Von Johanne Bernick, Tierärztin, und Ralph Rückert, Tierarzt
Was wir uns für Ihr Tier und natürlich auch für Sie wünschen ist, dass der Besuch in unserer Praxis möglichst stressfrei ablaufen kann! Dabei tun wir alles in unserer Macht stehende, um Ihnen und Ihrem Tier Ängste zu nehmen. Wir können uns aber buchstäblich Arme und Beine ausreißen und werden trotzdem erfolglos bleiben, wenn Sie nicht auch zu Hause und in gewohnter Umgebung ein paar einfache Übungen in den Alltag einbauen und Ihrem Tier vermitteln, dass gewisse Berührungen und Maßnahmen kein Grund zu Aufregung oder gar Panik sind.
Ob jung oder alt, von klein auf bei Ihnen oder aus dem Tierschutz – es ist möglich, mit einem Mindestmaß an Vertrauen auch „schwierige“ Tiere auf den Tierarztbesuch vorzubereiten. Immer wieder hören wir Sätze wie „Ich kann wirklich alles mit ihm machen, aber bei anderen versucht er zu schnappen!“ oder „Am Maul berührt werden mag sie einfach nicht!“. Sie können sich natürlich auf solchen Aussagen ausruhen, aber denken sie unbedingt an den worst case, der Ihnen beziehungsweise Ihrem Tier widerfahren kann: Es kommt zu einem Notfall, der Besuch einer Ihnen und Ihrem Tier unbekannten Praxis oder Klinik wird unausweichlich. Ihr Tier wird von Menschen in einer völlig fremden Umgebung und unter eventuell von der Sachlage diktiertem Zeitdruck angefasst und untersucht, ohne dass Sie überhaupt dabei sein können. (Abwehr-)Aggressions- oder Panikverhalten jeglicher Art kann in solchen Fällen eine Zeitverzögerung mit sich bringen, die sich – wenn es dumm läuft – sogar lebensbedrohlich auswirken kann.
Ebenso können Sie Ihrem Tier im ganz normalen Praxisalltag durch entsprechendes Training gegebenenfalls eine Sedierung oder sogar Narkose ersparen und uns die Durchführung der notwendigen Maßnahmen deutlich erleichtern. Daher unser dringender Appell, das Medical Training nicht zu vernachlässigen! Hier nochmal der Hinweis zu einem passenden Beitrag aus dem Jahr 2016 Beim Tierarzt: Das vergessene Erziehungsthema.
Die folgenden Ratschläge sind kein Allheilmittel und müssen sicherlich individuell auf Ihr Tier abgestimmt werden. Sie dienen jedoch dazu, Ihnen einen ungefähren Fahrplan an die Hand zu geben.
Zunächst das allerwichtigste: Entspannen Sie sich! Bitte! Ihr Tier merkt es, wenn Sie nervös und unsicher sind. Bauen Sie also eine gewisse Routine auf und arbeiten die folgenden Punkte nach und nach ab. Auf keinen Fall sollten Sie sich an Tag eins gleich den vollständigen Untersuchungsgang vornehmen. Ganz im Gegenteil, step by step, lassen Sie es langsam angehen! Die goldene Regel: Kündigen Sie Ihr Verhalten mit den immer gleichen Worten an – genau das machen wir auch!
Ihr Tier wird bei uns in den meisten Fällen auf dem Behandlungstisch untersucht. Das heißt, das Hochheben und das Stehen auf einer erhöhten Fläche sollten keinen Panikausbruch in Verbindung mit einem todesmutigen Sprung vom Arm oder dem Tisch hervorrufen. Ebenso wenig führt wildes Gezappel dazu, dass Ihr Tier schneller mit allen Vieren auf dem Boden aufkommt … ruhiges Absetzen ist wichtig, um das Verletzungspotential für beide Seiten zu minimieren.
Steht ihr Tier nun aber erst mal auf dem Tisch, beginnt der eigentliche körperliche Untersuchungsgang. Dabei gibt es kein festes Schema, was für alle Tierärzt:innen dieser Welt gültig ist. Den Ablauf des in unserer Praxis üblichen Untersuchungsganges haben wir Ihnen im ersten Teil dieser Mini-Serie ausführlich erläutert.
