Von Ralph Rückert, Tierarzt
Wenn ich in einem meiner Beiträge irgend etwas kritisiere, und sei es nur das Wetter, kann man darauf wetten, dass irgendwo ein Kommentar auftaucht, der ungefähr lautet: „Stimmt, das Wetter ist schlecht. Es gibt aber auch jede Menge Tierärzte, die echt Scheiße sind!“. Das läuft natürlich unter dem Stichwort „Themaverfehlung, setzen, Sechs!“, aber wir können uns ja gern mal mit der Frage beschäftigen, wie man für sich einen guten Tierarzt findet.
Zieht man in eine andere Stadt um, dann ist eine der unangenehmsten Folgen der Verlust all der „Leute des Vertrauens“, die man sich am bisherigen Wohnort mühsam zusammengesucht hatte: Der tolle Friseur, der super Bio-Metzger, der akkurate Elektriker und natürlich der patente Arzt / Zahnarzt / Tierarzt. Als wir vor über 25 Jahren nach Ulm kamen und einen Allgemeinarzt für uns selbst finden mussten, war das noch viel problematischer als heutzutage. Internet gab es nicht, Leute, die wir um eine Empfehlung hätten bitten können, kannten wir noch nicht. Also haben wir die Gelben Seiten genommen und mit Hilfe eines Stadtplans geschaut, wo die Arztpraxen in der Umgebung waren. Davon haben wir dann auf gut Glück eine rausgesucht und einen Termin vereinbart. Außer dem Namen des Arztes wussten wir nichts, heute absolut unvorstellbar.
Als wir da ankamen, als gehetzte Selbständige natürlich ganz am Morgen zum frühestmöglichen Termin, lag die verwaist wirkende Praxis noch im Halbdunkel. Die Arzthelferin hinter dem Anmeldungstresen würdigte uns erst mal keines Blickes, um uns dann, nach gefühlt einer Minute, stumm-erwartungsvoll anzuglotzen. Nach Erledigung der Formalitäten wurden wir wegkommandiert mit den bei mir Ganzkörperherpes auslösenden Worten „Sie dürfen dann noch im Wartezimmer Platz nehmen“. Welche Gnade! Ein ganz schlechter Start! Im Wartezimmer mussten wir eigenhändig das Licht anschalten, und als wir dann beim unvermeidlichen Rundumblick feststellten, dass fast alle glatten Oberflächen eine dicke Staubschicht aufwiesen und der Teppich seit mindestens vier Tagen nicht mehr gesaugt worden war, stand für uns bereits fest, dass wir mit unserer Wahl so richtig ins Klo gegriffen hatten. Dem Arzt, der uns kurz darauf ins Sprechzimmer bitten wollte, mitzuteilen, dass uns das alles nicht gefällt und wir nun wieder gehen wollen, war denkbar unangenehm, aber leider unvermeidlich.
Im Vergleich dazu haben wir heutzutage goldene Zeiten. Man geht bequem ins Netz, schaut sich mal um, kann einen ausführlichen virtuellen Blick in alle möglichen Praxen werfen und sich mit wenigen Klicks Fotos der Leute ansehen, mit denen man es zu tun bekommen würde. Das erleichtert die Vorauswahl doch ungemein. Darüber hinaus hat man die Möglichkeit, einige Bewertungsportale durchzuforsten, um zu sehen, wie die zur Auswahl stehenden Praxen bei den Patienten ankommen. Vielfältige Hinweise auf eventuelle Spezialisierungen und Tätigkeitsschwerpunkte lassen sich ebenfalls leicht ermitteln. Dass man derartig daneben greift wie wir damals, sollte unter diesen Voraussetzungen gut vermeidbar sein. Eine Praxis, egal ob Humi, Zahni oder Vet, die keine gefällige und eine Fülle an Informationen bietende Homepage hat, würde ich für meine Person heutzutage nicht mehr konsultieren wollen. Da gehe ich so richtig vorurteilsbelastet von einem absolut nicht mehr zeitgemäßen Ausmaß an Rückständigkeit und fehlender Kundenorientierung aus.
