BARF, Prey Model Raw, Raw and Meaty Bones, Rohfütterung: Eine Positionsbestimmung

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Dafür, dass nur 8 Prozent der Hunde und ein sicher noch deutlich geringerer Anteil der Katzen in Deutschland mit selbst zusammengestellten Rationen (ob roh oder gekocht) gefüttert werden, ist das Internet-Getöse um dieses Thema beeindruckend lautstark. Aus unserer Sicht besonders ärgerlich dabei: Ständig werden die Tierärzte als die teuflischen Schergen einer auf die gesundheitliche Auslöschung Ihres Tieres zielenden Futtermittelindustrie dargestellt. Es nervt! Deshalb hier eine kurze Klarstellung.

Um gleich nochmal auf diesen Punkt zurückzukommen: Satte 92 Prozent der Hunde und noch mehr Katzen werden mit Fertigfuttermitteln ernährt! Warum wohl? Weil wir Tierärzte alle Tierbesitzer erfolgreich in diesem Sinne hypnotisiert hätten? Blödsinn! Das liegt natürlich einzig und allein daran, dass der Verbraucher es so will, weil es bequem ist und so gut wie keine spezielle Sachkunde voraussetzt. Wer seinen Hund oder seine Katze roh füttert, sollte sich also immer wieder in Erinnerung rufen, dass er zu einer recht kleinen Minderheit gehört.

So, nachdem das vom Tisch ist: Ich habe absolut kein Problem damit und bewundere Sie sogar ein Stück weit dafür, wenn Sie Ihr Tier nach der einen oder anderen Methode roh füttern. Ich bin also das, was man als „BARF-freundlichen Tierarzt“ bezeichnen kann, und stehe sogar auf dem Standpunkt, dass ich als Hund höchstwahrscheinlich viel Freude daran hätte, rohes Fleisch und Knochen zu zernagen. Es ist gar keine Frage: Man kann einen Hund oder eine Katze selbstverständlich roh ernähren.

Ich bin auch keineswegs blind gegenüber den Vorteilen einer solchen Ernährungsform. Als viel mit Zähnen befasster Tierarzt gehe ich fest davon aus, dass durch Rohfütterung Plaque- und Zahnsteinansatz und die daraus resultierenden parodontalen Erkrankungen deutlich reduziert werden können. Auch ist der Gedanke attraktiv, die volle Kontrolle über jede Komponente der Futterration des vierbeinigen Familienmitglieds zu haben. Sollte eine Futtermittelallergie oder -unverträglichkeit auftreten – ja, das gibt es leider auch bei roh gefütterten Tieren – tun sich Barfer mit der dann eventuell notwendigen Eliminationsdiät um Welten leichter als die damit oft überforderten Besitzer, die an Fertigfuttermittel gewöhnt sind. Und selbstredend kann eine Umstellung auf Rohfütterung bei einem Tier, das mit Fertigfutter ein wie auch immer geartetes Problem hat, ganz hervorragende Ergebnisse zeitigen.

Bei vielen weiteren Vorteilen, die sich Tierbesitzer von einer Rohfütterung erwarten, ist bisher allenfalls der Wunsch der Vater des Gedankens. Es gibt meines Wissens nach wie vor keinen echten wissenschaftlichen Beleg dafür, dass Rohfütterung der Ernährung mit Fertigfuttermitteln unter gesundheitlichen Gesichtspunkten langfristig überlegen wäre. All die vielen persönlichen Äußerungen im Sinne von „Ich barfe und meinen Hunden geht es ganz toll!“ haben allenfalls anekdotischen, aber keinerlei wissenschaftlichen Wert. Aus eigener Erfahrung in der Praxis kann ich die ganz klare Aussage treffen, dass die Rohfütterung auf jeden Fall auch kein Garant für immerwährende Gesundheit und ein ewiges Leben ist. Wie oben schon kurz angedeutet: Wir sehen (ist ja auch logisch!) durchaus Hunde, die trotz langjährigen Barfens unter genau den Krankheiten leiden, die die Rohfütterung angeblich so effektiv verhindern soll: Futtermittelallergie, chronische Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung), Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion oder IBD (Inflammatory Bowel Disease), um nur einige Beispiele zu nennen.

Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen sieht es leider rein statistisch eher schlecht aus für die Rohfütterung, oder genauer gesagt für die Sachkunde der Anwender. Wenn man die Unmengen von kursierenden Rohfütterungsrezepten mal durch die Computerprogramme der Ernährungsphysiologen jagt, dann erweisen sich regelmäßig über 90 Prozent in einem oder mehreren Punkten als grob fehlerhaft. Die tiermedizinischen Großlabore berichten, dass in den von ihnen angebotenen „BARF-Profilen“ auffallend häufig Abweichungen von den Normwerten ermittelt werden. Als besonders tückisch erweist sich dabei, dass bestimmte Diätfehler unbemerkt und über lange Zeiträume schädlich wirken. Zum Beispiel können Fehlversorgungen mit Jod und Selen erst nach Monaten und Jahren in einer Schilddrüsenerkrankung resultieren. Wie gesagt: Da man einen Hund oder eine Katze zweifelsfrei auf diese Weise korrekt ernähren kann, sind diese Probleme eher mangelnder Sachkunde als dem Fütterungskonzept an sich anzulasten. Das bedeutet, dass Sie sich, wollen Sie so füttern, ziemlich viel Mühe geben müssen, sich das entsprechende Wissen anzueignen, denn sonst mutiert ein an sich schöner Gedanke sehr schnell zu einem Langzeit-Tierversuch mit dem eigenen Vierbeiner. Nach dem, was wir bis jetzt wissen, scheint es auf jeden Fall nicht ganz so einfach zu sein, wie einem die verschiedenen selbsternannten Gurus dieser Ernährungsform weismachen wollen.

Außerdem muss man einfach akzeptieren, dass Rohfütterung ein paar zusätzliche Risiken mit sich bringt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Zahnfrakturen und andere Mundhöhlenverletzungen durch das Verfüttern ungeeigneter (gewichtstragender!) Knochen, Verstopfung durch zu hohen Knochenanteil in der Ration, Botulismus durch unsachgemäßes Auftauen gefrorener Futterrationen in der Vakuumverpackung und noch einige andere bakteriologische und parasitologische Infektionsrisiken, sowohl für das Tier selbst als auch für den Besitzer. Ich muss ja nicht extra betonen, was für einen ungeheuren gesundheitlichen Sicherheitsgewinn wir Menschen uns durch das Kochen unserer Nahrung verschafft haben. Mit der Rohfütterung des heutzutage extrem eng mit uns zusammenlebenden Tieres holt man sich ein paar mikrobiologische Leckereien ins Haus, die wir Menschen für uns selbst schon lange nicht mehr auf dem Schirm haben.

Das klingt jetzt in der Summe recht negativ, deshalb nochmal: Ich finde den Rohfütterungsgedanken an sich eine gute Sache und bewundere jeden, der bereit ist, sich die entsprechende Mühe zu machen. Ich kenne mich gut genug aus, um den einen oder anderen Tipp zu geben, gerade was Fütterungsumstellungen im Krankheitsfall angeht. Ich bin auch durchaus in der Lage, grobe Diät-Fehler zu erkennen. Was Sie von mir aber nicht erwarten dürfen, ist ein von Grund auf konzipierter BARF-Prey-Sonstwas-Fütterungsplan. Es tut mir leid, aber da fühle ich mich nicht zuständig. Wenn Sie zum Kinderarzt gehen, und der Ihnen dazu rät, dass Ihr Kind aus gesundheitlichen Gründen weniger Junkfood und mehr Obst und Gemüse essen sollte, dann erwarten Sie ja auch nicht, dass er Ihnen gleich noch einen detaillierten Ernährungsplan erstellt. Dafür müssen Sie sich schon selber schlau machen und zur Not eine(n) Diätberater(in) konsultieren.

