Epilepsie bei Hund und Katze – Der Stand der Dinge

Von Ralph Rückert, Tierarzt

Am 28.09.14 habe ich meinen Artikel „Epilepsie – Eine Krankheit, die Angst macht“ hier im Blog veröffentlicht und war vom ersten Tag an nicht richtig zufrieden damit. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass ich mit diesem doch recht kurzen Aufsatz dem gewichtigen Thema nicht wirklich gerecht geworden bin. Man muss aber auch mal ein wenig abwarten können, denn nun hat sich eine sehr gute Gelegenheit ergeben, das Thema nochmal anzugehen und deutlich gründlicher zu beleuchten. In der April-Ausgabe der Fachzeitschrift „Kleintierpraxis“ haben die Kolleginnen Andrea Tipold, Arianna Maiolini, Jasmin Nessler und Veronika M. Stein von der Tierärztlichen Hochschule Hannover die Übersichtsarbeit „Epilepsie bei Hund und Katze“ veröffentlicht, die das derzeitige Wissen zu dieser Erkrankung in Form eines Review zusammenfassen soll. Ich werde diese Arbeit natürlich nicht abschreiben, sondern mich bemühen, Ihnen die wesentlichen Aussagen, kombiniert mit eigenen Gedanken, in für Laien verständlicher Form darzulegen, so dass Sie nach dem Lesen meines Artikels hoffentlich das Gefühl haben, über dieses Thema gut informiert zu sein.

Ohne jede Vorwarnung, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, kommt der erste Anfall. Das bis zu diesem Moment völlig gesund erscheinende Tier zeigt plötzlich ausgesprochen furchterregende Symptome. Es fällt um, krampft heftig, schäumt, verliert Harn und/oder Kot, schreit. Nach ein paar Sekunden, die dem Tierbesitzer in seiner verständlichen Panik wesentlich länger vorkommen, ist alles vorbei. Allerdings in den meisten Fällen nur für dieses Mal, weil weitere Anfälle in unvorhersehbaren Intervallen folgen werden. Das Haustier, das Familienmitglied, ist mit diesem ersten Anfall eventuell zum Epileptiker geworden. Was kommt jetzt auf Sie als Besitzer und auf Ihr Tier zu?

Was ist Epilepsie? Mit etwa einem Prozent Häufigkeit beim Hund insgesamt (bei manchen Rassen aber um ein Vielfaches mehr) und 2 – 3 Prozent bei Katzen, ist die Epilepsie eine der häufigsten chronischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Wer ganz genau wissen will, wie es zu der Krankheit kommt, kann den Begriff bei Wikipedia eingeben und den dort angebotenen und sehr ausführlichen Artikel lesen. Besitzern von Tieren mit Epilepsie stehen zusätzlich an vielen Stellen im Netz gute und erschöpfende Informationen zur Verfügung. Für diesen Blog-Artikel will ich versuchen, es so einfach wie möglich zu halten: Epilepsie ist grundsätzlich eine unkontrollierte elektrische Entladung, die wie ein Blitzgewitter einzelne Teile des Gehirns oder auch das Gehirn als Ganzes erfasst. Stellen Sie sich das Gehirn als ein superhart zusammengepresstes Bündel von vielen Kilometern extrem dünner und schlecht isolierter Stromkabel vor. In so einem Bündel kommt es jeden Tag und unter allen Umständen immer wieder zu Kurzschlüssen mit Funkenbildung. In einem gesunden Hirn stellen solche vereinzelten Kurzschlüsse kein Problem dar. Beim Epileptiker dagegen löst unter bestimmten Voraussetzungen ein Kurzschlussfunken zwei weitere aus, diese zwei dann vier, dann acht, usw., bis innerhalb von Sekundenbruchteilen ganze Teile des Hirns von dem sich ausbreitenden Feuerwerk erfasst werden.

Je nachdem, ob nur einzelne Gehirnregionen oder das ganze Gehirn erfasst werden, sprechen wir von fokalen oder generalisierten Anfällen. Etwa 80 Prozent der Anfälle bei Katze und Hund sind generalisiert. Fokale Anfälle sind also eher selten oder dauern nur Sekunden, bevor ein generalisierter Anfall folgt. Allerdings kann ein Tier in einem fokalen Anfall außerordentlich seltsames Verhalten zeigen, das – speziell von Laien – nicht in Verbindung mit einer Epilepsie gebracht wird. Auf YouTube können Sie ein Video sehen, bei dem sich die Besitzerfamilie bedauerlicherweise halbtot lacht über ein Verhalten, das mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen fokalen Anfall zurückzuführen ist.

