Von Ralph Rückert, Tierarzt
Faustregel: Hunde bekommen fast ausschließlich eine Hypothyreose, also eine Schilddrüsenunterfunktion, während Katzen sich fast ebenso ausschließlich eine Hyperthyreose, eine Schilddrüsenüberfunktion, einfangen.
Das Krankheitsgeschehen an sich gibt – ganz im Gegensatz zur subklinischen Schilddrüsenunterfunktion beim Hund – wenig Rätsel auf. Was die Wissenschaft aber fieberhaft beschäftigt, ist die Suche nach den Ursachen.
Wie die Hypothyreose beim Hund ist auch die feline Hyperthyreose eine sehr häufig auftretende endokrinologische Erkrankung. Katzen über acht Jahren könnten zu zwölf oder mehr Prozent betroffen sein, obwohl man in den betreffenden Studien sehr unterschiedliche Angaben finden kann. Tendenziell scheint die Krankheit zuzunehmen. Die meisten der betroffenen Katzen leiden unter einer sogenannten adenomatösen Hyperplasie der gesamten Schilddrüse, einige (bis zu 30 Prozent) auch an einem einseitigen und gutartigen Adenom. Da steckt also in der Regel kein bösartiger Vorgang dahinter, weil nur etwa 2 Prozent der hyperthyreoten Katzen ein Karzinom in der Schilddrüse aufweisen.
Bezüglich einer Geschlechts- oder Rasseprädisposition herrscht in den vorliegenden Daten keine echte Einigkeit. Manche Veröffentlichungen sehen weibliche, andere männliche Tiere vorn. Rassekatzen wie Siamesen erkranken dagegen offenbar tatsächlich weniger oft als die „normale“ Europäische Kurz- oder Langhaarkatze. Mein persönliches Gefühl, dass es deutlich mehr Katzen in reiner Wohnungshaltung erwischt als Freigänger, ist ebenfalls noch nicht hieb- und stichfest belegt.
So über den Daumen gepeilt und im Schnitt sind Katzen, bei denen die Krankheit erstmals diagnostiziert wird, 13 – 15 Jahre alt. Die Hyperthyreose wird entweder als Zufallsbefund bei Routine-Blutuntersuchungen oder nach vorherigem Verdacht aufgrund entsprechender Symptome festgestellt. Klinisch erkrankte Katzen zeigen meist eine Auswahl der folgenden Erscheinungen: Gewichtsverlust trotz erhaltener oder gar vermehrter Futteraufnahme, Erbrechen und Durchfall, Polyurie und Polydipsie (vermehrte Wasseraufnahme und Harnausscheidung), Tachykardie (erhöhte Pulsfrequenz), Tachypnoe (erhöhte Atemfrequenz), abnorme Herzbefunde, vermehrte Nervosität, Gereiztheit oder Aggressivität und in vielen Fällen eine im Tastbefund vergrößerte Schilddrüse.
Wenn nicht – wie oben erwähnt – eine Routine-Blutuntersuchung die Erkrankung frühzeitig aufdeckt, ist damit zu rechnen, dass die Schilddrüsenüberfunktion alsbald damit beginnt, sekundäre Schäden an verschiedenen Organen des Körpers zu setzen. Katzen, die mehrere der oben genannten Symptome zeigen, haben in dieser Hinsicht in der Regel schon ganz schön was abbekommen. Je früher also mit einer Behandlung begonnen werden kann, desto besser. Für mich (neben der chronischen Niereninsuffizienz, von der auch sehr viele Katzen betroffen sind) eines der schlagendsten Argumente für regelmäßige Blutuntersuchungen ab dem siebten Lebensjahr.
