Absolute Pflichtlektüre (und natürlich Weihnachtsgeschenk-Tipp): Zwei neue und wichtige Bücher!

Absolute Pflichtlektüre (und natürlich Weihnachtsgeschenk-Tipp): Zwei neue und wichtige Bücher!

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Es gibt zwei neue Bücher, die so bemerkenswert sind, dass ich sie hier in unserem Blog vorstellen und dringend allen ans Herz legen möchte, die sich in der heutigen Zeit noch dazu in der Lage sehen, die Aufmerksamkeitsspanne für ein ganzes Buch aufzubringen. Es geht um Prof. Dr. Achim Grubers „Geschundene Gefährten – Über Irrwege in der Rassezucht und unsere Verantwortung für Hund und Katze“ und Sophie Strodtbecks „Sexualverhalten, Hormone, Kastration bei Hunden: Let´s talk about Sex“.

Wer sich aktuell für die Anschaffung eines Hundes (bezüglich Prof. Grubers Buch: auch einer Rassekatze) interessiert und diese Bücher nicht gleich vorab liest, ist so richtig selber schuld, wenn er im weiteren Verlauf vor einem ausgemachten Schlamassel steht, der leicht vermeidbar gewesen wäre. Ich halte das in beiden Büchern unterhaltsam und glänzend vermittelte Wissen wirklich für absolut unverzichtbar!

Fangen wir mit „Geschundene Gefährten“ an, nicht nur, weil es ein paar Wochen früher erschienen ist, sondern auch, weil es im Planungsprozess einer Haustieranschaffung zuerst gelesen werden sollte. Man könnte hier eine der heutzutage üblichen Trigger-Warnungen einfügen: Vorsicht! Dieses Buch könnte Ihren Blick auf die Rassezucht und Ihre Entscheidungen bei der Anschaffung eines Hundes oder einer Katze massiv und irreversibel beeinflussen!

Prof. Dr. Achim Gruber ist Tierarzt und der Direktor des Instituts für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin, mithin also ein ausgemachter Experte für die Frage, welche Probleme Haustieren das Leben zur Hölle machen oder für ihr oft vorzeitiges Ableben verantwortlich sind. Der breiten Öffentlichkeit ist er durch sein erstes populäres Buch „Das Kuscheltierdrama“ (2019) und die daraus resultierenden Auftritte in Talk-Shows bekannt geworden. Im „Kuscheltierdrama“ waren die Probleme der Rassezucht nur eines von mehreren Themen, wurden also sozusagen angerissen. Nun, in „Geschundene Gefährten“, zeigt Prof. Gruber ausführlich auf, warum die Rassezucht – speziell von Hunden, aber auch von Katzen – sich entgegen des wohlklingenden Propaganda-Blablas der Zuchtverbände („Kontrollierte Hundezucht ist keine Qualzucht!“, „Kontrollierte Hundezucht ist Tierschutz!“) auf einem schnurgerade in den Abgrund führenden Holzweg befindet, und zwar irgendwo zwischen dem vorletzten und dem letzten, in der dünnen Luft endenden Schritt.

Ohne mich geringschätzig über die Allgemeinbildung meiner Leserinnen und Leser äußern zu wollen, würde ich doch behaupten, dass Prof. Gruber mit diesem Buch jede Menge Fakten zur Historie und zum Status Quo der Rassezucht bietet, die für den Großteil der Öffentlichkeit (mit Ausnahme der Stammleser:innen unseres Blogs) bisher nicht mal ansatzweise bekannt sind und dementsprechend schockierend sein dürften. Und das Schöne daran ist, dass er ganz locker den Kunstgriff hinbekommt, das Publikum damit absolut nicht zu langweilen. Für richtige Hundefans würde ich das Buch sogar als echten Page-Turner bezeichnen. Der Schreibstil ist leicht zugänglich und die präsentierten Fakten werden immer wieder durch Anekdoten aufgelockert.

Prof. Gruber legt nicht nur zwingend und schonungslos dar, dass es für die meisten Hunde- und für viele Katzenrassen mindestens fünf vor zwölf ist, für viele leider auch schon fünf nach zwölf, er zeigt auch Auswege auf, die von sachkundigen Menschen guten Willens ergriffen werden KÖNNTEN, um vielleicht noch irgendwie die Kurve zu bekommen, bevor wir unsere besten Freunde unter den Tieren endgültig ruiniert haben.

