Von Ralph Rückert, Tierarzt, und Johanne Bernick, Tierärztin
Ein Zitat: „Freitag musste ich direkt wegen Impfung zum Tierarzt. Gestern Abend hab ich mir erstmals die Rechnung angeschaut und bin irgendwie stutzig geworden: Zunächst ist dort „Allgemeine Untersuchung mit Beratung“ aufgeführt. Ist ja auch okay. Ich denke, dass es üblich und auch positiv ist, dass sich der Tierarzt vor der Impfung ein Bild vom Gesundheitszustand des Hundes macht (Kontrolle der Zähne, Augen, Ohren). Weiter unten steht allerdings noch mal „Eingehende Untersuchung einzelner Organe“ – was soll das bitte sein? Das Abhören des Hundes oder wie? Hätte jetzt gedacht, dass das auch zur allgemeinen Untersuchung gehört, wenn er das Hundchen mal kurz an Herz und Lunge abhört. Und damit meine ich wirklich kurz (so 10 – 20 Sekunden) und das ist für mich auch nicht „eingehend“! Und dafür berechnet der xy Euro netto extra?“
Mit diesem Zitat haben wir schon einmal einen Artikel eingeleitet, der sich mit der Bedeutung und der Komplexität der körperlichen Untersuchungstechniken in der Tiermedizin beschäftigt. Das war im Sommer vor zwei Jahren. An der Diskussion bzw. der Streiterei um Umfang und Berechnung der Gebührenordnungspositionen „Allgemeine Untersuchung“ (AU) und „Eingehende Untersuchung“ (EU) hat sich seitdem nicht viel geändert, eher im Gegenteil, denn seit Inkrafttreten der neuen Gebührenordnung im November 22 schielen ja viele Tierbesitzer:innen recht argwöhnisch auf ihre Rechnungen.
Gleich vorab: Wir räumen ein, dass diese Differenzierung verschiedener Untersuchungen für medizinische Laien durchaus schwer nachvollziehbar sein kann. Viele gucken ihre Rechnung durch und nehmen nur wahr, dass da – in ihren Augen skandalöserweise – zwei oder gar noch mehr verschiedene Untersuchungen aufgeführt sind, obwohl doch der Hund, die Katze, das Kaninchen einfach nur untersucht worden ist. Wie gesagt: Das ist erst mal verständlich. Es kann ja niemand von Ihnen verlangen, dass sie über Expertenwissen in Sachen Tiermedizin, Gebührenordnung und Abrechnung verfügen. Deshalb auch dieser Artikel, der einfach aufklären und informieren soll.
Nun ist es beileibe nicht so, dass über diese Gebührenordnungs-Ziffern nur zwischen Tiermediziner:innen und Kund:innen gestritten wird. Das ist auch berufsintern schon immer und immer wieder ein Gegenstand lebhafter Diskussionen, da die Gebührenordnung selbst an keiner Stelle auf den Umfang und die Abgrenzung von AU und EU eingeht. Schon im Sommer 2011 hat sich die Bundestierärztekammer (BTK) deshalb zur Veröffentlichung einer „Definition der Allgemeinen Untersuchung“ veranlasst gesehen, die wir für sehr brauchbar und zutreffend formuliert halten:
„Die Allgemeine Untersuchung (…) stellt eine durch überwiegend manuelle und visuelle Untersuchung erlangte Informationsgewinnung dar, um den Vorbericht zu präzisieren und den weiteren Untersuchungsgang festzulegen. Ziel der Allgemeinen Untersuchung ist die Erfassung des Allgemeinzustandes bzw. die Ermittlung von Anhaltspunkten für das Ausmaß und den Sitz der Erkrankung.“
Weiter wird ausgeführt, „dass die Art der Untersuchung stark von der Situation, dem Vorbericht und der Tierart abhängt. Grundlage für die Entscheidung über die Vorgehensweise sei die Ausbildung und die Erfahrung des Tierarztes. Dem Umfang der Allgemeinen Untersuchung seien angesichts der Gebührenhöhe und dem Umstand, dass die GOT-Leistung auch die Beratung, die Anamneseerhebung und die Feststellung der Identität umfasst, enge Grenzen gesetzt.“
Enge Grenzen gesetzt! Das ist wichtig, denn immer dann, wenn neben der AU auch noch eine oder mehrere Eingehende Untersuchungen berechnet werden, wird ja gern damit argumentiert, dass die doch wohl Teil der AU zu sein hätten. Nein, sind sie nicht!