Wie gesagt, meist haben wir es mit generalisierten Anfällen zu tun: Das Tier verliert die Stehfähigkeit, liegt in der Regel auf der Seite, die Beine rudern oder werden abwechselnd gebeugt und gestreckt (tonisch-klonischer Anfall), auch treten allgemeines Zittern und Kieferschlagen mit Schaumbildung auf. Harn und Kot können abgehen, Lautäußerungen wie Japsen, Schreien oder Winseln sind möglich. Von menschlichen Patienten wissen wir, dass diese Phase normalerweise nicht bewusst wahrgenommen wird, der Patient sich also nach Beendigung des Anfalls nicht mehr daran erinnern kann.

Bei einem Krampfanfall können verschiedene Anfallsstadien unterschieden werden: Den Beginn macht das zwischen Minuten und Tagen anhaltende Prodromalstadium, bei dem die Patienten Verhaltensabweichungen wie Unruhe, Angst oder Aggressivität zeigen können. Dann kommt die vielen als Begriff bekannte Aura mit erweiterten Pupillen, eventuell Erbrechen und beginnenden Bewegungsstörungen, die aber nur wenige Sekunden andauert, bevor der eigentliche Anfall, der Iktus, beginnt. Dieser dauert üblicherweise zwischen einigen Sekunden und fünf Minuten. Diese kurze Zeitdauer ist der Grund dafür, dass der Tierarzt bei einem isolierten Krampfanfall in der Regel keine Hilfe ist. Danach schließt sich die postiktale Phase an, die durchaus noch von nachweisbaren neurologischen Ausfällen (Bewegungsstörungen, Blindheit, Verwirrtheit, Zwangswandern, starker Hunger, Aggressivität, etc.) geprägt sein kann und Minuten bis Tage anhält.

Treten zwei oder mehr Krampfanfälle innerhalb von 24 Stunden auf, dann haben wir es mit einem sogenannten Cluster zu tun. Ein Cluster ist ein guter Grund, sofort tiermedizinischen Rat zu suchen, denn er kann ein Vorbote der schlimmsten Ausprägung der Epilepsie, des Status epilepticus, sein. Ein Status epilepticus liegt vor, wenn ein Krampfanfall länger als fünf Minuten anhält oder Cluster-Anfälle so schnell aufeinander folgen, dass der Patient zwischen den Anfällen nicht mehr das volle Bewusstsein erlangen kann. Dies ist ein akut lebensbedrohlicher Zustand, der unverzügliche tiermedizinische Hilfe erforderlich macht.

Krampfanfälle sind nicht automatisch epileptische Anfälle. Es gibt auch außerhalb des Zentralnervensystems liegende Ursachen, die zu reaktiven Krampfanfällen führen können, als da wären: Vergiftungen, Elektrolytverschiebungen, Unterzuckerung, Sauerstoffunterversorgung oder schwere Herz- und Lebererkrankungen.

Liegt die Ursache für die Anfälle aber innerhalb des Zentralnervensystems, müssen wir zwischen zwei verschiedenen Formen unterscheiden: Bei der symptomatischen oder sekundären Epilepsie ist eine strukturelle Erkrankung des Gehirns oder eine Hirnstoffwechselerkrankung die eigentliche Ursache. Denkbare strukturelle Veränderungen könnten beispielsweise Verletzungen, Tumore, Entzündungen, angeborene Anomalien oder Infarkte sein. Als Gehirnstoffwechselstörungen seien die Ceroid-Lipofuszinose oder die mitochondrialen Enzephalopathien erwähnt.

Wenn aber selbst unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten keine Ursache für wiederholte Krampfanfälle gefunden werden kann, haben wir es mit der idiopathischen Epilepsie zu tun, also mit dem, was man eigentlich meint, wenn man von Epilepsie redet. Hierbei müssen wir in Ermangelung besserer Erkenntnisse von einer rein funktionellen Hirnstörung ausgehen, bei deren Auftreten eine genetische Prädisposition unterstellt wird, weshalb auch diskutiert wird, die idiopathische Epilepsie in genetische Epilepsie umzubenennen.