Und mit diesem in Großbuchstaben geschriebenen KÖNNTEN komme ich zu meinem einzigen Kritikpunkt an diesem großartigen und so wichtigen Buch. Über irgendwas muss ich ja schließlich nörgeln, sonst nimmt mich in meiner neuen Karriere als Buchkritiker am Ende keiner ernst. Nein, ohne Witz: Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen, Prof. Gruber persönlich kennen zu lernen, aber nach allem, was ich von ihm weiß, was ich von seinen ehemaligen und aktuellen Student:innen höre und was ich von ihm bei Talk-Show-Auftritten gesehen habe, muss er ein wirklich netter, umgänglicher und zuvorkommender Mensch sein. Dieser unstrittige Vorzug wird in seinem Buch ein Stück weit zum Nachteil. Eigentlich ist seine Botschaft knallhart, ganz ähnlich wie die meine in diesem Blog, aber er verpackt sie zu sehr in Watte, ist also nach meinem Geschmack zu nett und scheint in unerschütterlichem Optimismus immer noch zu glauben, dass Einsicht in fehlerhaftes Verhalten eine zwangsläufige Folge ausreichender Informationen sein müsste, und in diesem Punkt verliert er mich ein bisschen. Ich habe diese fromme Hoffnung schon lange aufgegeben und bin der festen Überzeugung, dass wir bei diesem Thema mit seiner schrecklichen Verquickung von in fahrlässiger bis semikrimineller Ignoranz verharrenden Zuchtkartellen und einer wahlweise schlecht informierten oder sich selbst in die Tasche lügenden Haustier-Käuferschaft nur noch mit knallharten gesetzlichen Regelungen inklusive Ausstellungs-, Zucht-, Import- und letztendlich auch Haltungsverboten weiter kommen.

Das war es aber auch schon mit meiner Kritik, und dieser Einwand ändert auch nicht das Geringste an meiner Einschätzung, dass jede und jeder dieses Buch VOR der Anschaffung eines Hundes oder einer Katze gelesen haben sollte. Sonst sollte man sich hinterher halt nicht wundern und auch nicht beklagen, wenn man mit seinem neuen und geliebten Familienmitglied, das man im guten Glauben an so was Absurdes wie „seriöse Zucht“ gekauft hat, über Jahre viel Leid (und natürlich auch dramatische finanzielle Einbußen) erfahren muss. Abschließend noch ein Lob an den Droemer-Verlag: Es ist in dieser Zeit mit ihren orthografischen und grammatikalischen Blutbädern wirklich sehr wohltuend, mal 280 Seiten Text zu lesen, in denen man nicht einen einzigen Fehler findet.

Wenn man sich einen Hund anschafft, geht es für die meisten Menschen neben der Entscheidung für einen Mischling, einen Rassehund oder zumindest eine Rassegruppe auch um das gewünschte Geschlecht. Ob nun Männlein oder Weiblein: Naturgemäß haben Hunde zur Erzeugung von Nachkommenschaft Sex! Und es sollte sich inzwischen hoffentlich rumgesprochen haben, dass man dieses Thema besser nicht mit einer (zu) frühen Kastration einfach vom Tisch wischen sollte, ohne schwerwiegende Nachteile für sein Tier in Kauf nehmen zu müssen. Man wird sich also auf jeden Fall mit der Sexualität von Hunden auseinander setzen müssen, und da füllt Sophie Strodtbecks neues Buch „Sexualverhalten, Hormone, Kastration bei Hunden: Let´s talk about Sex“ konsequent eine bisher im Schriftgut gähnende Lücke.

Sophie (wir kennen uns und sind befreundet) ist ebenfalls Tierärztin. Um sie vorzustellen, können wir es uns leicht machen und einen Verlagstext zitieren: „Sophie Strodtbeck (…) hat Tiermedizin an der LMU in München studiert. Berufserfahrung hat sie in verschiedenen Großtier- und Gemischtpraxen im Ostallgäu und im Großraum München gesammelt. Von der Maus, über den Hund bis zum Allgäuer Braunvieh, ihren Lieblingspatienten, hat sie dort fast alle Tierarten behandelt und viele Erfahrungen sammeln können. 2010 kehrte sie der Praxis den Rücken und machte ihr Hobby „Hund“ zum Mittelpunkt ihres beruflichen Lebens. Seither arbeitet sie als Autorin, Dozentin, Fotografin und berät Hundehalter in Verhaltensfragen.“ Viele werden sie durch ihre höchst unterhaltsamen und lehrreichen Seminare, ihre bisherigen Bücher („Der alternde Hund“, „Ernährung und Verhalten“, „Vom Welpen zum Senior“, und andere) und ihre herrlichen Hundefotos kennen.