Aus dem Blut ist die Diagnose eine recht simple Angelegenheit, weil in den allermeisten Fällen der T4-Wert klar erhöht ist. Nur selten muss wegen anhaltendem klinischen Verdacht trotz normaler T4-Werte tiefer gegraben werden, meist durch wiederholte Blutuntersuchungen inklusive Bestimmung des sogenannten Freien Thyroxins (fT4) und des Thyroidea-stimulierenden Hormons (TSH). Es ist aber bei einer hyperthyreoten Katze auf jeden Fall sinnvoll, ein vollständiges Screening mit Blutbild machen zu lassen, eben um die oben erwähnten Sekundärschäden an anderen Organen besser einschätzen zu können.
Zur Therapie der Felinen Hyperthyreose gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten:
a) Die Eingabe von Thyreostatika, also von Wirkstoffen wie Thiamazol und Carbimazol, die die Hormonbildung in der Schilddrüse reversibel hemmen. Reversibel bedeutet, dass dieser Hemmeffekt nach Absetzen des Medikaments wieder komplett verschwindet. Unter Langzeitanwendung entwickeln bis zu 25 Prozent der Katzen recht deutliche Nebenwirkungen wie häufiges Erbrechen, Durchfall, Appetitmangel, Leberschäden, Blutbildveränderungen und (ab und zu) starken Juckreiz im Gesicht. Zeigen sich nicht kontrollierbare Nebenwirkungen, kann laut Literatur auf den Wirkstoff Iopansäure (eigentlich ein Röntgenkontrastmittel) ausgewichen werden, womit ich aber keine eigenen Erfahrungen habe.
b) Die Chirurgie: Gerade einseitige Adenome können gut chirurgisch entfernt werden, was eine zumindest temporäre Lösung darstellen kann. Bei der adenomatösen Hyperplasie dagegen ist das schon problematischer. Die Entfernung großer Teile der Schilddrüse ist kein Pappenstiel. Neben starken Blutungen kommt es als Nebenwirkung nicht selten zu Nervenverletzungen. Wird zu viel Schilddrüsengewebe entfernt, ist die Katze danach nicht mehr hyper-, sondern hypothyreot und muss dann auch wieder täglich Tabletten einnehmen.
c) Die Radiojod-Therapie: Es wird radioaktives Jod verabreicht, das sich als Bestandteil der Schilddrüsenhormone zwangsläufig ganz besonders im Zielorgan anreichert. Die radioaktive Strahlung dieser Jod-Moleküle schädigt dann sehr fein dosiert die umliegenden Drüsenzellen, was zu einer mehr oder weniger starken Verminderung der Hormon(über)produktion führt.
Als Unterpunkt soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Firma Hills mit der y/d Prescription Diet ein Futter mit sehr geringem Jodgehalt auf den Markt gebracht hat, das bei ausschließlicher Verfütterung dazu geeignet sein soll, milde Formen der Hyperthyreose ohne weitere Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Es wird von Fällen berichtet, in denen das tatsächlich funktioniert hat. Das Problem, das ich damit sehe, ist die Ausschließlichkeit, die sicher von den wenigsten Katzen auf Dauer akzeptiert wird.
Die Radiojod-Behandlung wäre also ganz klar der therapeutische Königsweg. Sie ist sehr gut wirksam (zu 95 Prozent), elegant, von wenigen Nebenwirkungen begleitet und oft von dauerhaftem Erfolg gekrönt, ohne dass sonst noch irgendwie behandelt werden müsste. Warum also „wäre“? Weil sich – zumindest in meiner Praxis – absolut noch nie ein(e) Besitzer(in) einer hyperthyreoten Katze für diese Art der Behandlung entschieden hat. Abschreckend wirkt vor allem, dass weite Wege entstehen, weil die Behandlung aktuell in Deutschland nur an zwei spezialisierten Instituten (Gießen und Norderstedt) durchgeführt werden kann, dass weiterhin die zu behandelnden Katzen relativ lange als gefährlich radioaktiv gelten und deshalb etwa 7 bis 10 Tage stationär bleiben müssen und dass das alles letztendlich ganz schön teuer wird. Als rein orientierende Größenordnung nenne ich mal so ca. 2000 – 2500 Euro.