Begonnen wird am Kopf mit der Adspektion (dem Beäugen) der Augen, der Nase, der Ohren, der Maulschleimhaut und der Zähne. Dabei ist eine gewisse Fixierung des Kopfes notwendig, damit alle Bereiche ausreichend gründlich begutachtet werden können. Das Hochziehen der Lefzen und das Öffnen des Fanges stellen häufig die größte Hürde dar. Dennoch sollten Sie (und später auch Fremde) in der Lage sein, eine gründliche Untersuchung der Maulhöhle durchzuführen. Wir sind im Laufe der Jahrzehnte schon des öfteren zu nachtschlafender Zeit oder am Wochenende in die Praxis gefahren, um mit einem entschlossenen (aber teuren!) Griff ein zwischen den Zähnen eines Hundes eingeklemmtes Holz- oder Knochenstück zu entfernen. Wer mit seinem Hund erfolgreich geübt hat, bekommt das locker selber hin.
Die auch recht häufig auf Abwehr stoßende Untersuchung der Gehörgänge mit dem Otoskop können Sie zu Hause nur simulieren, indem sie die Ohren ausgiebig manipulieren und auch mal den Finger vorsichtig in die Ohren stecken.
Der eher beiläufig wirkende Griff zu den Halslymphknoten und das Betasten des Halses an sich wird von den wenigstens Tieren als unangenehm empfunden.
Als nächstes folgt das Auskultieren (Abhören) des Herzens und der Lunge mittels Stethoskop. Ein (manchmal kalter) Gegenstand wird also an beide Seiten des Brustkorbs gehalten und verbleibt dort für mindestens 15 Sekunden. Selten muss währenddessen für kurze Zeit das Maul des Hundes von einer Helferin geschlossen werden, um das Abhören des Herzens störendes Hecheln zu unterbinden. Sie werden wahrscheinlich kein Stethoskop zur Verfügung haben, können aber natürlich die mit dem Abhören verbundenen Berührungen des Brustkorbs leicht simulieren und ihr Tier darauf trainieren, währenddessen ganz ruhig zu stehen.
Die Palpation (das Abtasten) des Bauches führt gelegentlich zu einer Abwehrspannung, die in den meisten Fällen jedoch von einer möglichen Schmerzhaftigkeit unterschieden werden kann. Auch hierbei sollte Ihr Tier ruhig stehen bleiben und das manchmal nicht wirklich angenehme Rumdrücken an der Bauchwand tolerieren.
Anschließend ist das Abtasten beider Gesäugeleisten an der Reihe, welches für die Hündinnen-Halter:innen sowieso zum täglichen Brot gehören sollte. Beim Rüden werden der Penis und die Hoden begutachtet. Ein abschließender Blick auf den „Auspuff“ inklusive der rektalen Temperaturmessung, ein Betasten der Analbeutel, und schon ist es in den meisten Fällen geschafft! Ihre Fähigkeit, bei Ihrem Tier die Körpertemperatur rektal messen zu können, ist übrigens wirklich wichtig! Wenn uns jemand anruft und uns gleich sagen kann, dass die Katze oder der Hund Fieber hat, sind wir immer sehr positiv beeindruckt.
Aus medizinischer Sicht extrem praktisch ist die Fähigkeit eines Tieres, sich ohne großes Theater auf die Seite oder den Rücken legen zu lassen bzw. dies gar auf Anweisung von selbst zu tun. Man denke nur an Wundkontrollen und Fädenziehen nach Bauchoperationen, das Anlegen eines Gliedmaßenverbandes und Röntgen- bzw. Ultraschalluntersuchungen.
Natürlich hängt der jeweilige Schwerpunkt der klinischen Untersuchung auch von Ihrem Vorbericht ab und wird gegebenenfalls erweitert. Um eine solide Basis zu schaffen und zu Hause zu üben, reichen die oben aufgeführten Punkte jedoch völlig aus!
Es wird immer Momente geben, in denen Ihr Tier auf das berühmte schwarze Loch im Boden hofft, um darin zu verschwinden zu können: Injektionen, Blutentnahmen, das Rasieren von Fell, das Entfernen von Zecken oder anderen Fremdkörpern werden für viele Tiere nie Selbstverständlichkeiten sein, die ohne Missmut hingenommen werden müssen. Es geht ausdrücklich nicht darum, dass Sie Ihr Tier in ein völlig willenloses Gegenüber verwandeln. Die Stressreduktion durch eine gezielte Vorbereitung auf den Tierarztbesuch steht – wie eingangs erwähnt – an oberster Stelle!
