist ein Zusammenhang zumindest möglich. Die Verwendung des Medikaments sollte deshalb natürlich eingestellt werden. Kommt es nach dem Ende der Wirkdauer zu keinen weiteren Anfällen, wird ein Zusammenhang ganz entschieden wahrscheinlicher, weshalb man bei einem solchen Hund nie wieder ein Isoxazolin verwenden sollte. Kommt es aber zur Manifestierung einer echten Epilepsie mit für den Rest des Lebens immer wieder auftretenden und natürlich behandlungspflichtigen Anfällen, ist ein Zusammenhang mit der Isoxazolin-Verabreichung eher unwahrscheinlich. Da ist dann halt der erste Anfall rein zufällig mit der Verwendung des Produkts zusammengefallen. Allerdings, wichtiger Punkt: Auch bei so einem Hund sollte man kein Isoxazolin-Produkt mehr verabreichen. Hunde mit Krampfanfällen in der Vorgeschichte stellen eine Kontraindikation dar!
Was mir in diesem Zusammenhang als Tierarzt immer Kopfschmerzen bereitet, ist die Popularität des als erstes zugelassenen Isoxazolin-Produkts Bravecto (Wirkstoff Fluralaner) unter vielen Hundehaltern. Bravecto ist für eine Wirkdauer bis zu einem Vierteljahr zugelassen, also härter dosiert als die Nachfolgeprodukte, die alle auf eine Wirkdauer von nur ca. einem Monat ausgelegt sind. Treten also (wohlgemerkt: sehr selten!) Nebenwirkungen wie weiter oben beschrieben auf, werden sich diese bei Bravecto logischerweise schwerer und länger anhaltend darstellen als bei den für kürzere Zeiträume zugelassenen Produkten. Die Dosierung und Zulassung von Bravecto für ganze drei Monate (in der Realität wirkt es oft sogar noch länger) hat nur einen Zweck: Sie bedient die Faulheit mancher Tierbesitzer. Für den Hund kann dieser Schuss im dümmsten Fall aber durchaus mal nach hinten losgehen, was ich irgendwie nicht sinnvoll finde.
Fazit: Will man ein Isoxazolin-Medikament verwenden, dann rate ich dazu, einem Produkt mit kürzerer Wirkdauer den Vorzug zu geben. Im Alltag und ganz speziell für die Prophylaxe bei Reisen in südliche Gefilde rate ich weiterhin zur Verwendung pyrethroidhaltiger Spot-Ons und Halsbänder, die repellierend wirken, also das Anbeißen des Parasiten verhindern, was im Sinne der Verhinderung der Übertragung von Vektor-Krankheiten einfach am meisten Sinn macht.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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