So kommt es, dass sich die allermeisten Besitzer für eine Langzeitbehandlung mit Thyreostatika entscheiden. Es ist so oder so immer ratsam, mit Thyreostatika zu beginnen, weil man erst beim „Herunterfahren“ der heißgelaufenen Schilddrüse klar erkennen kann, ob sich eine eventuell vorhandene, aber durch den hohen Blutdruck und die entsprechend starke Nierendurchblutung getarnte Chronische Niereninsuffizienz (CNI) demaskiert. Ist man dann mal an die Eingabe der Tabletten gewöhnt, gibt es für eine Mehrzahl der Besitzer(innen), nicht zuletzt auch aufgrund des meist fortgeschrittenen Alters der Katze, keinen guten Grund mehr für drastische, mühsame, teure und im Fall der Chirurgie riskante Maßnahmen.
Also: Wahrscheinlich über 99 Prozent der Besitzer einer hyperthyreoten Katze entscheiden sich für die Langzeitbehandlung mit Thyreostatika, was einem als Tierarzt nicht wirklich gefallen kann. Aber es ist nun mal eine zu akzeptierende Tatsache. Anzumerken wäre unter diesen Vorgaben allenfalls noch, dass es für Katzen, die sich nur unter Gefahr für Leib und Leben des Besitzers Tabletten eingeben lassen, auch eine Salbenzubereitung gibt, die in die Ohrmuscheln einmassiert wird. Aber Vorsicht: Das geht nur mit Handschuhen und wenn keine kleinen Kinder im Haus sind! Menschen reagieren auf Thyreostatika selbst in kleinsten Mengen sehr empfindlich.
Bis hierher ist das ja alles nicht so schrecklich kompliziert und dementsprechend schnell abzuhandeln. Kommen wir zum eigentlich interessanten Punkt, nämlich der Frage nach den Ursachen. Gleich zu Anfang eine Warnung: Teilweise wird es jetzt spekulativ, eigentlich ein Unding in der evidenzbasierten Medizin, die ich mit Überzeugung vertrete. Aber so richtig sicher können wir uns beim momentanen Stand des Wissens einfach noch nicht sein.
Was die Schilddrüse und ihre Erkrankungen angeht, ob nun bei der Katze, beim Hund oder beim Menschen, spielen von außen einwirkende (extrinsische Faktoren) eine sehr große und in ihrem wahren Umfang nach wie vor ungeklärte Rolle. Bei diesem Thema werden genau die Albträume Realität, die viele Mensch bezüglich der schädlichen Wirkung von Umwelteinflüssen auf die Gesundheit haben.
Viele natürlich vorkommende oder industriell hergestellte Substanzen stehen unter dem Verdacht, die korrekte Funktion der Schilddrüse negativ zu beeinflussen. Man nennt solche Stoffe Schilddrüsen-Disruptoren.
Einer der als fast gesichert anzusehenden schweren Risikofaktoren ist die Verfütterung von Dosennahrung. Damit sitzen wir medizinisch gleich mal zwischen zwei Stühlen. Gerade bei Stubenkatzen wäre es uns wegen der positiven Auswirkungen auf den Wasserhaushalt und die Gesunderhaltung der Nieren und Harnwege ja eigentlich recht, wenn möglichst viel Nassfutter gegeben würde. Was die Schilddrüse angeht, tun wir der Katze damit aber wohl keinen Gefallen.
Liegt das nun am Futter oder an der Verpackung, sprich der Dose? Möglicherweise beides! In Dosenfutter, speziell wenn es Seefisch oder Leber enthält, sind oft extrem schwankende und insgesamt zu hohe Jodkonzentrationen nachweisbar, die wahrscheinlich eine große Rolle bei der Entstehung einer Hyperthyreose spielen. Dieser Punkt gilt natürlich auch für jegliche Form der Fütterung mit selbst zusammengestellten Rationen, die häufiger Fisch oder Leber enthalten. Ebenfalls bedeutsam könnten Proteine schlechter und für die Katzen ungeeigneter Qualität sein. Die in Soja enthaltenen polyphenolischen Isoflavone fördern die Umwandlung des T4 in das biologisch aktive T3. Für einen Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion mag das ein wünschenswerter Effekt sein, bezüglich unseres Themas ist es aber als sehr negativ zu sehen.