Hat man sich entschieden, kann man beim ersten Besuch in der Praxis seiner Wahl natürlich weitere wichtige Gesichtspunkte sehr schön beurteilen: Sauberkeit, Termintreue und die sogenannten „Soft Skills“ wie Freundlichkeit, ausführliche Beratung und bei uns Tierärzten nicht zuletzt den Umgang mit unseren Patienten. Auf zwei wichtige Indikator-Faktoren einer guten Praxis, die man auch als Laie gut einschätzen kann, sollte man meiner Meinung nach ganz genau achten: Aufmerksamkeit und Sorgfalt! Wird Ihnen aufmerksam zugehört und auch mal nachgefragt? Werden Ihre Fragen beantwortet, und zwar so, dass Sie es verstehen? Wird alles aufgezeichnet und dokumentiert? Bekommen Sie auf Wunsch Unterlagen kopiert und ausgehändigt? Ich kann Ihnen aus fachlicher Sicht versichern, dass diese Punkte oft mehr über eine Praxis aussagen, als man im ersten Moment denken würde.
Alle Mediziner (also auch wir Tierärzte) sind durch ihre Berufsordnungen schon seit einer ganzen Weile gehalten, in ihren Praxen ein Qualitätsmanagement und -sicherungssystem zu etablieren, um für alle Kunden jederzeit eine möglichst gleichbleibende Qualität der erbrachten Leistungen garantieren zu können. Diese Vorgabe wird zu meinem Bedauern bis heute weitgehend ignoriert. Praxen und Kliniken, die das perfekt auf die Tiermedizin zugeschnittene und sehr anspruchsvolle GVP-Siegel erworben haben, zeigen ihren Kunden damit eindeutig, dass sie sehr viel Mühe und Zeit für die Sicherung der Qualität investieren. Wenn Sie jetzt als Leser(in) sagen: He, das ist aber jetzt so richtig Eigenwerbung!, dann antworte ich ganz ungeniert: Stimmt! Aber nicht nur das: Wenn wir Patienten zu Spezialisten überweisen, neigen wir durchaus dazu, wenn möglich Praxen und Kliniken zu bevorzugen, die ebenfalls Träger des GVP-Siegels sind, einfach weil wir wissen, dass dort auf einem Organisationsniveau gearbeitet wird, das man anderswo nicht so leicht findet.
So weit, so gut! Aber jetzt kommt der Knackpunkt, an dem sich sicher viele von Ihnen ziemliche Illusionen machen. Wie ist das denn nun mit der fachlichen Kompetenz eines Tierarztes? Das ist doch das Wichtigste überhaupt! Das stimmt zwar, hilft Ihnen aber in der Regel bei der Auswahl keinen Millimeter weiter, denn genau das ist der Punkt, den Sie, wenn Sie nicht irgendwie vom Fach sind, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht wirklich beurteilen können. Ein Tierarzt ist schließlich ein hochgradiger Spezialist, der auf seinem Fachgebiet derartig viel weiß, dass man als Laie keine realistische Möglichkeit zur Einschätzung hat, dem man also einen hohen Vertrauensvorschuss gewähren muss. Das gilt ja gleichermaßen auch für Anwälte, Architekten, Ingenieure und alle anderen, für deren mühsam erworbenes Fachwissen man teuer bezahlen muss. Allenfalls mit der im Rückblick immer hundertprozentigen Sehschärfe, also dann, wenn man unschuldig im Knast sitzt, der Neubau eingestürzt oder der Patient tot ist, kann man mit einer gewissen, aber auch nicht letztendlichen Sicherheit behaupten, dass man sich wahrscheinlich den falschen Spezialisten rausgesucht hat.
Der Behandlungserfolg bei Alltagserkrankungen ist jedenfalls kein geeigneter Beurteilungsmaßstab. Bis zu 80 Prozent der Erkrankungen, derentwegen man einen (Tier-)Arzt konsultiert, würden auch von ganz allein wieder ausheilen. Die Natur, das Immunsystem, die Selbstheilungskräfte sind ja alles andere als hilflos. Das bedeutet, dass buchstäblich jeder Arzt, also auch die größte Pfeife oder der nach absurdesten Methoden arbeitende Scharlatan eine Vielzahl von vermeintlichen Erfolgen feiern kann. Wie kompetent ein Arzt wirklich ist, werden Sie als Patient bzw. Patientenbesitzer eventuell erst herausfinden, wenn es wirklich kracht im Gebälk, wenn es um Kopf und Kragen geht. Anders ausgedrückt: Ob ein Arzt die Erkältung in 14 Tagen oder zwei Wochen zur Ausheilung bringt, sagt gar nichts. Wichtig ist, ob er im Fall der Fälle richtig erkennt, dass zum Beispiel Ihre vermeintlichen Atemwegsprobleme eigentlich auf ein drohendes Herzversagen zurückzuführen sind.
