Als neueste Entwicklung in der Antibiotika-Debatte haben nun die (von Anfang an hinter dem Häusling-Veto steckenden) Humanmediziner, vertreten durch die Bundesärztekammer BÄK, gestern eine Pressemitteilung herausgegeben, die ich hier komplett zitieren möchte:
„“Jedes Jahr sterben europaweit rund 33.000 Menschen an Infektionen, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. Ein Grund für zunehmende Resistenzen ist der Einsatz von Antibiotika in der Mast- und Geflügelhaltung. Die Bundesärztekammer unterstützt deshalb ausdrücklich, dass die Europäische Union den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung mit der Tierarzneimittelverordnung begrenzen will. Die Pläne für die konkrete Umsetzung der Verordnung bieten aber zu viele Schlupflöcher und sind nicht geeignet, die menschliche Gesundheit vor resistenten Erregern zu schützen.“ Das sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt vor der Abstimmung des EU-Parlamentes über die geplante Umsetzung der EU-Tierarzneimittelverordnung Mitte September. Er warnte, dass es ein weiter so nicht geben dürfe. „Es geht hier um Menschenleben. Es steht zu befürchten, dass es bald keine wirksamen Reserveantibiotika für die Behandlung von schweren Erkrankungen bei Menschen mehr geben wird.“ Zum Hintergrund: Nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurden im Jahr 2019 rund 670 Tonnen Antibiotika in der Tiermedizin in Deutschland abgegeben, europaweit (EU einschließlich Großbritannien, sowie Island, Norwegen und der Schweiz) waren dies im Jahr 2018 rund 6500 Tonnen. Knapp 90 Prozent davon diente der Gruppenbehandlung von Tieren, insbesondere über die Nahrung, nur zwölf Prozent der individuellen Behandlung. Die neue Tierarzneimittelverordnung der EU soll ab Ende Januar 2022 in allen Mitgliedstaaten verbindlich gelten. Sie soll sicherstellen, dass auch künftig ausreichend Reserveantibiotika speziell für die Humanmedizin zur Verfügung stehen. Die Europäische Kommission hat aus Sicht der Ärzteschaft völlig unzureichende Kriterien für Reserveantibiotika erarbeitet, die ausschließlich für die Behandlung von Menschen vorgesehen werden sollen. Die Bundesärztekammer fordert deshalb in einem Schreiben an die EU-Abgeordneten eine Überarbeitung der vorgelegten Kriterien. In der bisherigen Form führen sie faktisch dazu, dass der wirtschaftliche Nutzen der betreffenden Antibiotika für die Tierhaltung über die Frage des Schutzes der menschlichen Gesundheit entscheiden kann. Selbst wenn die hohe Bedeutung eines Antibiotikums für die menschliche Gesundheit bereits festgestellt ist und eine signifikante Übertragung der Resistenz vom Tier auf den Menschen als erwiesen angesehen werden kann, ist damit nicht zwangsläufig eine tatsächliche Rückstellung gewährleistet. Denn darüber hinaus sehen die Kriterien vor, dass ein zurückzustellendes Antibiotikum für die Tiergesundheit nicht essentiell sein darf. Die Ärzteschaft warnt, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien kaum etwas an der derzeitigen Praxis ändern würden. Dringend notwendig sei eine Überarbeitung der bisherigen Kriterien. Sie müssten sich primär an der Bedeutung des Antibiotikums für die Humanmedizin und dem Risiko einer Übertragung von Resistenzen orientieren. Die Bundesärztekammer fordert, dass die Antibiotika, die nach WHO-Kriterien die höchste Priorität für die Humanmedizin haben – dies betrifft fünf von 35 Antibiotikagruppen – primär für den Menschen reserviert werden; eine individuelle Behandlung von mit Infektionen diagnostizierten Haustieren könne allenfalls als ultima ratio gerechtfertigt sein. Ein weiterer Kritikpunkt der Bundesärztekammer: In der Frage, ob es Alternativen zum Einsatz der für Menschen reservierten Antibiotika gibt, sollen nach dem Willen der Kommission allein andere Arzneimittel berücksichtigt werden, nicht aber andere präventive Maßnahmen, die den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung entbehrlich machen bzw. deutlich reduzieren. „Solche Maßnahmen sollten gefördert werden, etwa durch Umbau der konventionellen in eine ökologische Tierhaltung“, so die BÄK. Als Beispiel nennt sie eine Begrenzung der Zahl der Tiere pro Hektar, was eine geringere Infektionsgefahr und wiederum einen reduzierten Einsatz von Antibiotika mit sich bringen würde.“
Soweit das Zitat.