Wir werden hier jetzt aber nicht das tun, auf was vielleicht viele gehofft haben, nämlich direkte methodische Anleitungen für das Medical Training geben. Wir vermitteln Ihnen nur eine Zielvorstellung. Wie Sie dieses Ziel erreichen, ist Ihre Sache! Es gibt da draußen viel zu viele Konzepte dafür, wie man einem Tier ein bestimmtes Verhalten beibringt oder schmackhaft macht, als dass wir uns da freiwillig in die Nesseln setzen würden. Erlauben Sie uns nur diese vielleicht etwas bissig wirkende und persönliche Anmerkung: Es hilft uns herzlich wenig, wenn der Hund willig sein Kinn in die Hand der Besitzerin / des Besitzers legt („Kinn-Target“, oder wie auch immer man diesen beliebten Trick im Medical Training nennt), aber dann bei der ersten Berührung durch uns rumfährt und zuschnappt.
Real-Life-Kund:innen unserer Praxis wissen, was wir für Kopfstände vollführen, manchmal auch unter Inkaufnahme eines gewissen persönlichen Risikos, um mit schwierigen Tieren gut zurecht zu kommen. Aufgrund unserer immensen Erfahrung sind wir darin auch ziemlich gut, wenn wir das mal so unbescheiden sagen dürfen. Aber alles hat seine Grenzen, denn es gehört im Gegensatz zur Auffassung mancher Tierbesitzer:innen definitiv NICHT zu unserem Berufsbild, uns von einem gefährlichen Tier ins Krankenhaus beißen zu lassen. Sprich: Wenn wir merken, dass das nichts wird mit einer gründlichen Untersuchung auf einem tragbaren Risikolevel, müssen zwangsläufig Maßnahmen wie Maulkorb, Fixierung und Sedierungsspritze zum Einsatz kommen, und das ist halt alles, was nix ist: Blöd, stressig, zeitraubend und damit teuer!
Wichtig ist in unseren Augen also eines: Sie müssen dem Tier das Erdulden medizinischer Manipulationen als buchstäblich alternativloses Verhalten verkaufen. Wenn Sie es schaffen, tiermedizinische Untersuchungen und Maßnahmen so positiv zu verknüpfen, dass Ihr Tier dabei sogar seinen Spaß hat: Um so besser! Um aber ganz ehrlich zu sein: WIR können auch mit erlernter Hilflosigkeit leben, so gemein das jetzt klingen mag. Wir halten das immer noch für wesentlich besser, als wenn wir für jede noch so kleine Maßnahme die Tranquilizer aus dem Schrank holen müssen. Wir vertrauen darauf, dass Sie verstanden haben, um was es uns in erster Linie geht, nämlich nicht darum, uns das Leben leichter zu machen, wenn auch Arbeitsschutz aus nachvollziehbaren Gründen für uns ein sehr bedeutsames Thema ist. Viel wichtiger ist, dass ein idealerweise kooperatives, aber mindestens duldsames Tier enorm viel zum Erfolg unserer medizinischen Bemühungen beiträgt und sich (und natürlich Ihnen) jede Menge Probleme (und Kosten!) erspart.
Um gleich noch einem weiteren Missverständnis vorzubeugen: Der Text bezieht sich durchaus auch auf Katzen und andere Tierarten. Es mag zwar aufgrund des fehlenden „will to please“ deutlich problematischer sein, einer Katze oder einem Kaninchen bestimmte Verhaltensweisen beizubringen, aber es geht sehr wohl, wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Über das Tierarzttraining von Katzen gibt es sogar ein in unseren Augen sehr brauchbares Buch. Wir räumen aber ein, dass es zwar nur sehr wenige Hunde, aber deutlich mehr Katzen gibt, bei denen man mit solchen Bemühungen kläglich scheitert.
Benötigen Sie Hilfe, weitere Anleitung oder haben es mit einem außerordentlich wehrhaften Exemplar zu tun, ist der Rat erfahrener Trainer:innen sicherlich zu empfehlen.
Bleiben Sie dran – es lohnt sich!
Und noch wichtiger: Bleiben Sie uns gewogen, bis bald,
Ihre Johanne Bernick, Ihr Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm
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