Wichtig: Bei Hunden ist die idiopathische (genetische) Epilepsie deutlich häufiger als die symptomatische. In der Altersgruppe unter fünf Jahren, also in dem Alter, in dem sich bei genetischer Epilepsie in der Regel die ersten Anfälle zeigen, geht man von 75 Prozent aus. Bei Katzen dagegen ist die symptomatische Epilepsie mit bis zu 80 Prozent die entschieden häufigere Form. Bei den zugrundeliegenden Erkrankungen steht die FIP (Feline infektiöse Peritonitis) an erster Stelle. Weitere Auslöser einer Hirnentzündung können wandernde Wurmlarven, Toxoplasmose und verschiedene Bakterien sein. Krampfanfälle bei Katzen werden leider auch nicht selten von Hirntumoren (Meningeome, Lymphome) ausgelöst. Außerdem noch zu erwähnen sind Schädel-Hirn-Traumata (auch älteren Datums) und die feline Hippocampus-Nekrose. Letztere, wahrscheinlich eine Autoimmun-Erkrankung, soll für vier bis elf Prozent der Anfallsgeschehen bei der Katze verantwortlich sein. Wichtig für Katzenhalter: Wenn eine Katze spontan auftretende schwere Verhaltensänderungen zeigt, als da wären Gesichtszucken, Schmatzen, Speicheln und anfallsartige blinde Aggressivität, dann sollte die Hippocampus-Nekrose als Ursache zumindest in Betracht gezogen werden.

Bei vielen Hunderassen ist eine genetische Prädisposition für die idiopathische Epilepsie vorhanden, bei manchen von ihnen ist das Risiko bestürzend hoch, zum Beispiel 18 Prozent beim Irish Wolfhound oder bis zu 33 Prozent bei einer bestimmten dänischen Zuchtlinie des Belgischen Schäferhundes. Für einige der betroffenen Rassen sind die Vererbungswege bereits gut erforscht und es gibt sogar Gen-Tests. Ich will darauf nicht im Einzelnen eingehen, weil ich davon ausgehe, dass die Besitzer solcher Rassehunde sich der Problematik bewusst sind bzw. sich bei den Zuchtverbänden informieren können. Nach einer Liste aus dem mir vorliegenden Artikel sind für die folgenden Rassen genetische Mutationen bekannt und/oder Gentests verfügbar: Amerikanische Bulldogge, Amerikanischer Staffordshire Terrier, Australian Shepherd, Beagle, Belgischer Schäferhund, Berner Sennenhund, Border Collie, Dackel, English Springer Spaniel, Deutscher Schäferhund, Golden Retriever, Irish Wolfhound, Keeshond, Labrador Retriever, Lagotto Romagnolo, Petit Basset Griffon Vendéen, Shetland Sheepdog, Pudel, Tibet Terrier und Magyar Vizsla.

Die von einer idiopathischen Epilepsie betroffenen Tiere (Hund und Katze) und ihre engen Verwandten sollten auf jeden Fall niemals zur Zucht verwendet werden!

Kommen wir nun zum Thema Diagnostik: Wir haben weiter oben kurz gestreift (wirklich nur gestreift!), welch eine Unzahl an Erkrankungen, die möglicherweise Krampfanfälle auslösen können, von der eigentlichen Epilepsie abgegrenzt werden müssen. Die Diagnose „idiopathische bzw. genetische Epilepsie“ ist eine Ausschluss-Diagnose. Das bedeutet, dass es kein diagnostisches Kriterium gibt, das geeignet wäre, eine Epilepsie zweifelsfrei zu beweisen. Also müssen im Gegenzug alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen werden. Wie geht man dazu sinnvollerweise vor?

Wir beginnnen mit dem, was wir Signalement nennen, sehen uns also das Alter, die Rasse und das Geschlecht des Tieres an. Bereits hier können ja Verdachtsmomente entstehen: Gehört zum Beispiel der Hund zu einer der besonders von Epilepsie betroffenen Rassen? Passt das Alter? Wir erinnnern uns: Die allermeisten Hunde mit genetischer Epilepsie haben ihren ersten Anfall bereits mit 1 – 5 Jahren. Bei einem Erstanfall in höherem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine symptomatische Epilepsie vorliegt.

