Der „Wurmkur Irrtum“?

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Auf Facebook bzw. im Internet allgemein kursiert momentan ein Text, den Sie leicht finden können, indem Sie „Der Wurmkur Irrtum“ als Suchbegriff bei Google eingeben. Die Verfasserin bzw. der Verfasser des Textes spricht sich gegen regelmäßige (strategische) Entwurmungen ohne vorherige Kotuntersuchung aus. Sie als Kunden unserer Praxis wissen, dass wir im Gegensatz dazu in vielen Fällen die Entwurmung in regelmäßigen Abständen entsprechend den von ESCCAP (European Council Companion Animal Parasites) formulierten Richtlinien favorisieren. Was ist nun richtig?

Die Diskussion ist aktuell auch in tiermedizinischen Fachkreisen neu aufgeflammt. Zwei angesehene Universitätsprofessoren vertreten ebenfalls den Standpunkt, dass eine Entwurmung nur in Fällen von durch Kotuntersuchung nachgewiesenem Befall durchgeführt werden sollte. Andere, genau so angesehene Hochschullehrer halten mit ebenfalls guten Argumenten dagegen. Ein definitives Richtig oder Falsch scheint es also in dieser Frage nicht zu geben.

Gehen wir die Sache mal systematisch an, so dass Sie danach genügend Informationen haben, um für Ihr Tier eine Entscheidung treffen zu können. Als erstes gilt es festzuhalten, dass eine Entwurmung nicht wie eine Impfung prophylaktisch wirkt, sondern nur im Moment der Anwendung im Tier vorhandene Würmer beseitigt. Steckt sich Hund oder Katze am Tag darauf neu mit Wurmeiern an, beginnt die sogenannte Präpatenzzeit, also die Zeitspanne, die vergeht, bis Hund oder Katze beginnt, selbst infektiöse Wurmstadien auszuscheiden, die wiederum anderen Lebewesen inklusive uns Menschen gefährlich werden könnten. Während der Präpatenzzeit besteht somit noch keine Gefahr der Ansteckung durch das infizierte Haustier.

Klopfen wir also Zitate aus dem oben genannten Text auf ihre Sinnhaltigkeit ab (etwaige Rechtschreibfehler stammen aus dem Originaltext):

Zitat: „Fakt ist leider: die Wurmkur hat KEINE prophylaktischer Wirkung!!!!!“

Stimmt genau!

Zitat: „Was heißt das also? Ist der Hund wurmfrei und wird entwurmt, bringt sie nichts, ist völlig unnötig.“

Völlig korrekt!

Zitat: „Was schließen wir daraus? Eine Wurmkur macht erst dann Sinn (und sonst wirklich gar nicht), wenn der Hund Würmer hat!“

Stimmt eigentlich! Aber…!

Zitat: „Weiter empfehle ich euch dringend:
!!!Keine Wurmkur ohne positiven Wurmbefund bei einer Kotuntersuchung!!!“

Okay, genau so habe ich es in meinem Studium auch gelernt, und so haben wir es auch im Praxisalltag lange gehalten. Zwei Punkte lassen mich (und viele andere Tiermediziner) aber inzwischen an dieser Vorgehensweise zweifeln:
1. Kotuntersuchungen weisen nach aktuellem Wissensstand nur dann ein ausreichend hohes Maß (knapp über 90 Prozent) an Treffsicherheit auf, wenn eine über drei Tage gesammelte Kotprobe untersucht wird, und zwar von Personal, das diesbezüglich weiß, was es tut, also parasitologisch sattelfest ist.
2. Das obige Argument, dass eine Wurmkur nicht ohne positiven Wurmbefund Sinn macht, hat einen ganz gravierenden Schwachpunkt, und zwar aufgrund der schon erwähnten Präpatenzzeit: Nehmen wir an, Hund oder Katze hat sich am Tag 1 mit den Eiern einer Wurmart infiziert, die eine Präpatenzzeit von 61 Tagen hat. Nehmen wir weiter an, dass (fachlich völlig korrekt) eine Drei-Tage-Kotprobe untersucht wird, und zwar zufällig von Tag 57, 58 und 59 nach Infektion. Die Kotuntersuchung ist dann negativ, der Besitzer bekommt vom Tierarzt Entwarnung, eine erneute Untersuchung wird für drei Monate später geplant, das Tier schläft weiter mit im Bett und schmust mit den Kindern. Leider beginnt Hund oder Katze zwei Tage danach mit der Ausscheidung infektiöser Wurmstadien, und zwar für das gesamte nächste Vierteljahr, ohne dass es jemand auch nur ahnen würde. Blöd gelaufen! Vergleichen wir damit den ungünstigsten Fall bei einer strategischen Entwurmung: Das Tier wird entwurmt und infiziert sich gleich am nächsten Tag mit der gleichen Art von Wurmeiern. Dann dauert es 61 Tage bis zum Beginn der Ausscheidung. Bleibt noch ein knapper Monat, in dem das Tier infektiös ist, dann setzt die nächste planmäßige Entwurmung dem Ganzen ein Ende. Auch nicht ideal, aber doch entschieden besser!

Zitat: „Gaaaanz langsam kommen jetzt die ein oder anderen Tierärzte damit heraus und deuten eine Empfehlung einer vorigen Kotprobe an.“

Das ist barer Unsinn. Wie schon erwähnt haben wir früher deutlich mehr Kotuntersuchungen durchgeführt als heute, bis wir von Seiten der Parasitologen zur strategischen Entwurmung in festen Zeitabständen gedrängt wurden, und zwar vorwiegend aus Gründen der menschlichen Gesundheit.