Das sind sehr viele Worte für eine eigentlich ganz einfache Forderung der Humanmediziner. Ich übersetze mal für Sie:
„Wir wollen unsere Spielzeuge (gemeint sind natürlich die Antibiotika) ganz für uns alleine haben, damit wir uns wirklich sicher sein können, dass unser nach wie vor völlig unverantwortlicher Umgang mit ihnen in Zukunft nicht nur 95 Prozent des Schadens (Resistenzen und damit verbundene Todesfälle) anrichtet, sondern klare 100 Prozent!“
Zum Hintergrund: Immer wieder werden unter Vergießen großer Mengen von Krokodilstränen 33000 EU-weite Tote durch Infektionen mit resistenten (Krankenhaus!)-Keimen beklagt. Die Wissenschaft ist sich aber darin einig, dass die wenigsten für Menschen klinisch relevanten Resistenzen durch die Anwendung von Antibiotika in der Tiermedizin entstehen. Die wirklich kriegsentscheidenden multiresistenten Bakterien „züchtet“ die Humanmedizin ganz sicher selber, indem sie (was so gut wie alle Patient:innen schon selbst erlebt haben) sogar auf virale Banalinfekte sinnloserweise mit Antibiotika draufhaut und dabei auch vor der völlig kritiklosen und unsachgemäßen Anwendung von sogenannten Reserveantibiotika keineswegs zurückschreckt.
Ja, sicherlich werden in Putenfleischproben resistente Keime gefunden, wie neulich unter großem Tamtam gemeldet wurde. Das ist angesichts der gesellschaftlich und wirtschaftlich gewollten und völlig pervertierten Haltungsformen letztendlich unvermeidlich. Die Frage ist nur: Wem tut das was? Annalena Baerbock fürchtet in einem kürzlich veröffentlichten Interview mit Martin Rütter um die Sicherheit ihrer Kinder, die sich nach ihrer erschreckend naiven und wissenschaftlich völlig unbeleckten Vorstellung über das Essen mit solchen Keimen anstecken könnten. Man fragt sich sogleich: Praktiziert Frau Baerbock mit ihren Kindern Rohfleischfütterung, oder, im Hundehalter-Sprech: Wird der Baerbock-Nachwuchs etwa gebarft? Das (oder eine skandalös unzureichende Küchen-Hygiene) wäre nämlich der einzige Weg, sich mit resistenten Keimen in Fleisch irgendwie zu „infizieren“. Wer sein Putenschnitzel oder seine Hähnchenbrust so zu sich nimmt, wie es immer schon angeraten ist, nämlich gut durchgegart, muss sich wenig dafür interessieren, was für Bakterien da drin sind, weil die nämlich nach dem Kochen mausetot sind und gar niemand mehr „anstecken“ können.
Wenn überhaupt jemand mit solchen Keimen aus der Massentierhaltung gesundheitliche Probleme bekommen kann, dann sind das (statistisch gut untermauert) Leute, die in diesen (zur Befriedigung eines geradezu hysterischen Fleischhungers der Gesamtbevölkerung notwendigen!) Tierhaltungssystemen arbeiten. Ansonsten und zu weit über 90 Prozent geht es bei diesen stereotyp beschworenen 33000 Todesfällen pro Jahr um Infektionen mit Krankenhaus-Keimen, die nicht umsonst so genannt werden, weil sie eben durch den nach wie vor durch keine Verordnung, durch kein Gesetz geregelten und verantwortungslosen Umgang mit antibiotischen Wirkstoffen in der Humanmedizin entstanden sind.