Danach nehmen wir die Anamnese (Vorgeschichte) auf. Dazu gehört natürlich ganz entscheidend auch die Familiengeschichte (Eltern oder Geschwister mit Krampfleiden?). Gab es in der Vergangenheit Schädel-/Hirnverletzungen oder -erkrankungen? Wann trat der erste Anfall auf und unter welchen Umständen? Gab es einen feststellbaren Auslöser? Wie lang war der Anfall und welche Erscheinungen wurden dabei registriert? Gibt es eventuell Videoaufnahmen? Bestehen chronische Erkrankungen? Nimmt das Tier Dauermedikamente? Und so weiter und so fort. Sie sehen, das kann sich ziehen, bevor man überhaupt mit der eigentlichen Untersuchung des Patienten beginnt.

Wir fahren fort mit einer gründlichen Allgemeinen und Eingehenden Untersuchung, um uns ein Bild vom insgesamten Gesundheitszustand des Patienten zu machen und und um keine nicht-neurologischen Probleme zu übersehen. Daran schließt sich eine Neurologische Untersuchung an, die bei einem Patienten mit idiopathischer Epilepsie zwischen zwei Anfällen normalerweise keine besonderen Befunde ergeben sollte. Werden Auffälligkeiten festgestellt, spricht das eher für eine symptomatische Epilepsie, wobei dann eventuell bereits durch die Neurologische Untersuchung eine Aussage bezüglich der Lokalisation des zugrundeliegenden Schadens getroffen werden kann.

Weiter geht es mit der Labordiagnostik: Eine umfassende Blutuntersuchung inklusive der bei Anfallsleiden sehr wichtigen Schilddrüsenwerte ist absolut unverzichtbar. Bei toxikologischen Verdachtsmomenten kann eine Harnuntersuchung weiter helfen. Ob man sich dann noch durch Röntgen und/oder Sonographie der Brust- und Bauchorgane weitere Aufschlüsse erhoffen kann, wird im Einzelfall der Untersucher festlegen müssen. Bezüglich des Gehirns führen diese Untersuchungsmethoden meist nicht weiter. Allenfalls bei ganz jungen Welpen kann durch die noch offenen Fontanellen per Ultraschall ein angeborener Hydrozephalus als Krampfursache ermittelt oder ausgeschlossen werden.

Beim Hund ist man jetzt an einem Punkt angelangt, wo das weitere Vorgehen gründlich abgewogen werden sollte. Haben sich bis hierher keine klaren Auffälligkeiten ergeben, könnte man (oft aus finanziellen Überlegungen heraus) die vorläufige (!) Diagnose „idiopathische Epilepsie“ stellen und gegebenenfalls eine Therapie einleiten. Ist der Hund aber beim Auftreten des ersten Anfalls älter als sechs Jahre oder zeigt er trotz korrekter Therapie weiterhin auftretende Anfälle, müssen die letzten beiden diagnostischen Schritte leider auch noch gegangen werden: Die Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns und die Entnahme und Untersuchung des Liquor cerebrospinalis (der Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit).

Bei der Katze dagegen, die – wir erinnern uns – viel häufiger als der Hund an symptomatischer Epilepsie leidet, sollte nach Möglichkeit immer die gesamte Diagnostik inklusive MRT durchgezogen werden. Ein wichtiger Unterschied zur Humanmedizin: Bei Krampfanfalls-Leiden beim Menschen spielt das Elektroenzephalogramm (EEG) eine ganz wichtige Rolle. Dieses Verfahren kann zwar auch beim Tier angewendet werden, ist aber aufgrund anatomischer Besonderheiten problematisch und schwierig zu interpretieren.

Soweit zur Diagnostik, kommen wir zur Therapie: Was wollen wir erreichen? Wir wollen die Häufigkeit und Schwere der Anfälle so weit wie möglich reduzieren und gleichzeitig die Lebensqualität von Patient und Besitzer nicht den Bach runtergehen lassen. Als Erfolg der Behandlung gilt Anfallsfreiheit oder eine Senkung der Anfallshäufigkeit um mehr als die Hälfte. Dieses Ziel kann über den Daumen gepeilt bei etwa 80 Prozent der Patienten erreicht werden.