Sex – da geht es um Hormone! Die Lehre von den Hormonen ist die Endokrinologie, ein Fach, das aufgrund seiner Komplexität und Trockenheit von Medizinstudent:innen häufig gefürchtet wird. Ein Buch über das Sexualleben von Hunden und damit natürlich über Endokrinologie zu schreiben, das auch medizinische Laien verstehen und dabei sogar ihren Spaß haben können – das bekommt wahrscheinlich nur Sophie hin. Sie müssen also wirklich keine Angst haben, wenn ich darauf bestehe, dass Sie das als Hundeleute einfach lesen müssen. Das Buch liest sich wie „Geschundene Gefährten“ ebenfalls sehr leicht und flüssig, und wie Achim Gruber kann auch Sophie einfach unterhaltsam mit ihrer Muttersprache umgehen. Große Freude machen die vielen und wirklich hervorragenden Hundefotos, bis auf wenige Ausnahmen alle aus Sophies Kamera. An diesem Punkt muss auch wieder ein bisschen Kritik erlaubt sein, denn bezüglich der Druckqualität hat sich Müller Rüschlikon leider nicht mit Ruhm bekleckert.

Die leichte Zugänglichkeit ist das eine, die enorme Informationsfülle, die Sophie hier auf knapp über 180 Seiten bietet, das andere! Wenn Sie sich dieses Buch gönnen, werden Ihnen nicht nur einzelne Lichter, sondern ganze Kronleuchter aufgehen! Das kann ich schon allein deshalb garantieren, weil selbst erfahrene Tierärzte wie ich hier ihre Aha-Erlebnisse abbekommen. Meines Wissens wurde in noch keinem populärwissenschaftlichen Buch so umfassend dargestellt, welchen enormen Einfluss die Sexualhormone auf die Entwicklung, die Funktion und das Wohlbefinden von Körper und Geist unserer Hunde haben und welche ebenso enormen Flurschäden durch viel zu frühe und viel zu bedenkenlos durchgeführte Kastrationen angerichtet werden. So wird es nach dem Lesen des Buches niemand mehr verwundern, warum der Auslandstierschutz mit seinem zwanghaften „Eier ab!“ reihenweise Hunde produziert, denen man dann gleich noch schnell für den Rest ihres Lebens das so weit verbreitete Etikett „Angsthund“ ankleben kann.

Gleichzeitig verschweigt Sophie keineswegs, dass es neben bahnbrechend neuen und inzwischen als gesichert geltenden Erkenntnissen, die seit der Jahrtausendwende gewonnen werden konnten, in manchen Bereichen weiterhin widersprüchliche Daten gibt, die die individuell zu treffenden Entscheidungen keineswegs leichter machen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist kein Anti-Kastrations-Buch! So eine Beschreibung wäre eine absolut unzulässige Verkürzung! Es wird immer Fälle geben, wo man aus den verschiedensten medizinischen Gründen um diesen Eingriff nicht herum kommt. Wie Sophie sagt (und das unterschreibe ich ganz genau so): „Ich bin keine pauschale Kastrationsgegnerin, aber gegen pauschale Kastrationen. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied!“

Eines ist sicher: Wer bei diesem schwierigen Thema mitreden will – sei es als Hundebesitzer:in, als Trainer:in oder, ja, auch als Tierärzt:in – kommt um dieses Buch einfach nicht herum. Das Finden eines gesicherten Standpunktes und das Treffen schwieriger Entscheidungen ist nun mal abhängig von einem möglichst guten Informationsstand.

Wie in der Überschrift schon angedeutet, sind die beiden Bücher meiner Meinung nach ideale Weihnachtsgeschenke für Hundemenschen, im Fall von „Geschundene Gefährten“ auch für Katzenfans.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Römerstraße 71, 89077 Ulm

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