Gehen wir noch kurz auf die verwendeten Mengen von Antibiotika ein. Die in der Pressemitteilung genannten Zahlen stimmen meines Wissens, werden aber überhaupt nicht in irgendeine Beziehung gesetzt. Es wird zum Beispiel nicht erwähnt, dass die Humanmedizin ziemlich genau die gleiche Menge an Antibiotika verbrät wie die Tiermedizin, also knapp 700 Tonnen pro Jahr. Auch wird nicht erläutert, dass es der Tiermedizin gelungen ist, den AB-Verbrauch in den den vergangenen Jahren von etwa 1700 auf die genannten 670 Tonnen abzusenken, während die Humanmedizin im gleichen Zeitraum stur und unbelehrbar immer in etwa bei der gleichen und nach Meinung von Fachleuten nur schwer zu rechtfertigenden Menge geblieben ist. Kein Wort wird über die Tatsache verloren, dass der Anteil der Verschreibungen von Fluorchinolonen, die uns jetzt trotz ihrer essentiellen Bedeutung weggenommen werden sollen, in der Tiermedizin gerade mal ca. 2 Prozent ausmacht, in der Humanmedizin dagegen bestürzende 30 Prozent. Das können ja ebenfalls viele Menschen bestätigen, dass man sich nur einen etwas tieferen Kratzer oder eine Schürfwunde zuziehen muss, um sofort eine Packung Ciprofloxacin nachgeworfen zu bekommen. Last but not least wird völlig übergangen, dass wir in der Tiermedizin schon seit Jahren gesetzlich zur Erstellung von Antibiogrammen verpflichtet sind, wenn wir bestimmte Wirkstoffe verwenden wollen, während die Humanmedizin so einen Aufwand nach wie vor für unzumutbar hält.
Die Pressemitteilung hebt weiterhin darauf ab, dass knapp 90 Prozent der Antibiotika in der Tiermedizin für die Gruppenbehandlung, „insbesondere über die Nahrung“, verwendet würden. Man fühlt sich versucht zu fragen: Yep! So what? Entschuldigung, wie naiv kann man sein? Auf der einen Seite stopft die Bevölkerung pro Kopf jedes Jahr das eigene Körpergewicht an Fleisch in sich rein – ein krasses und auch gesundheitliches Fehlverhalten, auf das die Humanmedizin eigentlich einen gewissen Einfluss nehmen sollte (!) – und macht damit industrielle Massentierhaltung geradezu unvermeidbar, auf der anderen Seite beschwert man sich scheinheilig, wenn dann jede Menge Antibiotika notwendig werden, um die ebenfalls unvermeidbaren Folgen dieser Haltungsformen im Griff zu behalten. Natürlich geht es in einem Stall mit Zehntausenden von Puten IMMER um Gruppenbehandlung über die Nahrung! Wie soll das denn sonst gehen, Herrgottnochmal? Hat irgendjemand wirklich die absurde Vorstellung, dass man da bei Ausbruch einer bakteriellen Erkrankung, die den gesamten Bestand gefährdet, irgendwie einzelne Tiere als schon krank identifizieren, rausfischen und individuell per Spritze mit Antibiotika behandeln kann? Nochmal: Wie naiv kann man eigentlich sein?
Übrigens: Wenn man in einer solchen Situation, also bei Ausbruch einer bakteriellen Infektion in einem Massenbestand, alle Tiere gleichzeitig mit Antibiotika behandelt, um einen Totalschaden zu vermeiden, dann nennt man das Metaphylaxe. Würde man das Antibiotikum gleich von vornherein geben, damit so eine Infektion erst gar nicht auftreten kann, nennt man das Prophylaxe. Die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika an ganze Tierbestände ist schon seit einigen Jahren verboten! Die metaphylaktische Gabe dagegen ist angesichts der politisch gewollten, aktuellen Haltungsformen sowohl tierschutzethisch als auch wirtschaftlich unverzichtbar. Warum hebe ich auf diese Begrifflichkeiten ab? Ganz einfach: Weil es einem kalt den Buckel runterlaufen kann, wenn man entsetzt feststellen muss, dass wichtige Entscheider (wie zum Beispiel Annalena Baerbock) diesen wichtigen Unterschied zwischen Pro- und Metaphylaxe gar nicht kennen, von der Bevölkerung ganz zu schweigen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen:
ICH BIN NICHT FÜR DIE ANWENDUNG VON ANTIBIOTIKA IN DER MASSENTIERHALTUNG!
Ich halte sie nur unter den gegebenen und durch das Bevölkerungsverhalten und die bisherige Politik begünstigten Haltungsformen für unverzichtbar, wenn man nicht unvorstellbares Tierleid und schwere Tierverluste sehenden Auges in Kauf nehmen will. Der Tiermedizin diese Wirkstoffe einfach blindwütig und unter völligem Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse über die WIRKLICHEN und humanmedizinisch-hausgemachten Ursachen von für Menschen gefährlichen Resistenzen aus der Hand schlagen zu wollen, BEVOR man die absolut perversen Haltungsbedingungen in der industriellen Tierproduktion und das sinnlose Verhalten der Leute bezüglich des Konsums skandalös billigen Fleischs geändert hat, bedeutet ein Aufzäumen des Pferdes von hinten!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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