Ein häufiger Grund für Diskussionen ist die Frage, ab wann mit der Therapie begonnen werden sollte. Dies wird heutzutage strenger gesehen als noch vor zehn Jahren, da man inzwischen davon ausgeht, dass jeder Anfall als Wegbereiter des nächsten fungiert, die Anfallsneigung also mit jedem neuen Anfall zunimmt. Dementsprechend steigt man aktuell eher früher als später in die Therapie ein, bei zwei oder mehr Anfällen pro Halbjahr. Nach wie vor gilt der Leitsatz: Ein Anfall ist kein Anfall! Ohne Frage aber muss sofort eingeschritten werden, wenn bereits Cluster-Anfälle bzw. ein Status epilepticus aufgetreten sind. Der Tierbesitzer sollte vom ersten Anfall an ein Anfallstagebuch führen, in das Datum, Zeit, Anfallsdauer und weitere Beobachtungen eingetragen werden. Bei befriedigendem Therapieerfolg sind tierärztliche Kontrolluntersuchungen im Halbjahresabstand anzuraten, bei unbefriedigendem Erfolg auch häufiger.

Für die Behandlung der Epilepsie beim Hund sind in Deutschland drei Wirkstoffe zugelassen: Imepitoin, Phenobarbital und Kaliumbromid. Speziell für die Katze ist kein Wirkstoff zugelassen, was grundsätzlich eine Umwidmung erforderlich macht. Am Anfang steht immer der Versuch, mit einem einzelnen Wirkstoff das gewünschte Ziel zu erreichen, also die Monotherapie. Dafür eignen sich sowohl Phenobarbital, das den Markt jahrzehntelang unangefochten beherrscht hat, als auch das relativ neue Imepitoin. Kaliumbromid ist nur als Add-On-Therapie zugelassen, sollte also zu Phenobarbital dazu kombiniert werden, wenn die Monotherapie nicht das gewünschte Ergebnis zeitigt.

Imepitoin, ein neu entwickeltes Antiepileptikum für Hunde, ist dem Phenobarbital in einigen wichtigen Punkten klar überlegen: Es baut bereits nach zwei bis drei Tagen wirksame Plasmaspiegel auf, während Phenobarbital dafür bis zu 15 Tage benötigt. Es hat außerdem weniger und seltener auftretende Nebenwirkungen. Die antiepileptische Wirksamkeit ist mit der des Phenobarbitals vergleichbar. Zu Anfang werden 10 mg/kg Körpergewicht zweimal täglich (alle 12 Stunden) verabreicht. Diese Dosierung kann aber bei Bedarf bis zu 30 mg/kg zweimal täglich gesteigert werden. Bei unbefriedigendem Ergebnis kann Phenobarbital als Add-On dazu kombiniert werden. Gleichzeitig sollte man sich aber Gedanken machen, ob nicht doch eine symptomatische Epilepsie vorliegt und die Diagnostik entsprechend erweitern. Im Gegensatz zum Phenobarbital machen regelmäßige Blutspiegel-Kontrollen bei Imepitoin keinen Sinn, da offenbar kein greifbarer Zusammenhang zwischen der Höhe des Blutspiegels und dem Therapieerfolg besteht. Mit den folgenden Nebenwirkungen müssen Sie rechnen, wenn Ihr Hund dieses Präparat bekommt: Gesteigerter Appetit, Unruhezustände, selten Apathie und vermehrtes Trinken mit dementsprechend erhöhter Harnausscheidung (Polydipsie/Polyurie).

Phenobarbital ist eines der ältesten Antiepileptika und wird nach wie vor häufig verschrieben. Es ist dem Imepitoin in den schon erwähnten Punkten unterlegen, was aber keinen Grund darstellt, bei einem gut auf Phenobarbital eingestellten Hund zu Imepitoin zu wechseln. Phenobarbital wird ebenfalls erst mal als Monotherapie eingesetzt, in einer Dosierung von 2,0 – 2,5 mg/kg Körpergewicht zweimal täglich (alle 12 Stunden). Bei Bedarf kann diese Dosierung bis auf 6 mg/kg zweimal täglich erhöht werden. Im Gegensatz zum Imepitoin sollte beim Phenobarbital der Wirkstoffspiegel im Blut regelmäßig gemessen werden. Angestrebt wird ein Serumspiegel von anfangs 20 – 25 mikrogramm/ml, im weiteren Verlauf von 20 – 35 mikrogramm. Über 35 mikrogramm/ml nimmt die Gefahr von Leberschäden deutlich zu. Die erste Serumspiegel-Kontrolle wird zwei bis drei Wochen nach Therapiebeginn durchgeführt und dann alle sechs Monate wiederholt. Bei diesen Blutuntersuchungen müssen auch noch andere Werte kontrolliert werden, um bekannte Nebenwirkungen des Phenobarbitals gut im Auge zu behalten. Folgende Nebenwirkungen sind bekannt: Leberenzymerhöhungen, Anämie (zu wenig rote Blutkörperchen), Leukopenie (zu wenig weiße Blutkörperchen), Apathie, Ataxie (Probleme mit der Bewegungskoordination), Polyphagie (krankhaft gesteigerter Appetit), vermehrtes Trinken mit erhöhter Harnausscheidung, physische Abhängigkeit, Toleranzentwicklung mit Verlust der Wirksamkeit, Euthyroid Sick Syndrome (durch das Medikament erniedrigte Schilddrüsenwerte, die eine Schilddrüsenunterfunktion vortäuschen). Lassen Sie sich bitte nie dazu hinreißen, wegen starker Nebenwirkungen die Behandlung mit Phenobarbital schlagartig zu beenden. Es muss unbedingt langsam ausgeschlichen werden, da es sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Cluster-Anfällen oder gar zum Status epilepticus kommen kann.

