Von Ralph Rückert, Tierarzt
Zitate wie das aus der Überschrift liest man im Netz bei Diskussionen von vermeintlichem tierärztlichen Fehlverhalten sehr häufig. Sie belegen einerseits, dass den meisten Leuten bewusst ist, dass „die Kammer“ eine Art Aufsichtsbehörde der Tierärzteschaft ist, andererseits aber auch, dass es teilweise völlig falsche Vorstellungen gibt über die Aufgaben und Kompetenzen dieser „berufsständischen Körperschaft des öffentlichen Rechts“.
Diese Jahr sind meine Kollegin und designierte Nachfolgerin Johanne Bernick und meine Wenigkeit bei den alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen in die Vertreterversammlung (das „Parlament“) der Landestierärztekammer Baden-Württemberg gewählt worden. Wir sind beide in verschiedenen Ausschüssen (also den eigentlichen Arbeitsorganen einer Kammer) tätig, ich selbst auch als Beisitzer im Vorstand. Deshalb ist mir daran gelegen, mal ganz grundsätzlich zu erläutern, was „die Kammer“ eigentlich ist und was sie tut.
Kammern gibt es für verschiedene Berufe wie zum Beispiel Ärzte, Tier- und Zahnärzte, Apotheker, Notare, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, etc. Diese Berufe werden demzufolge wahlweise als „kammerfähig“ oder als „kammerpflichtig“ bezeichnet, was recht treffend zum Ausdruck bringt, dass man als Angehöriger einer der genannten Professionen die Zugehörigkeit zu einer Kammer sowohl als lästige Pflicht als auch als starkes Privileg sehen kann.
Wie schon erwähnt: Die Kammern sind berufsständische Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ein sperriger Begriff, zu dessen Erklärung ich mal ganz faul Wikipedia zitiere:
„Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist eine mitgliedschaftlich verfasste juristische Person des öffentlichen Rechts, die Rechtssubjekt kraft Hoheitsakt ist und öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Aufgabenbereiche werden ihr durch Gesetz oder Satzung zugewiesen.“
Und weiter: „Körperschaften des öffentlichen Rechts finden einen Hauptanwendungsbereich in den sogenannten Selbstverwaltungsangelegenheiten, also in staatlichen Aufgaben, die von den Betroffenen eigenverantwortlich geregelt werden sollen, weshalb sie organisatorisch aus der staatlichen Verwaltungshierarchie ausgegliedert und rechtsfähigen Organisationen übertragen werden. So bestimmen beispielsweise die Bürger selbst über die Geschicke der Gemeinde, die Ärzte über ihre Angelegenheiten in der Landesärztekammer, die Rechtsanwälte über ihre Angelegenheiten in der Rechtsanwaltskammer usw. Trotz der organisatorischen Auslagerung aus dem staatlichen Bereich sind die Träger dieser Selbstverwaltungsaufgaben Teil der öffentlichen Gewalt und an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz). Selbstverwaltungskörperschaften unterliegen der staatlichen Rechtsaufsicht: Der Staat soll sich nicht durch organisatorische Auslagerung seiner Grundrechtsbindung entziehen können (Flucht ins Privatrecht).“
Das ist das entscheidende Stichwort: Selbstverwaltung! Der Staat gibt bestimmten Berufen das Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu ordnen, und steckt dafür (über die jeweiligen Heilberufekammergesetze der Bundesländer) nur einen Rahmen ab, ohne sich dann weiter einzumischen. Das jeweils zuständige Landesministerium (im Fall der Tiermedizin meist das für Landwirtschaft) übt nur die Rechtsaufsicht aus, nicht aber die Fachaufsicht.
Jede Tierärztin, jeder Tierarzt, die/der in einem Kammerbereich beruflich tätig ist, ist zwangsweise Mitglied der jeweiligen Landestierärztekammer und muss dafür einen (recht bescheidenen) Mitgliedsbeitrag bezahlen. Das ärgert viele, weshalb oft nach der Abschaffung der Kammern gerufen wird, was natürlich reichlich kurzsichtig ist. Selbstverwaltung der eigenen Angelegenheiten ohne permanente (und dann natürlich absolut nicht sachkundige!) Einmischung des Staates ist keine Last, sondern definitiv ein Privileg! Ich meine, irgendwer muss ja die Sachen regeln, die die Kammer eben regelt, siehe unten, und das machen wir doch lieber selber mit dem berufsbedingt gegebenen Sachverstand als irgend jemand anderes ohne blassesten Schimmer!