Selbstverständlich haben auch wir Tiermediziner solche Experten in unseren Reihen. Ich kann nur jeden, der sich an der Rohfütterung versuchen möchte, dazu ermutigen, die Dienste eines Spezialisten in Anspruch zu nehmen. Diese Leute haben Computerprogramme, mit denen sich präzise ermitteln lässt, ob bestimmte Fütterungsrezepte so in Ordnung sind oder ob die eine oder andere Änderung notwendig ist, um langfristige Probleme zu vermeiden. Das ist eines der wenigen Spezialgebiete, bei dem Fernberatung völlig problemlos funktioniert, das heißt, Sie können sich da ganz ohne Entfernungsbeschränkungen jemanden raussuchen, dessen Angebot Ihnen zusagt. Und ich garantiere, dass eine solche professionelle Überprüfung Ihres Fütterungskonzepts definitiv kostengünstiger ist als die tiermedizinische Behandlung einer (eventuell chronischen) Erkrankung, die aus einem Fütterungsfehler entstanden ist. Und für lau gibt es nur das Geschwätz in den Internet-Foren, wo zwar jeder eine feste Meinung, aber so gut wie keiner eine echte Ahnung hat.

Also, die Tatsache, dass es dafür Spezialisten gibt, ist der eine Grund, warum ich mich auf eine echte Fütterungsberatung nicht einlassen werde. Der andere ist die – ganz allgemein gesehen – geradezu beängstigende Engstirnigkeit und Intoleranz der Internet-Rohfütterungs-Szene. Wie schon mit der Artikelüberschrift angedeutet: Einfach „Rohfütterung“ tut’s natürlich auf gar keinen Fall, als Bezeichnung ist das viel zu wenig sexy. Also muss was Griffigeres her, ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal, möglichst in Englisch: BARF, Prey Model Raw, Raw and Meaty Bones und was es sonst noch alles gibt. Und die Anhänger der einzelnen Konzepte sind sich keineswegs grün, nein, sie gehen wegen kleinster Differenzen in einer Art und Weise aufeinander los, dass man sogar als neutraler Beobachter buchstäblich zusammenzuckt. Sich da reinziehen zu lassen, kann für einen Tierarzt nur schiefgehen. Da gibt man vielleicht besten Glaubens einen Ratschlag, der zum BARF-Konzept von Kollege Billinghurst passt, gerät dabei aus Versehen an eine Anhängerin des Prey Models und darf sich dann im Internet dafür als inkompetent bezeichnen lassen. Nein, tut mir leid, da halte ich mich einfach raus.

Abschließendes Fazit: Rohfütterung kann eine artgerechte und für das Tier spannende Ernährung sein, die eventuell auch gewisse gesundheitliche Vorteile mit sich bringt. Sie ist aber sicher nicht die sagenhafte „Magic Bullet“ gegen jedes denkbare Leiden, als die sie oft verkauft wird. Sie bringt auch ein paar gesundheitliche Risiken mit sich und sie stellt deutlich höhere Anforderungen an die Sachkunde des Tierhalters als allgemein angenommen. Zu schweren Fehlern bei der Rohfütterung kommt es hauptsächlich dadurch, dass Tierbesitzer sich lieber im Internet von anderen Laien halbgaren Unsinn erzählen lassen, als ein paar Euro für eine ordentliche Rationsberechnung plus Beratung durch einen Spezialisten anzulegen.

Was mir sonst noch zur Ernährung von Hund und Katz eingefallen ist, können Sie in diesen älteren Artikeln lesen:

Hundefutter Teil 1: Wer ist mein Hund und woher kommt er?

Hundefutter Teil 2: Der Hund ist ein Fleischfresser! Oder doch nicht?

Hundefutter Teil 3: Und nun? Dose? Trocken? Selber kochen? BARF?

Und was ist mit Katzen? Wie ernährt man die richtig?

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen

Sie können jederzeit und ohne meine Erlaubnis auf diesen Artikel verlinken oder ihn auf Facebook bzw. GooglePlus teilen. Jegliche Vervielfältigung oder Nachveröffentlichung, ob in elektronischer Form oder im Druck, kann nur mit meinem schriftlich eingeholten und erteilten Einverständnis erfolgen. Von mir genehmigte Nachveröffentlichungen müssen den jeweiligen Artikel völlig unverändert lassen, also ohne Weglassungen, Hinzufügungen oder Hervorhebungen. Eine Umwandlung in andere Dateiformate wie PDF ist nicht gestattet. In Printmedien sind dem Artikel die vollständigen Quellenangaben inkl. meiner Praxis-Homepage beizufügen, bei Online-Nachveröffentlichung ist zusätzlich ein anklickbarer Link auf meine Praxis-Homepage oder den Original-Artikel im Blog nötig.

Nach oben scrollen