Kaliumbromid ist ebenfalls ein sehr altes, aber immer noch aktuelles Antiepileptikum, in der Regel und wie schon erwähnt als Add-On zum Phenobarbital. Zur Monotherapie eignet es sich eher weniger, da wirksame Serumkonzentrationen oft erst nach Monaten erreicht werden können. Es ist aber eine Alternative für Patienten, die wegen einer vorbestehenden Lebererkrankung weder mit Imepitoin noch mit Phenobarbital behandelt werden können. Die übliche Dosierung als Add-On beträgt bis zu 30 mg/kg einmal täglich. Auch bei diesem Medikament ist die Bestimmung des Wirkstoffspiegels im Blut sehr sinnvoll. Angestrebt werden 10 – 20 mg/ml. Eine Konzentration von über 20 mg/ml wird oft nur von jungen Patienten gut vertragen. Die bekannten Nebenwirkungen von Kaliumbromid: Apathie, Ataxie, Tetraparese (Lähmung der Extremitäten), gesteigerter Appetit, vermehrte Flüssigkeitsaufnahme und Harnausscheidung, Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung) und Hautentzündungen. Ein Patient unter Kaliumbromid-Therapie sollte möglichst gleichförmig ernährt werden, da ein schwankender Salzgehalt der Nahrung die Aufnahme des Medikaments unberechenbar werden lässt.

Nicht unerwähnt bleiben sollte Diazepam. Dieser Wirkstoff, berühmt geworden unter dem Handelsnamen Valium, ist kein Antiepileptikum im engeren Sinne, aber sehr nützlich, wenn es darum geht, einen Status epilepticus oder Cluster-Anfälle zu unterbrechen. Es wird entweder vom Tierarzt intravenös injiziert oder dem Tierbesitzer in Form eines Mini-Klistiers zur rektalen Verabreichung verschrieben, so dass dieser etwas zur Hand hat, um bei einem Status epilepticus eingreifen zu können. Die übliche Dosis liegt bei 1 – 2 mg/kg Körpergewicht. Nebenwirkungen müssen uns in diesem Fall nicht interessieren, weil Diazepam nur kurzfristig und im Notfall verwendet wird.

Weiterhin gibt es einige humanmedizinische Antiepileptika, deren Anwendung bei Hund und Katze ständig weiter erforscht wird. Bei Nichtanschlagen auf die Therapie mit den für Tiere zugelassenen Wirkstoffen dürfen solche humanmedizinischen Medikamente umgewidmet werden. Allerdings zeigt nach meinem Wissen bisher keines irgendwelche klaren Vorteile gegenüber den uns zur Verfügung stehenden Substanzen. Ohne auf jedes einzeln eingehen zu wollen, seien hier nur kurz Gabapentin, Pregabalin, Levetiracetam und Zonisamid erwähnt.

Wie sehen die Erfolgsaussichten der Therapie mit den genannten Medikamenten aus? Unter Monotherapie kann ein Drittel der Patienten dauerhaft anfallsfrei gehalten werden, bei einem weiteren Drittel lassen sich die Anfälle so stark reduzieren, dass von einem Behandlungserfolg gesprochen werden kann, und das letzte Drittel zeigt ein sogenanntes refraktäres Anfallsgeschehen, dass sich durch die Monotherapie nicht oder nicht ausreichend bessert. Bei diesen Patienten muss dann versucht werden, mit einer Kombinationstherapie eine Besserung zu erzielen.