Bis zum Eintritt dieses Ernstfalles, sozusagen im Alltagsbetrieb, hängt der Erfolg eines Tierarztes in erster Linie davon ab, wie gut er mit seinen Kunden umgehen kann, wie erfolgreich er sich verkauft oder – um es mal maximal unangenehm auszudrücken – wie gut seine manipulativen Fähigkeiten sind. Kein Mensch, ich selbst eingeschlossen, gesteht sich gern ein, dass er manipulierbar wäre. Dennoch ist sich jeder mit einem Funken Verstand darüber im klaren, dass genau das täglich auf vielfältige Weise passiert. Im Umgang mit zahlenden Kunden, egal ob im Hotel, im Autohaus, im Maklerbüro oder in der Arztpraxis, wird immer der die Nase vorn haben, der Menschen leicht beeinflussen kann, der Charisma und Überzeugungskraft hat.
Ich habe mal einen Kollegen gekannt, eine absolute Ausnahmeerscheinung, der fachlich eine derartige Katastrophe war, dass die Welt definitiv eine bessere gewesen wäre, hätte man ihm nur nie die Approbation als Tierarzt erteilt. Von seiner geradezu bestürzenden Inkompetenz abgesehen war er auch noch unbeleckt von jeglicher Form des Selbstzweifels, total skrupellos und stinkend faul. Aber er war geradezu fantastisch und absolut unübertroffen im Umgang mit seinen Kunden. Ich konnte als blutjunger Tierarzt nur mit offenem Mund daneben stehen und ungläubig beobachten, welchen grenzenlosen Stuss die Leute ihm freudig abgekauft haben. Der Mann konnte einem glatt Kopfabschneiden als geeignete Therapie für Kopfweh verkaufen.
Seine Praxis war sauber und geschmackvoll eingerichtet, das Personal von ausgesuchter Freundlichkeit, er selbst vermittelte einen Eindruck von Vertrauenswürdigkeit und Seriosität, der keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten zuließ. Wenn Sie so einem manipulativen Ausnahmetalent in die Hände fallen, sind Sie ein ganz armes Würstchen. So lange es nur um mehr oder weniger von selbst ausheilende Alltagswehwehchen, Impfungen und Entwurmungen geht, haben Sie – ich schwöre Stein und Bein darauf – das sichere Gefühl, den besten Tierarzt der Welt gefunden zu haben. Sollten Sie aber je mit ihrem aus einem Milzriss verblutenden Hund in diese Praxis stürmen, haben Sie und Ihr Hund leider verloren. Aber selbst das dann unvermeidliche Ende könnte Ihnen dieser Mann noch als trotz seiner heroischen Bemühungen absolut unabwendbar verkaufen und hätte gute Chancen, dass Sie das glauben.
Andererseits kenne ich fachlich geradezu herausragende Kolleginnen und Kollegen, Leute, die ich mit meinen eigenen Tieren ohne Zögern aufsuchen würde, die aber entweder wohlweislich in Großkliniken arbeiten, wo es auf den Umgang mit Kunden nicht so entscheidend ankommt, oder die sich in der freien Praxis sehr schwer tun und wirtschaftlich kaum aus den Puschen kommen, weil sie kommunikativ und emotional einfach außerstande sind, eine funktionierende Kundenbeziehung aufzubauen. Bei so einem „Fach-Autisten“ wären Sie und Ihr Tier wirklich bestens aufgehoben, um Welten besser als bei dem oben beschriebenen Zampano, aber Sie würden da eventuell nur einmal hingehen und dann frustriert weiterziehen, weil Sie nicht erkennen könnten, wie hervorragend die Kollegin oder der Kollege fachlich ist. Langer Rede kurzer Sinn: Sie können noch so viel in Internet-Foren und anderswo gelesen haben, Sie haben eigentlich nicht die geringste Chance, die fachlichen Fähigkeiten eines Mediziners realistisch einzuschätzen und wirklich gut gemachte Manipulation als solche zu erkennen.