Zitat: „aber es ist ja so, für den Tierarzt bringt ein gesunder Hund kein Geld! Wurmfreie (…) Hunde sind nunmal schlecht fürs Geschäft“

Und hier wird es natürlich völlig absurd. Nichts wäre besser für unsere Umsätze, als wenn Sie alle sofort auf regelmäßige Kotuntersuchungen umsteigen würden. Eine Entwurmung für 10 kg Körpergewicht kostet im Kleintierbereich je nach verwendetem Produkt irgendwas zwischen sechs und zehn Euro, eine Drei-Tage-Kotuntersuchung inkl. Material und Aufbereitung wird laut Gebührenordnung für unter 25 Euro kaum zu machen sein. Dabei nicht zu vergessen: Sollte ein Wurmbefall nachgewiesen werden, kommt die Entwurmung dann auch noch oben drauf.

Damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Argument für die strategische Entwurmung, nämlich der Compliance, also Ihrer Bereitschaft als Tierbesitzer, sich den finanziellen und organisatorischen Aufwand einer fachlich korrekten Kotuntersuchung anzutun, und zwar alle vier Wochen für freilaufende Katzen sowie mäuse- oder kotfressende Hunde, alle 12 Wochen für alle anderen Hunde und alle 12 Monate für Stubenkatzen. Nach unseren Erfahrungen aus den ersten Praxisjahren erlauben wir uns die Prognose, dass zu wenige Tierbesitzer bereit sind, eine solche Maßnahme mit der nötigen Konsequenz durchzuziehen, um den insgesamten Verwurmungsgrad der Hunde- und Katzenpopulation auf einem für Menschen weitgehend ungefährlichen Niveau zu halten. Das Ende vom Lied wäre eine Zunahme von parasitären Erkrankungen beim Menschen und hierbei besonders bei Kindern. Inakzeptabel!

Man darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass wir hier in Süddeutschland im Hauptverbreitungsgebiet von Echinococcus multilocularis (dem dreigliedrigen Fuchs- und Katzenbandwurm) leben. Eine Echinokokkose ist für Menschen lebensbedrohlich. Aber auch die weit verbreiteten Spulwürmer können speziell in Kinderkörpern beträchtlichen, manchmal sogar irreparablen Schaden anrichten.

Letzten Endes ist das alles Abwägungssache: Was für einen Aufwand bin ich bereit zu treiben? Wieviel will ich dafür ausgeben? Wieviel bin ich bereit zu riskieren, für die eigene oder die Gesundheit meiner Kinder? Wieviel unnötige Entwurmungen will ich demzufolge meinem Haustier zumuten im Laufe seines Lebens? Sind Entwurmungen wirklich so giftig für mein Tier, wie es in dem besprochenen Text angedeutet wird? Wer von Ihnen hat schon einmal Nebenwirkungen einer Entwurmung an seinem Tier beobachtet, die über ein einmaliges Erbrechen oder einen kurzen Durchfall hinausgingen? Warum steigt die statistische Lebenserwartung von Hund und Katze ständig, trotz dieser angeblichen und ständig wiederkehrenden „Vergiftung“ mit Wurmkuren?

Wir können Ihnen diese Entscheidungen nicht abnehmen. Wir können nur Empfehlungen geben, die auf maximale Sicherheit für die Tierhalter-Familie ausgerichtet sind. Wir selbst entwurmen unsere Hunde und Katzen nach dem ESCCAP-Schema, obwohl wir bezüglich Kotuntersuchungen eigentlich an der Quelle sitzen würden. Aber ich kenne mich selbst: Kotuntersuchungen von drei aufeinander folgenden Tagen für vier Katzen und einen Hund (der leider gelegentlich Katzenkot frisst) in vierwöchigen Intervallen bekomme ich nicht auf die Reihe. Ich muss ja auch noch arbeiten. Das verschiebt man, das vergisst man! Und da ich weiterhin ruhig schlafen will, auch wenn mal eine Katze oder ein Hund mit im Bett liegt, wird eben regelmäßig und dabei wahrscheinlich auch das eine oder andere Mal unnötigerweise entwurmt. Das ist nämlich angesichts der oben erläuterten Präpatenzzeit-Problematik meiner Meinung nach die einzig halbwegs sichere Vorgehensweise. Übrigens: Auch die beiden oben erwähnten und dem ESCCAP-Schema gegenüber kritisch eingestellten Professoren räumen ein, dass bei freilaufenden Katzen, die unweigerlich Mäuse fangen, kein Weg um eine strategische Entwurmung in sehr engen Zeitabständen (monatlich!) herumführt. Das gilt natürlich ebenso für mäuse- oder kotfressende Hunde und für Jagdhunde, die regelmäßig Kontakt zu Füchsen haben oder im Fuchsbau eingesetzt werden.

Sie sehen: Entgegen dem Tenor des besprochenen Textes handelt es sich bei der von uns empfohlenen strategischen Entwurmung keineswegs um die pharmazeutisch-tiermedizinische Weltverschwörung zum Verderben Ihres Tieres und Ihres Geldbeutels. Es handelt sich auch nicht um einen historischen Irrtum, sondern schlicht um eine leicht durchzuführende und kostengünstige Maßnahme, die unserem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit und unserer ebenso menschlichen Bequemlichkeit entgegenkommt. Wie gesagt sind wir um jeden froh, der sich dazu entschließt, sein Tier nur nach positiver Kotuntersuchung entwurmen zu lassen. Diese Vorgehensweise gilt durchaus als fachlich korrekt und wir verdienen auch noch deutlich mehr daran als wenn Sie einfach nur eine Entwurmung mitnehmen.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

© Ralph Rückert

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