Selbst bei reichlich strenger Auslegung gehören zu einer Allgemeinen Untersuchung maximal (maximal!): Signalement (Feststellung der Identität), Anamnese (Vorbericht), Blickbeurteilung von Pflege- und Ernährungszustand, Zustand von Haut, Haaren und Hautanhangsorganen, Haltung und Verhalten, Beurteilung der Skleren, Schleimhautfarbe und kapillare Füllungszeit, tastbare Lymphknoten, Puls- und Atemfrequenz und -qualität, die innere Körpertemperatur. Ein genaues Durchmustern des Gebisses bzw. der Mundhöhle? Nein, nicht Teil der AU! Die Untersuchung der Gehörgänge mit dem Otoskop? Das Abhören des Herzens und der Lunge mit einem Stethoskop? Eine Augenuntersuchung mit dem Ophthalmoskop? Nein, das sind alles Eingehende Untersuchungen, die nicht zur AU gehören und dementsprechend extra zu berechnen sind, und diese Aufzählung von Beispielen war jetzt keinesfalls vollständig.
Da es keine einheitliche oder gar rechtlich verbindliche Leitlinie zum Umfang der AU gibt, diese außerdem tierart- und fallbezogen ausfallen soll und zu allem Überfluss noch (wie im obigen Zitat erwähnt) Ausbildung und Erfahrung der / des Durchführenden mit reinspielen, können Sie als Kund:innen da kein wirklich einheitliches Vorgehen erwarten, sondern müssen davon ausgehen, dass das in jeder Praxis / Klinik und dort sogar noch individuell je nach Tierärztin bzw. Tierarzt etwas anders gesehen und gehandhabt werden kann. Damit werden Sie leben müssen. Selbst wenn Sie sich bei der jeweiligen Landestierärztekammer als dafür zuständiger Stelle über die Berechnung von Untersuchungen beschweren, die nach Ihrer Interpretation nicht in ausreichendem Umfang durchgeführt worden sind, werden Sie damit in der Regel auf keinen grünen Zweig kommen.
Wie schwierig dieses Thema ist, können wir an den letzten beiden Sätzen der BTK-Definition festmachen. Dort steht: „Berechnet werden kann die Allgemeine Untersuchung aber nur, wenn sie auch durchgeführt wurde. Die Adspektion eines Tieres allein ist keine Untersuchung.“ Und das ist unserer Auffassung nach leider schlicht und ergreifend falsch! Wir stimmen durchaus zu, dass der Kundin / dem Kunden für den in Rechnung gestellten Betrag ein gewisser und für den jeweiligen Fall zweckdienlicher Umfang der AU geschuldet ist. Dabei kann es sich aber durchaus auch mal nur um eine Adspektion, also eine visuelle Untersuchung ohne Berührung des Tieres, handeln. Nehmen wir als Beispiel eine dreijährige Ratte, die mit einem golfballgroßen Tumor einer Gliedmaße vorgestellt wird. In diesem Fall reicht eine reine Adspektion sehr wohl aus, um zu den Aussagen zu kommen, dass hier nur noch mit einer Amputation geholfen werden kann, dies aber aufgrund des fortgeschrittenen Alters eigentlich nicht mehr in Frage kommen wird, so dass die Euthanasie als Handlungsoption ins Auge gefasst werden muss. Natürlich stellt dieser Vorgang dann zweifellos eine in vollem Umfang berechenbare „Allgemeine Untersuchung mit Beratung, Heimtiere“ (GOT-Nr. 17) dar.