Was für Aufgaben nehmen die Landestierärztekammern also wahr? Eine nicht abschließende Aufzählung:
– Erstellung einer Berufsordnung
– Überwachung der Einhaltung dieser Berufsordnung bzw. des tierärztlichen Standesrechts
– Organisation und Kontrolle der Fort- und Weiterbildung
– Anerkennung von Fachtierarzt- und Zusatzbezeichnungen
– Streitschlichtung unter Tierärzten
– Überwachung der Ausbildung von Tiermedizinischen Fachangestellten
– Überwachung der Einhaltung der Gebührenordnung für Tierärztinnen und Tierärzte (GOT)
– Zulassung von Tierärztlichen Kliniken
– Zertifizierung von Qualitäts-Managementsystemen (QM) in Tierarztpraxen und Tierkliniken
– Einrichtung und Überwachung der berufsständischen Versorgungseinrichtungen (z. B. Versorgungswerke für Tierärzte als standesrechtliche Rententräger)
Das alles ist zwar mit einem ziemlichen und größtenteils ehrenamtlich erbrachten Aufwand verbunden, aber trotzdem eine recht überschaubare Aufgabenliste. Aus der Sicht von Tierbesitzer:innen bzw. Kund:innen von tiermedizinischen Einrichtungen ist eher wichtig, für was die Kammer (entgegen weit verbreiteter Vorstellungen) NICHT zuständig ist.
Die Tierärztekammern üben keine fachliche Aufsicht über ihre Mitglieder aus! Wenn Sie also der Meinung sind, dass Ihr Tier medizinisch nicht korrekt behandelt oder gar ein Kunstfehler begangen wurde, macht eine Meldung oder Eingabe an die Kammer nicht den geringsten Sinn. Das gilt für fast jede Art von Streiterei, die Sie mit Ihrer Tierärztin / Ihrem Tierarzt haben könnten, mit nur einer wichtigen Ausnahme: Wie oben angeführt, beaufsichtigt die Kammer die Einhaltung der GOT. Gibt es also Stress wegen einer Rechnung und sind Sie der begründeten Meinung, dass die Vorgaben der Gebührenordnung zu Ihrem Nachteil nicht eingehalten wurden, dann können Sie die betreffende Rechnung mit der Bitte um Überprüfung an die Kammer schicken. Aber auch dabei wird nur auf Übereinstimmung mit der GOT geprüft, nicht etwa unter fachlichen Gesichtspunkten. Sie müssen sich also absolut nicht die Mühe von manchmal seitenlangen Begleitschreiben machen, in denen alle möglichen Beschwerden aufgeführt sind, die Sie gegen die behandelnde Tierärztin bzw. den behandelnden Tierarzt vorbringen möchten. Also: Überprüfung von Rechnungen auf Übereinstimmung mit den Regelungen der GOT – klares Ja! Allgemeine Beschwerdestelle für alle möglichen Streitpunkte mit Ihrer Tierarztpraxis / Klinik – ebenso klares Nein!
Seit Inkrafttreten der neuen GOT im November 2022 haben solche Rechnungsüberprüfungen zugenommen. Es werden dabei – schon allein deswegen, weil noch keine Routine im Umgang mit der Neufassung entstanden ist – durchaus gelegentlich formale Fehler gefunden, aber so gut wie nie zu Ungunsten der Kundin / des Kunden, viel eher umgekehrt. Der Schuss kann also auch mal nach hinten losgehen, wenn nämlich die betreffende Praxis/Klinik darauf hingewiesen wird, dass nicht zu viel, sondern zu wenig berechnet worden ist, und deshalb eine Nachberechnung erforderlich ist.
Sie – und da meine ich sowohl die Tierbesitzer:innen als auch die Kolleg:innen – sehen also: „Die Kammer“ ist nicht das allmächtige Kontrollorgan in allen Belangen, als das sie häufig gesehen wird. Sie ist auch im engeren Sinne keine Standesvertretung zur Wahrung der Interessen der Tierärzteschaft gegenüber der Politik oder der Öffentlichkeit. Das ist eher die Aufgabe der Lobbyverbände wie BPT (Bundesverband Praktizierender Tierärzte) und BbT (Bundesverband der beamteten Tierärzte) und ein Stück weit der Bundestierärztekammer (BTK). Letztere hört sich irgendwie an wie eine über allem schwebende Super-Kammer, was aber ebenfalls nicht stimmt. Die BTK nimmt als Dachverband keine ihr per Gesetz übertragenen Aufgaben wahr, sondern ist ein eingetragener Verein, in dem die Landestierärztekammern Mitglieder sind. Sie fungiert mit ihrer Delegiertenversammlung, ihrem Präsidium und ihren Ausschüssen mehr oder weniger als Impulsgeber für den Berufsstand und eben auch als Sprachrohr der Tierärzteschaft gegenüber der Öffentlichkeit.
Im Gegensatz zu den Dingen, über die wir hier sonst schreiben, ist das natürlich kein brisantes oder besonders spannendes Thema, gehört aber trotzdem zu unserem Versprechen, einen Blick hinter die Kulissen der Tiermedizin zu gewähren. Bei denen, die bis hierher gelesen haben, bedanken wir uns für ihr Interesse.
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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