Was ist mit der Verpackung des Feuchtfutters? Im Verdacht stehen in erster Linie die aus Aluminium gefertigten und allen Katzenhaltern bekannten Schälchen, aber auch eine Innenauskleidung von Metalldosen aus Kunststoff und sogar die wiederum in der Regel aus Aluminium hergestellten Pull-Ringe der Dosendeckel. In allen drei Fällen wäre der als Schilddrüsen-Disruptor bekannte Stoff Bisphenol A im Spiel. Sehr schwierig zu vermeiden, außer durch den Umstieg auf Trockenfutter (negativ für den Wasserhaushalt und damit für Nieren und Harnwege) oder auf die Fütterung mit selbst zusammengestellten Rationen, ob nun roh oder gekocht, was aber speziell bei der Katze viel Sachkunde und einen hohen Aufwand voraussetzt. Wird mit selbst zusammengestellten Rationen gefüttert, sollte man zur Vermeidung der Entstehung einer Hyperthyreose höchstwahrscheinlich um (Salzwasser-)Fisch und Innereien einen großen Bogen machen. Die gleiche Aussage gilt aber auch für Dosenfutter, bei dem man Muskelfleisch von Säugetieren ohne jeglichen Sojazusatz den Vorzug geben sollte.
Ebenfalls als Verdächtige gehandelt werden Flammschutz-Chemikalien wie Diphenylether in Wohntextilien, Teppichen und Möbeln. Obwohl die Verwendung von Diphenylether schon vor einiger Zeit in der EU verboten wurde, gibt es sicher noch reichlich Einrichtungsgegenstände, die den Stoff enthalten. Zudem findet er sich nach wie vor häufig in Importwaren von außerhalb der EU.
Selbst Katzenstreu wurde in einigen Untersuchungen als eventuell schädlicher extrinsischer Faktor angeführt. Andere Veröffentlichungen konnten das aber wiederum nicht bestätigen. Zu diesem Punkt lässt sich also ganz sicher noch nichts Abschließendes sagen.
Das Gleiche gilt für Maßnahmen zur Endo- und Ektoparasiten-Prophylaxe (Entwurmungen und Präparate zur Vermeidung von Floh- und Zeckenbefall). In zwei Arbeiten wurde ein negativer Einfluss bezüglich der Entstehung einer Felinen Hyperthyreose gesehen, in anderen aber genau das Gegenteil.
Vom Feuchtfutter und von Aluminiumschälchen mal abgesehen, kann man also auf Bayerisch das unbefriedigende Fazit ziehen: „Nix Gwiß woaß ma ned!“. Da werden wir also abwarten müssen, was sich weiter herausfinden lässt. Es ist in der Tiermedizin ein immer vorhandenes Problem, die für aussagekräftige epidemiologische Studien notwendigen Patientenzahlen zu rekrutieren
Für Sie als Katzenbesitzer(in) zum mit nach Hause nehmen (neudeutsch „Take home“): Lassen Sie ab einem Alter von sieben Jahren mindestens einmal jährlich eine Blutuntersuchung durchführen. Schadet absolut nur dem Geldbeutel, kann aber die frühzeitige Diagnose sowohl einer felinen Hyperthyreose als auch einer chronischen Niereninsuffizienz ermöglichen, was medizinisch als klar vorteilhaft zu sehen ist. Darüber hinaus sollten Sie die im Artikel genannten Symptome abspeichern und im Fall der Fälle frühzeitig Ihre Tierarztpraxis aufsuchen. Abwarten hat sich bei dieser Krankheit noch nie ausgezahlt.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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