Das war jetzt alles auf den Hund bezogen. Schauen wir uns mal die Therapie bei der Katze an. Wie schon erwähnt, muss man bei der Katze davon ausgehen, dass ein sehr hoher Prozentsatz der Krampfanfallsleiden symptomatischer Natur ist. Ich wiederhole mich, aber es ist halt wichtig: Die diagnostischen Bemühungen sollten bei der Katze gründsätzlich vollständig durchgezogen werden. Bei einer echten idiopathischen Epilepsie kommen wie beim Hund Antiepileptika zum Einsatz. In erster Linie wird bei der Katze Phenobarbital angewendet. In der Praxis ist auch Imepitoin bereits in Gebrauch, es fehlen dazu aber noch belastbare Daten. Kaliumbromid ist bei der Katze nicht gut so gut wirksam wie beim Hund und hat einige eher abschreckende Nebenwirkungen.

Phenobarbital zeigt bei Katzen eine gute Wirksamkeit. Etwa 50 Prozent werden mit einer Dosis von 1 – 5 mg/kg Körpergewicht alle 12 Stunden anfallsfrei. Allerdings kann sich natürlich jede Dauermedikation gerade bei der Katze durch Abwehrverhalten oder in seiner Dauer unberechenbaren Freigang als echtes Problem erweisen. Als Nebenwirkungen einer Phenobarbital-Therapie bei der Katze können sich zeigen: Blutbildveränderungen, Erhöhungen der Leberenzyme, Bewegungsstörungen, Sedation, gesteigerter Appetit, Haut- und Lymphbahnentzündungen. Wird das Präparat abgesetzt, verschwinden diese Nebenwirkungen wieder.

Spricht die Katze nicht auf Phenobarbital an oder zeigt starke Nebenwirkungen, dürfen humanmedizinische Präparate umgewidmet werden. Die Autoren des mir vorliegenden Artikels heben Levetiracetam in einer Dosierung von 10 – 20 mg/kg dreimal täglich (alle 8 Stunden) als besonders gut geeignet hervor. Im Notfall kann analog zum Hund Diazepam eingesetzt werden. Es besteht dabei aber die Gefahr einer akuten Lebernekrose, weshalb zumindest bei leberkranken Katzen Diazepam nicht verwendet werden sollte.

Zum vieldiskutierten Thema Kastration und Epilepsie: Dies betrifft natürlich eher den Hund als die Katze, da letztere ja meist kastriert ist. Ob beim Hund beiderlei Geschlechts eine Kastration helfen kann, die Anfallshäufigkeit zu senken, war lange Zeit sehr umstritten. Nach meinem Kenntnisstand hat sich aber inzwischen gezeigt, dass die Kastration des Rüden in diesem Zusammenhang keinen Vorteil bringt und die Kastration der Hündin sogar von Nachteil sein könnte.

Fazit: So furchterregend die Krankheit auch ist, die Diagnose Epilepsie beim eigenen Haustier bedeutet natürlich nicht das Ende. Immerhin kann bei bis zu 80 Prozent der Patienten unter sachkundiger Therapie Anfallsfreiheit oder eine deutliche Verminderung der Anfallshäufigkeit erzielt werden, so dass eine normale Lebensspanne erreicht wird. Eine deutliche Veränderung der Lebensumstände bringt diese Diagnose aber durchaus mit sich. Man muss permanent auf Draht sein, um nur ja keine Medikamentengabe zu versieben. Man muss auch unter allen Umständen (Urlaub!) im Auge behalten, dass zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort die benötigten Medikamente in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Das ist absolut kein Zuckerschlecken, aber machbar, wie viele erfolgreich therapierte Patienten beweisen!

Wie schon eingangs erwähnt, stützt sich mein Beitrag in Bezug auf Inhalt und Gliederung in großen Teilen – aber nicht ausschließlich – auf den Artikel „Epilepsie bei Hund und Katze“ von Andrea Tipold, Arianna Maiolini, Jasmin Nessler und Veronika M. Stein von der Klinik für Kleintiere der Tierärztlichen Hochschule Hannover, erschienen in der Zeitschrift „Kleintierpraxis“ im April 2015. Ich habe mich bemüht, die Aussagen dieser Übersichtsarbeit für Sie als Patientenbesitzer in verständlicher Form aufzuarbeiten und mit eigenen Gedanken zu ergänzen.

Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr

Ralph Rückert

 

© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen

 

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