In an Praxen bzw. Kliniken und an die Landestierärztekammern gerichteten Beschwerden über Allgemeine und Eingehende Untersuchungen wird oft auf die (subjektiv wahrgenommene) kurze Untersuchungsdauer abgehoben und auf dieser Basis die Rechtmäßigkeit der Berechnung bezweifelt. Dabei wird fast immer völlig übersehen, dass eine AU aus Sicht der Tierärztin / des Tierarztes spätestens in dem Moment beginnt, in dem Sie mit Ihrem Hund das Sprechzimmer betreten. Bevor das Tier dann letztendlich zur körperlichen Untersuchung auf dem Tisch landet, sind die zur AU gehörenden Punkte Signalement, Haltung und Verhalten, Ernährungs- und Pflegezustand und (ganz wichtig!) Anamnese bereits abgehakt, ohne dass Ihnen das wirklich bewusst geworden ist. Die Dauer des gesamten Vorganges ist zudem hochgradig abhängig von der Berufserfahrung der durchführenden Person. Junge Kolleginnen und Kollegen werden logischerweise mehr Zeit benötigen als alte Hasen. Das spielt aber gebührentechnisch nicht die geringste Rolle, denn im einen Fall zahlen Sie für die Zeit, im anderen halt für genau diese über Jahre und Jahrzehnte erworbene Erfahrung.
Ein weiterer die Sachlage verkomplizierender Faktor ist die Tatsache, dass speziell Praxen, die sich aufgrund des Nichtvorhandenseins anderer Alleinstellungsmerkmale einzig und allein über ihre Preisgestaltung am Markt zu positionieren versuchen, sehr häufig dazu neigen, die anfallenden Gebühren durch Nichtberechnen von eigentlich glasklar erbrachten Leistungen niedrig zu halten. Das nennt man Dumping durch Weglassen. Sind nun Kund:innen einer solchen Praxis durch bestimmte Umstände (Notdienst, Urlaub, etc.) gezwungen, eine Einrichtung aufzusuchen, die (völlig korrekt im Sinne der Gebührenordnung) neben der allgemeinen auch noch eine oder mehrere eingehende Untersuchungen einzelner Organsysteme berechnet, fallen sie natürlich erst mal aus allen Wolken und kommen dann oft mit der Klage, dass ihnen das ja noch nie passiert wäre.
Fazit:
1. Es ist Ihr verbrieftes Recht, eine tiermedizinische Rechnung, deren Korrektheit Sie anzweifeln, durch die dafür zuständigen Landestierärztekammern überprüfen zu lassen. Aus früheren Zeiten stammt die Gewohnheit, diesen Vorgang für die beschwerdeführenden Tierbesitzer:innen kostenfrei durchzuführen, obwohl ein beträchtlicher zeitlicher und personeller Aufwand damit verbunden ist. Das ändert sich aber gerade. Mindestens eine Landestierärztekammer hat inzwischen eine Bearbeitungsgebühr eingeführt, unseres Wissens in Höhe von 30 Euro. Angesichts der Zahl der zur Überprüfung eingeschickten Rechnungen wird dieses Beispiel nach unserem Dafürhalten schnell Schule machen. Es wird also zukünftig schon aus Eigeninteresse sinnvoll sein, sich vor einer Beschwerde bei der Kammer Gedanken über den „Streitwert“ zu machen, um den es dabei eigentlich geht. Sowieso ohne jede Aussicht auf Erfolg ist so ein Überprüfungsansuchen entsprechend unserer obigen Ausführungen, wenn es dabei nur um das Thema Allgemeine und Eingehende Untersuchung geht. Damit werden Sie garantiert nie im Leben Erfolg haben, weil da einfach jede rechtliche Grundlage fehlt. Die Mühe können Sie sich also einfach sparen.
2. Wenn die Praxis Ihres Vertrauens immer nur eine AU abrechnet, egal was da alles untersucht wird, dann können Sie das gerne werten, wie Sie wollen: Sie können sich einfach darüber freuen, weil Sie dadurch in den Genuss eines Preisvorteils kommen. Sie können sich auch berechtigte Sorgen darüber machen, weil es ein ziemlich klares Signal dafür sein könnte, dass die Praxis Ihres Vertrauens nix kann außer billig. Wie auch immer, aber werfen sie es einer anderen Praxis oder Klinik bloß nicht vor, wenn die das korrekt handhabt und jede durchgeführte Untersuchung abrechnet! Dass mal irgendwann ein Taxifahrer für Sie über die rote Ampel gefahren ist, weil Sie dringend zum Zug mussten, bedeutet nicht, dass Sie das Recht hätten, dieses Verhalten auch von anderen einzufordern!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihr Ralph Rückert, Ihre Johanne Bernick
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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