Aber worauf läuft es denn dann am Ende raus? Ganz einfach: Auf echtes Vertrauen! Sie brauchen einen richtig guten Draht zu dem Arzt, der Ihnen da gegenüber sitzt. Sie müssen darauf vertrauen, dass seine ethischen Maßstäbe korrekt sind, dass er ihnen immer die Wahrheit sagt, dass er für Ihr Tier sein Bestes zu geben bereit ist und es so behandeln wird wie sein eigenes.
In den lokalen Facebook-Gruppen wie z.B. „Du weißt, dass du aus XY bist…“ laufen in schöner Regelmäßigkeit Diskussionen um den besten Tierarzt (Zahnarzt, Arzt). Wenn man sich die meist zahlreichen Beiträge durchliest, sind innerhalb kürzester Zeit alle in Frage kommenden Adressen genannt worden, auch die, die in der Kollegenschaft in schöner Übereinstimmung als echte fachliche Nieten gelten. Jeder Diskussionsteilnehmer ist der festen Überzeugung, in der besten Praxis der Stadt untergekommen zu sein. Das wirkt auf den ersten Blick absurd, ist es aber keineswegs. Jeder dieser Leute hat zu der Praxis, die er lobend erwähnt, offenbar ein gutes Vertrauensverhältnis, und so soll es sein. Andererseits wird dadurch natürlich auch deutlich, wie sinnlos letztendlich solche Diskussionen sind, weil jeder Tierbesitzer für sich selbst und im persönlichen Kontakt herausfinden muss, wem er sein Vertrauen schenken kann. Die eine Super-Praxis für alle gibt es einfach nicht!
Mir ist voll und ganz bewusst, wie groß der Vertrauensvorschuss ist, den Sie uns Spezialisten einräumen, ja einräumen müssen, und ich bin davon auch immer wieder zutiefst beeindruckt. Deshalb ein guter Rat: Wenn Sie – egal auf welchem Spezialgebiet – jemanden gefunden haben, dem Sie in dieser Form vertrauen können, dann ist das etwas ziemlich Wertvolles. So wertvoll, dass der Verlust (z.B. durch Wohnortwechsel) richtig wehtun kann. Ein solches Vertrauensverhältnis sollte man pflegen, und zwar von beiden Seiten. Der Tierarzt, wenn er denn bei Sinnen ist, tut das normalerweise aus eigenem Antrieb, aber auch Sie als Tierbesitzer können Ihren Teil beitragen. Bringen Sie ruhig Ihre Meinung ein. Loben bzw. bestätigen Sie uns, wenn Ihnen etwas besonders gut gefällt, aber beschweren Sie sich auch, wenn Ihnen mal was nicht so passt! Beschwerden sind für uns zwar einerseits kein Zuckerschlecken (wer hört schon gerne, dass er eventuell etwas verbockt hat), andererseits aber auch eine große Chance, etwas, was suboptimal gelaufen ist, zu korrigieren. Wir strengen uns sehr an, sind aber natürlich auch keine Übermenschen. Mit einer in Ruhe vorgebrachten Reklamation zeigen Sie uns nicht zuletzt, dass Ihnen etwas an uns und an dem Verhältnis zu uns liegt. Zu diesem wichtigen Thema folgt in nächster Zeit mal ein extra Artikel.
Abschließend noch ein Wort dazu, wie Sie Ihren Tierarzt besser nicht aussuchen sollten. Eine der unglücklichsten Möglichkeiten, eine Tierarztpraxis zu bewerten, ist das Preisniveau. Ich lese oft im Internet solche Einlassungen wie „Da geht es in erster Linie um das Tier, nicht um das Geld“. Ich bin zwar beileibe nicht blind gegenüber der Tatsache, dass nicht jeder gleich viel verdient und so mancher seine Ausgaben gut im Griff behalten muss, aber bitte, wie naiv kann man sein? Warum sollte eine Praxis wohl auffallend billig sein? Weil der Besitzer einen chronischen Widerwillen gegen Geld hat? Weil er so gut geerbt hat, dass er es nicht mehr nötig hat? Quatsch, eine Praxis ist dann billig, wenn sie außer niedrigen Preisen keine guten Argumente für sich selbst ins Feld führen kann. Und sie ist dann vergleichsweise teuer, wenn sie sich das leisten kann, weil sie trotz ihrer höheren Preise genug Patienten hat, logischerweise aufgrund von anderen Qualitäten. Sie kennen ja wahrscheinlich das berühmte „Gesetz der Wirtschaft“, das John Ruskin zugesprochen wird: „Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen kann und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Menschen.Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand (in unserem Fall: Dienstleistung) die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas besseres zu bezahlen.“
Ein weiterer dicker Stolperstein bei der Suche nach einem guten Tierarzt ist die bekannte Regel, dass man die Genialität seines Gegenübers leider gern daran bemisst, wie sehr er mit den eigenen Standpunkten übereinstimmt. Beispiel gefällig? In einem Internet-Forum schreibt neulich Hundebesitzerin A, dass sie wegen Problem X von ihrem Tierarzt das Diätfutter Y bekommen hätte. Hundebesitzerin B, offenbar eine militante BARF-Aktivistin, setzt dagegen: „Wenn mein Tierarzt versuchen würde, mir diesen Dreck anzudrehen, hätte er mich zum letzten Mal gesehen!!!“. Der Gedanke, dass dieses Problem unter normalen, sich gegenseitig wertschätzenden Menschen per ruhiger Kommunikation („Ah, Herr Doktor, Sie wissen doch, ich favorisiere Rohfütterung, gibt es da eine Alternative zu dem Fertigfutter?“) gelöst wird, kommt der Dame erst gar nicht in den Sinn. Sie besteht auf einem Tierarzt, der ihren Standpunkt uneingeschränkt teilt, und kann es nicht ertragen, dass es noch andere Wege nach Rom geben könnte. Wenn Sie also dringend einen Tierarzt suchen, der Ihnen nur nach dem Mund redet, öffnen Sie der Manipulation Ihrer Person durch jeden auch nur halbwegs talentierten Verkäufer Tür und Tor. So einer hat Sie nämlich innerhalb kürzester Zeit ausgeleuchtet und „spiegelt“ Sie und Ihre Ansichten in Zukunft bis zur Perfektion. Das mag für Sie bzw. Ihr Ego sehr schmeichelhaft sein, Sie dürfen nur kein einziges ehrliches oder gar kritisches Wort mehr erwarten. Wenn Ihr Tierarzt merkt, dass er Sie nur dadurch als Kunde behalten kann, indem er Ihre Standpunkte wie ein Papagei nachplappert, könnte das für Ihr Tier langfristig ganz schön gefährlich werden.
Abschließend vielleicht noch eines: Ihre Chancen, eine Tierarztpraxis zu finden, in der anständige Arbeit geleistet wird, sind meiner Ansicht nach und ganz pauschal gesagt ziemlich gut. Die meisten Kolleginnen und Kollegen gehören zu den 80 Prozent, die durchaus wissen, was sie tun und was sie sich zutrauen können. Daran ändert auch das permanente Internet-Gemaule über vermeintlich inkompetente Tierärzte nicht das Geringste. Wie gesagt: Heutzutage kann man sich schon allein dadurch den Vorwurf der totalen Unfähigkeit einhandeln, indem man einem Rohfütterungs-Fan in bester Absicht ein bewährtes Diätfuttermittel empfiehlt. Man darf bei der ganzen Stimmungsmache nie vergessen, dass die lautesten Internet-Motzbacken letztendlich die sind, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun haben, als sich online das Maul über andere zu zerreißen.
Aber halt, ich habe von 80 Prozent geschrieben. Was ist mit den restlichen 20 Prozent? Die Hälfte davon sind die Koryphäen, Ausnahmekönner, die auch wir Tierärzte aufsuchen, wenn wir für unsere Tiere die Hilfe eines richtig guten Spezialisten suchen. Der Rest, die letzten 10 Prozent also, sind nach meiner Einschätzung tatsächlich fachliche Nieten. Und unter denen können Sie dann leider auch auf Manipulations-Experten stoßen wie den oben beschriebenen Kollegen. Wenn Ihnen das passiert, dann haben Sie – wie schon erwähnt – leider Pech gehabt. Also: Bleiben Sie positiv, denken Sie einfach an die 90 Prozent, die gute bis herausragende Arbeit leisten und die sich in erster Linie dadurch unterscheiden, wie Sie Ihnen persönlich liegen, wie viel Vertrauen Sie zu der-/demjenigen entwickeln können. Und genau danach sollten Sie sich auch entscheiden!
Bleiben Sie uns gewogen, bis bald, Ihr
Ralph Rückert
© Kleintierpraxis Ralph Rückert, Bei den Quellen 16, 89077 Ulm / Söflingen
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